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Suizid und Psychiatrie


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Der folgende Text ist eine Petition an den Hessischen Landtag zum Thema Suizid und Psychiatrie.

Sehr geehrte Damen und Herren vom Petitionsausschuss des Hessischen Landtags!

EINLEITUNG
In Whistleblowerquellen wird über die forensischen Psychiatrien in Hessen berichtet, dass deren Ärzte schuldig an dem Tod mehrerer hundert Patienten durch Medikation und Suizid seien. Drei dieser Quellen sind die folgenden Blogs, auf denen auch einige Fallbeispiele aufgeführt werden:
a) forensikwhistle.wordpress.com/
b) massregelvollzughinterdenmauerndervitoskliniken.wordpress.com/blog/
c) www.projektwerkstatt.de/index.php?domain_id=35&p=11258

Solche Anschuldigungen sind schwer wiegend, weil sie das Leben zahlreicher Menschen betreffen. Sollten die Whistleblower-Quellen mit ihrer Behauptung Recht haben, so bedarf es dringend einer parlamentarischen Untersuchung, um ähnliches Leid zukünftig zu verhindern. Sollten sie Unrecht haben, so ist das eine Bestätigung der zeitgenössischen medizinisch orientierten Psychiatrie bzw. Forensik. Diese Sichtweisen sind diametral entgegengesetzt. Wenn es um Menschenleben geht, so ist Aufgabe der Politik und Wissenschaft, bei fehlender Datenlage die passenden Daten zu besorgen und unabhängig auszuwerten. Fakt ist jedoch leider: Es gibt kein zentrales Suizid- bzw. Todesfallregister, mit dem erfasst wird, ob und wie stark eine psychiatrische bzw. forensisch-psychiatrische Behandlung die Suizidalität bzw. Mortalität erhöht. Und die Landesregierung Hessen sollte im eigenen Interesse ein solches Register einführen, um zu überprüfen, ob die aus Steuermitteln bezahlten Behandlungen auch wirklich zielführend sind.
Mit dieser Petition fordere ich daher die Einrichtung eines solchen Registers für das Land Hessen, wie es in ähnlicher Form auch der Bundesverband Psychiatrieerfahrener seit Jahren fordert. Die konkrete Forderung folgt weiter unten, zur weiteren Begründung füge ich hier das Suizidpapier des Bundesverbands Psychiatrieerfahrener zum Welttag der Suizidprävention am 10. September 2017 ein, das wesentliche Kritikpunkte an der psychiatrischen Versorgung gut zusammenfasst. Weiterhin füge ich noch einen Artikel von Dr. Volkmar Aderhold an, in dem die Datenlage zur erhöhten Mortalität durch neuroleptisch-psychiatrische Behandlung anhand zahlreicher Studien aufgeführt wird.

Warum wollen Menschen sterben?
Die öffentliche Diskussion über Suizid wird in Deutschland von Psychiatern dominiert. Diese wollen uns glauben machen, es gäbe eine einfache Antwort auf die Frage, warum Menschen sich suizidieren: Suizide seien zu 90% auf „psychische Erkrankungen“ zurückzuführen [1, 2]. Solche Rhetorik ist geeignet, Politiker unter Zugzwang zu setzen und Geld für Einrichtungen, Modellprojekte und Suizidforschung zu erpressen. Aussagen, die meisten Suizide gingen auf „psychische Erkrankungen“ zurück, stützen sich auf so genannte psychiatrische Autopsiestudien, bei denen rückblickend versucht wird, bei durch Suizid Verstorbenen Symptome einer Störung nachzuweisen [3]. Die Validität solcher rückwirkend gestellten Diagnosen ist mehr als fraglich. Außerdem gehen Psychiater damit der Frage aus dem Weg, welche konkrete Behandlung vor dem Suizid stattgefunden hat und der Frage, warum der einzelne Mensch sich getötet hat. Klar belegt ist, dass Menschen, die unter widrigen Lebensumständen leiden, sich eher umbringen: Alter und Krankheit [4, 5], Armut und soziale Zersplitterung [6, 7], Einsamkeit [8], Marginalisierung und Diskriminierung [9, 10] erhöhen das Suizidrisiko enorm.

