Demokratie

Ö-PUNKTE 2/2001 ("SOMMER 2001")

Rechtswidrige Radwege


1. Kopenhagen - ein RadlerInnenparadies
2. Nicht nur in Amsterdam: Radeln lohnt sich
3. Politische Mühlen mahlen langsam
4. Rechtswidrige Radwege
5. Flughafen-Zubringerverkehr / Kooperation von Lufthansa und DB AG
6. Tempo 100: Genug studiert - jetzt probieren!
7. InformationsDienst Verkehr IDV Nr. 66 erschienen
8. MOBIL OHNE AUTO: Aktionstag am 17. Juni 2001

Mit der StVO-Änderung von 1997 hatte die Bundesregierung einige Verbesserungen für Radfahrer durchsetzen wollen. Dabei wurde die Rechnung allerdings ohne die Kommunen und deren Straßenverkehrsbehörden gemacht, die die Umsetzung der Verwaltungsvorschriften faktisch oft verweigerten. So wurden die Benutzungspflicht von schlechten Radwegen nicht aufgehoben, sondern noch verschärft durch das Anbringen des blauen Radwege-Schildes (Zeichen 237, 240 und 241 StVO). Vorschub leisteten den örtlichen Verwaltungen dabei unklare Formulierungen und vielen Ausnahmeregelungen in den Verwaltungsvorschriften. Ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts könnte den Straßenverkehrsbehörden jetzt Beine machen.
 UMKEHR e.V. unterstützte einen Berliner Radfahrer bei seinem Klageweg bis vor das Verwaltungsgericht. Der Radfahrer hatte beantragt, die Benutzungspflicht von vier Radwegen in der Nähe seiner Wohnung aufzuheben, da die Benutzung der Wege ihn gefährde und behindere. Die Straßenverkehrsbehörde lehnte ab, so dass Klage erhoben wurde. Der Radfahrer bekam im Urteil im vollen Umfang Recht.

Sicherheit von Radwegen
Teilweise stützten sich die Richter bei ihrer Begründung auf die qualitätsgebundenen Kriterien für Radwege in den Verwaltungsvorschriften, nach denen deren Benutzung hinsichtlich der Beschaffenheit zumutbar sowie die Linienführung eindeutig, stetig und sicher zu sein habe. Insbesondere der anberaumte Ortstermin überzeugte das Gericht, ?dass die für benutzungspflichtig erklärten Radwegeabschnitte keinesfalls als verkehrssicher anzusehen sind... Voraussetzung für die Anordnung einer Benutzungspflicht ist, dass der benutzungspflichtige Radweg den Anforderungen an die Verkehrssicherheit genügt.?
Insbesondere bemängelte das Gericht, dass die Behörde die Ausnahmeregelungen in den Vorschriften falsch ausgelegt habe. Neben den Problemen mit abbiegenden Kfz seien ?gefah-renträchtige Konflikte zwischen Radfahrern und Fußgängern wegen der Enge und des Fehlens von hinreichenden Ausweichmöglichkeiten vor-programmiert.? Kritisiert wurde, dass die Gehwege konkret durch die Anlage der Radwege und die zusätzliche Gehwegmöblierung viel zu schmal geworden seien. Somit kann das gefällte Urteil durchaus auch positive Auswirkungen für Fußgänger zeitigen.

Schilder vermeiden
Mindestens genauso wichtig wie die Verkehrs-sicherheit befanden die Richter einen scheinbar formalen Fehler der Behörden. 1997 wurde eher unbemerkt der StVO ein Absatz hinzugefügt. § 45 Absatz 9 besagt, dass Verkehrszeichen nur dort anzuordnen sind, ?wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist.? Ein zwingender Umstand wäre z.B. eine außergewöhnliche Gefahrenlage. Die Behörden konnten weder zwingende noch besondere Umstände an den reklamierten Straßenabschnitten nachweisen.
Das Gericht betonte, dass es seit 1998 für Rad-fahrer grundsätzlich zulässig ist, statt der vorhandenen Radwege die Fahrbahn zu benutzen. Die Anordnung der Benutzungspflicht stelle nicht nur eine Gebotsregelung, sondern gleichzeitig auch ein Verbot für die Fahrbahnnutzung dar. Daher verletzen die Verkehrszeichen 237 den Kläger in seinen Rechten, die er seit der letzten StVO-Änderung hat.
Gerügt wurde von den Richtern auch das inkonsistente Verhalten der Behörden hinsichtlich der Beschilderung. So gäbe es in Berlin vergleichbare Hauptverkehrsstraßen ohne Radwege. Schon diese Ungleichbehandlung zeige, dass keine zwingenden Umstände vorlägen.

Es geht um Radfahrer
Schließlich wurde noch das Bestreben der Behörden gerügt, durch die Benutzungspflicht der Radwege die Grünphasen für den motorisierten Verkehr zu optimieren. Beschränkungen des fließenden (Rad)Verkehrs dürften nur wegen einer Gefahrenlage erfolgen, nicht aber aus ?anderen Gründen?.
Die Berliner Verwaltung wird nicht gegen das Urteil in Berufung gehen. Zur Zeit werden etwa 50 Knotenpunkte geprüft, die denen im Urteil behandelten ähneln. Dabei sollen die Radwege bevorzugt in Radfahrstreifen auf der Fahrbahn umgewandelt werden. Sehr günstig wirkt es sich zur Zeit aus, dass die berliner Polizei verstärkt gegen Unfälle beim Rechtsabbiegen vorgehen will. Daher macht sie sich stark für eine Verlagerung des Radverkehrs auf die Fahrbahn.
Vorrang bei der Umwidmung der Radwege haben Kreuzungen im Wohnbereich eines weiteren Radfahrers, der mit einer entsprechenden Klage vor das Verwaltungsgericht gegangen ist. Diesen Radler wolle man ?klag-los? stellen. Damit ist offensichtlich, dass gegen Verzögerungen zumindest der Klageweg angedroht werden sollte. So griff kurz nach dem Berliner Urteil die Hambuger Verwaltung einer eigenen Verurteilung vor und hob die Benutzungspflicht eines ?ange-klagten? Radweges auf. UMKEHR e.V. ermutigt betroffene Radfahrer und Verkehrsinitiativen, ihre Interessen auf der neuen und klareren Rechtsgrundlage gegenüber den Straßenverkehrsbehörden durchzusetzen.

Literatur:
Aktenzeichen VG 27 A 206.99, Urteil verkündet am 28.9.00 beim Berliner Verwaltungsgericht
Als Muster bieten wir den Widerspruch, die Klageschrift und das Urteil als Kopie (28 Seiten verkleinert auf A 5) für sieben DM inkl. Versandspesen an: UMKEHR e.V., Exerzierstr. 20, 13 357 Berlin, Tel:030/ 492-7473, Fax:-7972, info@umkehr.de

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