Laienverteidigung

GEWALT: NOTWENDIG ODER FETISCH?

Zur Bedeutung von Militanz als Protestform


1. Fetisch Militanz
2. Jammern auf hohem Niveau: Militante Macker jammern über militante Fascho-Macker
3. Zur Bedeutung von Militanz als Protestform
4. G8-Militanz: Identitäre Mackerei - am Beispiel
5. Gewalt - Ja oder nein?
6. Links

Nun sind nicht alle militanten Aktionen, bei denen Sachen oder, hierzulande ja äußerst selten, Menschen zu Schaden kommen, von Ohnmacht oder einem Selbstzweck der Gewalt angetrieben. Manche dienen gezielt der direkten Beendigung unerwünschter Verhältnisse und/oder der nachdrücklich-symbolischen Vermittlung von politischen Positionen oder Forderungen. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit:
  • Das Abfackeln von Bundeswehrfahrzeugen behinderte nicht nur ganz praktisch die militärische Tätigkeit. Wahrscheinlich war den Täter_innen selbst klar, dass der Staat mit seinen Ressourcen die Fahrzeugflotte schnell würde ersetzen können. Die militanten Angriffe waren aber mit einer intensiven Kampagne gegen die Bundeswehr verbunden, so dass jedes brennende Fahrzeug ein Symbol für die Kritik an Militär und Kriegsführung schuf.
  • Das Zerstören von Genversuchsfeldern war, da eine Neuanlage in der laufenden Vegetationsperiode nicht so einfach möglich war wie die Neubeschaffung eines Militär-LKWs, das tatsächliche Ende des Unerwünschten, gleichzeitig aber in vielen Fällen auch Anlass für eine intensive Vermittlung der inhaltlichen Kritik an dieser Technik. "Gen"feldbesetzungen und -befreiungen sind, zusammen mit begleitenden Kampagnen zu Risiken, Herrschaftsfragen und Enthüllungen über Seilschaften, eine der politisch und praktisch erfolgreichsten militanten Kampagnen der letzten Jahre gewesen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: 2013 gab es kein Feld mit gentechnisch veränderten Pflanzen mehr in Deutschland.
  • Sabotageaktionen an Schienen, Straßen und Bahneinrichtungen begleiten jeden größeren Castortransport. Sie sind in vielen Fällen mit inhaltlicher Kritik an der Atomkraft oder Energiepolitik verbunden.
  • Feministische Tomatenwürfe erzwangen wichtige Debatten über Mackermentalität und patriarchale Rollenverteilungen in den 68er-Protesten und im damals federführenden Sozialistischen SDS. Ähnlich bekannt wurden Eierwürfe z.B. gegen Helmut Kohl oder Berlins Bürgermeister Eberhard Diepgen.
  • Tortenwürfe, Pudding"attentate" oder Stinkbomben sind Angriffe auf Personen, die ihren Sinn nur in der Symbolik, d.h. mit einer intensiven Vermittlung von Inhalten entwickeln können. Die dazupassenden "Tatwerkzeuge" wie Torte, Eier oder Pudding haben durch ihre mehrfache Anwendung in der Geschichte bereits eine selbsterklärende Funktion.
  • Noch mehr gilt das für Aktionen, bei denen das im Vordergrund stehende Symbolhafte fehlt, sondern die als inhaltsschwerer Gewaltakt gegen Ausführende der Macht für sich stehen: Die Ohrfeige von Beate Klarsfeld gegen den Bundeskanzler und Ex-Nazi Kurt-Georg Kiesinger, der Farbbeutelwurf auf Joschka Fischer (Video) oder die Krückenattacke gegen Bundespräsident Karl Carstens.

Alle Beispiele zeigen, dass eine besonders starke Vermittlung möglich ist , wenn militante Aktionen ein Teil von umfangreicheren Kampagnen sind oder zumindest mit anderen Aktionen gemischt werden. Denn dann kann die militante Attacke ihre Wirkung als Aufreger, Interessenswecker und damit Rahmen für eine inhaltliche Füllung mittels anderer Aktivitäten voll entfalten.

