Offener Raum

TEXTE VON CHRISTOPH SPEHR

Die Freiheit des Baumkänguruhs


1. Die Freiheit des Baumkänguruhs
2. Links zu weiteren Texten von Christoph Spehr

Für einen erneuerten linken Natur- und Emanzipationsbegriff

Das linke Reden über Natur und Befreiung ist in die Krise geraten. Die Nachhaltigkeits-Debatte hat begründete Zweifel daran geweckt, ob es wirklich einen Unterschied machen würde, wenn die Spitzenetagen der G7, der Weltbank, des IWF sowie der Banken und Großkonzerne über Nacht mit Vertretern des traditionellen linken Mainstreams besetzt würden. Bezüglich der Apologie des industriellen Fortschritts, der gesellschaftlichen Naturbeherrschung, der notwendigen Planung und Ordnung der globalen Produktion und Reproduktion bestehen nur geringe Differenzen zwischen dem marxistisch orientierten Naturbegriff und dem Naturbegriff der aufgeklärten, modernen kapitalistischen Funktionseliten.
Die linke Mainstream-Haltung zur Nachhaltigkeit beschränkte sich denn auch auf eine Position des „im Prinzip ja“ bzw. auf die Forderung „Nachhaltigkeit pus X“ - wobei „X“ in diffuser Weise für „irgendeine Art der gesamtwirtschaftlichen Ausrichtung der gesamtgesellschaftlichen Arbeit“ steht.(1) Auch darüber wird man mit dem Kapitalismus in Zukunft reden können.
Der Marxismus ist, um es mit Frank Zappa zu sagen, „nicht tot, aber er riecht schon etwas komisch“. Die traditionell-linke Formulierung des Verhältnisses von Natur, Freiheit und Emanzipation bedarf einer Revision, aus folgenden Gründen:
  • Sie teilt die Dogmen des wissenschaftlichen Naturmanagements und seinen Naturbegriff, der in der Natur eine Ordnung der totalitären Notwendigkeit sieht. Diese Ordnung ist eine patriarchale Projektion, die einen Freiheitsbegriff legitimiert, der in Wahrheit ein Anpassungs- und Unterordnungsbegriff ist.
  • Sie ist nicht in der Lage, qualitativ zu differenzieren zwischen Natunnutzung im allgemeinen und technokratischem Naturmanagement. Deshalb ist ihre Kritik z.B. an Gen- und Reproduktionstechnologien ein Lippenbekenntnis, dem zu recht niemand traut; deshalb kommt sie immer noch zu einer Utopie der „rationalen globalen Planung der Umwelt“ (2), die einem kalte Schauer über den Rücken jagt.
  • Sie präsentiert eine falsche Analyse der gegenwärtigen sozial-ökologischen Krise des Kapitalismus, weswegen sie andauernd in der Gefahr ist, in dieser Krise auf der falsche Seite zu sein.
  • Der Begriff von Emanzipation, der in diesem Zusammenhang angeboten wird, ist abgestanden und von einem geradezu klinischen Charme. Er ist ökonomistisch verkürzt und für die Fülle von Emanzipationskämpfen so nicht brauchbar. Die Linke hat es zugelassen, dass sie von einem Altherren- Freiheitsbegriff dominiert wird, dem alles Destruktive, Wilde, Aufrührenische dialektisch ausgetrieben wurde.

Eigensinn und Freiheit in der Natur
Das Baumkänguruh verpennt 60 % seiner Zeit, 30 % sitzt es untätig herum, und in den restlichen 10 % erledigt es all das, was auch für ein Baumkänguruh unvermeidlich ist: Nahrung suchen, Essen, Sex haben, Kinder versorgen, geselliges Beisammensein mit anderen.(3) Es ist eines der Tiere, die nach menschlichem Ermessen schockierend faul sind. Die meiste Zeit werden wir es im Zustand reglosen Ruhens antreffen.
