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Zur Frage des Aktionskletterns als geschützte Versammlung
Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 24.2.2020 (Az. 5 A 367/17)
Die Kletteraktion der Klägerin, bei der es sich nach ihren eigenen Angaben um ihre besondereProtestform als Kletterkünstlerin handelt, ist jedenfalls von ihrer Versammlungsfreiheit als spezifisches Kommunikationsgrundrecht erfasst. Es gewährleistet auch die Befugnis zum Einsatz besonderer und ungewöhnlicher Ausdrucksmittel, wie hier des Kletterns und des Spannensvon Transparenten zwischen den erklommenen Bäumen (vgl. Urt. d. Kammer v. 30.07.2014 -5 A 87/13 -, juris, Rn. 26 m.w.N.). ...
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehören zur Versammlung auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird. Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, bei denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen. Auch geht es bei einer Versammlung darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 07.03.2011 -1 BvR 388.05 -, juris, Rn. 32; Beschl. v. 10.12.2010 -1 BvR 1402.06 -, juris, Rn. 19; Beschl. v. 19.12.2007 -1 BvR 2793.04 –juris, Rn. 14). Für die Frage, ob eine Versammlung vorliegt, kommt es - anders als beim Gefahrenbegriff - nicht auf die ex-ante Sicht der handelnden Polizisten, sondern auf die allein maßgeblichen objektiven Gegebenheiten an (vgl. Urt. d. Kammer v. 30.07.2014 -5 A 87/13 -, juris, Rn. 37). ...
Im Übrigen ist allgemein anerkannt, dass zudem alle Handlungen und Ver-haltensweisen, auch Vorbereitungshandlungen, die auf die Teilnahme an der -hier be-reits begonnen -Versammlung gerichtet sind, von der Versammlungsfreiheit geschützt sind (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Aufl. 2019, Teil I, Rn. 195). ...
Im Hinblick auf die Art und Weise der Ausgestaltung der Versammlung besteht Typenfreiheit (Urt. d. Kammer v. 30.07.2014 -5 A 87/13 -, juris, Rn.26 m.w.N.). Der Zeitgeist und die angestrebte mediale Aufmerksamkeit können ebenso wie der jeweilige Anlass der Veranstaltung zu innovativen Mitteln und Formen anhalten. Der Phantasie, Kreativität und Eigenwilligkeit bei der Wahl der Form der Meinungskundgabe sind im Hinblick auf den Versammlungsbegriff keine Grenzen gesetzt, sofern nur die eine Versammlung charakterisierenden Merkmale erkennbar bleiben. Maßgeblich hierfür ist, wie sich die Veranstaltung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild in ihrem Gesamtgepräge darstellt (vgl. zu alledem OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 02.05.2006 - OVG 1 B 4.05 -, juris, Rn. 29). Gemessen an dieser der Versammlungsfreiheit immanenten Typenfreiheit war sowohl das Erklettern des Baums als auch der beabsichtigte sogenannte „banner drop“, der einen Vorgang bezeichnet, bei dem ein Banner als Protesttaktik eingesetzt wird, eine eigene von § 2 NVersG umfasste Pro-testform. Dass die Kletteraktion und der geplante „banner drop“ weder angezeigt worden noch Bestandteil des Kooperationsgesprächs sowie der versammlungsrechtlichen Bestätigung gewesen sind, steht dem nicht entgegen. Das Erklettern von Straßenbäumen sowie das Aufspannen eines Banners war nach der versammlungsrechtlichen Bestätigung vom 26. Juni 2017 auch nicht verboten, vielmehr wurde darin ausdrücklich auf die Verwendung von Fahnen und Transparenten als Hilfsmittel und mitgeführte Gegenstände der Versammlung hingewiesen. ...
In dem maßgeblichen Zeitpunkt der Prognoseentscheidung lag eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs nicht vor. Wegen der Besonderheiten der Verkehrsführung in dem fraglichen Bereich, die dazu führt, das erhöhter Durchgangsverkehr samstags am frühen Abend in der Regel nicht stattfindet, bestand die Gefahr eines „fast mit Gewissheit“ zu erwartenden Schadenseintritts wegen der Kletteraktion und des geplanten Spannens des Banners nicht. Denn der fließende Verkehr, einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs mit Bussen, war wegen der geplanten Route des Aufzugs und der damit verbundenen Behinderungen des Verkehrs bereits Einschränkungen unterworfen. Um den - hier ohnehinstark verlangsamten - Straßenverkehr nicht zu gefährden, wären die Polizeibeamten in der Lage gewesen, den Verkehr vom Boden aus zu regeln und ggf. die Einhaltung eines Mindestabstands des Banners zur Fahrbahn zum Zwecke der Durchlässigkeit des Busverkehrs (Regellichtraum) durch entsprechende Anordnungen gegenüber der Klägerin und ihrem Kletterpartner auch sicherzustellen. ...
In Anbetracht des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit der Klägerin vermag das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit in Form von §§ 4 Abs. 1c,14 Nr. 2 SOV als materielles Gesetz zum Schutz der öffentlichen Einrichtung des Straßenbegleitbaums den schwerer wiegenden Eingriff in die Versammlungsfreiheit nicht zu rechtfertigen. Die Beschränkung war nicht zum Schutze gleichwertiger Rechtsgüter erforderlich und angemessen, zumal der von der Klägerin erkletterte Baum keinen Schaden ge-nommen und ein solcher Schadenseintritt auch nicht gedroht hatte. Demgegenüber wurde die Klägerin in der Ausübungihrer Rechte auf Versammlungsfreiheit und öffentliche Meinungskundgabe erheblich beeinträchtigt, da sie weder den Baum weiter erklettern noch das Banner gemeinsam mit ihrem Kletterpartner spannen konnte, um ihre Meinung frei kundzutun.

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