Offener Raum

MYTHOS ATTAC: DAS KRITISCHE BUCH ZUM MEDIENHYPE

Januar 2011: Noch ein (pseudo-)kritisches Buch zu Attac


1. Juli 2004: Das erste kritische Attac-Buch!
2. Veranstaltungen zum Thema
3. Ankündigungsmail zum Buch (Frühjahr 2004)
4. Alter Wein in alten Schläuchen
5. Liste gelaufener und z.T. Berichte von Veranstaltungen
6. Rezensionen des Buches
7. Stichwort- und Personenverzeichnis
8. Reaktionen bei Attac
9. Januar 2011: Noch ein (pseudo-)kritisches Buch zu Attac
10. Die wichtigsten Zitate zu Attac

Willi Baer/Karl-Heinz Dellwo: ATTAC Gipfelstürmer und Straßenkämpfer. Laika Verlag, Hamburg 2010, 128 Seiten, 24,90 €

Rezension in Junge Welt, 8.2.2011 (beim LAIKA-Verlag)
Fortschritt als Schnecke
Wie straßenkämpferisch ist ATTAC? Der Band 10 der "Bibliothek des Widerstands" verhandelt die berühmte Sammlungsbewegung
Von Markus Mohr
Im März 2004 trat der berühmte Politikwissenschaftler John Holloway im Berliner Hebbeltheater in Berlin auf. Im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung, die unter anderem von der Gruppe ATTAC-Campus organisiert wurde, erweckten seine vom Aufstand der Zapatisten in Mexiko abgeleiteten Thesen im Publikum große Sympathie. Er sprach davon, daß Resistenz, Rebellion und Widerstand und eine neue Form von revolutionärer Organisierung im globalen Kampf gegen den Kapitalismus nötig seien. Als an ihn höflich die Frage gerichtet wurde, ob das unter anderem von Oskar Lafontaine im Oktober 2001 mitgegründete ATTAC Deutschland eine Organisation der Rebellion sei, reagierte er unwirsch: Das solle sich der Fragesteller, bitte schön, selber beantworten.
Nun ist in der "Bibliothek des Widerstands" ein Band unter dem Titel "ATTAC – Gipfelstürmer und Straßenkämpfer" erschienen. Im Vorwort bescheinigt der verdiente Internationalist Josef Moe Hierlmeier ATTAC, sowohl eine der "wichtigsten und produktivsten Organisationen im Kontext der No-Globals" als auch eine aus "dem Scheitern der historischen Linken" hervorgegangene "Organisation sui generis" zu sein. Hierlmeier betrachtet ATTAC in der Bundesrepublik im Grunde als "eine Sammlungsbewegung einer außerparlamentarischen Sozialdemokratie". Verglichen mit den Forderungen der französischen oder der russischen Revolution oder denen der 68er-Revolte, sei ATTACs zentraler Slogan "Eine andere Welt ist möglich" nur "ein matter Abglanz".
Werner Rätz, einer der Initiatoren von ATTAC Deutschland, zitiert in seinem Text aus dem Leitartikel von Ignacio Ramonet dem "Direktor" der französischen Monatszeitung Le Monde Diplomatique vom Dezember 1997, gewissermaßen die Gründungsurkunde von ATTAC International. Ramonet forderte damals "eine gigantische staatsbürgerliche ›pressure group‹, mit dem Ziel, endlich wirksam eine weltweite Solidaritätssteuer durchzusetzen", die berühmte TOBIN-Steuer, die auf Finanz- und Devisengeschäfte erhoben werden sollte. Ramonets Leitartikel habe Menschen "in vielen Ländern" beflügelt, "sich kritisch mit den Erscheinungen der Weltwirtschaft" auseinanderzusetzen. Das ist auch das Ziel von Rätz, was man an seinen poetisch gewählten Zwischenüberschriften wie "Der Fortschritt ist eine Schnecke" oder "Das Soziale, was dem Leser das Gefühl vermittelt, das in dem Gravitationszentrum von ATTAC alles Mögliche eine Rolle spielen mag, nur eben nicht die Theorie und Praxis von Widerstand. In der Organisation sieht Rätz ein "Arsenal von Möglichkeiten (...) konkret zu sagen, wohin wir wollen (...) ohne das wir ideologische Auseinandersetzungen austragen oder alle Antikapitalisten werden müßten", was ihm als "Vorteil" gilt.
Auch damit ist der immer mal wieder wegen Protestaktionen inhaftierte Aktivist und Autor Jörg Bergstedt nicht einverstanden. Im Unterschied zu Rätz hebt er die "Nachteile" der Organisation hervor. In seinem Beitrag beschreibt er einen Teil der Gründergeneration als "marktwirtschaftlich orientierte Projektberater, die neue (...) Arbeitsfelder in der Kampagnen- und Lobbyarbeit" gesucht und deshalb "ihre Kontakte zu Parteien, Ministerien und Euromtern" in die Organisation eingebracht hätten. Sie seien es gewesen, die nach den militanten Auseinandersetzungen von Göteborg und Genua im Jahr 2001 den "ausufernden Protest" kanalisiert und die "Medienhoheit über die Globalisierungskritik an sich" gerissen hätten. Interessant ist dabei die Beobachtung von Bergstedt, daß der von Hierlmeier innerorganisatorisch als "produktiv" gepriesene "bewußte, offene Umgang mit Differenzen" in der Praxis so aussehen würde, daß beim Auftauchen von Widersprüchen zur Politik der ATTAC-Führungsgruppe die Basis in den Debatten stets den Konsens mit dieser zu suchen habe – was umgekehrt nie der Fall sei.
Zwei Filme gibt es in zu dem Buch auch noch. Wer mag, kann sie sich als bunte Collagen zum Thema anschauen. Bei dem zum Teil etwas langatmig geratenen Film von Verena Vargas handelt es sich um eine sympathisierende teilnehmende Beobachtung einer Reise von Protestaktivisten zum G-8-Gipfel nach Evian im Juni 2003. Der andere stammt vom Südwestrundfunk und ist sehr bemüht journalistisch-distanziert. Im Ernst: Die herrschenden Verhältnisse sind derzeit nicht so, daß sich von einer Institution des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eine politisch wie ästhetisch engagierte Hommage an einem antikapitalistischen Protest erwarten ließe. Wie man den Band auch dreht und wendet, ob man es vor oder auch zurückliest: Die Organisation ATTAC steht weder für Gipfelsturm noch für Straßenkämpferei, wie der Titel verspricht. Das wird aber auch von keinem der hier versammelten Autoren behauptet.
Nach der Lektüre versteht man die unwirsche Reaktion von Holloway auf die Frage nach den rebellischen Qualitäten von ATTAC besser. Er wußte wahrscheinlich damals schon mehr, als er bereit war öffentlich zu sagen.