Ist das Baumkänguruh frei? Nach bürgerlichem und marxistischem Freiheitsbegriff ist dies unmöglich. Es genießt keine politischen Rechte und artikuliert kein selbstreflektiertes Bewußtsein (bürgerliche Argumentation). Es ist nicht aktiver Teil einer globalen Gesellschaftsformation, die kollektiv die Grundbedürfnisse absichert und dadurch erst das „Reich der Notwendigkeit“ überschreitet (marxistische Argumentation). Trotzdem tut das Baumkänguruh, was es will, und verwirklicht das, was ihm als seine Aufgabe erscheint: ein Leben zu führen, das einem Baumkänguruh gemäß ist.
Ich plädiere ganz entschieden dafür, dass das Baumkänguruh frei sein kann. Wenn das Baumkänguruh nicht frei ist, werden wir es auch nie. Es gibt Unterschiede zur menschlichen Freiheit, die das Wesen der freien Kooperation betreffen; dazu später. Aber wenn wir die Freiheit nicht auf etwas begründen, was in der belebten Natur liegt, der menschlichen genauso wie der nicht-menschlichen, kommen wir nie auf einen Freiheitsbegriff, der sich nicht in der Unterordnung unter begriffene Notwendigkeiten erschöpft. Dieses Etwas läßt sich als Offenheit und Eigensinn der Natur beschreiben. In der Natur regiert keineswegs die blanke Notwendigkeit. Das Bild vom ständigen Kampf ums Daseins ist hinlänglich durch die Beispiele von Kooperation und Koexistenz geradegerückt. Die Vorstellung der großen Maschine, in der jedes Rädchen ineinandergreift und die durch die Evolution beständig optimiert wird, ist ebenfalls revidiert.
Die Natur ist keine perfekt funktionierende Maschine, und die Evolution kein allzu strenger Zuchtmeister. Nach einhundertjähnigen Verrenkungen hat die Evolutionstheorie es aufgegeben, hinter jeder bizarren und phantästischen Konstruktion in der Natur einen überlebenstechnischen „Sinn“ zu entziffern. Die Natur läßt auch Platz für schlecht Angepaßtes, und sie akzeptiert auch haarsträubend umständliche und ineffiziente Wege, Ziele zu erreichen, wenn es nur überhaupt klappt. Sie folgt nicht dem totalen Diktat einer umweltbezogenen „Fitness“, sondern genauso den Weichenstellungen von sexueller und kultureller Selektion, von Vorlieben und Neigungen.
Es gibt keinen „Grund“ dafür, warum männliche Löwen eine Mähne haben, mit der sie kaum noch jagen können, so dass dies fast ausschließlich die Weibchen tun. Vermutlich haben sich die Löwinnen ihre faulen, langmähnigen Männchen durch eine entsprechende sexuelle Vorliebe selbst eingebrockt. Es macht auch keinen „Sinn“, dass bei manchen Horntieren die Geweihe so groß werden, dass sie in Gebüschen hängenbleiben oder sich bei den Brunftkämpfen ineinander verhaken und zugrundegehen. Solche Entwicklungen folgen nicht der fortschreitenden „Fitness“, sondern ebenso oft z.B. genetischen Programmen der zunehmenden Proportionsveränderung von Körperteilen, die, einmal angestoßen, von Generation zu Generation weiterschreiten, ganz ohne Umwelteinfluß (z.B. Neotonie).
Die Natur hat Platz dafür. Sie verwirklicht keineswegs das Notwendige; sie verwirklicht das Mögliche. Anders geht es auch gar nicht. Jede Veränderung tendiert dazu, erst einmal weniger fit zu sein. Fliegen mag gut sein für die Fledermaus, aber bevor es soweit war, waren die langen Finger und Hautlappen der Vor-Fledermäuse sicher nicht gerade praktisch. Unter einem totalen Fitness-Diktat würde sich gar nichts entwickeln können. Oft ist es gerade das Überleben eher schlecht angepaßter Arten, das durch spätere Umweltveränderungen erst im Nachhinein einen „Sinn“ bekommt: weil diese „schrägen Vögel“ plötzlich ungeahnte Qualitäten entwickeln. Umgekehrt passen sich keineswegs alle Arten einer schleichenden Umweltveränderung an, selbst wenn genug Zeit dafür da wäre. Viele beharren auf der Entwicklungsrichtung, die sie eingeschlagen haben, anstatt „naheliegende“ Verbesserungen vorzunehmen.
