Projektwerkstatt Saasen

KNÄSTE MACHEN ALLES NUR SCHLIMMER!

Engagement hinter Gittern? Perspektiven linker & antifaschistischer Politik hinter Gittern


1. Einleitung
2. Je höher die Strafe, desto mehr fördert sie Kriminalität
3. Illusion von Sicherheit
4. Knast-Zahlen
5. Zwangsarbeit
6. Engagement hinter Gittern? Perspektiven linker & antifaschistischer Politik hinter Gittern
7. Knast und Gewalt
8. Links
9. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Die Frage, die uns an dieser Stelle beschäftigen soll lautet, ob es heute für Gefangene - speziell in der BRD - die Möglichkeit gibt, sich innerhalb des Gefängnissystems zu politisieren und antifaschistisch tätig zu sein oder tätig zu werden?
Von Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bis in die 80er hinein gab es in vielen Gefängnissen in Westdeutschland, sowie in der „Wendezeit“ auch in den Haftanstalten in Ostdeutschland (exemplarisch seien die JVA Brandenburg und die JVA Bautzen erwähnt) Aktionen von Gefangenen, die einerseits auf die desolaten Zustände hinter den Gittern und Mauern aufmerksam machten, aber zugleich auch linke Gesellschaftskritik übten. Dabei konnten sie sich der Solidarität von GenossInnen außerhalb der Anstalten sicher sein, welche ein - wenn auch oft nur begrenztes - Maß an Öffentlichkeit schufen.
Obwohl seit Ende der 90er Jahre die Anzahl der Inhaftierten von ca. 52 000 (31.12.89) auf über 81 000 anwuchs, die Zahl der tatsächlichen Haftplätze jedoch von ca. 59 000 (31.12.89) auf nunmehr circa 75 000, hat die hierdurch bedingte chronische Überbelegung nicht etwa einen Motor dafür geliefert, dass die gefangenen Menschen ihre Situation reflektierten und in den gesamtgesellschaftlichen Kontext einordnen würden, um entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen und dann aktiv zu werden.
Das heisst, der Ist-Zustand ist ein relativ trauriger. Die prinzipielle Bereitschaft zu handeln, sich seines Wertes als Subjekt bewusst zu werden, der Wille den Objektstatus des/der „zu-resozialisierenden-Gefangenen“ abzuschütteln und Ich-Autonomie zu erkämpfen (alles Ziele und Wege, die auch linker und antifaschistischer Politik immanent sind), scheint gebrochen. Was vielleicht auch daran mit liegen mag, dass wir hinter den Mauern ein großes Desinteresse zu spüren vermeinen seitens der GenossInnen draußen (beispielhaft sei auf die Kampagne auch der Roten Hilfe: „Freiheit-jetzt“ für die RAF-Gefangenen verwiesen. Es gibt tatsächlich sogar GenossInnen, die überrascht und erstaunt sind, wenn sie hören, dass immer noch Gefangene der RAF interniert sind). Und ohne eine gut funktionierende Öffentlichkeitsarbeit wäre jedes Handeln relativ wirkungs- und erfolglos.
Dabei gibt es durchaus Perspektiven und Möglichkeiten, würde diese nur effektiv genutzt. Vorbei sind die Zeiten, in denen die taz oder RH-Zeitung gar nicht oder nur um kritische Artikel gekürzt (Zensurmaßnahmen der Anstalten) hinter die Mauern gelangte. D. h. es besteht heute durchaus die Chance, auch systemkritische Literatur zu beziehen und sich entsprechend aus- und fortzubilden. Solche Materialien an interessierte Mitgefangene weiterzugeben ist ebenfalls möglich (sofern mensch nicht gerade in Isolationshaft sitzt).
Freilich ist stets mit Sanktionen seitens der Anstalt oder des Justizministeriums zu rechnen; zumal das Spitzelsystem sehr ausgeprägt ist. Bestehen keine enge und gut funktionierende Verbindungen zu GenossInnen „draußen“, drohen regimekritische Inhaftierte durch das justizielle Räderwerk zerbrochen zu werden.
Der Autor kann an seinem eigenen Vollzugsalltag bemerken, wie die Justiz „arbeitet“. Ein Mittel ist die strenge Postzensur; in vorliegendem Fall wurde dieser Artikel von einer in die Anstalt „abgeordneten“ Richterin inhaltlich geprüft, bevor er die Anstalt verließ; hätte ihr etwas - zu sehr - missfallen, wäre der Artikel eingezogen worden. Post von/an GenossInnen in der Schweiz, in Frankreich wurde teilweise erst nach Intervention des Oberlandesgerichts „freigegeben“. Durch diese Zensur hat die Justiz eine recht gute Kontrolle über die InsassInnen und kann steuernd eingreifen (George Orwell lässt grüßen).
Dann gibt es die Strategie, InsassInnen zu diskreditieren, indem ihnen ein „Querulantenwahn“ angedichtet wird; im Fall des Autors dieses Artikels war mit diesem Vorwurf erst Schluss, als ein renommierter Psychiater einer Universität bestätigte, dass KEIN „Wahn“ vorliege. Nun kam das Argument, dass wer „in vorwerfbarer und gemeiner Weise den Staat und seine Repräsentanten in Politik und Justiz“ bekämpfe, sein Recht verlöre, Gerichte anzurufen und um Rechtsschutz nachzusuchen. Mit Hilfe eines Anwalts wurde gegen diese Strategie das Verfassungsgericht angerufen.
Diese Beispiele sollen illustrieren, dass Gefangene aufgrund der totalen Institution, in der jede Lebensäußerung beobachtet, notiert, gespeichert wird, ohne Solidarität von außen auf verlorenem Posten stehen.
Die multiethnische und multikulturelle Zusammensetzung der Gefangenen, um auf einen letzten Aspekt kurz einzugehen, bietet eine große Chance, auch die antifaschistische Arbeit hinter Gittern zu globalisieren. Dies erfordert von allen Beteiligten die Bereitschaft, interkulturelle Konflikte hintenan zu stellen (besser wäre es, sie zu lösen, was aber in einem begrenzten Umfeld wie in einer JVA nicht möglich sein dürfte), um gemeinsam und vereint für die Ziele, die uns verbinden, zu kämpfen.
Es ist eine Frage der inneren Bereitschaft und des Willens, auch persönliche vollzugliche Nachteile in Kauf zu nehmen - aber ebenso der praktizierten Solidarität von „draußen“!
Thomas Meyer-Falk (JVA Bruchsal)

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