Im Original: Weitere Texte im Buch
Aus dem Interview mit Günther Anders, erstveröffentlicht in "natur" (Interviewer: Manfred Bissinger)
A.: Also, ich will erst einmal - und das mag Sie vielleicht erschrecken oder auch nicht - gestehen: Obwohl ich sehr häufig als Pazifist angesehen werde, bin ich inzwischen zu der Überzeugung gekommen, daß mit Gewaltlosigkeit nicht mehr zu erreichen ist. Verzicht auf Tun reicht nicht als Tun. ...
Ziel darf Gewalt für uns niemals sein. Aber daß Gewalt - wenn mit ihrer Hilfe Gewaltlosigkeit durchgesetzt werden soll und nur mit ihrer Hilfe Gewaltlosigkeit durchgesetzt werden soll und nur mit ihrer Hilfe durchgesetzt werden kann - unsere Methoden sein muß, das ist wohl nicht abstreitbar.


Aus dem selbstgeführten Interview von und mit Günther Anders im gleichen Buch
Gewaltlose Widerstandsaktionen ähneln nicht nur Happenings. Sie sind Happenings.
Und warum sind sie das?
Deshalb, weil Happenings verspielte Scheinakte sind und Als-Obs, die so tun, als seien sie mehr: nämlich wirkliche Aktionen oder mindestens Bastarde von Sein und Schein, von Ernst und Spiel. (S. 98)
... die Als-Ob-Täter prahlen ja noch mit ihrem Als-Ob. Sie geben ja ihre Harmlosigkeit pompös als "Humanitität" oder als Ehrfurcht oder gar als "Geist der Bergpredigt" aus. Nichts schrecklicher übrigens, als wenn sich solche Bravheit und solcher "Mut zur Feigheit" auf Jesus zu berufen wagt. (S. 99)
Unsere Gewaltausübung darf immer nur als Verzweiflungsmittel, immer nur als Gegengewalt, immer nur als Provisorium eingesetzt werden. (S. 102)
Gewaltlosigkeit gegen Gewalt taugt nichts. Diejenigen, die die Vernichtung von Millionen Heutiger und Morgiger, also unsere endgültige Vernichtung vorbereiten oder mindestens in Kauf nehmen, die müssen verschwinden, die darf es nicht mehr geben. (S. 104)
Auf Sie als Pazifisten kann man also nicht mehr rechnen.
Doch. Aber Frieden ist mir nicht Mittel, sondern Ziel. Und deshalb kein Mittel, weil Frieden das Ziel ist. (S. 108)


Ist Gewalt bei Aktionen ersetzbar?
Diese Frage ist von Bedeutung, weil eine Kritik des Militanten anders ausfallen würde, wenn solche Aktionsformen immer ersetzbar wären. Das würde zwar noch nicht automatisch zu einer Befürwortung der durchgehenden Gewaltfreiheit führen, weil immer noch die Wirkung, Reichweite, Vermittlung und Effizienz von Aktionen reflektiert werden müsste. Aber im Fall, dass Fälle formulierbar sind, in die Wirkung von Militanz nicht durch andere Formen erreicht werden kann, stellt sich die Frage, ob ein dogmatischer Verzicht auf Gewalt überhaupt bedenkenswert ist. Vollständig ersetzbar wäre Militanz, wenn stets mit anderen, Menschen (oder auch Sachen) weniger gefährdenden oder zerstörerischen Mitteln bessere, gleiche oder zumindest ausreichende Ergebnisse erzielt werden könnten. Nicht emanzipatorisch wäre, das ist bereits in der Kritik der Gewaltfreiheit erörtert worden, eine dogmatische Position, die die Aktionsmethode über die Ziele stellt. Wenn also, nur um gewaltfrei zu bleiben, auf politische Wirkung verzichtet würde. Das Motto "Das Mittel heiligt die Zwecke" in Umkehrung des ursprünglichen Satzes überzeugt dann nicht: Hauptsache gewaltfrei, egal wofür und mit welchem Ergebnis.