dass soviel Offenheit und Eigensinn im Evolutionsprozeß möglich ist, beruht darauf, dass die organische wie die anorganische Natur nicht bis ins Letzte den Gesetzen der klassischen Mechanik folgt, sondern ebenso den Regeln der chaotischen Selbstorganisation. Nicht jede Einwirkung zeigt langfristig auch Folgen; unterhalb einer bestimmten Stärke des Außeneinflusses stellen sich viele Zustände und Entwicklungslinien selbst wieder her. Die Natur ist durchzogen von Attraktoren - eine Art Schwerkraftbahnen, auf die sie wieder einschwenkt, wenn sie nur ein bißchen aus der Bahn gezogen wird. Deshalb kann der berühmte Schmetterlings-Flügelschlag in China zwar prinzipiell alles mögliche beeinflussen, für die meisten Zustände und Prozesse ist es aber wirklich gleichgültig, was der Schmetterling tut.
Offenheit und Eigensinn in der Natur sorgen dafür, dass sich Verschiedenheit entwickelt: Lebens- und lndividualformen, die eine gewisse eigensinnige Beharrlichkeit haben, die sich nicht auf einen blanken Reflex des Notwendigen reduzieren läßt. Diese eigensinnige Beharrlichkeit des Natürlichen reicht noch nicht aus für menschliche Freiheit, aber sie konstituiert ihre Vorbedingung: die Freiheit lebender Wesen, mit einer gewissen Unabhängigkeit von ihrer Umwelt so sein zu können, wie sie gestrickt sind. Gleichzeitig konstituiert sie die Vorbedingung dessen, dass Menschen überhaupt Natur nutzen und beeinflussen können.

Naturnutzung und technokratisches Naturmanagement
Eine rein deterministisch-mechanische Natur ließe sich vom Menschen (wie auch von anderen Lebewesen) überhaupt nicht nutzen. Jeder Eingriff hätte unbegrenzte Folgen, die in 99 von 100 Fällen zerstörerisch wären. Es ist genau die Ungenauigkeit und Eigensinnigkeit der Natur, die ihre menschliche Nutzung möglich macht. dass eben nicht alles in der Natur optimiert und knapp kalkuliert ist, macht die einfachste Form der Naturnutzung möglich: die kontrollierte Entnahme. Ob wir vom Apfelbaum drei Äpfel essen, regelmäßig unter diesem Baum rauchen oder unter ihm ein Bonbon-Papier auf den Boden werfen - es macht keinen Unterschied. Erst ab einem bestimmten Grad der Entnahme gerät das System unter Streß und springt auf einen anderen Attraktor. Es bleibt dann immer noch Natur, aber eine Natur, die zum Beispiel keine Äpfel mehr produziert.
Auf der Ungenauigkeit und Eigensinnigkeit der Natur beruht auch die Naturnutzung in Form der Wahl des Attraktors - also alles, was mit Anbau oder Zucht zu tun hat. Der Pflanzenbau macht die Kulturpflanze nicht, er wählt sie nur aus und verhindert lediglich, dass andere Pflanzen oder störende Faktoren diese Entwicklung durchkreuzen. Man kann keinen Hund in Pferdegröße züchten, keinen der Hörner hat oder das Frühstück macht: das Genom gibt es nicht her. Aber unter dem, was möglich ist, läßt sich auswählen und verschiedene Zuchtrassen schaffen.
Neben der kontrollierten Entnahme und der Wahl des Attraktors gibt es schließlich noch die Naturnutzung durch permanente Störung. Ein Hund bleibt ein Hund und ein Schwein bleibt ein Schwein, auch wenn wir sie aus der menschlichen Zuchtwahl entlassen, sogar noch nach Generationen. Dasselbe trifft auf einen schön gepflegten Garten oder ein glattrasiertes Kinn leider nicht zu. Es ist kein relativ stabiler Attraktor, wir müssen ständig wieder eingreifen.
