Offener Raum

FINAL COUNTDOWN AM 14.5.2006

Episode II: Die Federballnacht des 14.5.2006


1. Justiz, Innenpolitik und Polizei faken Anschlag und lassen Kritiker verschwinden
2. Episode I: Viele Jahre Aktionen und zwei farbige Vorspiele
3. Episode II: Die Federballnacht des 14.5.2006
4. Episode III: Kriminalalltag im Märchenland
5. Episode IV: Nazi-Rechtsanwendung und das Glück des Koch-Rücktritts
6. Was bleibt?

Startaufstellung
Beginnen wir aus dem Blickwinkel der OrdnungshüterInnen. Am Abend des 13. Mai stellten sie sich, wie in den Nächten zuvor auch schon, an den aus ihrer Sicht wichtigen Punkten Gießens auf: An der CDU-Zentrale im Spenerweg, vor Wohnung und Kanzlei des Innenministers in Altenfeldsweg und Weserstraße sowie am Gerichtskomplex mit den beiden Gefängnissen rund um Gutfleischstraße. Minutiös zeichneten die beteiligten Beamtis der Gießener Polizeistationen und der Mühlheimer Bereitschaftspolizei das Geschehen auf. Danach wechselten sich ab 19 Uhr eine zivile Streife der Bereitschaftspolizei Mühlheim und eine normale Streife der Polizei Gießen-Süd vor der Wohnung des Innenministers halbstündlich ab. Eine weitere Objektschutzstreife observierte die CDU-Geschäftsstelle im Spenerweg 8, die dritte kurvte ab dem gleichen Zeitpunkt rund um die Justizgebäude herum mit kleinen Abstechern zur Kanzlei von Bouffier/Dr. Gasser. Hinzu kam das Mobile Einsatzkommando „MEK“. Es stand mit seinen High-Tech-gespickten Überwachungswagen rund um die Projektwerkstatt und beobachtete alle Menschen, die kamen und gingen. In der Kommandozentrale der mittelhessischen Polizei, dem Polizeipräsidium mit Adresse Ferniestraße 8, lauschten der Polizeichef vom Dienst, Schust, als Einsatzchef des Abends und mehrere weitere Beteiligte den eingehenden Informationen all dieser draußen eingesetzten Einheiten. Vier Nächte waren in dieser Konstellation schon vergangen und allesamt ruhig geblieben. Das sollte sich jetzt ändern.
Denn drinnen, im Haus bei den Aktivistis, endete gerade der zweite Tag des Seminars. Letzte Diskussionen, einige Absprachen und die Abfahrt von Teilnehmis hatten den Nachmittag geprägt. Nur wenige waren noch geblieben und planten, mit einer Spaßaktion Polizei und Justiz wenigstens ein bisschen zu ärgern – so, wie das schon einige Male gut geklappt hatte mit Gedichte lesen, Ball spielen oder Lieder singen an gefährdeten Objekten. Jedes Mal erschien die Polizei mit starken Kräften, kesselte die Spaßvögel oder klatschte sie an die Wand, durchsuchte alles aufwändig und zog schließlich schwer unglücklich wieder von dannen, wenn weder Drohungen noch blanke Gewalt etwas halfen. Der Spaß auf Seiten der Angegriffenen wuchs, wenn diese ihre Widersachern Süßigkeiten anboten, mit Kreide die Einsatzorte markierten und am Ende lachend, klingelnd oder singend davonzogen bzw. -radelten. Solche Erinnerungen belebten die Planungen für die nun kommende Nacht. Die waren einfach gestrickt und wählten als Ort erneut den so schön hell angestrahlten Eingang der Staatsanwaltschaft. Doch diesmal sollte es keine Lesung sein, sondern ein nächtliches Badmintonspiel.
So packten sie Rücksäcke mit Schlägern, zwei Federbällen und einem rotweißen Absperrband, das als Netz dienen sollte. Damit die Begegnung mit der Staatsmacht lustig würde, nahmen die Aktivistis noch einen Badmintonschläger mehr mit als sie selbst waren. Der sollte den Uniformierten angeboten werden, damit diese mitspielen konnten. Eine nette Vorstellung - und eine typische Umsetzung der zur Idee kreativer Antirepression gehörenden Idee offensiver Gesprächsführung: Immer selbst das Gespräch beginnen und prägen ...
Mit der Spaßaktion wollten die Reisenden nach Gießen aber noch mehr verbinden. Schließlich lagen 20 Kilometer Fahrradtour vor ihnen - und die sollten sich lohnen. Da Brot und Obst im Haus knapp geworden waren, klemmten sie einen Hänger an eines der Fahrräder, um den polizeinervtötenden Nachtsport mit einer ,Container'tour zu verbinden. Auf der Rücktour von Gießen nach Saasen sollten Abfallcontainer von Supermärkten durchstöbert und essbare Lebensmittel herausgefischt werden. Das sind oft ziemliche Mengen, daher war der Hänger mit seinen zwei beigefarbenen Wäschekörben praktisch, zudem schnürte die per Rad nach Gießen startende Sportgruppe Fahrradtaschen auf die Gepäckträger und setzte Rucksäcke auf. So ging es kurz nach Mitternacht in die dunkle Sommernacht. Keine der Fahrradfahris ahnte etwas von den die Abfahrt genau aufzeichnenden und beobachtenden High-Tech-Bullen in der Nähe. Und auch von allen weiteren Vorkehrungen und Plänen der Polizei wussten die Aktivistis genau nichts ...
Das Gewusel auf dem Hof der Projektwerkstatt entging den gierigen Augen des Mobilen Einsatzkommandos nicht. Was dachten sie beim Blick Richtung Projektwerkstatt? Ins Haus konnten sie nicht schauen. So blieb ihnen der Moment verwehrt, als die Badmintonschläger in den Rucksäcken verschwanden. Erkennen konnten sie nur das anschließende Treiben draußen: Fahrräder, sogar ein Hänger, Rücksäcke und viele Fahrradtaschen - hier war Großes geplant. Solch ein „MEK“, wie es hier das Geschehen verfolgte, wird nicht für Ladendiebe eingesetzt. Ihr Einsatzgebiet ist laut Polizeistrukturplänen schwerste und organisierte Kriminalität. Was wurde ihnen erzählt über diesen Einsatz? Wenn die Männer und Frauen des MEK Schwerverbrechis auf der Spur zu sein glaubten, dann überrascht im Nachhinein nicht, wie sie die Szene mit den startenden Radfahris voller Taschen und Kisten bewerteten. Zudem: All diese Daten wurden auch an die Polizeiführung in der Gießener Ferniestraße durchgegeben. Dort liefen die Aktivitäten der Polizei zu dieser Sache schon fünf Stunden – und das am vierten Abend. Objektschutzstreifen nahmen vor der Wohnung des Innenministers Aufstellung, an Justizgebäuden, an der schon zweimal attackierten Innenminister-Kanzlei und am Spenerweg, dort wo die CDU Gießen das eher schmucklose Konrad-Adenauer-Haus als Geschäftsstelle betreibt. Das war Routine, aber nun, fast genau um Mitternacht im Übergang vom 13. auf den 14. Mai, fiepsten die Funkgeräte in der Einsatzzentrale. Kurz danach gingen die Telefonate und Funksprüche an die Einsatzwagen in der mittelhessischen Nacht hinaus: Es schien endlich loszugehen. Die ganze Vorbereitung - würde sie jetzt einen Erfolg bringen? Könnten die Nervensägen aus Projektwerkstatt und Umfeld endlich erlegt werden? Dass die polizeikritischen Aktivistis in dieser Nacht nur ein provozierendes Federballmatch planten, ahnte von den Uniformierten niemand. Welche Phantasien in ihren Köpfen aufblühten - ein Geheimnis. Aber der Hänger, die vielen Fahrradtaschen und Rucksäcke boten den vom Verfolgungswahn gepackten und vom Innenminister angestachelten Polizeibeamtis eine optimale Projektionsfläche für das Bild wahrer Straftatenmonster, in das sie sich in den vergangenen Jahren hineingesteigert hatten. Und diese Leute waren nun unterwegs „zur Nachtzeit, als bereits alle Kneipen und Geschäfte geschlossen hatten, ohne ersichtlichen Grund außer zur Begehung der o.g. Straftaten“ – so schrieben sie es in ihr Protokoll. Gab es in Gießen, der Stadt mit dem höchsten Studierendenanteil in Deutschland am Samstag um 24 Uhr keine offene Kneipe mehr? Hat hier die Sperrstunde überlebt?
