Sand im Getriebe

EMANZIPATION

Zitate


1. Definitionen
2. Zitate
3. Themen und Fragen zum um die Emanzipation
4. Links und Materialien

Marx-Engels Studienausgabe, Fischer 1972 (S. 53)
Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine forces propres, als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht.

Erich Fromm, 1993: Die Furcht vor der Freiheit, dtv
Zur positiven Freiheit gehört auch das Prinzip, daß es keine höhere Macht als dieses einzigartige individuelle Selbst gibt, daß der Mensch MIttelpunkt und Zweck seines Lebens ist und das Wachstum und die Realisierung der Individualität des Menschen ein Ziel ist, das niemals irgendwelchen Zwecken untergeordnet werden kann, die angeblich noch wertvoller sind.

Aus Christoph Spehr, 1999: "Die Aliens sind unter uns", Siedler Verlag München (S. 47+100)
Von dem argentinischen Philosophen Ernesto Laclau stammt die scharfsichtige Bemerkung, daß die Idee der Emanzipation von vielfältigen Widersprüchen durchzogen ist; dies bedeute jedoch keineswegs, daß die Praxis der sozialen Bewegungen, die dieser Idee folgen, nicht funktionieren könne oder nichts bewirke. Allerdings müßten diese Bewegungen an den Widersprüchen der Emanzipationsidee und dieser Praxis arbeiten, um weiterzukommen - sie müßten suchen und handeln. ...
Was die Frage nach Herrschaft und Emanzipation angeht, kann die Lösung also nicht mehr in der Vision eines perfekten "Systems" liegen (das dann faschismussicher und auch noch gleich noch herrschaftssicher ist), sondern nur in einer gesellschaftlichen Praxis, die von alternativen Kriterien geleitet ist und verschiedene Ebenen umfaßt; eine Politik der Abwicklung von Herrschaft und ihren Instrumenten; eine alternative Praxis gesellschaftlicher Beziehungen; eine "demokratische" Politik, die das demokratische Zeitalter fortführt, aber auf einer kritischen Auseinandersetzung mit ihm beruht; und eine Entfaltung sozialer Fähigkeiten, die eine Alternative zur faschistischen und zur alienistischen "Person" aufzeigen.


Aus Christoph Spehr, 1999: "Die Aliens sind unter uns", Siedler Verlag München (S. 201f+221+241)
Eine Theorie der Befreiung ist demnach analytisch. Sie führt den Skandal konkreter Mißstände auf eine allgemeine Ursache zurück, auf ein strukturierendes Prinzip, den zentralen "Trick" der Herrschenden gewissernmaßen. ... Eine Theorie der Befreiung ist materialistisch. Sie will nicht jeden Tag eine gute Tat tun, sondern die Grundlagen von Ausbeutung und Dominanz abschaffen. Diese Grundlagen sieht sie nicht in dem, was die Gesellschaft (und ihre Individuen) und sich denkt oder was sie von sich behauptet, sondern in der Art und Weise, wie sie ihre Produktion und Reprodution organiseirt. ... Eine Theorie der Befreiung ist parteilich. Sie will nicht allen helfen. Sie nimmt Partei in einem sozialen Antagonismus, wo die eine Seite gewinnt, was die andere verliert. Der Antagonismus ist in der bestehenden Ordnung unaufhebbar: nicht das Auswechseln von Personen, nicht der Wechsel von Programmen, weder Abstimmungen noch formale Geschäftsordnungen können daran etwas ändern. Die herrschenden Interessen sind die Interessen der Herrschenden; Befreiung erfordert, die Grundlagen der Herrschaft zu beseitigen. Und schließlich ist eine Theorie der Befreiung eine Philosophie der Praxis. Sie muß zeigen, daß Befreiung möglich ist. Sie geht davon aus, daß Herrschaft nicht total ist, so geschlossen sie auch erscheinen mag; sie beschreibt, daß und wie der einzelne mit ihr in Konflikt gerät. Sie ist keine Gesllschaftstheorie, sondern eine Theorie von der Emanzipation der Subjekte, die sie dazu aufruft, gezielt und bewußt die Spielregeln zu verletzen. ...
Emanzipation muß an die Wurzel des Übels gehen, sie muß die zentrale Grundlage von Herrschaft beseitigen. ...
Emanzipation findet statt, wo Kooperation nicht frei ist, aber sie nimmt das Agieren in einer freien Kooperation vorweg. Deshalb macht Emanzipation süchtig. Sie vermittelt uns einen Eindruck davon, was alles möglich wäre. Sie vermittelt uns diesen Eindruck nicht nur über den Kopf, sondern auch über die Haltung, die wir dabei einnehmen; es ist eine schier körperliche Erfahrung. Wir brechen die Regel, und es geht. Wir können es tatsächlich tun. Wir können dadurch sogar Einfluß auf die Regel nehmen, sie verändern. Wir spüren die Macht und die Freiheit, die freie Kooperation uns geben kann.


