Sand im Getriebe

UMGANG MIT HIERARCHIEN

Hierarchien abbauen: Die Liste der Möglichkeiten (Übersicht)


1. Hierarchien erkennen: Pack die Herrschaftsbrille ein!
2. Hierarchien abbauen: Die Liste der Möglichkeiten (Übersicht)
3. Buchvorstellungen und Links zum Themenbereich

Die folgenden Notizen entstanden bei den beiden HierarchNIE-Workshops im Oktober 2019 in Ulm und Dachau.

Gleicher Zugang zu allen Ressourcen
  • keine/offene Passwörter
  • Presseverteiler, Kontakte zu anderen Organisierungen, Materialquellen usw.
  • Offen zugängliche Materiallager und Geräte
  • Einfach nutzbare Treffräume

Die Gruppe als Welt sehen, in der viele Welten Platz haben
  • Kommunikationsflüsse stärken und Kooperationen aktiv anbahnen
  • Vielfalt fördern
  • Möglichst weiter Verzicht auf gemeinsame Entscheidungen

Kein kollektives Label
Die Existenz eines Namens, unter dem verschiedene Aktionen, Teilgruppen usw. laufen, fördert Hierarchien und Kontrolle, weil alle Teile des Ganzen stets fürchten müssen, dass andere Teile etwas tun, was (wegen des gemeinsamen Namens) auch auf sie zurückfällt. Das fördert das Bedürfnis nach Beschlüssen, die für alle gelten, nach Kontrolle und nach Sanktion bei Nichteinhaltung.
Besser ist, wenn alle Teilgruppen unter eigenen Namen (oder ohne Namen agieren). Das schließt nicht aus, auch verbindende Teile zu schaffen, z.B. Treffpunkte, Einrichtungen, Medien usw. Es heißt dann aber "aktiv im XY-Zentrum" und nicht "Teil des ..."

Entscheidungsfindung
Vor jeder gemeinsamen Entscheidung klären, ob eine Entscheidung aller überhaupt nötig ist. Meist ist möglich, dass eine Sache nur die machen, die auch dahinter stehen. Und oft ist möglich, dass zwei oder mehr Varianten nebeneinander bestehen bleiben.
Als Methode der Entscheidungsfindung kann vorab geklärt werden, dass im Falle einer Nichteinigung gelost wird. Das ist immer dann, wenn es um Personalentscheidungen oder Ressourcenverteilung geht, ohnehin sinnvoll, um Machtkämpfe zu vermeiden.
  • Wandzeitung: Wer eine Idee hat und umsetzen möchte, pinnt die an eine Wand. Widersprüche können dann direkt dort notiert werden.
  • Variante: Drei Spalten der Wandzeitung - Vorschlag, Kommentare, abgelehnt. Der Zettel mit dem Vorschlag kann dann auf abgelehnt umgehängt, bei Kommentare können Ergänzungen hinzugefügt werden.

Formale Strukturen
Vereine und viele andere Rechtskonstrukte müssen, um anerkannt zu werden, eine Hierarchie aufweisen. Das ist stets problematisch, weil die Personen, die z.B. im Vorstand sitzen, mehr Handlungsmöglichkeiten haben als andere. Zwar versprechen sich viele Projekte intern, dass dieses Privileg nie genutzt wird, doch im Konfliktfall zählen solche Absprachen oft genauso wenig wie bei formalen Ansprachen von außen. Daher sollte gut überlegt werden, ob eine Rechtsstruktur wirklich nötig ist. Für die meisten Aktivitäten braucht mensch nämlich keinen Verein. Sollte er dennoch nötig sein, so bieten sich einige Möglichkeiten an, das Problem mindestens zu entschärfen.
Förderverein statt (Träger-)Verein: Der Verein wird als Förderverein gegründet und hat laut Satzung den Zweck, die Projekte zu fördern. Dann sind die Projekte nicht selbst Teil des Vereins, d.h. es gibt weder eine direkte Hierarchie noch können die konkreten Aktionen den Verein gefährden. Einzig kann der Förderverein seine Förderung (Räume, Geld, Materialien) entziehen - aber auch das lässt sich mit entsprechenden Verträgen verhindern, die den Förderverein verpflichten, die Unterstützung bereitzustellen.
BGB-Vertrag mehrerer Beteiligter: Über Räume, Materialien usw. können Verträge des Fördervereins mit weiteren Trägern und Personen aus den Projekten geschlossen werden, in denen sich der Förderverein zur Förderung verpflichtet und diese Förderung nicht willkürlich bzw. nicht ohne Zustimmung der anderen Vertrags-Unterzeichner*innen zurückgenommen werden kann.
Ein Förderverein für mehrere: Um Bürokratie einzudämmen, kann ein Förderverein für mehrere Räume, Projekte, Netzwerke und Gruppen wirken. Das entkoppelt ihn noch ein Stück mehr von den konkreten Aktivitäten und schafft eine breitere Basis für die oben benannten Verträge mit Verpflichtung zur Bereitstellung von Ressourcen.