Eine Antwort liefern die gewaltfreie Zusammenhänge selbst: Ihnen fehlen für viele Situationen schlichtweg die Ideen. Sie bleiben dann meist weg oder organisieren nur symbolische Einmalaktionen. Die können ergänzenden Nutzen haben, signalisieren oft aber als Begleitfolklore des Kritisierten nur eigene Ohnmacht.
Eine völlige Leerstelle zeigt der Umgang mit bewaffneter Unterdrückung durch Regierungen, Milizen, Einzelpersonen oder Clans. Zwar gibt es Versuche, die Widerstandspotentiale gegen Regimes wie den Nationalsozialismus aus gewaltfreier Sicht zu beschreiben, doch diese Texte zeigen vor allem Hilflosigkeit. Die konkrete Entwicklung zum Dritten Reich zeigt eher, wie schnell Handlungsunfähigkeit entsteht, wenn politischer Protest nicht in selbstorganisiert-unberechenbaren Bahnen verläuft, sondern als zentral gesteuerte Opposition über die Zerschlagung ihrer Zentren weitgehend lahmgelegt werden kann. Es ist nicht nur im Bezug auf die Phase von 1933 bis 1945 bedauerlich, dass entschlossene Menschen wie Georg Elser sehr selten waren, sondern es spricht auch für sich, dass gerade diese erst seit wenigen Jahren in der Geschichtsschreibung überhaupt wahrgenommen werden: Geehrt werden neben gewalt- (und weitgehend wirkungs-)losen sowie nicht grundsätzlich herrschaftsfeindlichen Oppositionellen, bevorzugt mit christlichem Hintergrund, vor allem gewalttätige, deutsch-nationale bis faschistische Kreise.

Im Original: Kann Militanz passend sein?
Aus Agnoli, Johannes/Brückner, Peter (1967), "Die Transformation der Demokratie", Voltaire Verlag in Berlin (S. 30)
Nicht Brot und Spiele noch Wahlzettel, sondern die Gewalt hat im Laufe der bisherigen Geschichte soziale Kälte der Manipulation entzogen und Freiheit verwirklicht.

Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin (S. 35)
Aufgrund der Komplexität von Herrschaftsinstrumenten ist das Gewaltmonopol übergeordneter Strukturen keine Lösung; es dient denen, die auf den anderen Ebenen (denen außer der "militärischen") Vorteile haben und zur Anwendung bringen. Auch auf den anderen Ebenen von Herrschaftsinstrumenten bringt eine Politik, die der des Gewaltmonopols entspricht, keine Lösung – wir wissen heute, dass die Verstaatlichung von produktivem Eigentum und ökonomischer Verfügung an sich keineswegs bewirkt, dass strukturelle Unterordnung verschwindet. Die Politik der "Zivilisierung", typisch für das demokratische Zeitalter, ist entsprechend ambivalent: Sie mag positive Elemente einer Abwicklung von Herrschaftsinstrumenten enthalten, zumeist wirkt sie jedoch negativ im Sinne einer Entwaffnung der Beherrschten, um sie desto reibungsloser den anderen Instrumenten und Ebenen von Herrschaft auszuliefern.

Aus "Thesen zur Autonomie", in: Interim, Februar 2011
15. Die Autonomie setzt sich gegen jene zur Wehr, die ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht anerkennen. Sie sucht den Bereich der Autonomie und der Selbstbestimmung auszudehnen, indem sie alles in ihrer Möglichkeiten stehende tut, um Zwangs- und Herrschaftsstrukturen zu zerstören. Sie besteht konsequent darauf, sich das Recht auf selbstbestimmtes Leben Hier und Heute zu nehmen und verteidigt es militant.
16. Mit Militanz meint Autonomie kein bestimmtes Verhältnis zur Gewalt, schon gar nicht militaristisches oder militärisches Handeln, deren blinden Kadergehorsam, Allmachts- und Unterdrückungsphantasien sie verachtet. Unter Militanz versteht sie vielmehr eine Haltung, bei der die Einzelnen trotz des Risikos persönlicher Konsequenzen entschlossen danach streben, zu einer Übereinstimmung ihrer Überzeugungen und ihres Handelns zu gelangen. So verstanden bedeutet Militanz das Gegenteil von Opportunismus und Karrierismus - sie bedeutet selbstverantwortliches, reflektiertes, entschlossenes und offensives Handeln.
17. Autonomie strebt weder Zwangs- noch Gewaltausübung an. Die gemeinsame Gestaltung selbstbestimmter und emanzipatorischer Verhältnisse ist mit Mitteln der Gewalt nicht zu haben. Doch sie weiß, dass sich ihr Kampf nicht auf Appelle und Dialoge beschränken kann, dass die Vertreter_innen des Faustrechts und der Gewalt oft keine andere Sprache verstehen als eben jene der Gewalt und es notwendig sein kann, sich ihrer zu bedienen. Dabei ist klar, dass Gewalt zur Ausübung physischen oder psychischen Zwangs, unter Verletzung des gleichen Freiheitsspielraums Aller von augenfällig anderer Qualität ist als Gewalt, die zur Selbstverteidigung und Abwehr solchen Zwangs eingesetzt wird. Die Autonomie verweigert sich dem einseitigen und undifferenzierten Gewaltbegriff der Herrschaft, der tatsächliche Gewaltverhältnisse verschleiert. Sie sucht die Ursprünge und Strukturen der Gewalt, wo diese im Verborgenen oder in institutionalisierter Form existieren, macht sie sichtbar, benennt sie und greift sie an - dabei zieht sie Sachbeschädigungen und Sabotage vor. Autonomie betreibt keinen Fetisch der Gewalt; sie erwägt jedesmal von neuem, ob Gewalt geeignet ist, eine bestehende Unterdrückung zu thematisieren, skandalisieren oder zu beenden und ob vielleicht eine andere Handlungsmöglichkeit, z.B. eine List, nicht eine ebenso gute oder bessere Wahl wäre. Sie trachtet nicht nach der Verletzung von Menschen; sucht umsichtig auszuschließen, dass Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen werden. Und wie jeder Mensch, der halbwegs bei Sinnen ist, weiß sie, dass zwischen Sachbeschädigung und einem Angriff auf Menschen Welten liegen.


