Offener Raum

KRIEGSBERICHTBESTATTUNG: NACHDENKLICHE STIMMEN AUS DEN MEDIEN

Die Ohnmacht der Allmacht  (aus der Jungle World)


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2. „nicht die politiker nachplappern“
3. Medienkritik nach den Terroranschlägen
4. Arundhati Roy: Terror ist nur ein Symptom
5. Die Ohnmacht der Allmacht  (aus der Jungle World)
6. Das Theater von Gut und Böse
7. Der Preis der Lüge - oder: Die Schatten der Geschichte
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Der Kampf gegen den internationalen islamistischen Terror bildet den idealen Rahmen für eine Neuinterpretation der universellen westlichen Werte unter kulturalistisch-rassistischen Vorzeichen.
von Ernst Lohoff


So viel Wirres und Irres wie nach den Kamikaze-Volltreffern in New York und Washington haben die gewählten und nicht gewählten Sprecher der demokratischen Weltgemeinschaft selten abgesondert. Immerhin einer der seit dem 11. September überall kursierenden Phrasen ist etwas abzugewinnen. „Dieser Tag hat die Welt verändert“, meinte u.a. Johannes Rau, der Chefpastor des deutschen Volkes, nicht zu Unrecht. In seiner ganzen Symbolik markiert der Zusammenbruch des World Trade Centers tatsächlich einen historischen Wendepunkt.
Seit dem Verschwinden des Ost-West-Gegensatzes sah sich die verbliebene Weltmacht nicht nur legitimiert, allein oder zusammen mit ihren europäischen Juniorpartnern den Weltpolizisten zu spielen; als Repräsentant einer ihrer eigenen Unverwundbarkeit gewissen Übermacht ging die US-Administration davon aus, ihr sei auf der internationalen Bühne so etwas wie ein faktisches Gewaltmonopol zugefallen. Die Weltordnungskriege der neunziger Jahre schienen diese Annahme glänzend zu bestätigen. Der zweite Golf-Krieg glich einem hochtechnisierten Scheibenschießen, und auch der Kosovo-Krieg zeigte, dass keine der abgetakelten fordistischen Armeen auf dieser Welt gegenüber der US-amerikanischen High-Tech-Kriegsmaschine auch nur die geringste Abwehrchance hat.
Und jetzt schlägt die Dialektik der Hilflosigkeit diese tolle Kapriole. Zwei Dutzend Selbstmordattentäter demonstrieren, dass die Zentren der Warengesellschaft vor allem eins sind: hochgradig verwundbar. Ein paar Teppichschneider und Rasierutensilien zur falschen Zeit, am falschen Ort, in den falschen Händen reichen, um Manhattan in Schutt und Asche zu legen und Tausende zu töten. Im Felde mag die US-Kriegsmaschine unbesiegbar sein, die „Heimstatt der Freiheit“ selber aber erweist sich als ein einziger gigantischer Präsentierteller von Targets, die nur auf die nächste desperate Gruppe postpolitischer Amokläufer warten.
Kein böses Erwachen ohne süßen Traum. Die politischen Machthaber des Westens propagieren und protegieren offenbar nicht nur den vielbeschworenen Globalisierungsprozess, die beschleunigte Auflösung des nationalstaatlichen Bezugssystems; sie machten und machen sich gleichzeitig völlig illusionäre Vorstellung über den Charakter dieser Umwälzung.
Während sie im Zeichen des totalen Marktes die Entgrenzung der Weltgesellschaft für Kapital, Waren und Geld besitzende Menschen betreiben, imaginieren sie sich den Binnenraum der entfesselten bedingungslosen Konkurrenz zu einer Welt weitgehender Friedfertigkeit zurecht. Eine Gefährdung dieser Ordnung kann sich dieses halluzinatorische Bewusstsein nur als von außen kommend vorstellen. Eine Bedrohung soll demnach prinzipiell von Menschen und Regionen ausgehen, die in jeder Hinsicht den Anschluss an die neue Weltgesellschaft und ihre Standards verpasst haben.
Dementsprechend sehen die von den Herrschenden antizipierten Konfliktszenarien aus. Als potenzielle Gegner müssen irgendwelche übriggebliebenen fordistischen Diktaturen und sonstige Hinterwäldler herhalten, und als Auseinandersetzungsform wird der vertraute zwischenstaatliche Krieg angepeilt. Ordentliche, das heißt von der US-amerikanischen Zivilbevölkerung jederzeit unterscheidbare Kombattanten sollen mit ordentlichen Waffen die USA von außen attackieren. Im Plan, das amerikanische Territorium durch ein Raketenabwehrsystem ein für allemal vor jedem denkbaren Angriff jedes denkbaren „Schurkenstaats“ zu schützen, ist dieser Aberwitz politisch-militärisches Zukunftsprogramm geworden.
Am 11. September ist eine ganze neue, einem völlig anderem Muster folgende Gewaltrealität über die USA hereingebrochen und hat alle Verteidigungskonzepte der USA zur Makulatur gemacht. Ein postmoderner Typus von Gegner unterläuft die militärischen Abwehrsysteme, indem er die Trennung von Außen und Innen als Fiktion entlarvt und mit primitiven Mitteln die allgegenwärtige heimische zivile Großtechnologie zur Massenvernichtungswaffe umfunktioniert. Nicht perfide Staatschefs oder Revolutionsführer, die um ihre Anerkennung als politische Subjekte kämpfen, attackieren die Hegemonialmacht, sondern anonyme Weltbürger mit einer etwas eigenartigen, vom Durchschnittstourist abweichenden Interpretation des Gebrauchswerts von Verkehrsflugzeugen.