Metaebenen-Denken
Wer nicht nur die eigene Rolle innerhalb eines Projektes oder einer Gruppe durchdenkt, sondern - quasi aus der Vogelperspektive - auf das Ganze schaut, hat mehr Handlungsmöglichkeiten (und mehr Kummer). Reflexionsrunden können das Denken in dieser Metaebene bei allen Beteiligten schulen, um mehr Gleichberechtigung zu erreichen.

Selbstermächtigung
Menschen sind nie ganz frei. Je mehr Möglichkeiten und jeweils Alternativen zum Handeln sie haben, desto weniger wirken Zwänge.
  • Wissen verfügbar machen: Zettel mit Anleitungen, zugängliche Dateien, Hefte und Aktenordner mit gesammelten Tipps, Wissen, Adressenlisten usw. erleichtern allen, selbst zu handeln.
  • Skillsharing-Workshops: Zusätzlich kann Wissen zu festgesetzten Terminen geballt weitergegeben werden. Macht solche Skillsharing-Veranstaltungen - immer wieder als Workshops zu einem bestimmten Bereich, als Skillsharing-Wochenenden usw.

Streitkultur
Harmoniestreben verschleiert in der Regel Meinungsunterschiede. Lasst Streit zu, denn Streit ist eine Produktivkraft. Da wollen Menschen etwas - und ringen um die besten Argumente und Lösungen. Blöd ist Streit nur, wenn er als Kampf um Hegemonie geführt wird. Es lohnt sich daher, Streitmethoden kennenzulernen, z.B. die FishBowl als Debattenmethode.

Direkte Intervention üben statt Metastrukturen als Ersatzpolizei
Personen oder Teilgruppen mit Sanktionsgewalt besitzen Privilegien. Sie können andere ausschließen oder stigmatisieren. Hintergrund sind oft gemeinsame Beschlüsse, Diskriminierungen und Übergriffe nicht zu dulden. In der Praxis führt das zur Notwendigkeit, Definitionsmacht zu erteilen, was geschehen ist und ab wann etwas als Übergriff zu bewerten ist. Das öffnet Willkür Tor und Tür, unbeliebte Personen auszugrenzen und Fehlverhalten wichtiger Akteur*innen zu verschleiern.
  • Statt Gremien mit Sanktionsgewalt brauchen Räume ohne Herrschaft die Aufmerksamkeit aller für Übergriffe und Diskriminierung sowie deren Handlungskompetenz, sich einzumischen.
  • Macht Workshops und Training zu direkter Intervention. Sexismus, Rassismus usw. sollten in einem Raum gar nicht erst möglich sein, weil alle aufmerksam sind und eingreifen.
  • Nicht Ausschluss, sondern Kommunikation muss im Mittelpunkt stehen - hinsichtlich vermeintlicher Täter*innen auch fordernd.

Transparenz
Wissen, Akten, Passwörter, Kontaktadressen usw. sollten allen gleichberechtigt zugänglich sein, damit alle gleiche Handlungsmöglichkeiten haben.

Gruppenmethoden ausprobieren, Experimentieren
Was wann passend ist, um etwas Konkretes zu planen, zwischen Alternativen auszuwählen oder einen Streit auszutragen, ist schwer vorhersagbar. Je mehr Ideen zum Vorgehen in einer Gruppe bekannt sind, desto eher wird die passende zu finden sein. Experimentiert mit verschiedenen Formen der Redequotierungen (z.B. Erstredner*innen-Bevorzugung, alters- oder abschlussorientiere Quotierung ...), der Entscheidungsfindung (z.B. Losen), Streitkultur (z.B. FishBowl) oder des Wechsels zwischen Gesamtrunde und Kleingruppenphasen.

Umgang mit Vorsozialisierung, Dominanzen brechen, Zugänge schaffen
Menschen kommen nicht mit gleichen Voraussetzungen in eine Gruppe. Wer mehr Zeit, Geld, Wissen, Kontakte usw. hat, muss weniger auf Zustimmung der Gruppe achten. Wer Probleme beim Sprechen in großer Runde hat, wird durch Kleingruppenphasen, schriftlichen Äußerungsmöglichkeiten (Internet, Pinnwand, Meinungsbriefkasten) usw. besser Gehör finden können. Bei Arbeitsverteilung eher losen als Aufteilen nach Zuruf - oder zumindest drauf achten, wie sich Arbeiten je nach Geschlecht, Alter usw. verteilen.

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