Gewalt und Medien
Ein Motiv sowohl überlegt eingesetzter wie auch der - leider dominierenden - platten Gewalt ist das Spektakuläre. Das gilt insbesondere in solchen Regionen der Welt, in denen Gewalt selten ist und zwecks Unterhaltung oder künstlich erschaffener, dann politisch missbrauchter Ängste völlig übertrieben auf Bildschirme oder in auflagengeile Zeitungen gebracht wird. Nicht selten sind es staatlich-repressive Kreise selbst, die spontane Gewaltausbrüche anzetteln - gekleidet in den uniformähnlichen Dress identitärer Militanzfetischist_innen. Gewaltfreie klagen zu Recht immer wieder darüber, dass Medien bevorzugt über gewaltförmige Protestaktionen berichten. Allerdings benennen sie damit selbst einen wichtigen Grund für Militanz: Das dadurch entfachte Spektakel. Mensch mag das als Argument nicht befriedigend finden, aber das ändert an seiner Wirkung nichts. Beispiele gibt es genug: Gerade die Krawalle im Vorfeld des G8-Gipfels von Heiligendamm haben den Fokus aller Öffentlichkeit auf die Ereignisse gelenkt und damit auch den nachfolgenden, überwiegend gewaltfreien Aktionen den Raum eröffnet. Die eher bürgerliche Organisation Attac verstand es in Deutschland, die Erregung angesichts der Gewalt bei den Protesten im Sommer 2001 (Göteborg und Genua) geschickt für sich zu nutzen. Es ist mehr als zweifelhaft, ob die am Ende erzielte Wirkung ohne die (äußerst platte und katastrophal durchgeführte!) Militanz einschließlich der dadurch ausgelösten Hetze und Debatte erreicht worden wäre. Eher ist wahrscheinlich, dass nicht, wie es Bewegungseliten nach den Geschehnissen behaupteten, die Militanz die anderen Aktionen kaputt machte, sondern deren große Wahrnehmung erst herbeiführte.

Daher sei die mediale Hetze im zeitlichen Ablauf noch einmal dokumentiert.

Im Original: Hetze gegen Gewalt beim G8 in Medien
Spiegel-Online-Ticker: Am 2.6.2008 lief die "Groß"demo in Rostock. Die gesamte Zeit über berichtete Spiegel-online nur von Krawallmachern, verletzten Polizisten, Messerattacken auf die Polizei und Distanzierungen friedlicher Demonstrant_innen. Das ganze war klar erkennbar als Herbeischreiben des Bösen und führte zu absurden Ablaufbeschreibungen, die sich schon auf den ersten Blick widersprechen:
[20:29] Die Atmosphäre bei der Abschlusskundgebung in Rostock ist weiter ruhig. Die Polizei ist noch präsent, hält sich aber am Rand der Veranstaltung auf. ...
[19:44] Die friedlichen Demonstranten zeigen sich enttäuscht vom Ausgang des Tages. "Wir haben uns so lange vorbereitet, und nun haben ein paar Krawallmacher alles kaputt gemacht", sagt eine ältere Frau mit Tränen in den Augen.
[19:40] Vor der Bühne, auf der kurz zuvor noch bekannte Bands wie "Wir sind Helden" und "Juli" gespielt haben, stehen Wasserwerfer und Räumfahrzeuge.
Höhepunkt war die Formulierung um 23 Uhr: Autonome verwüsten Rostock. Bilder oder auch nur Informationen von zerstörten Häusern, verwüsteten Straßen u.ä. wurden nicht geliefert.