Doch lassen wir diese Überlegungen zu den wirren Gedankengängen Gießener Polizeioberer einmal beiseite und konzentrieren uns wieder auf das Geschehen. Das Mobile Einsatzkommando verfolgte die gesamte Radtour bis an die Stadtgrenze Gießens Meter für Meter – eine Tour ohne Wiederkehr, so jedenfalls wollte es die Polizei. Das Lustige: Die Polizei war nicht die einzige Partei, die beim Showdown des 14. Mai mit ihren Erwartungen völlig schief lag. Auch die zum Federball auf heiligem Gerichtsgrund Strebenden hatten keine Vorstellung von dem, was – durch die Dunkelheit getrennt – in den Stuben und Wagen der Ordnungskräfte ablief. Entsprechend setzte auch sie der spätere Ablauf in ungläubiges Staunen.

Unterwegs nach Gießen
Dabei begann alles zunächst wenig spektakulär. Als der Fahrradtross kurz nach Mitternacht an der Projektwerkstatt startete, tat sich für die kommenden Federballspielis nichts Auffälliges in ihrer direkten Umgebung. Am Ortsrand von Saasen ging es einen kleinen Berg hinauf, die „Alte Straße“. Mit Hänger war das schon ein bisschen anstrengend und die Fahrradgruppe wurde langsamer. Oben angekommen fiel einem ein, etwas vergessen zu haben. Rückfahrt, die anderen warteten. Kurz danach ging es den schmalen Teerweg weiter Richtung Lindenstruth. Mitten zwischen den Orten näherte sich von hinten ein Fahrzeug und überholte. Das war für die Zeit (kurz nach Mitternacht) zwar nicht ganz ungewöhnlich, denn der Weg dient immer wieder als Schleichweg zwischen Saasen und dem Nachbardorf. Manch einer nutzt den Weg gerade zur Partyzeit als Promillestrecke, wenn anderorts Kontrollen und damit der Führerscheinverlust droht. Dennoch zeigten sich die Radelnden hier nicht besonders helle, denn der übliche Verkehrsfluss nachts wäre eigentlich andersherum. Ihnen kam nicht in den Sinn, dass irgendetwas nicht stimmen konnte mit dieser Begegnung zur Geisterstunde auf einem autogesperrten Feldweg. Sie unterhielten sich kurz über den Wagen, hielten aber die Möglichkeit der üblichen Observation durch regionale Polizei für das Maximalste, was vorstellbar wäre. Das aber, so waren sie sich einig, würde - wenn es denn stimmte - nicht stören, schließlich wollten sie den Kontakt zu den nervösen Uniformierten, um mit ihnen Badminton zu spielen ... Also ging die Fahrt weiter und das Nachdenken über verdächtige Fahrzeuge, von denen noch ein weiteres die Radendeln an seltsamer Stelle kreuzte, endete schnell. Es folgte die Durchfahrt durch Reiskirchen und Großen Buseck, zwei Orten mit mehr Verkehr in einer Vorsommer-Samstagnacht. Die Autobewegungen waren daher kein Thema mehr. An Trohe vorbei ging es immer näher bis in die Randbereiche von Gießen hinein.
Diese ungefähr 16 Kilometer arbeitete das MEK zuverlässig und registrierte die Fahrt präzise. Rucksäcke, Taschen und den Fahrradhänger – all das dürfte das MEK bemerkt und durchgegeben haben. In der Einsatzzentrale der Polizei in Gießen erhöhten die Nachrichten bei Polizeiführer Schust und Untergebenen sicherlich den Adrenalinspiegel. Die Polizei, das wurde den Badmintonspielis jedoch erst Wochen später nach den mit viel Mühe durchgesetzten Blicken in die Polizeiakten dieser Nacht klar, erwartete einen Anschlag und war darauf perfekt vorbereitet. Nein - sie erwartete ihn nicht nur, sie wollte ihn. Denn eines untersagte sie allen Polizeieinheiten: Eine Straftat zu verhindern. „Eine offene Kontrolle dieser Personen bei deren Antreffen sollte unterblieben. Es sollte lediglich Mitteilung über deren Standort erfolgen“, lauteten die Anweisungen. Immer wieder bekamen alle Polizeibeamtis das eingetrichtert und vermerkten es ordentlich in ihren Einsatzberichten: „Die PK'in Lerner und ich wurden kurz zuvor durch den POK Kelbch informiert, dass bei Feststellung verdächtiger Personen die Leitstelle telephonisch zu informieren sei und keine weiteren Maßnahmen zu treffen sind, da im Stadtgebiet operative zivile Kräfte eingesetzt wären, welche die verdächtigen Personen aufnehmen und möglichst auf frischer Tat ertappen sollen.“ Der Sprachgebrauch verrät es: Die Polizei hoffte geradezu darauf, dass es knallte und sie die Aktivistis endlich in flagranti erwischen und hinter Gitter bringen konnte. Dafür hatte sie alle verfügbaren Kräfte mobilisiert und seit Tagen darauf eingeschworen. Jetzt kam der große Moment.
Die Minuten verrannen. Um 1.10 Uhr erreichte die Gruppe Gießens Stadtgrenze. Irgendwo auf Höhe des Ortsteils Wieseck beobachtete eine normale Polizeistreife die Radfahrgruppe, notierte ihre Beobachtung und gab das Gesehene an die Zentrale weiter. Von dort aber hieß es wieder: Schnell weg! „Im Rahmen der Streife wurden mehrere Personen entdeckt, bei denen es sich um die betreffende Personengruppe handeln könnte. Eine Meldung an die EZ erfolgt umgehend, woraufhin die EZ anordnete, dass hiesige Streife sich unverzüglich aus diesem Bereich zu entfernen habe.“
Dann folgte eine bemerkenswerte und nervositätssteigernde Panne bei den Uniformierten, die viel Schweiß gekostet haben dürfte. Die Radgruppe verschwand im Wieseckpark, Gießens größter Grünanlage. Da aber verhinderte eine Durchfahrsperre den Polizeiwagen das Weiterkommen. Wie dumm - warum hatte die Polizei das nicht bedacht? Es war der übliche Radweg, und die Barrikade stand da auch schon die Jahre vorher. So geschah das Unfassbare: Die Polizei, unterwegs mit der besten Observationstruppe, die Hessen hat, verlor ihr Ziel aus den Augen. Alle Kräfte wurden vom ,worst case' informiert: „Um 01.26 Uhr wurde der Station durch die EZ mitgeteilt, dass sich Mitglieder der Projektwerkstatt Saasen in Gießen aufhalten würden, diese aber durch Observationskräfte verloren wurden. Daraufhin wurde eine stille Fahndung nach den Personen veranlasst.“ Die Folge: Überall kurvten nun Polizeiwagen um den Park herum und hofften, die Radelnden wiederzufinden. Das hätte auch gelingen können, denn ganz nach Plan durchquerten die Aktivistis ahnungslos den Park und tauchten auf der anderen, stadteinwärts gelegenen Seite wieder auf ... doch jetzt ohne Fahrrad. Das war für die Polizei schon wieder zu kompliziert.