Kontrollierte Entnahme, Wahl des Attraktors, permanente Störung - diese drei Formen der Beeinflussung sind es, die Nutzung und Management von Natur in begrenztem Rahmen möglich machen und immer möglich gemacht haben. Das technokratische Naturmanagement, das mit der europäischen Neuzeit auf den Plan tritt und mit den allerjüngsten technologischen Entwicklungen endgültig zum beherrschenden Naturverhältnis zu werden droht, kann im Prinzip auch nichts anderes. Es kann jedoch - durch entschlossene Konzentration der Mittel, durch Kombination weitläufiger Gebiete, Verlagerung des Nutzens und Verschiebung der Folgen - eine massive Steigerung von Einflußnahme erreichen.
Technokratisches Naturmanagement ist eine Naturnutzung mit hohem Mitteleinsatz, die den Maximen der linearen Optimierung, der erhöhten Manipulierbarkeit und den Substitution folgt.
Lineare Optimierung auf Kosten der vielfältigen Nutzbarkeit bedeutet, dass eine Holzplantage mehr Nutzholz produziert als ein Urwald, aber eben auch nichts anderes mehr: kein Unterholz als Lebensraum für Tiere, keine Wildpflanzen als Heilkräuter, keine vielfältige Nutzbarkeit für die Menschen der Region. Es ist das Laserpninzip: das gebündelte Licht entfaltet eine hohe, gerichtete Energie, aber es wird nicht mehr warm und nicht mehr hell im Raum. Die Trennung von Produktion und Reproduktion in der menschlichen Arbeit ist genauso eine lineare Optimierung der „Produktionsarbeiter“. Sie werden zu Menschen, die „unbelastet“ von Reproduktionsarbeit, sozialem Leben und alltäglichem Chaos „Leistung“ bringen - linear optimiert.
Die Manipulierbarkeit auf Kosten der Stabilität läßt sich am besten anhand der Gentechnik erklären. Nutztierrassen werden heute darauf hingezüchtet, dass sie auf Wachstumshormone, Medikamente, Aufbaupräparate etc. gut ansprechen. Rinder, die hormonell labil sind, sprechen z.B. besonders gut auf RBSt an. Technokratisches Naturmanagement versucht, aus der Natur die Bereiche auszuwählen, deren Fähigkeiten zur Selbstorganisation möglichst niedrig sind, d.h. deren Attraktoren schwach sind. Ähnlich funktioniert ja auch das kapitalistische Bildungssystem: es wählt diejenigen Persön-lichkeiten aus, die sich am meisten verformen lassen, bzw. wirkt allgemein darauf hin, die Stärke der Persönlichkeit zu untergraben. Die Wissensinhalte sind bekanntlich von höchst relativem Wert und zum größten Teil später überholt. Worauf es ankommt, ist das Brechen der intellektuellen und sozialen Selbstorganisation, der Ruin der Eigenständigkeit, der sich als Fortschritt in der Manipulierbarkeit zeigt.
Bleibt die Substitution, die Überwindung stofflicher Grenzen durch abstrakte Natur. Naturnutzung ist davon gekennzeichnet, dass vieles „nicht geht“; die Substitution handelt davon, wie es „doch geht“. Gentechnologische Manipulation z.B. durchbricht solche Grenzen. Sie kann wirklich Hunde mit Hörnern und in Pferdegröße schaffen, und vielleicht auch irgendwann welche, die das Frühstück machen. Sie kann Pflanzen kreieren, die Ersatz für strategische Rohstoffe mineralischen Herkunft liefern. Alles wird in alles umwandelbar. Aber der Preis liegt im hohen Aufwand. Keine dieser Produktionsmethoden sitzt auf einem halbwegs stabilen Attraktor auf. Das Saatgut vermehrt sich nicht selbst, die Tiere pflanzen sich nicht fort, ohne spezielle Rahmenbedingungen geht alles schnell ein. Die so erreichte Natur ist auf ein gewaltiges Maß an ständigem Input und ständiger Manipulation angewiesen, um nicht sofort auszubrechen oder zu sterben.