Aus einer Pressemitteilung des Republikanischen Anwältevereins zu einem Hetzbild in der BILD-Zeitung
Unter der Fotoüberschrift „Aufgebrachte Schläger versuchen, einem Zivilpolizisten die Kapuze vom Kopf zu reißen“ zeigt die Bild-Zeitung vom heutigen Tag ein Foto, das eine Anwältin des Legal Teams zeigt. Die betreffende Anwältin ist zu sehen, wie sie mit dem Zivilbeamten darüber spricht, wie er sich zu seinem eigenen Schutz auf die andere Seite der Polizeikette begeben kann.
Anmerkung: Vorausgegangen war die Enttarnung von fünf Polizeibeamten, die in Schwarze-Block-Kleidung Gewalttaten anzuzetteln versuchten. Auch das gilt es immer zu Bedenken, dass die Polizei selbst Interesse am Krawall hat!

Aus der Report-Sendung vom 4.6.2007 zu Positionen bei Attac in Rostock zur Gewaltfrage (mit Kommentaren)
Dann schmeißen die Gewalttäter Steine und Flaschen. Sie hatten den Veranstaltern versprochen friedlich zu bleiben, die hatten es geglaubt.
Gelogen: Es gab keine solchen Versprechungen.
Noch sind Attac und die Steinewerfer unter einem Dach, in einem Camp, gehen gemeinsam auf Demos. Doch inzwischen fragt sich Erasmus, ob das bis zum G-8-Gipfel so bleiben kann. Späte Einsicht. ... Und: lassen sich die Gewalttäter überhaupt ausschließen? Noch hat Attac keinen Plan. ... Rostock lehrt heute schon: der bunte Protest braucht Zivilcourage. Nicht nur gegen Politiker und Polizei, sondern auch gegen militante Steinewerfer.
Klares Ziel der Reporter: Spalten. Gewirkt hat es nicht - zum Glück, wie die weiteren Tage in Rostock bewiesen.
Heute Mittag in Rostock. Während der Schwarze Block wieder Krawall macht, retten die Aktivisten die Erde aus den Fängen von Merkel, Bush und Co.
Gelogen: Die Randale an diesem Tag ist frei erfunden.

Und hinterher die Spaltung absichern oder weiter vorantreiben ...
(wie nach Genua 2001 oder Evian 2003 auch ... gerade in den Blättern FR, taz, Spiegel & Co. - so auch 2007)
Aus dem Kommentar "Erfolg in kleinen Dosen" von Uwe Vorkötter, in: FR, 9.6.2007 (S.11)
Bemerkenswert, dass der Schwarze Block der Gewalttäter nur einen Tag lang das Geschehen beherrschen konnte. Danach hat die klare Distanzierung der friedlichen G8-Kritiker gewirkt. Nur so konnte es Attac und Greenpeace, den Veranstaltern des Gegengipfels und dem Netzwerk der Protest-Organisatoren, gelingen, Heiligendamm ihrerseits zu einem Erfolg zu machen.

  • Don't believe the hype - eine Zusammenstellung auf Indymedia zur Hetze in Medien beim G8 2007
  • Extra-Seite zu Polizeigewalt, Diskurssteuerung und Medienhetze rund um den G8-Gipfel von Heiligendamm