Antworten des Psychiatrischen Systems auf Suizidalität
Standardmäßig hat die stationäre Psychiatrie zwei Strategien parat, um mit Suizidgedanken „umzugehen“: Erstens eine fragliche Risikobeurteilung und zweitens das Einsperren. Der Versuch, mittels einer Risikobeurteilung Suizide vorherzusagen, ist zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn man alle bekannten Risikofaktoren gemeinsam berücksichtigt, ist es nicht möglich, korrekt vorherzusagen, ob sich jemand umbringen wird [11]. Auch das Einsperren ist keine evidenzbasierte Methode, um Suizide zu verhindern: In Kliniken mit geschlossenen Stationen gibt es nicht weniger Suizide als in Kliniken mit so genannter Open-Door-Policy [12]. Gängige Praxis ist, dass als suizidgefährdet eingestufte Menschen auf geschlossenen Stationen untergebracht werden, ohne dass sie in ihrer Krise begleitet werden. Diese Praxis dient nicht dem Schutz der Betroffenen, sondern der rechtlichen Absicherung der Behandler: Es ist für sie unerheblich, ob der Patient/die Patientin sich umbringt – solange diese Person dabei eingesperrt war, sind die Behandler abgesichert. Die Menschen, die eingesperrt werden, merken sehr gut, dass die Behandler nicht an ihnen und ihrem Leben interessiert sind.

Behandlungsbedingte Suizide
Als Betroffenenverband mit über 20jähriger Erfahrung in Selbsthilfe und Beratung wissen wir, dass die auf psychiatrischen Stationen erlebte körperliche und seelische Gewalt zur Selbsttötungsbereitschaft beiträgt oder diese erst auslöst. Eine dänische Bevölkerungsstudie [13] fand einen deutlichen Zusammenhang zwischen psychiatrischer Behandlung und Suiziden: Personen, die Psychopharmaka einnahmen, töten sich 6-mal so häufig wie nicht Behandelte. Personen, die ambulant psychiatrisch behandelt wurden, töten sich 8-mal so häufig wie nicht Behandelte. Personen, die einen stationären Aufenthalt hinter sich haben, töten sich 44-mal so häufig wie nicht Behandelte. Das zeigt, dass psychiatrische Maßnahmen mindestens sehr schlecht darin sind, Suizide zu verhindern.
Es wirft auch die Frage auf, ob die Behandlung selbst Suizide verursacht. Wissenschaftler haben bereits darauf hingewiesen, dass psychiatrische Behandlung, insbesondere Hospitalisierung, Menschen suizidal machen kann [14, 15]. Dafür spricht auch, dass Suizidraten auf psychiatrischen Stationen extrem hoch sind und sich enorm zwischen Einrichtungen unterscheiden [16]. Neben der in der Psychiatrie erfahrenen Gewalt können auch die eingesetzten Pharmaka zu Selbsttötungen beitragen. Das gilt sowohl für Antidepressiva als auch für Neuroleptika.

Suizid durch Antidepressiva
Die Liste dokumentierter Suizide unter Behandlung mit SSRI ist mittlerweile unerschöpflich [17]. Für eine wissenschaftliche Beurteilung des Suizidrisikos unter Antidepressiva stellt die Industrie allerdings bis heute keine ausreichenden Daten zur Verfügung [18]. Das erhöhte Suizidrisiko für Kinder und Jugendliche unter Antidepressiva wird mittlerweile nicht mehr geleugnet [ebd.]. Ebenso geben Psychiater heute zu, dass bei Erwachsenen zu Behandlungsbeginn Selbsttötungen wahrscheinlicher werden – selbst bei Patienten, die vor der Behandlung nicht suizidal waren [19].

Suizid durch Neuroleptika
Seit Einführung der Neuroleptika weisen Betroffene und Psychiater darauf hin, dass diese, insbesondere in Depotform, depressiv machen und Suizidgedanken auslösen können [20]. Ein Vergleich der Suizidraten „schizophrener“ Patienten um 1900 und in den 1990er Jahren zeigte, dass sich diese Menschen nach der Einführung der Neuroleptika 20mal so häufig suizidieren [21]. Diese Entwicklung ist umso drastischer vor dem Hintergrund, dass Menschen mit diesen Substanzen zwangsbehandelt werden.