Aus: ila Bonn am 7.6.2011
Einen kleinen, wenn auch eindeutig nach links hin kalibrierten Ausschnitt dieser Bandbreite findet sich in dem schon optisch sehr ansprechenden Buch (schwarz-rotes Hardcover!) „Attac – Gipfelstürmer und Straßenkämpfer“ aus der Reihe „Bibliothek des Widerstands“ des LAIKA-VErlags. Eingeleitet von Josef Moe Hierlmeier, bekannt über die „Bundeskoordination Internationalismus“ (BUKO), schreibt mit Werner Rätz zwar kein Repräsentant der hier skizzierten ersten Position, aber immerhin jemand, der als Mitglied des Attac Rats eine von dem Netzwerk überzeugte Binnenperspektive einnimmt – wenn auch aus einer durchaus linken, antikapitalistischen Perspektive. Einen zweiten Beitrag steuert schließlich der Hierarchiegegner Jörg Bergstedt bei, der eine erfrischend herrschaftskritische Auseinandersetzung mit Attac liefert. ...
Der Beitrag Jörg Bergstedts nähert sich dem Gegenstand Attac aus einer völlig anderen, interessanten Außenperspektive. Der Entstehungshintergrund des „Netzwerks“ in Deutschland stellt sich so etwas anders als üblich dar: Im Jahr 2001 war nach Göteborg und Genua ein „unglaublicher Hype um den breiten Protest und die Militanz im Speziellen“ entbrannt. Attacs „Apparate“ vermochten es, „geschickt dem unkoordinierten Protest eine politische Einheitlichkeit“ zu verpassen (S. 90). Die von „ehemalige[n] AktivistInnen zu marktwirtschaftlich orientierten Projektberatern“ mutierte Elite nutze die radikal-militant erkämpfte Aufmerksamkeit der Gipfelproteste, um „die Medienhoheit über die Globalisierungskritik an sich zu reißen“: „Vom Gipfelsturm zum Attac-Lüftchen“ (S. 91f). Zu Recht findet hier auch eine Kritik der äußerst funktionalen Allianz von „Attac-Führung und Attac-fördernde[n] JournalistInnen“ ihren Platz. Beide trieben die äußerst kurzsichtige mediale Spaltung der Bewegung „in einen guten reformistisch-braven und einen bösen gewalttätigen Teil“ voran (S. 92). Sie bedienten sich somit jenes heuchlerischen Diskurses, der die gebotene Aufmerksamkeit für handfeste, alltägliche globale Gewalt des bestehenden Systems – protegiert oder gar vorangetrieben von „unseren“ politischen und wirtschaftlichen Eliten – auf wenige brennende Autos verlagert. Der Ausschluss „militanter und staatskritscher Proteste“, die „Attac-typischen seichten Formulierungen“ und der kaschierte hierarchische Aufbau von Attac stehen also im Zentrum von Bergstedts Kritik: „Die Handlungsmacht dazu hatten die Medienstars wie Sven Giegold oder Peter Wahl – international vor allem Susan George, Bernhard Cassen und Ignacio Ramonet. Keine Basis hätte sie kontrollieren oder gar auf eine Verbandslinie einschwören können, denn ihre Deutungsmacht erwuchs aus der Dominanz in den Medien, die ihrerseits gezielt die Personen förderten, die mit zurückhaltenden Forderungen eine Art sanfter Politikberatung statt aufständischer Bewegungskultur förderten.