Kann zwischen verschiedenen Formen von Gewalt unterschieden werden?
Anders als viele Anhänger_innen von Gewaltfreiheits- oder Militanzfestisch glauben, unterliegen Sachbeschädigung und Angriffe auf Menschen aus emanzipatorischer Sicht den gleichen Kriterien, nach denen alle Aktionsformen überlegt, geplant, durchgeführt und reflektiert werden sollten. Das reicht von Fragen zur Methodik wie Angemessenheit, inhaltlicher Vermittlung, Zielgenauigkeit und Wirksamkeit über Strategien der Kooperation und Integration in Konzepte vielfältigen Nebeneinanders verschiedener Aktionsformen bis zu Überlegungen hinsichtlich möglicher Folgen durch Repression und politische Reaktionen. Unter diesen Gesichtspunkten gilt für alle Angriffe auf unbelebte oder belebte Materie die gesamte Spannbreite von "völlig daneben" bis zu "sehr passend". Ein objektives Urteil gibt es nicht, es gelten stets mehrere den voneinander abweichenden, subjektiven Sichtweisen der konkreten Akteur_innen. Weder Gewalt noch Gewaltfreiheit genießen einen Sonderstatus. Beide lassen sich pauschal und unabhängig von der Situation weder als schlecht noch als gut hinzustellen.
Gewalt muss hinsichtlich einiger Aspekte aber besonders intensiv dieser abwägenden, hinterfragenden Betrachtung unterworfen werden. Sie hat nämlich, das liegt in der Natur dieser Aktionsmethode, regelmäßig nicht oder nur schwer wieder rückholbare Folgen. Das ist kein Gegenargument als solches, sondern ein besonderes Signal, Militanz klug zu planen und immer kritisch zu hinterfragen. Die aktuelle Praxis militanter Aktionen erfüllt diesen Anspruch regelmäßig nicht. Das Zerstören von Fensterscheiben, das Abfackeln von Autos oder das Werfen von Steinen dokumentiert eher meist eine beeindruckende Gedankenlosigkeit. Offenbar liegt den meisten gewaltförmigen Aktionen überhaupt keine Planung und keine Vermittlungsidee zugrunde. Sie entsteht vielmehr höchstens aus einer bloßen Laune zur Militanz heraus oder, noch schlimmer, aus einem schlechter Vorbereitung folgenden, spontanen Bedürfnis heraus, die eigene Ohnmacht in Gewalthandlungen zu kompensieren. Gewalt ist dann eher die Folge der Strategiefeindlichkeit politischer Bewegung als bewusster Entschluss und nicht besser als die für massenhafte Teilnahme gedachten, platten bis bevormundenden Aktionen der Gewaltfreiheit. Der Reiz gewaltfreier und militanter Aktion entsteht aus ziemlich ähnlichen Quellen.

Wo aber Angriffe auf Material oder Menschen Ergebnis eines Prozesses von Planung, Abwägung und Aneignung von Handlungskompetenz sind, kann sich Gewalt als adäquates und zielführendes Mittel etablieren. Sie muss es sogar sein, wenn gar keine anderen Mittel zur Verfügung stehen, Untätigkeit aber eine wesentliche Beeinträchtigung der eigenen Handlungsfähigkeit und der erwünschten Wirkung darstellen würde. Sie ist es aber auch, wenn der Gewaltverzicht eine erhebliche Verminderung der erwünschten Wirkung bedeuten würde.
Ein praktisches Beispiel auch hierfür: Im Protest gegen die Agro-Gentechnik haben gewaltfreie Zusammenhänge von 2005 bis 2008 zu großen, symbolisch-praktischen Attacken auf Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen aufgerufen. Gegenüber den Umwelt-NGOs, die sich zum Teil davon lieber distanzierten statt mitzumachen, um am Gesprächstisch mit Mächtigen über politische Rahmenbedingungen (und ihre eigenen Fördergelder) zu verhandeln, war das schon mutig. Doch "Gendreck weg", das sich aus den klassischen gewaltfreien Zusammenhängen bildete, griff nur Felder an, die Bauern gehörten. Die konnten sich kaum wehren. Als MON810 verboten wurde, beendete "Gendreck weg!" seine großen Aktionen. Für die hochbewachten Versuchsanlagen deutscher Agro-Gentechnik fehlte ihnen der Mut - und wahrscheinlich hätten ihre für die jährlichen "Feldbefreiungen" zusammengetrommelten Bürger_innen eine Aktion, bei der erwartbar eine deutlich massivere Auseinandersetzung mit Bewachungspersonal oder Polizei entstanden wäre, auch nicht mitgemacht.
Wer dann immer wieder die hochgesicherten Felder umgelegt hat oder in anderen Fällen die notwendigerweise gut durchdachten Sabotageakte gegen Symbole oder Infrastruktur von Ausbeutung, Krieg oder Macht zerstörten, ist unbekannt. Es spricht aber einiges dafür, dass es weder die Anhänger_innen der sich nur im Harmlosen aufhaltenden Gewaltfreiheit noch die der blanken und stumpfen Militanz waren. Die Serie der Attacken, die 2012 zum vorläufigen Aus der Agrogentechnik in Deutschland führten, zeigte ein interessantes Stufenkonzept der eingesetzten Gewalt. An den besonders stark gesicherten Standorten kam es in zwei Fällen laut Polizeiprotokollen sogar zum zeitweisen Einsperren des Bewachungspersonals und der Verhinderung von Telefonaten.

