Sand im Getriebe

KNÄSTE MACHEN ALLES NUR SCHLIMMER!

Illusion von Sicherheit


1. Einleitung
2. Je höher die Strafe, desto mehr fördert sie Kriminalität
3. Illusion von Sicherheit
4. Knast-Zahlen
5. Zwangsarbeit
6. Engagement hinter Gittern? Perspektiven linker & antifaschistischer Politik hinter Gittern
7. Knast und Gewalt
8. Links
9. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Aus dem Festvortrag "In dubio pro securitate?" von Johannes Feest zu den 1. Berliner Gefangenentagen
Das Gefängnis als Sicherheitsillusion
Es spricht jedoch vieles dafür, dass das Sicherheitsversprechen der Politiker nicht eingehalten werden kann und von vornherein unsinnig ist.
Kriminalität, insbesondere schwere Kriminalität, wird nämlich durch das massenhafte Einsperren von Straftätern nicht verringert. Das lässt sich leicht an den Kriminalitätsstatistiken ablesen. Es finden sich offenbar genügend neue Täter, um die sich auftuenden Lücken der Kriminalstatistik wieder zu schließen. Dies leuchtet für lukrative Formen der Kriminalität wie den Drogenhandel unmittelbar ein. Es gilt aber auch für andere Kriminalitätsbereiche.
Schwere Kriminalität wird (nicht zuletzt) von Menschen begangen, denen man so etwas gar nicht zugetraut hätte. Ein schönes Beispiel dafür sind die medienwirksamen Amokläufe der letzten Jahre, deren Täter hinterher regelmäßig von Nachbarn und Familienmitgliedern als unauffällig bezeichnet wurden und die auch der Polizei noch nie aufgefallen waren. Ähnliches gilt für viele ebenso spektakuläre Fälle von Entführungen, Banküberfällen u.ä.
Eine weitere – durch Medienberichterstattung genährte – Vorstellung besteht darin, dass schwere Straftaten gerade auch von Hafturlaubern begangen werden. Kriminalität aus dem Knast heraus ist jedoch ziemlich selten, wie eine Untersuchung gezeigt hat, bei welcher für zwei Jahre sämtliche Lockerungen im Lande Niedersachsen untersucht wurden. Bei 90.000 Lockerungen wurden 264 neue Straftaten registriert. Das bedeutet, dass von allen im gleichen Zeitraum polizeilich registrierten Delikten nur 0,5 Promille auf Lockerungskriminalität entfielen. Die meisten Lockerungsstraftaten waren Diebstahlsdelikte und ähnliches. Nur eine der Straftaten war ein Sexualdelikt. Zweifellos eines zuviel. Aber ebenso zweifellos kein Anlass, die Lockerungen insgesamt einzuschränken.
Aber selbst bei »gefährlichen Straftätern« dürfte das erneute Begehen schwerer Delikte die Ausnahme sein. Allerdings gibt es hier ein nahezu unüberbrückbares Methodenproblem: Solange solche Täter wegen ihrer Gefährlichkeit festgehalten (und normalerweise auch nicht gelockert) werden, kann man nicht feststellen, ob und in welcher Weise sie erneut straffällig geworden wären, wenn man sie nicht eingesperrt hätte. Nur die massenhaft angeordnete Entlassung solcher Straftäter könnte Grundlage eines überzeugenden Forschungsdesigns werden. Infolge der neueren Rechtsprechung des EGMR wird es zur Entlassung von an die 200 Sicherungsverwahrten kommen, die bis zuletzt unter der Prämisse ihrer extremen Gefährlichkeit festgehalten wurden.
Anfang des Jahres ist allerdings eine Untersuchung veröffentlicht worden, welche 77 Fälle betrifft, bei denen in den Jahren 2001–2006 nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, jedoch wegen obergerichtlicher Entscheidungen nicht durchgeführt werden konnte. Im Ergebnis zeigt sich, dass es bei 65 Prozent dieser ursprünglich als besonders »gefährlich« und wegsperrenswert eingestuften Täter zu keiner neuen Eintragung ins Strafregister kam. Neue Straftaten kamen also nur bei einer Minderheit vor, wobei es sich meist um Delikte handelte, für welche eine Geldstrafe oder eine Bewährungsstrafe ausgesprochen werden musste. Nur in 12 Fällen (15 %) mussten erneut Freiheitsstrafen ohne Bewährung ausgesprochen werden (davon zwei Sexualdelikte und zwei Raubdelikte). Dabei ist bemerkenswert, dass diese neuen Straftaten »wenig Bezug« zu dem Delikt hatten, welches Anlass für die Prüfung der nachträglichen Sicherungsverwahrung war (S. 98). Das gilt auch und gerade für die im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehenden Sexualdelikte: Sexualdelinquenz »hat in der Regel wenig Aussagekraft für die Qualität künftiger Delinquenz« (S. 100). Als Ergebnis dieser Untersuchung lässt sich berechnen: Um eine einzige schwere Straftat zu verhindern, müssten zwanzig Täter schwerer Straftaten nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe dauerhaft weggesperrt werden, obwohl von ihnen offenbar keine Gefahr mehr ausgeht. Hier wäre die Verhinderung einer Straftat möglich, aber nur um den Preis der massiven Verletzung der Freiheitsrechte von neunzehn Personen.
Schließlich und endlich ist auch die Resozialisierung ein im Gefängnis nur schwer einhaltbares Versprechen. Wahrscheinlicher ist es, dass Straftäter im Gefängnis de–sozialisiert oder gar in einer gesellschaftsfeindlichen Haltung bestärkt werden. Wenn wir trotzdem an der Idee der Resozialisierung festhalten, dann nur, um Schlimmeres, nämlich einen reinen Verwahrvollzug zu verhindern.


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