Man muss sich diese Produktionsweise leisten können. Den Eigensinn der Natur nicht mehr zu nutzen, sondern zu brechen und komplett selbst zu gestalten, ist ungeheuer teuer. Die hochspezifische Kunstnatur braucht deshalb ein riesiges Hinterland an Natur und Arbeit, die den ständigen lnput liefert. Hinter den Spezialflächen und den Spezialmenschen liegen daher immer mehr Menschen und Gebiete, deren Beitrag zu dieser Produktion immer unspezifischer, „primitiver“, monotoner wird - sie stellen keine spezifischen Leistungen und Eigenschaften, sondern nur noch abstrakte Natur zur Verfügung.
Gentechnik z.B. kann auch in einer Welt produzieren, deren ökologische und soziale Vielfalt erschöpft ist, solange genug Fläche, Energie und Technologie zur Verfügung steht. Die „Facharbeiter-Natur“, deren spezifisches „Können“ genutzt wird, verschwindet zugunsten einer „an- und ungelernten Natur“, die nur noch ihre grundlegenden biochemischen Reaktionen einbringt. Die neuen Technologien sind wie globale Staubsauger, die diese gewollt „primitive“ Natur und Arbeit aufsaugen und für ein paar sensationelle Spitzenleistungen verwursten.
Die sozial-ökologische Krise des Kapitalismus
Vor diesem Hintergrund läßt sich die sozial-ökologische Krise des Kapitalismus bestimmen. Zunächst einmal wird klar, dass es eine Überlebenskrise „der Menschheit“ nicht gibt. Ein Teil lebt weiter gut, weil es nichts gibt, was ihm die Zauberkunststücke des technokrdtischen Naturmanagemerit nicht substituieren könnten. Zugleich deutet nichts auf einen zukünftigen Big Bang hin: Die Kriegsführung forscht nach umweltverträglichen Waffen, die nicht gleich den thermonuklearen Winter auslösen. Für die Zeit nach dem Ende der fossilen Rohstoffvorkommen bieten sich ökologische Alternativen wie die großflächige Energieproduktion aus Biomasse an, auch wenn es dann für viele Menschen in der Dritten Welt ein wenig eng wird. Weder in der Atom- noch in der Gentechnik wird es ohne Unfälle abgehen, aber „die Menschheit“ wird nicht daran sterben - auch beim Bau des siebentonigen Thebens, von dem Brecht spricht, starben die Arbeiterinnen und nicht Theben.
Die derzeitige Ordnung des Weltsystems privilegiert bekanntlich die Metropolen auf Kosten der Peripherie, die Besitzenden auf Kosten der Marginalisierten, die Männer auf Kosten der Frauen, die Weißen auf Kosten der „Anderen“. Das ist keine Folge der Produktionsweise, sondern ihr Sinn: dazu ist sie da. Derzeit findet eine gewisse Auflockerung und Umgruppierung in Richtung einer in sich heterogeneren globalen Klassenspaltung statt: die Klasse derer, deren Lebensmittelpunkt der Sektor der formellen Arbeit ist und die vom globalen technokratischen Naturmanagement profitieren, gegen die Klasse derer, deren Lebensmittelpunkt im Sektor der informellen Arbeit liegt und die für das technokratische Management überwiegend „unspezifische“ Natur und Arbeit abgeben. Es ist nicht die Konkurrenz der Kapitale, die die gegenwärtige Öko-Knise verursacht; ganz im Gegenteil gibt es angesichts der Monopolisierung und beginnender internationaler Regulierungen tatsächlich Züge einer global geplanten Ressourcenbewirtschaftung.