Aus Christoph Spehr, 2000: "Gleicher als andere" (S. 27f), Download hier ...
Emanzipation bedeutet, sich aus erzwungenen Kooperationen zu befreien und freie Kooperationen aufzubauen. Beides ist notwendig. Der Wegfall des Alten verbürgt nicht automatisch das Neue. ...
Wenn erzwungene Kooperation durch eine Fülle von Herrschaftsinstrumenten aufrechterhalten wird, dann ist es für eine Politik der freien Kooperation notwendig, diese Instrumente abzuwickeln. "Abwicklung" bedeutet, dass diese Instrumente nicht für "etwas Besseres" eingesetzt werden können, sondern heruntergefahren; dass dies ein Prozess ist und keine einmalige Aktion; dass ein "Ausknipsen über Nacht" nicht möglich und in vielen Fällen auch nicht wünschenswert ist, das Ziel aber klar sein muss. Nichts anderes kann man sich heute darunter vorstellen, was es heißt, Machtfragen zu stellen: Herrschaft sichtbar zu machen und ihre Instrumente in der Praxis zurückzuweisen, und zwar an allen Orten der Gesellschaft und in jeder Kooperation.


Der Mensch im Mittelpunkt

Aus Fromm, Erich (1985): "Über den Ungehorsam", dtv München
Der humanistische Sozialismus ist ein System, in dem der Mensch das Kapital und nicht das Kapital den Menschen beherrscht; in dem der Mensch seine Lebensumstände und nicht die Lebensumstände den Menschen beherrschen; in dem die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft planen, was sie produzieren wollen, anstatt daß die Produktion sich nach den Gesetzen der unpersönlichen Mächte des Marktes und des Kapitals mit dem ihnen eigenen Bedürfnis nach maximalem Profit richten. ... (S. 89)
Sozialismus muß radikal sein. Radikalsein heißt an die Wurzel gehen; und die Wurzel ist der Mensch. Heute sitzen die Dinge im Sattel und reiten den Menschen. Der Sozialismus möchte den Menschen, den ganzen, schöpferischen, wirklichen Menschen wieder in den Sattel heben. (S. 103)


Abseits der Realpolitik sagen das sogar SPD-Chefs
Aus Franz Müntefering, "Was links ist", in: FR, 6.2.2008 (S. 12 f.)
Vor der Gesellschaft kommt das Individuum. Das Individuum steht im Zentrum der linken Idee. Freiheit ist der unbedingte Respekt vor dem Individuum, vor jedem einzelnen Menschen gleicher Weise. ...
Gerechtigkeit ist nicht Garantie für Gleichheit im Ergebnis. Aber sie meint gleiche Ausgangs- und Zugangsbedingungen, faire Chancen und eine soziale Absicherung für Lebensrisiken. ...
Wir organisieren Gesellschaft so, das sich jeder entfalten kann, auch hinfallen - und wieder aufstehen und weitermachen. ...


Aus Gassner, Marcus, "Emanzipation als Maßstab für jegliche Organisation" in: Grundrisse 2/2002 (S. 36)
“Das bewusste Wollen des Reiches der Freiheit kann also nur das bewusste Tun jener Schritte bedeuten, die diesem tatsächlich entgegenführen. Und in der Einsicht, dass individuelle Freiheit in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft nur ein korruptes und korrumpierendes, weil auf die Unfreiheit der anderen unsolidarisch basiertes Privileg sein kann, bedeutet es gerade: den Verzicht auf individuelle Freiheit. Es bedeutet das bewusste Sich-unterordnen jenem Gesamtwillen, der die wirkliche Freiheit wirklich ins Leben zu rufen bestimmt ist...” (Georg Lukacs, Geschichte und Klassenbewußtsein, S. 318)
In diesen Worten Lukacs erkennt man unschwer einen jüdisch-christlichen Entsagungs- und Aufopferungsgeist. Emanzipation wird auf ein Endziel reduziert. Genau so kann aber Emanzipation nicht funktionieren. Eine Bewegung, die auf der Arbeitsteilung von Kopf- und Handarbeit beruht, wird auch wieder nur eine Gesellschaft hervorbringen, die auf Arbeitsteilung basiert. Alles andere zu glauben, würde bestenfalls Dummheit voraussetzen, schlimmstenfalls wäre es einfach nur reaktionär. - Ein Kampf gegen die kapitalistische Gesellschaft bedeutet gleichzeitig ein Kampf gegen die Organisationen, gegen die TrägerInnen der Unterdrückung in der Bewegung selbst. Verzicht auf individuelle Freiheit bringt niemals ein mehr an Freiheit, auch wenn dies noch so “dialektisch” erklärt wird.


Verkürzte Vorstellungen von Emanzipation

Aus Narr, Wolf-Dieter (1973): "Ist Emanzipation strukturell möglich?", in: Greiffenhagen, Martin (Hrsg.): "Emanzipation", Hoffmann und Campe in Hamburg (S. 194 f.)
Emanzipation heißt das Ideal des mittleren Bürgers, der engagiert ist, aber nicht zu engagiert und dem dieses Engagement in der Schule als Attitüde anerzogen wird (als Habitus eingebildet wird). Zweitens fällt auf, dass Emanzipation kriterien-, d. h. zahnlos bleibt. Emanzipation wird sozusagen zur schulischen Morgenandacht, begrenzt auch noch auf das Segment des politischen Unterrichts.

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