Für die Radelrunde waren die letzten Meter Richtung Gerichtsgelände ruhig verlaufen. Keine seltsamen Autos mehr in ihrer Nähe – also war das wohl doch keine Polizei, die da unterwegs über Feldwege schlich. Wenn am Gericht das Federballspiel starten würde, würden sie schon auftauchen, dachten sich die Aktivistis. Schließlich war es bisher immer so. Am Eingang des Wieseckparks zwängten sie sich mit Rädern und Hänger durch das Absperrgitter, die den Fuß- und Radweg an der Philosophenstraße für Autos unbefahrbar machten. Danach ging es einen kleinen Abhang hinunter mit Schwung in den Park, durch Büsche und Bäume an dem Bach entlang, der auch Saasen und Gießen verbindet, die Wieseck. Von außen war ihr Weg jetzt nicht mehr einzusehen, umgekehrt sahen auch die angehenden Federballspielis die Straßen und Häuser rundherum nicht mehr. Kurze Zeit erkannten sie linker Hand die Hochhäuser und Wohnbebauungen der Eichgärtenallee. Ganz nahe bei ihnen lag, von weiteren Bäumen verdeckt, die CDU-Zentrale - aber die interessierte die Radelgruppe in der heutigen Nacht nicht weiter. Sie strebten Richtung Innenstadt, kreuzten die Wieseck und stellten schließlich nahe des Gießener Freibades an der Ringallee ihre Fahrräder ab. Die sollten nicht mit auf das Gerichtsgelände, denn falls es nicht nur zu den üblichen Kontrollen und Neckereien käme, sondern zu einer Nacht im Polizeigewahrsam, könnten die fest angeschlossenen Räder einfach bis zum Morgen an ihrem Ort stehen bleiben. Mit dem Rucksack voller Federballutensilien auf dem Rücken marschierte die Spielgruppe auf die Ringallee zu, überquerte diese, schlenderte die Gutfleischstraße entlang, um schließlich gegenüber dem Eingang zur Justizvollzugsanstalt auf das Gelände der Gerichtsgebäude einzubiegen. Auf der Zufahrt zur Tiefgarage ging es entlang der Gebäude A und B des Amtsgerichtes, um dann nach links abzuknicken in Richtung des hell erleuchteten Haupteingangs der Staatsanwaltschaft. Hier sollte das erste Match stattfinden und die Polizeikräfte anlocken. Dass diese gerade verzweifelt nach ihnen suchten, ahnten die Spielis nicht. Sie waren genau an den Ort gelangt, den die Polizei unbedingt beschützt wollte – und das unbemerkt. Mensch stelle sich vor, sie hätten statt des harmlosen Spiels hier alles in Brand gesetzt, aber wären unerkannt entkommen? Die ganze High-Tech, die operativen Einheiten, die Zugreifstrupps ... alles wäre umsonst gewesen. Was hätte die Polizei ihrem Innenminister am nächsten Tag erzählt? Dass da leider eine metallene Wegesperre war? Aber die Beamtis hatten Glück und brauchten diese Peinlichkeit nicht über sich ergehen lassen. Denn es brannte nichts – nicht auf dem Gerichtsgelände und auch nicht anderswo. Stattdessen begann ein kleines Federballspiel an dem fast historischen Ort, denn zweieinhalb Jahre vor der Badmintoneinlage vollzog sich hier der bis dahin absurdeste Showdown zwischen Polizei und Polizeikritikis: Eine offen angekündigte Gedichtelesung an einem öffentlich zugänglichen Ort, die mit 12 Verhaftungen endete und nachfolgend bizarre Vorwürfe von zunächst einem versuchten Farbanschlag, einige Monate später sogar einem gerade noch verhinderten Brandanschlag erzeugte.

Federballspiele
Zurück in den Mai 2006, als die Polizei Größeres erwartete und vorhatte. Aus keiner Akte ist zu entnehmen, wie blank die Nerven bei der Polizei lagen, als die Aktivistis ihr entwischten und die Gefahr bestand, dass sie die von der Polizei so ersehnte Straftat ohne Überwachung begehen würden. Jedenfalls blieben die Aktivistis noch einige Zeit allein. Als sie die Ringallee überquerten, war die Polizei nicht zur Stelle. Sie suchte woanders - und wahrscheinlich nach Menschen mit Fahrrad. Als sie später und eher per Zufall die Aktistis entdeckte, spielten diese schon einige Zeit am Eingang der Staatsanwaltschaft, von den angrenzenden Straßen gut sichtbar und zudem hell angestrahlt. Das entsprach ja ihrem Plan. Sie wollten gut erkennbar sein und die Polizei anlocken. Schnell war ein rot-weißes Absperrband zwischen zwei Trägerpfosten des Glasdaches gespannt und diente als Netz. Und schon flog der Ball von links nach rechts, wieder zurück, klatschte gegen einen Pfosten oder fiel zu Boden. Immer von Neuem startete eine Spielrunde und die Spielis erwarteten jederzeit die Polizei. Doch zunächst geschah einige Minuten nichts. Enttäuschung machte sich breit, aber der Abend war ja noch lang. Dann – ein Streifenwagen in Sichtweite. Es war 1.42 Uhr. Eine der Objektschutzstreifen fuhr auf der Ostanlage an den Gerichtsgebäuden vorbei, entdeckte die Personen im hellen Lampenschein auf dem Gerichtsgelände und bremste. Die Federballspielis sahen dien Beifahri telefonieren. 16 min waren seit dem Eintauchen in den Park vergangen - 16 lange, bange Minuten für die verhaftungswütige Polizei. Nun endlich wieder Kontakt. Ob die Polizeistreife auch das Federspiel sofort erkannte und der Einsatzzentrale weitergab, ist nicht bekannt. Für die Federballspielis war alles ausreichender Grund zur Freude. Jetzt bitte ein großes Polizeiaufgebot von allen Seiten und dann das großzügige Angebot an diese, doch mitzuspielen ...