Die Aufrechterhaltung der globalen Ordnung bedarf der Anstrengung - der Machtmittel. Die letzten fünfzig Jahre waren von einer außerordentlichen Anspruchsrevolution der benachteiligten „Hälften“ bestimmt. Um die Ordnung trotzdem aufrechtzuerhalten, bedarf es immer mehr technologisch fundierter und akkumulierter Machtmittel aller Art, bis hin zur sozialen Schmiergeldkasse. Deshalb wirft das technokratische Naturmanagement immer härter den Staubsauger an, um diese Machtmittel zu produzieren. Für neue technologische Durchbrüche sind aber von Mal zu Mal unverhältnismäßig größere Mengen an Natur und Arbeit notwendig, während die „informelle Klasse“ alles tut, ihren Anteil an der globalen Natur und Arbeit entweder nicht abzugeben oder aber sich wiederzuholen - von der Subsistenzrevolte bis zur Marktoffensive, vom Scheidungsprozeß bis zur Migration.
Das macht die Krise aus, der die Nachhaltigkeit mit Spar- oder Regulierungsvorschlägen beizukommen sucht, ohne sie lösen zu können.
Beide Seiten erleben sie als Knappheit - als Knappheit an Geld, an Ressourcen, an verfügbarer „Natur“ für ihre Pläne oder in ihrem Leben. Die einen suchen die Krisenlösung in einer autoritären, verwissenschaftlichten, „entschlackten“, aber auch „undogmatisch“-kapitalistischen Globalplanung, die die Bewegungs- und Nutzungsspielräume der Mehrzahl der Menschen radikal einschränkt. Die anderen suchen ihre Bewegungs- und Nutzungsspielräume zu verteidigen, was implizit darauf hinausläuft, das Maß an aufgehäuften Machtmitteln abzuspecken, das hypertrophe Kontrollsystem abzuwickeln und mehr Freiheit von unten durchzusetzen.(5)
Der traditionelle linke Natur- und Freiheitsbegniff gerät in dieser Konstellation mit traumwandlerischer Sicherheit stets auf die falsche Seite.
Emanzipation als Einforderung der Regeln freier Kooperation
Der gängige marxistische Freiheitsbegniff ist massiv ökonomisch verkürzt. „Freiheit von ökonomischer und materieller Notwendigkeit, Freiheit zu kollektiver Praxis“ (4> - in solchen Definitionen verschwimmt die Grundtatsache, dass das Soziale der eigentliche Ursprung des Freiheitsproblems ist. Aufstände gegen eine Ordnung, die das Überleben unmöglich macht, sind das eine: Aber in „Freiheit von Not“ oder „Freiheit zur kollektiven Selbstbeherrschung“ wird der Freiheitsbegriff so verkürzt, dass er mit 90 % der tatsächlich stattfindenden Kämpfe um individuelle und kollektive Emanzipation nichts zu tun hat.
Gehen wir nochmal zum Baumkänguruh zurück. Wir haben festgestellt, dass die Natur (als physisch-psychische Gesamtheit) lebende Wesen mit einem Eigensinn ausstattet, so sein zu wollen, wie sie gestrickt sind bzw. wie sie glauben, sein zu sollen. Und wir können davon ausgehen, dass wir genau dies auch als Menschen erleben, allerdings in einer Weise, die ungleich mehr individuelle, kulturelle, und geschichtlich gewachsene Unterschiede enthält. Diese spontane Reflex der Freiheit durchzieht das Leben von anfang an.
Das Problem der Emanzipation beginnt mit dem Punkt der Kooperation. Unser Freiheitsbedürfnis endet ja nicht bei dem, was wir alleine tun können, sondern richtet sich zum allergrößten Teil auf etwas, wozu wir andere brauchen. In jede Kooperation, in jede Beziehung bringen wir Vorstellungen ein, dass wir etwas haben oder etwas machen wollen, dass die Verwirklichung unseres Eigensinns von anderen ein bestimmtes Verhalten, bestimmte Leistungen, bestimmte Mitwirkung einfordert. Da wir keine Klone sind, liegt unser Eigensinn immer mit dem anderer im Hader - was dadurch ausbalanciert wird, dass wir trotz dieser Einschränkung etwas von unserem Eigensinn verwirklichen, was wir alleine nicht verwirklichen könnten.