Was hilft Menschen in suizidalen Krisen?
In Deutschland überleben jährlich mindestens 100.000 Menschen einen Suizidversuch [22]. Knapp 10% denken mindestens einmal in ihrem Leben ernsthaft über Suizid nach [23]. Die Erfahrungsexpertise dieser Millionen Menschen blieb bislang völlig ungenutzt. Sie können am besten sagen, was in einer suizidalen Krise hilfreich ist. Menschen werden suizidal, wenn ihr Leben unerträglich ist und sie nicht die Hoffnung haben, etwas daran ändern zu können [24]. Viele Überlebende von (chronischer) Suizidalität berichten zurückblickend, dass ihnen am meisten geholfen hat, wenn Freunde, HelferInnen zugehört und sie unterstützt haben, ihr Leben attraktiver zu gestalten und zur Neugier auf Neues zurückzufinden [25, 26]. Wichtig ist, dass Menschen über ihre Suizidgedanken sprechen können. Wir brauchen daher Räume, in denen dies möglich ist, ohne pathologisiert, eingesperrt oder behandelt zu werden.

DIE FORDERUNG
Der Hessische Landtag möge die Einführung eines Hessischen Suizid- und Mortalitätsregisters beschließen, das anonymisiert Suizide und Todesfälle während und nach psychiatrischer Handlung erfasst.
a) Dieses Register soll unterscheiden zwischen psychiatrischer und forensisch-psychiatrischer Behandlung, da sich beide Behandlungsarten vermutlich stark in der Suizidalität bzw. Mortalität unterscheiden.
b) Psychiatrische Behandlungen sollen in diesem Register bis zu zehn Jahre rückwirkend erfasst werden. Ein solch langer Zeitraum ist notwendig, da auch eine länger zurückliegende Behandlung die Suizidalität erhöhen kann. Benzodiazepine führen zum Beispiel häufig zum sogenannten „Benzodiazepin-Entzugssyndrom“, welches erst nach jahrelanger Einnahme auftritt und aufgrund zahlloser häufig permanenter körperlicher Schädigungen die Suizidalität massiv erhöht.

Sollte es rechtliche Gründe gegen ein solches Register geben, so bitte ich darum, diese Petition der Gesetzeslage anzupassen. Jeder vermeidbare Suizid ist einer zu viel!