Das, was zunächst passierte, steigerte diese Hoffnung: Das Polizeiauto fuhr wieder an, denn es konnte nur von hinten auf das Gelände fahren – über die Gutfleischstraße, von wo die Badmintonspielis auch gekommen waren. Außerdem musste erst einmal Verstärkung herangeholt werden: Sechs grün-weiße Autos mit insgesamt 12 Uniformierten für zwei Spaziergängis auf dem Gerichtsgelände war der bisherige Rekord solch nächtlicher Spiele. Dann die Enttäuschung: Kein Auto kam, auch keine Uniformierten zu Fuß. Die Spielis ahnten ja immer noch nichts von dem großen Plan der Polizei. Was hätten sie sich gefreut, wenn sie gewusst hätten, dass das gezeigte Desinteresse an ihrem Spiel nur ein Teil des viel größeren Planes war. Auch dass sich in den Folgeminuten um sie herum wieder die High-Tech-Observationskräfte aufbauten und große Zugriffskräfte unter Beteiligung der Bereitschaftspolizei in der Nähe bereitgestellt wurden, davon bekamen sie nichts mit. Sie spielten und harrten weiter der Polizei. Nach einiger Zeit vergeblichen Wartespiels an der Staatsanwaltschaft verließ sie die Geduld und sie verlegten ihren Spielort vor den Hinterausgang des Amtsgerichtes, Gebäude A. Auf diese Türen des alten Gebäudeteils, das wussten sie, zeigte eine Überwachungskamera. „Wenigstens die guckt dann zu“, spöttelte eini von ihnen und flugs begann das zweite Match. Was sie nicht bemerkten: Die Polizeiführung schickte dorthin nun ihre High-Tech-Beobachtungskräfte. Nur fünf Minuten nach der Wiederentdeckung war das MEK auf dem Gerichtsgelände organisiert. Laut Vermerk begleitender Straßenpolizistis: „Nachdem der Nahbereich durch zivile Kräfte abgedeckt war, verließen wir unseren Standort, um weitere Objekte nach eventuellen Personen abzusuchen. Die Dauer unserer Aufstellung am Parkplatz Ringallee betrug ca. 5 Minuten.“ Ein ziviler Wagen mit Münchener Kennzeichen wurde nahe der spielenden Aktivistis geparkt und von dort das Geschehen überwacht. Versteckt in der Umgebung konnten die MEK-BeamtInnen in ihren Wägen die Signale aus dem geparkten Fahrzeug anschauen und waren so über jede Bewegung der Spielis informiert - auch darüber, dass diese sich den Wagen kurz genauer anschauten. Denn das Motorgeräusch aus der Zufahrt, die vom Spielort nicht einsehbar war, weckte bei der Badmintongruppe neue Hoffnung auf den gewünschten nächtlichen Spaß. Leider wurde aber nur ein ziviles Auto im gerade am Wochenende auch von benachbarten Anwohnis genutzten Parkbereich des Gerichtsgeländes abgestellt. Der Fahrer war schon weg, als sich die Badmintonspielis das Auto näher anschauten. Sie umkreisten das Fahrzeug eine Zeit lang, entdeckten aber nichts Verdächtiges. Also spielten sie weiter - inzwischen reichlich frustriert, weil immer noch keine Polizeihorden aufgetaucht waren, für die doch der ganze Aufwand betrieben wurde. Überall rundherum schien nur extreme Ruhe zu herrschen, unterbrochen von wenigen Autos auf der nahen Ostanlage. Ganz vereinzelt kamen Spaziergängis durch den Park, betrachteten das seltsame nächtliche Geschehen, aber gingen weiter. Ein Federball landete auf dem Glasdach über dem Hintereingang des Amtsgerichts und musste dort zurückgelassen werden. Zum Glück war ein zweiter Federball mitgekommen. Mit ihm wechselte die Gruppe erneut den Spielort, diesmal zum Eingang der Justizvollzugsanstalt, abgekürzt JVA, bekannter unter dem Namen Knast. Ein Wachtmeister saß einsam in der Pförtnerloge. Von dort konnte er die Gutfleischstraße beobachten, weil sein Häuschen ein Stück aus den dicken Mauern um das Gefängnis herausragte und ihm so einen Blick in alle Richtungen ermöglichte. Die Badmintonspielis starteten ihr drittes Match direkt vor seinem Fenster. Der Wächter holte zwei weitere Wachtmeistis, blieb aber hinter den Glasscheiben im sicheren Innern des Knastes. So stand das Ganze einige Minuten. Dann ging eini Spieli zur Sprechanlage und fragte, ob die Justizwachtmeister nicht mitspielen wollten. Das war um diese Uhrzeit - es dürfte inzwischen so gegen 2 Uhr nachts gewesen sein - sicherlich eine ungewöhnliche Anfrage. Die Uniformierten hinter der Scheibe aber behielten gute Laune und fragten nur zwei Dinge: „Werden Sie eigentlich dafür bezahlt?“ und „Wo ist denn die versteckte Kamera?“ Herauslocken ließen sie sich nicht, sondern blieben die weitere Zeit stumm hinter der Scheibe. Von dort sahen sie, wie das Spiel noch einmal verlegt wurde – jetzt vor das Landgericht. Das liegt mit seiner Frontseite und dem Haupteingang zur Ostanlage gewendet, während die Gutfleischstraße nur seine Seite tangiert. Die Badmintongruppe musste also um diese Ecke herum und begann das Spiel auf dem Vorplatz des Gerichts zwischen Eingang und der Bushaltestelle ,Landgericht'. Die Spielfläche war von der auch nachts noch befahrenen Ostanlage gut einzusehen. Und tatsächlich: Endlich, während des vierten Spieles, näherte sich wieder ein Polizeiwagen. Für die Spielis eine letzte Hoffnung, die aber auch versiegte ...

Spielende
Um 2.28 Uhr passierte die für den ganzen Gerichtskomplex zuständige Objektschutzstreife noch einmal die Spielis, als diese bereits an ihrer vierten und letzten Station den noch verbliebenen Federball durch die Luft trieben. „Im Rahmen unserer Streifentätigkeit im Bereich des Justizkomplexes bemerkten wir gegen 02:28 Uhr im Vorbeifahren, dass sich vor dem Eingang zum Landgericht drei Personen aufhielten und dort Federball über ein rot-weißes Absperrband spielten.“ Die Badmintonrunde winkte dem Streifenwagen zu, der von der Ostanlage in die Gutfleischstraße eingebogen war und extra zurücksetzte, um das Geschehen besser betrachten zu können. Gucken, telefonieren ... und dann wegfahren. Das kannten die Spielis schon und verließen nun endgültig den Ort – in der festen und zutreffenden Überzeugung, dass ein Federballspiel mit Uniformierten diese Nacht wohl nicht zustande kommen würde.
Auch diesmal guckte ihnen wieder ein Streifenwagen nach: „Als wir in Höhe der Personen waren, bemerkten wir, dass sich unter den Dreien augenscheinlich auch der BERGSTEDT befand. Ich meldete umgehend über Funk an die Einsatzzentrale, dass sich offensichtlich der BERGSTEDT zusammen mit zwei weiteren Personen an der Gutfleischstraße befinde und in Richtung Ringallee unterwegs sei. Dies war gegen 02:47 Uhr.“ Der Zentrale dürfte das aber ohnehin schon bekannt gewesen sein – das MEK war ja immer dabei. Davon ahnten die Beobachteten weiterhin nichts. Sie trotteten durch die Gutfleischstraße über die Ringallee in den Park zurück, schnappten ihre Fahrräder und steuerten wie geplant einen ersten Container am nächstgelegenen Supermarkt an. Wahrscheinlich hätten sie nie erfahren, was sie in dieser Nacht verpasst hatten, wenn die Polizei besonnen agiert und nach dem Ende des Federballspiels ihren Frust auf eine andere Art als in einer absurden Kommandoaktion kompensiert hätte. Das aber tat sie nicht ... Denn nicht nur die Hoffnung der Badmintongruppe auf eine lustige Nacht mit der Polizei löste sich in der Nacht des 14.5.2006 in Gießen in Nichts auf, sondern auch der Traum der Polizei von einem großen Manöver, in dessen Verlauf sie ihre nervigen Kritikis endlich hinter Gitter bringen könnte. Ein verlorener Abend also für beide Seiten, ein Spiel mit zwei Verlieris. Doch die Reaktionen auf die geplatzten Träume könnten unterschiedlicher nicht sein.