Es gibt keine Möglichkeit, an die Kooperation eine Analyse von außen herantragen zu wollen, wann sie gerecht oder richtig ist. Aus der Fülle von Beziehungen, die wir kennen, wissen wir das. Was wir dagegen erkennen können, ist, dass Gruppen wie Individuen Kooperationen aufgeben oder einschränken, wenn die Rechnung für sie nicht stimmt - außer, sie können das nicht. dass sie es können, unterscheidet eine freie Kooperation von einer Herrschaftsbeziehung.
Emanzipation bedeutet, in allen Beziehungen und Zusammenhängen die Regeln der freien Kooperation durchzusetzen - das heißt, einerseits die Voraussetzungen dafür durchzusetzen, dass Gruppen und Individuen die Kooperation einschränken und aufgeben können, und andererseits dieses Prinzip auch wirklich in Anspruch zu nehmen, um auf die Art der Kooperation einzuwirken. Emanzipation hängt nicht davon ab, dass andere sie begreifen oder dass sie „objektiv vernünftig“ ist. Dies ergibt sich aus dem Begriff des berechtigten Eigensinns. Sie hängt natürlich davon ab, dass beide Seiten die Möglichkeit haben, die Kooperation sein zu lassen.
An dieser Stelle kommt die Frage, wer die jeweiligen Produktionsmittel kontrolliert, ins Spiel. Aber es ist bei weitem nicht die einzige Frage. Kapitalistische Ordnung, wie andere Herrschaftsordnungen auch, stellt eine Fülle von Instrumenten zur Verfügung, um Kooperation zu erzwingen - von direkter Gewalt bis zur Gestalt der Dominanzkultur, der Kontrolle der Ideologie und der Kontrolle der Sozialnetze. Ob eine freie Kooperation vorliegt, erkennen wir daran, ob beide Seiten die Möglichkeit haben, sie sein zu lassen.
Dies ist eine faktische Frage. Kein Modell der gesellschaftlichen Kontrolle der Produktionsmittel kann sie ein für alle Mal lösen. Emanzipation beginnt von unten, aus dem Inneren der Gesellschaft heraus, aus ihren Kooperationen und Beziehungen. Sie ist nichts, was wir an irgendeinem fernen Punkt der menschlichen Geschichte vom Baum pflücken, sondern sie findet statt, hier und heute. Und unter den Bedingungen der sozial-ökologischen Krise des Kapitalismus, wie sie oben geschildert wurden, ist sie aktuell keine Frage von vernünftigen Globalregulierungen; sondern des kollektiven wie individuellen, wenn auch sehr unterschiedlichen, Durchkämpfens von Bedingungen, die ein Mehr an Entscheidungen erlauben. Emanzipation hat mit Nachdenken zu tun; aber sie beginnt beim Baumkänguruh in uns allen.

(1) Karl Hermann Tjaden: Mensch-Gesellschaftsformation-Biosphäre, Kassel 1992, 5. 244. Ansonsten reicht der Artikel von Ulrich Brand: Weichspüler auf dem Vormarsch, Lohnt der Kampf um den Begriff Sustainable Development?, blätter des iz3w Nr. 200, Freiburg 1994, da sich die Position z.B. der „links“ seither nicht verändert hat.
(2) Hans Heinz Holz: Historischer Materialismus und ökologische Krise, Dialektik 9 „Ökologie“, Köln 1984, 5. 40.
(4) Die Auflistung orientiert sich, wie unschwer zu erkennen, an den „sechs Grundfunktionen des menschlichen Lebens“ aus der US-Serie „Die besten Jahre“ (Thirty- something); nur die Suche nach dem Parkplatz entfällt.
(5) Für den Aspekt nachhaltiger Krisenlösung als patriarchaler Einschränkung von Freiheitsräumen und Autonomie siehe auch: Claudia Bernhard: Der nachhaltige Antifeminismus, in diesem Band.
(6) Paul Boccara: Der Kapitalismus - überschreitbarer Horizont unserer Zeit, Argument 214, & 221.

Aus dem Buch
Schwertfisch: Zeitgeist mit Gräten (1997)
Yeti-Press
ISBN 3-9805640-1-0

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