Quellen und Literatur
1 Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Depression und Suizidalität. Im Internet: www.deutsche-depressionshilfe.de/stiftung/depression-und-suizidalitaet.php; Stand: 7.3.2017
2 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. Welttag der Suizidprävention: Früherkennung psychischer Erkrankungen rettet Menschenleben. Berlin; 2016
3 Cavanagh JT, Carson AJ, Sharpe M, Lawrie SM. Psychological autopsy studies of suicide: A systematic review. Psychological Medicine; DOI: 10.1017/S0033291702006943
4 Kaplan MS, McFarland BH, Huguet N, Newsom JT. Physical illness, functional limitations, and suicide risk: A population-based study. American Journal of Orthopsychiatry; DOI: 10.1037/00029432.77.1.56
5 Waern M, Rubenowitz E, Runeson B, Skoog I, Wilhelmson K, Allebeck P. Burden of illness and suicide in elderly people: case-control study. BMJ : British Medical Journal. 2002;324(7350):1355.
6 Whitley E, Gunnell D, Dorling D, Smith GD. Ecological study of social fragmentation, poverty and suicide. BMJ : British Medical Journal 1999: 319: 1034-1037.
7 Rehkopf DH, Buka SL. The association between suicide and the socio-economic characteristics of geographical arias: a systematic review. Psychological Medicine; DOI:10.1017/S003329170500588
8 Stickley A, Koynagi A. Lonelyness, common mental disorders and suicidal behaviors: Findings from a general population survey. Journal of Affective Disorders. DOI: 10.1016/j.jad.2016.02.054
9 Shadick R, Backus Dagirmanjian F, Barbot B. Suicide risk among college students: The intersection of sexual orientation and race. Crisis 2015: 36(6): 416-423.
10 Farrelly S, Jeffery D, Rüsch N, Williams P, Thornicroft G, Clement S. The link between mental health-related discrimination and suicidality: Service user perspectives. Psychological Medicine. DOI: 10.1017/S0033291714003158
11 Grahm GA, Reger MA. Army suicide surveillance: A: In E. Ritchie (Hrsg.): Combat and Operational Behavioral Health (pp.393-402)
12 Huber CG, Schneeberger AR, Kowalinski E et al. Suicide risk and absconding in psychiatric hospitals with and without open door policies: A 15 year, observational study. The Lancet Psychiatry; DOI: 10.1016/S2215-0366(16)30168-7
13 Hjorthoj CR, Madsen T, Agerbo E et al. Risk of suicide according to level of psychiatric treatment: a nationwide nested case-control study. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology; DOI: 10.1007/s00127-014-0860-x
14 Large MM, Ryan CJ. Disturbing findings about the risk of suicide and psychiatric hospitals. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology; DOI: 10.1007/s00127-014-0912-2
15 Large M, Ryan C, Walsh G et al. Nosocomial suicide. Australasian Psychiatry; DOI: 10.1177/1039856213511277
16 Walsh G, Sara G, Ryan CJ et al. Meta-analysis of suicide rates among psychiatric in-patients. Acta Psychiatrica Scandinavica; DOI: 10.1111/acps.12383
17 Meysenburg R, Healy D. Sammlung von Zeitungsberichten über SSRI-assoziierte Suizide und Gewalttaten. Im Internet: ssristories.org/all-posts/; Stand: 12.08.2017
18 Sharma T, Guski LS, Freund N et al. Suicidality and aggression during antidepressant treatment: systematic review and meta-analyses based on clinical study reports. British Medical Journal (Clinical research ed.); DOI: 10.1136/bmj.i65
18 Benkert O, Hippius H. Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. 11 Aufl. Berlin: Springer; 2017
20 Lehmann P. Behandlungsergebnis Selbsttötung. Suizidalität als mögliche Wirkung psychiatrischer Psychopharmaka. Im Internet: www.antipsychiatrieverlag.de/artikel/gesundheit/suizid.htm; Stand: 25.02.2017
21 Healy D, Harris M, Tranter R et al. Lifetime suicide rates in treated schizophrenia: 1875-1924 and 1994-1998 cohorts compared. British Journal of Psychiatry 2006; 188: 223–228
22 Fiedler G. Kurzinformation über Suizidalität und Suizid. Information des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland, 2010-2015. www.suizidpraevention-deutschland.de/informationen/kurzinfo-suizid.html
23 Nock MK, Borges G, Bromet EJ, Alonso J, Angermeyer M, Beautrais A, …, Williams D. Cross-national prevalence and risk factors for suicidal ideation, plans and attempts (Data Supplement). British Journal of Psychiatry. DOI: 10.1192/bjp.bp.107.040113
24 Hall W. Living with suicidal feelings. Scottish Recovery Network, 2013. www.scottishrecovery.net/resource/livingwith-suicidal-feelings/
25 Webb D. Thinking about suicide: contemplating and comprehending the urge to die. 2. Aufl. Manchester: PCCS Books; 2013
26 Blauner SR. How I Stayed Alive When My Brain Was Trying to Kill Me: One Person's Guide to Suicide Prevention


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Kommentare

Stefan G. am 16.01.2023 - 13:16 Uhr
weitere Quelle:
Gustl Mollath berichtete ebenfalls über mind. 1 Suizid während er in der Forensik war. Das sagte er meiner Erinnerung nach in einem Video auf YouTube.

Diese Taten geschehen sicherlich aus Depressionen/depressiven Verstimmungen, hervorgerufen aus Verzweiflung und Ohnmachtsgefühlen durch die Behandlung des Personals und das Eingesperrtsein.


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