Zuerst: Verhaften!
Während die Badmintonspielis enttäuscht in den Wieseckpark zurück stapften, wieder zur Radfahrgruppe mutierten und sich auf den Rückweg nach Saasen machten, ohne die verschiedenen Lebensmittelcontainer unterwegs zu vergessen, entschloss sich die Polizeiführung zu einer bemerkenswerten Variante ihrer ursprünglichen Strategie. Was hatten sie doch für einen gigantischen Aufwand getrieben, wie viele Vorbesprechungen hatten von dieser Nacht gehandelt? Und nun war es endlich soweit, alle gingen in die vorüberlegten Stellungen, alles lief nach Plan. Die Objekte der Begierde fuhren nach Gießen und tauchten genau dort auf, wo es erwartet und erhofft wurde. Sie gingen zielgerichtet zum Eingang der Staatsanwaltschaft, setzten den Rucksack ab und griffen hinein. Aber ... was sie herausholten, waren keine Brandsätze, Sprühdosen oder auf was die Polizei auch immer gehofft hatte, sondern: Federballschläger. Welche Fassungslosigkeit mag in der Einsatzzentrale entstanden sein? Die ganze Stunde der Anfahrt freuten sie sich auf ihren Sieg - und nun das! Federballspielen. Einfach so. Keine Straftat, einfach nichts. Wieder kein Erfolgsbericht für ihren Kollegis, den Vorgesetzten und dem Innenminister? Fehlte ihnen in diesem Moment jegliche Coolness, um mit der Enttäuschung fertig zu werden? Eine andere schlüssige Erklärung für die folgenden Stunden fehlt bis heute. Aber das Geschehen sprach für sich und war so absurd, dass es mehrere Wochen dauerte, bis den von den folgenden Polizeiaktionen Betroffenen klar wurde, was diesen 14. Mai 2006 auszeichnete und ihn zum bisherigen Höhepunkt durchgeknallten, politisch motivierten Polizei- und Justizmachtmissbrauchs im Raum Gießen machte.
Der Anfang wirkte noch harmlos: „Diverse Sachbeschädigungen an Objekten gemeldet“, hieß es in einer Funkdurchsage der Einsatzzentrale an die beteiligten Polizeikräfte. Eine halbe Stunde später, es hatte gerade 3 Uhr geschlagen, setzte die Führung der verhaftungswütigen Polizei dann einen neuen Plan oben drauf: Die „Anschläge“ sollte – ersatzweise – einfach erfunden. Die Zentrale löste eine Fahndung nach der Radelgruppe aus. Wieder fuhren Massen an zivilen und erkennbaren Polizeiwagen in die Nacht, um nach dem Objekt ihrer Begierde suchen. Was wussten die Uniformierten in diesem Moment von den Abläufen? Wurden sie auch belogen und wähnten sich nun in einem Einsatz gegen Schwerkriminelle? Was war mit den Polizistis oder dem MEK, die das Badmintonspiel selbst gesehen hatten? Hätte ihnen nicht auffallen müssen, dass hier etwas nicht stimmte? Waren sie zu feige, bei ihrer Einsatzzentrale nach dem Sinn der Anordnungen zu fragen oder ihre Kollegis darauf hinzuweisen, dass der Einsatz auf Lügen basierte?
Den Radelnden war das alles unbekannt. Sie fuhren verschiedene Container in Gießen an, tauchten kurz bei einer Tankstelle auf, um den Wunsch einer Besucherin mit Kleinkind, die noch in der Projektwerkstatt weilte, nach frischen Windeln zu erfüllen. Zu keinem Zeitpunkt ahnten sie etwas von dem polizeilichen Geschehen um sie herum. In dieser Phase waren auch weder Polizeibeamtis noch MEK in der Nähe. Sie hatten den Kontakt verloren und suchten vor allem entlang des Radweges R7, der von Gießen die Wieseck entlang nach Saasen führt. Es dauerte fast eine Stunde, bis sie die Gesuchten entdeckten, als diese wieder auf die alte Route stießen. Die Uhr zeigte 4.01 Uhr, als eine Polizeistreife meldete: „Jörg B. mit vier anderen Personen mit Fahrrädern und Bollerwagen auf Radweg von Trohe in Richtung Großen-Buseck.“ Zunächst aber verschwanden die Aktivistis erneut und enterten die großen Obst- und Gemüsecontainer der Firma Schwabfrucht, um Bananen, Äpfel, Tomaten und manches mehr aus dem Inneren zu ziehen. Wieder aufgesessen führte die Route auf die Radwegeverbindung zwischen Großen Buseck und Reiskirchen.
Dorthin waren nun auch umfangreiche Polizeieinheiten unterwegs. Denn die Meldung der Wiederentdeckung ging über die Einsatzzentrale im Polizeipräsidium um 4.20 Uhr per Funkdurchsage an sämtliche an der Operation dieser Nacht beteiligten Polizeifahrzeuge. Der noch immer bestehende Objektschutz in Gießen wurde abgebrochen und alle Einheiten brausten auf die B 49 Richtung Reiskirchen. Ein Beamter notierte seine Verwunderung, „trotz hoher Auftragslage“ zur Festnahme zitiert worden zu sein. Es war offenbar wichtig …
Der Radweg, auf dem die Radelnden nun unterwegs waren, verlief nur kurz entlang der Busecker Umgehungsstraße und tauchte dann ins Dunkel unter der B 49. Ab hier war nur noch Feldweg. Nach einem Stück entlang der nachts verwaisten Bahnstrecke fuhr die Gruppe unter der Autobahn A5 hindurch. Ab hier ist der Blick geradeaus frei bis zur nächsten Wegebiegung. Und da folgte eine Überraschung: Ein Auto kam den Radelnden entgegen – nachts nach 4 Uhr auf einem für Autos gesperrten Weg war das mehr als ungewöhnlich. Das konnte nur ein Polizeiauto sein, auch wenn zunächst nur zwei Lichter blendeten. Aber ein gemeinsames Badmintonspiel kam wieder in den Bereich des Möglichen. Besser spät als nie, flachste eine. Auto und Fahrräder näherten sich, beide fuhren am aus ihrer Richtung rechten Rand des Weges und ... es war ein Streifenwagen. Aber er fuhr einfach vorbei. Wieder nichts? Enttäuschung und Fragezeichen bei den Radelnden, die erst einmal weiter strampelten und das sich nun von ihnen entfernende Polizeiauto beobachteten, bis sie die Kurve erreichten, wo der Weg kurvig über eine Wieseckbrücke führte. Ein letzter Blick zurück, bis sich Bäume dazwischen schoben: Das Polizeiauto drehte an der Autobahn und würde den Radelnden jetzt wieder folgen. Kurze Zeit später hatten diese freien Blick in die andere Richtung – bis zum Ortsrand von Reiskirchen. Von dort kamen etliche weitere Fahrzeuge in den Feldweg gefahren. Was bitte geht hier ab? Keini der Radelnden hatte noch eine Erklärung: Mehrere Streifenwagen von vorn, dazu das eine Fahrzeug von hinten. Das würde etwas viel werden für ein Badmintonspiel. Einige Sekunden verrannen, Räder und Autos näherten sich einander an. Skurriler hätte die Situation kaum sein können: Dunkel, ruhig bis auf ein paar nächtliche Vögel und das leise Geplätscher des nahen Baches. Trotz der schlechten Sicht wusste die Polizei ganz genau, wer dort fuhr. Wie viele der Uniformierten wussten, dass sie harmlose Badmintonspielis jagten, ließ sich nicht klären. Der Showdown legte aber eher nahe, dass es nicht allzu viele gewesen sein dürften.