Die bis ins Mark getroffene Supermacht reagiert zunächst einmal mit verschärfter Leugnung auf die schlecht zu ihren Imaginationen passende Wirklichkeit. Wer die Macht hat, definiert, was als Realität zu gelten hat. Aus dem NGO-Netzwerk der etwas anderen, menschenverachtenden Art wird eine von einem Drahtzieher namens Ussama bin Laden zentral geleitete Terrororganisation. Weil die US-Regierung für ihre Art Krieg unbedingt einen Schurkenstaat braucht, findet sie auch, was sie sucht; der Umstand, dass Attentäter selten in internationalen Gewässern schwimmen und sich meistens auf festem Land aufhalten, reicht ihr. Die Vereinigten Staaten nehmen sich das gute Recht, jeden Staat mit Krieg zu überziehen, von dem sie annehmen können, dass sein Territorium schon von Terroristenfüßen besudelt wurde, um ein solches Vorgehen Selbstverteidigung zu nennen. Vor allem aber wird die gegen den Westen antretende Kraft zu einer archaischen Macht mystifiziert. Die vermeintliche geistige Auseinandersetzung mit dem Islamismus, selber unverkennbar ein genuines Produkt der Globalisierungsepoche, gerät zur weltumspannenden Gespensterjagd gegen das finstere Mittelalter.
Nach dem Stich „ins Herz der westlichen Zivilisation“, das demnach im Pentagon und im New Yorker Börsenviertel zu suchen ist, war die Generalmobilmachung gegen den islamischen Fundamentalismus innerhalb von wenigen Stunden vollzogen. Die prompte, reflexhafte Reaktion zeigt, dass die Blaupausen schon lange zum Abruf bereit lagen. Man nehme Roland Emmerichs „Independence Day“, kombiniere den Film mit Huntingtons „Clash of Civilisations“, und fertig ist das Drehbuch, an dem sich die US-Gesellschaft jetzt orientiert und nach dem die US-Administration die Welt neu ordnen möchte.
Unter dem Optimismus der westlichen Globalisierungsgewinner findet sich aber noch eine zweite Schicht von Massenstimmung, in der die Angst und die Lust am Untergang verschmelzen. Mit dem Attentat in Oklahoma wurde bereits sichtbar, was für eine Brühe sich da zusammenbraut. Zum großen Coming out braucht der zuvor schlafende weiße Fundamentalismus aber einen als feindlich definierten Gegenspieler und Partner. In dem Massenmörder Timothy McVeigh wollte die große Mehrheit nicht ihr eigenes Spiegelbild, sondern nur einen perversen Einzeltäter erkennen. Erst die Konfrontation mit den Kollegen vom islamistischen Konkurrenzunternehmen hat den Sleeper geweckt. Sie adelt den bewaffneten Amoklauf und umgibt ihn mit dem Nimbus höherer Staatsraison.
Folgt man Martin van Creveld, einem namhaften israelischen Militärhistoriker, gehen bewaffnete Auseinandersetzungen in der Regel mit diskreten Annäherungsprozessen einher. Feindschaft verbindet. Je länger ein Konflikt dauert, desto mehr Strukturähnlichkeiten lassen sich zwischen den Gegnern feststellen.
Auf der ideologischen Ebene beginnt der westliche antiislamistische Kreuzzug bereits mit einem selten hohen Ähnlichkeitsgrad. Wer sich nacheinander die Verlautbarungen von Bush zum Kampf gegen das „Reich des Bösen“ und der islamistischen Propaganda wider den „großen und den kleinen Satan“ - die USA und Israel - zu Gemüte führt, fragt sich unweigerlich, ob beide Seiten den gleichen Ghostwriter beschäftigen. Die Einstimmung auf ein manichäisches Weltbild auf beiden Seiten droht aber, einen viel tiefer gehenden Konvergenzprozess einzuleiten.
Ein antiislamistischer Kreuzzug wird zum Treibhaus für das Gewächs, das er mit „Stumpf und Stiel ausreißen“ will. Die Erledigung eines potenziellen Selbstmordattentäters in seinem afghanischen Unterschlupf sorgt für zweihundert neue. Dafür ist die sich abzeichnende neue Diktatur der Sicherheit angetan, diese Gesellschaft einem Knastreglement zu unterwerfen und gleichzeitig der Ethnisierung der gesellschaftlichen Widersprüche auch in den Weltmarktzentren einen gewaltigen Schub zu geben.
Während der kasinokapitalistischen Blüte war es im Wesentlichen an der „unsichtbaren Hand des Marktes“, über den zur aktiven Teilnahme an der glorreichen westlichen Warenzivilisation berechtigten Kreis zu befinden. Der Kampf gegen den internationalen islamistischen Terror bildet den idealen Rahmen für eine Neuinterpretation der universellen westlichen Werte unter kulturalistisch-rassistischen Vorzeichen. Das passt aber zur umschlagenden politisch-ökonomischen Großwetterlage. Findet die sich abzeichnende Krise der Weltwirtschaft nun schon zu ihrem adäquaten politischen Pendant?

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