“ (S. 96). Dass derartige Formulierungen nicht aus der Luft gegriffen sind, weiß, wer in den Anfangsjahren aktives Mitglied von Attac Deutschland war: Das Ende 2002 von der Attac-Führung ohne Konsultation der Basis gemeinsam mit dem DGB und VENRO unterzeichnete Positionspapier „Globalisierung gerecht gestalten“ dürfte noch in guter Erinnerung sein und findet zu Recht auch bei Bergstedt Erwähnung (S. 96f). Im weiteren Verlauf seines Beitrags zeigt der Aktivist auf, wie das Beispiel Attac in den letzten zehn Jahren Schule gemacht hat und sich in vielen Teilen der Protestlandschaft in Richtung „Bewegungsagenturen“ und „Retortenkampagnen“ bewegt (S. 99). Neben der Anti-Castor Kampagne „ausgestrahlt“ erfährt hier auch die im Umfeld von Attac enstandene Agentur „Campact“ Aufmerksamkeit. Hier kritisiert Bergstedt weniger die „mediale Inszenierungskunst“ als vielmehr die politischen Implikationen einer professionalisierten Protest-Stellverteter-Agentur: „Zweifellos leben wir in einer Zeit, in der viele Menschen, häufig gerade aufgrund des herrschenden Systems, kaum Möglichkeiten haben, sich zu engagieren. Dies gilt es aber zu thematisieren und zu ändern. Stattdessen nimmt Campact diesen Zustand als gegeben an und bietet den Menschen eine Art Instantprotest an – McResistance in Gründung? Suggerierter Widerstand aber stabilisiert ein Herrschaftssystem, weil er als kanalisiertes Ventil wirkt... Ein lebendiges demokratisches Herrschaftssystem braucht nützliche IdiotInnen, die Protest kanalisieren.“ (S. 100). Die Lektüre bleibt ähnlich amüsant, wenn es von der Organisationsstruktur zur inhaltlichen Debatte übergeht und Bergstedt das politische Programm von Attac als aufgewärmten „Neo-Keynesianismus“ entlarvt: „ Neo- Keynesianismus wäre die Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle und Regulierung. Übersehen wird, dass der Staat den Markt nicht nur kontrolliert, sondern absichert und überhaupt erst schafft. Und er ist selbst Akteur im Markt.“ Bergstedts Kritik richtet sich weiterhin gegen die vermeintlich auf Emanzipation zielende unverhohlene Reaktivierung höchst herrschaftsförmiger Konstrukte durch die genannten Attac-Funktionäre: „Bei den formulierten Positionen von Attac tauchen aber immer Staat oder Volk, also durch Zwang geschaffene oder vereinnahmend ausgerufene, soziale Einheiten als Ziel von Wünschen und Forderungen auf.“ Solche Konstrukte könnten aber „niemals Moment der Befreiung sein“, zudem mutiere in einer solchen Staatseuphorie „der Verursacher zum Retter“ (S. 107f). Die letzte Kritiklinie verläuft schließlich über die verkürzte oder gar nicht vorhandene Kapitalismuskritik der „medial erschaffenen Wortführerschicht“, die sich allein gegen „das ungezügelte, raffende Kapital, das als von Staat und Gesetz getrennt beschrieben wurde“ richtet. (S. 111f) In diesem Zusammenhang gerät zu Recht auch der „letzte Promifang von Attac“ Heiner Geißler in die Kritik, der sein hoffnungslos euphemistisches Geschwafel (tatsächlich als „Utopie“ bezeichnet) von der „guten alten“ Bundesrepublik und der Sozialen Marktwirtschaft über die Kanäle von Attac zum Besten gibt (S. 113). Auch wenn Bergstedt nur die reformistischen und staatsidealistischen Stimmen Attacs zu Wort kommen und somit vernünftigere Positionen wie die von Werner Rätz unbeachtet links liegen lässt – seine Kritik der medial dominierenden Stimmen bleibt lesens- und beachtenswert.


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