Ganz anders die Radelnden. Sie ahnten beim Aufeinandertreffen um 4.30 Uhr am Ortsrand von Reiskirchen noch nichts von dem, was in dieser Nacht gespielt wurde. Absurd aber war trotzdem die Annahme eines der später um Erklärung für das weitere Geschehen bemühten Polizeibeamten, die Radelgruppe könnten die ihnen entgegenkommenden Fahrzeuge übersehen haben und seien daher überrascht gewesen, als diese plötzlich neben ihnen auftauchten. Nein - das waren sie nicht. Sie hatten die ganze Nacht Polizeikontakt gesucht und waren ausreichend erfahren, genau zu wissen, dass er jetzt geschehen würde. Aber auch, dass es kein Badmintonspiel und keine lustigen Gespräche geben würde. Aber was dann?
Als das erste der entgegenkommenden Polizeiautos die ganz vorne fahrende Person mit dem Fahrradhänger passierte, riss der Fahrer die Tür auf und brüllte: „Stehenbleiben“. Der Radler aber hatte mit seinem Hänger erst mal etwas ganz anderes zu tun, nämlich der offenen, ihm entgegenkommenden Tür auszuweichen. Das motivierte den Fahrer des Wagens zu einer ebenso filmreifen wie angesichts mehrerer ihm nachfolgender Polizeiwagen völlig überflüssigen Aktion: Er sprang aus dem noch fahrenden Streifenwagen und griff den Fahrradfahrer an. Nun fehlt Autos bekanntlich eine Automatik, die ein Fahrzeug stoppt, wenn kein Fahrer mehr hinter dem Steuer sitzt. Das beobachtete auch erschrocken die Besatzung des ja von der anderen Seite kommenden einzelnen Polizeiautos, auf das das führerlose Polizeiauto nun zusteuerte: „Hierbei verselbständigte sich beim Verlassen des Fzg. der Pst. Gießen Süd deren Funkstreifenwagen“, stand später ihn ihrem Bericht. Tatsächlich: Die Polizeiautos krachten ineinander. Hollywood, nur ohne Kamera. Zuvor wurde die Lage für die hinter dem Hänger fahrenden Radlis brenzlig. Ein leeres Auto fuhr auf sie zu. Ein Betroffener „hüpfte mit seinem Fahrrad ein minimales Stück zur Seite“ (alle Zitate aus den Polizeivermerken) und prallte gegen die offene Fahrertür, die aber wegen der Fahrtrichtung ans Auto gedrückt wurde und dem getroffenen Radler so nicht wehtat. Auch der zweiten Person gelang das Ausweichen. Beide kamen auf dem angrenzenden Grasstreifen zum Stehen, wo sie von den aus den weiteren Fahrzeugen herausstürzenden Uniformierten überwältigt, auf den Boden gedrückt und mit Pfefferspray bedroht wurden. So konnten sie nicht genießen, was Sekunden später wenige Meter entfernt geschah. Denn das erste Polizeiauto, das an der Gruppe vorbeigefahren war, dann wendete und den Rädern folgte, war inzwischen ziemlich nahe am Geschehen. Für zwei Autos war der Feldweg zu schmal. So war wenige Meter später Schluss mit der gefährlichen Geisterfahrt des schönen Streifenwagens ohne Fahrer: „Das Fzg. der Pst. Gießen Süd prallte dann gegen unseren Funkstreifenwagen und wurde so gestoppt“. James Bond beim Bewerbungstraining in Reiskirchen? Der im führerlosen Fahrzeug verbliebene Beifahrer rettete den Streifenwagen auch nicht. „Er stieß frontal wenige Meter entfernt mit dem o.g. Streifenwagen der Polizeistation Gießen Nord zusammen, der die Personengruppe verfolgt hatte. An beiden Streifenwagen entstand Sachschaden, verletzt wurde niemand.“ Rummmms. Stillstand. Türen gehen auf, Uniformierte überall. Nicht-Uniformierte am Boden. Fahrräder, zwei kaputte Polizeiwagen, mehrere weitere. Wühlen in Fahrradhänger und Satteltaschen: Badmintonschläger, Obst, Gemüse. Das hatte die Polizei doch gewusst. Die High-Tech-Einheit mit dem beeindruckenden Namen ,Mobiles Einsatzkommando' hatte in Gießen ausreichend lange zugeguckt, um jetzt nicht überrascht zu sein ob dieser Utensilien. Eini Beamti „durchsuchte ... den Fahrradanhänger. Hierin befanden sich jedoch nur Lebensmittel“. Warum das ,jedoch'? Was hatte sier erwartet, über was war sier informiert worden? Das Federballspiel hatten sie beobachtet und dass essbare Fracht in Fahrradtaschen und einem Hänger lagen, war der Polizei bei ihrer Jagd auf die ihnen verhassten Politaktivistis aus dem Umfeld der Projektwerkstatt schon einige Male passiert. Dort ist es nämlich üblich, von den durchaus schmackhaften, teils sogar luxuriösen Resten der Gesellschaft zu leben, um mit möglichst wenig Geld, aber trotzdem gut über die Runden zu kommen. Letztmals hatte die Polizei ein halbes Jahr vorher, genau am Heiligabend 2005, zwei Personen mit dem gleichen Hänger in tiefer Nacht gestoppt und verhaftet – auch damals mussten Bananen, Äpfel und Joghurtbecher den Weg in das Gießener Polizeipräsidium antreten. Zu ihnen gesellten sich in den Stunden danach Spezialistis aus entsprechenden Kommissariaten. Für sie war Weihnachten frühzeitig beendet, das Handy klingelte unter dem Weihnachtsbaum und der außerordentliche Dienstantritt zur Überprüfung von Obst und Gemüse wurde angeordnet. Fünf Monate später hatten die Beamtis das sicherlich noch nicht vergessen ...
Der Polizeiführung dürfte das erst recht klar gewesen sein. Für sie war weder die Jagd nach ihren Kritikis neu noch war sie in Unkenntnis des gesamten, an eine Verschwörung erinnernden Planes zu Unschädlichmachung. Ruckzuck, zunächst ohne genaue Durchsuchung und erst recht ohne jegliche Begründung oder Belehrung gegenüber den Überfallenen wurden die Radlis auf verschiedene Autos sortiert und in die Ferniestraße 8, dem Hauptquartier der mittelhessischen Ordnungshüter gebracht. Um 5.20 Uhr kamen sie dort an. Zur Begrüßung gab es einen Alkoholtest - nein, nicht bei dem Fahrer mit James-Bond-Allüren, sondern bei den Festgenommenen. Das Ergebnis lautete überall 0,0 Promille. Badminton macht nicht besoffen. Sodann setzte sich der übergeordnete Polizeiapparat in Bewegung: Staatsschutz, kriminaltechnischer Dauerdienst, Spurenexpertis. Sie erschienen nacheinander auf ihren Dienststellen, um die weiteren Aktivitäten zu leiten und durchzuführen. Ihre Aufgabe aber stellte diesmal besondere Anforderungen: Spuren sichern, Beweise erheben – wie geht das, wenn die Tat fehlt? Das Grübeln in den Polizeistuben begann, während die Festgenommenen in den kargen, weiß gekachelten Kellerzellen der Ferniestraße 8 die Minuten zählten oder ein wenig zu schlafen versuchten. Keini von ihnen hatte irgendeine Ahnung, was hier gerade ablief.
Der Handlungszwang lag auf Seiten der Polizei. Eigentlich war alles wie geplant gelaufen, nur hatten sich die Festgenommen nicht an das Drehbuch der Polizei gehalten und statt der erhofften, heftigen Straftat unwissentlich die Polizei genarrt. Die Polizeiführung drehte den Film wie geplant zu Ende, musste aber nacharbeiten. Denn sich entschuldigen und alle mit Bedauern entlassen, das ging nicht. Schließlich war doch die Haft das Ziel. Die fehlende Straftat musste also erfunden und nachträglich hineingeschnitten werden in den Film des 14.5.2006. Viel Zeit blieb nicht. Sollte die Inhaftierung länger andauern, was ja das Ziel war, dann blieb vielleicht ein halber Tag, bis eini Richti einzuschalten war. Derm musste irgendwas erzählt werden. Darin immerhin hatte die Polizei inzwischen Übung. Schließlich befanden wir uns in Gießen, wo selbst ein Oberbürgermeister als leuchtendes Vorbild mit der Erfindung von Straftaten voranschritt, als er Ende 2002 eine Bombendrohung erfand, um einen rüden Polizeieinsatz zu rechtfertigen. Da wird sich doch die Polizei nicht lumpen lassen, zumal sie selbst keine Anfängis waren. Am 11.12.2002 gingen zwei derer, die auch diesmal waren, in die Gewahrsamszellen der Polizei. Vorgeworfen wurde ihnen ein Graffiti am Rathaus, das es nie gegeben hatte. Fast ein Jahr später landeten gleich 12 Personen in Haft. Ihr Verbrechen: Sich Gedichte vorlesen - zur falschen Zeit am falschen Ort, nämlich vor der Staatsanwaltschaft Gießen. Das war zwar nicht verboten, nicht einmal Hausfriedensbruch wäre denkbar gewesen. Aber der Polizei passte das Geschehen nicht. Sie nahm alle fest, erfand zunächst einen versuchten Farbanschlag und schließlich sogar einen Brandanschlag, für den die Polizei selbst den Brandsatz beschaffte und als Beweismittel angab. Weitere Erfindungen folgen und die Justiz spielte stets brav mit. Da sollte das doch auch diesmal gelingen, zumal die Anforderungen nicht allzu hoch lagen. Denn, da konnte sich die Polizei sicher sein, Gießener Richtis schauen nie genau hin, wenn Uniformierte etwas behaupteten.

Dann: Die Haftgründe erfinden
Die Polizei hatte zwei Möglichkeiten: Eine Straftat komplett erfinden oder tatsächlich stattgefundene Handlungen umdeuten und den Betroffenen unterschieben. Ein Blick auf die Vergangenheit polizeilicher Erfindungen hätte gezeigt, dass die Ordnungsmacht mit der ersten Variante meistens besser fuhr. Was komplett erfunden war, musste zwar aufwändiger belegt werden, war aber nicht so einfach zu widerlegen - schließlich gab es die Handlung ja gar nicht. Bei einer tatsächlichen Straftat konnten immer deren genaue Umstände überprüft und dann womöglich ein Tatverdacht gegen eine konkrete Person ausgeschlossen werden. Dennoch: Die Polizei entschied sich in dieser Nacht für den zweiten Weg. Vielleicht auch, weil Meister Zufall mitspielte. Denn parallel zum Federballspiel zogen der Polizei bereits bekannte Graffitisprüher (angesichts der Plattheit ihrer Tags wäre „Künstler“ vielleicht ein bisschen übertrieben) durch die westlichen Stadtbezirke und passierten dabei auch das Haus des damaligen hessischen Innenministers Bouffier. Daraus müsste sich doch etwas machen lassen: Eine versuchte Attacke oder irgendwas in diese Richtung, auch wenn die, akribisch von den eingesetzten Polizeibeamtis notierten Abläufe, wenig hergaben: Zwei Streifenwagen wechselten sich ab 19 Uhr mit der Bewachung der Politikerwohnung ab. Um 1.30 Uhr erfolgte laut Polizeivermerken so ein Wechsel. Eine Streife der Polizei Gießen-Süd nahm den Platz vor der Wohnung des Innenministers Bouffier im Altenfeldsweg 42 ein. Die Beamtis nahmen alles sehr genau und waren sich daher sicher: Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine Farbschmierereien rund um das Bouffiersche Anwesen. Bis 2.38 Uhr kontrollierte die Objektschutzstreife kontinuierlich die Straße. „Sprühereien bis zu diesem Zeitpunkt“ konnten daher „ausgeschlossen“ werden. Dann wechselte die Bewachung auf eine Streife der Bereitschaftspolizei Mühlheim. Auch die begannen mit einer Fußstreife durch die nähere Umgebung und waren um 2.43 Uhr wieder am alten Standort vor Bouffiers Haus. Da bemerkten sie frische blaue Farbschmierereien, u.a. an der Mauer zum Grundstück Altenfeldsweg 36, also drei Häuser weiter als Innenminister Bouffier. In den Unterlagen, aus denen dann der Haftantrag entstand, war zu entnehmen, dass die Polizei die Sprayer in die Flucht schlug, aber Latexhandschuhe, eine Sprühdose und eine Schablone in der Umgebung fand. Ein Foto zeigte alles drei aufeinander gestapelt – eine absurde Vorstellung. Wer würde sonst seine Arbeitsmaterialien auf der Flucht noch sorgsam stapeln und die DNA- plus Fingerabdruck-verseuchten Handschuhe gleich dazu legen? Nein, es wird anders gewesen sein: Die Sprayer wurden gefasst, aber laufengelassen. Die Polizei brauchte die Tat, nicht die Täter. Drei Jahre später, bei einer bemerkenswerten Nachstellung der Abläufe durch das Landeskriminalamt, kam heraus, dass die Polizei sogar schon vorher wusste, wer da sprühte und ausgerechnet in dieser Nacht auf einer Sprühtour von der Licher Straße Richtung Schiffenberger Tal den Altenfeldsweg nahe des polizeiüberwachten Innenministerhauses kreuzte. Aber all das wurde im Haftantrag natürlich verschwiegen.
Oben der Kommandobrücke, sprich: Einsatzzentrale, gingen Polizeichef Schust und Crew auf Nummer sicher. Sie fügten eine zweite Sache hinzu, diesmal wahrscheinlich ganz erfunden. Denn das Einzige, auf was sich dieses Märchen stützte, war die Meldung einer Polizeistreife von 1.46 Uhr. Der Fahrer meinte, die ihn begleitende Beamtin im Wagen hätte eine der gesuchten Personen an der CDU-Geschäftsstelle gesehen: „Auf der Anfahrt aus der Jefferson Street in Richtung der CDU-Geschäftsstelle wurde an der Ecke Trieb/Spenerweg durch Uz. und PK Franz eine männliche Person festgestellt. Diese war in Richtung Philosophenwald bzw. Richtung Trieb in normaler Gangart unterwegs“. Aha, „normale Gangart“, das ist natürlich verdächtig. Zudem wurde die Person als „ca. 180cm groß“ beschrieben. Dann … mensch sieht, was sier sehen will: „Aufgrund von bereits vorhandenen Bildern von Tatverdächtigen, ist Uz. der Meinung, dass es sich bei dieser Person um Herrn Bergstedt selbst gehandelt haben könnte.“ Okay, „gehandelt haben könnte“ war schon nicht wirklich beeindruckend. Außerdem wussten die Polizeichefs vom Dienst in der Einsatzzentrale seit vier Minuten ja wieder, wo die „Person“ tatsächlich war: Federballspielend auf dem Justizgelände. Aber dennoch: Ließe sich aus der normal gehenden 180cm-Person nicht auch etwas machen? Die Polizei könnte behaupten, die Festgenommenen hätten versucht, die CDU-Zentrale anzugreifen. Schlappe vier Probleme stellten sich den sogenannten Ermittlis. Zum einen war die Person nur als 1,80 m groß beschrieben, der Festgenommene aber glatt 12 cm größer. Das war ein recht deutlicher Unterschied, aber die Polizei fand eine einfache Lösung: Sie ließ die Größenangabe im Haftantrag einfach weg. Was ein Richti nicht weiß, macht siehn nicht heiß. Bleibt Problem zwei: Die Beobachtung des vermeintlich Verdächtigen lag genau in dem Zeitkorridor, während dem er von zwei Polizeiwagen beim Federballspielen vor dem Gericht gesehen und von der High-Tech-Truppe ,MEK' durchgängig observiert wurde. Da Gericht und CDU-Zentrale rund 1,5 km auseinander lagen, war ausgeschlossen, dass die Verhafteten mal schnell darüber gehuscht sein könnten. Also auch hier die einzige Lösung: Die Observation einfach verschweigen, wusste ja sonst niemand davon ... Ein drittes Problem bereitete mehr Kopfschmerzen. Auf der Straße nahe dem CDU-Büro zu spazieren, ist nicht verboten. Da musste mehr her, doch die Beobachtung sagte nur das aus. Lösung hier: Das Ganze ordentlich aufbauschen, so dass es dramatisch klang. Laut den dann entstandenen Schriften der Polizei soll um 2.27 Uhr eine Person, die nahe der CDU-Geschäftsstelle wohnt, bei der Polizei angerufen haben. Schon der Anruf selbst wirkte etwas wirr und macht die Zeugin nicht gerade glaubwürdig. Sie schilderte „2 männliche Personen, beide dunkel gekleidet, eine davon mit weißem Kapuzenpulli“. Aha, dunkelweiß also. Diese seien in der Nähe der CDU-Geschäftsstelle gewesen. Zudem wollte sie verdächtige Geräusche gehört haben, ohne dass sie diese näher beschrieb. Das reichte als Anregung uniformierter Phantasie. Die Abläufe der farbig-stinkenden Nacht vom 3./4. Mai an der Kanzlei der Innenminister Bouffier und Dr. Gasser wurden schnell mal auf das CDU-Haus umgeschrieben. Damals hatten Unbekannte ein Loch durch die Eingangstür gebohrt und Stinkeflüssigkeit ins Innere gekippt. Das könnte sich doch an der CDU wiederholt haben? Ein genialer Plan der Erfindung von Straftaten - und gleich mit doppeltem Nutzen. Wer die Story glaubt, vermutet schnell eine politische Attacke. Außerdem ließe sich so umgekehrt auch gleich noch der Tatverdacht für die Attacke auf die Anwaltskanzlei konstruieren. Also wurden aus den verdächtigen Geräuschen Bohrgeräusche. Im Haftantrag an das Gericht war dann sogar von einem 5 mm großen Loch in Tür der CDU-Geschäftsstelle zu lesen. Fotos oder irgendwelche anderen gesicherten Spuren davon gab es allerdings weder im Haftantrag noch später in den Akten. Seltsam - oder eben auch nicht. Ein nicht vorhandenes Loch lässt sich nicht so einfach fotografieren.
Blieb ein viertes Problem, welches mit der Erfindung des Lochbohrens erst entstand. Nach Entdecken der Person in „normaler Gangart“ schickte die Einsatzzentrale sowohl High-Tech-Polizei als auch andere operative Kräfte zur CDU. Der Streifenwagen wurde hingegen weggeschickt. Nun also beobachteten verdeckte Einheiten das Haus, die dafür bestens geschult und ausgerüstet waren. Wie konnte da jemand unbemerkt die zur Straße gerichtete Eingangstür anzubohren? Auch diesmal entschied sich die Polizei für die übliche Lösung: Verschweigen der Observation. Und damit war die erste Pflichtaufgabe des herangebrochenen Tages gelöst: Aus dem polizeiüblichen Legokasten von Erfindungen, Verdrehungen und Vertuschung waren zwei Straftaten gebastelt.
Wer bis hierhin alles genau verfolgt und ein bisschen Sherlock Holmes gespielt hat, dürfte bereits stutzig sein. Irgendwie scheint das Märchenerfinden der Polizei doch verbesserungsfähig. Widersprachen sich die Stories nicht selbst? Lagen der Zeitpunkt des Sprühens nahe des Ministerhauses und die Aktivitäten an der CDU nicht mitten im von der Polizei selbst beobachteten Federballspiel nahe der Gerichtsgebäude. Die Entfernung zwischen Altenfeldsweg und Gerichten war mit 1,5km viel zu groß, um eben mal zwischen den Spielen 23 Graffitis (so viele zählte die Polizei) an Mauern und Verteilerkästen im Osten Gießens zu sprühen. Klar – die Observation am Gericht ließe sich mit der bewährten Methode abhandeln: Verschweigen! Doch ein zweiter Widerspruch schaffte es in den Haftantrag. Offenbar wurde er von der Polizei aber einfach gar nicht bemerkt. Denn selbst wenn das Federballspiel und die Observation dabei verschwiegen würde, könnten die Festgenommenen nicht gleichzeitig die CDU-Geschäftsstelle angebohrt und die Graffitis bis zum Altenfeldsweg gesprüht haben. Nach Polizeiakten erfolgten die Anrufe der Anwohnerin an der CDU-Geschäftsstelle um 2.27 Uhr und 2.35 Uhr. Um 2.43 Uhr waren dann die 23 Graffitis in der fast zwei Kilometer entfernten Wohngegend um das Haus des Innenministers schon gesprüht. Fast zwei Kilometer Radeln und 23 Graffitis über eine weite Strecke verteilt – in 8 Minuten? Das dürfte selbst von den Halbterroristis aus der Projektwerkstatt nicht zu schaffen sein. Offenbar bastelte die Polizei zwei Lügen, glich sie aber nicht untereinander ab. Sie entlarvten sich schon gegenseitig - oder vielmehr: Das Lügenkonstrukt war schon aus den Erfindungen der Polizei selbst ersichtlich. Mensch musste nur hingucken. Doch unglaublich: Ob Haftrichti oder die späteren Beschwerdekammer in Gießen – alle winkten den Unsinn durch! Und das, obwohl die Polizei ihnen sogar noch von der Observation erzählte …
Noch schöner: Die Polizei entpuppte sich als Hellseher. Die Einsatzzentrale setzte schon gegen 2.30 Uhr eine Funkdurchsage ab, in der „diverse Sachbeschädigungen an Objekten gemeldet“ wurden. Die später genannten existierten zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht. Graffitis waren nach fester Überzeugung der Objektschutzstreifen im Altenfeldsweg erst nach 2.38 Uhr entstanden. Die Bohrgeräusche meldete eine Anwohnerin im Spenerweg um 2.35 Uhr. Wieso wusste die Einsatzzentrale von den Beschädigungen schon einige Minuten vorher? Wurde hier ausgesprochen, was festes Ziel des Abends war? Schon mal die Kollegis heiß machen für die James-Bond-Aktion in Reiskirchen?

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