Es ist ein riesiger Unterschied, wie eine militante Gruppe agiert. Dabei kann es sogar die gleiche sein: Wenn eine als "terroristisch" diffamierte, aber auch selbst ihrer Gewalttätigkeit überhöhende Gruppe einen Arbeitsgeberpräsidenten entführt, bereits da aus Desinteresse oder mangels Willen zu besserer Planung schnell mal ein paar Menschen als Kollateralschaden abknallt, um schließlich auch nichts Besseres zu wissen, als das Entführungsopfer zu erschießen (wobei die stärkere Trauer um den erst am Ende Erschossenen gegenüber den weiteren Toten die peinliche Neigung zur Verehrung deutsch-nationaler bis faschistischer Männer zeigt), dann ist das aus emanzipatorischer Sicht nicht hinnehmbar. Wenn sie aber als bewaffnetes Kommando (sorgsam im Vergleich zu den Kollateralopfern vorhergehender Anschläge) zunächst einen Gefängnisbau durchkämmt, alle Menschen heraus treibt und dann, verbunden mit intensiver inhaltlicher Kritik, den Bau in die Luft sprengt, kann die Bewertung anders ausfallen. Es ist aus der prinzipiellen Befürwortung von Meinungsvielfalt und Streitkultur weiterhin zulässig, beide Aktionen abzulehnen oder gut zu finden. Aber zwischen diesen keinen Unterschied zu sehen, würde eine bemerkenswerte Betriebsblindheit zeigen. Gewalt kann, wie jede andere Aktionsform auch, schlau oder stumpf sein.

Das Nicht-Argument der Spielregeln
Angriffe auf Material oder Menschen sind, wenn sie mit emanzipatorischen Zielen erfolgen, so gut wie immer Verstöße gegen geltende Gesetze. Das Gesetz legitimiert neben dem auf seltene, persönliche Betroffenheitsfälle begrenzten Notwehrrecht ausschließlich Gewalt von oben, also durch Vollstrecker_innen der sich offiziell aus der bestehenden Herrschaft ableitenden Gewalt. Diese fußt auf dem sogenannten Gewaltmonopol, welches festlegt, dass die im offiziellen System verankerten Institutionen zusätzlich zu ihren sonstigen Privilegien auch direkte Gewalt ausüben darf - und nur sie. Die ohnehin vorhandene Überlegenheit entspringt dem Zugriff auf fast unendliche personelle, materielle und finanzielle Ressourcen, dem dominanten Einfluss auf Diskurse und der Vereinnahmung als Sprecher_innen des konstruierten Gemeinwillens. Zudem setzen sie die Regeln. Gesetze, Normen, Verordnungen, Auflagen und Anweisungen stammen also aus der Feder derer, die auch über das Macht- und Gewaltmonopol verfügen. Zwar bilden diese Eliten angesichts ihrer Größe und Einbettung in die Gesellschaft zumindest in den modernen Demokratien keine Einheit, sondern sind von internen Konkurrenzen durchzogen. Dennoch bleibt festzustellen, dass die Regeln der Gewalt von denen gesetzt werden, die den Ausführenden der Gewalt die Befehle erteilen. Das Recht ist das Recht der Stärkeren.
Daraus ergibt sich, dass die bestehenden Regeln aus emanzipatorischer Sicht, die ja die Befreiung aus der Fremdbestimmung will, keinen Eigenwert haben. Dass sie dennoch in einer Aktionsstrategie bedacht werden müssen, folgt dem Argument des abwägenden Vorgehens, in das auch mögliche Reaktionen der Machthaber_innen und Repression einfließen. Darüber hinaus können sie aber keine Bedeutung haben. Es wäre also angemessen, wenn in autonomen oder Ungehorsams-Konzepten die Selbstbestimmung bei der Wahl der Aktionsform über den rechtlichen Rahmen gestellt wird.

Im Original: Zur Frage des Ungehorsams gegenüber Regeln
Aus Jutta Ditfurth/Rose Glaser (1987): "Die tägliche legale Verseuchung unserer Flüsse und wie wir uns dagegen wehren können", Rasch und Röhring in Hamburg (S. 283 f., ganzes Kapitel als .rtf-Download)
Am besten dreimal täglich sollen Grüne und Bürgerinitiativen, auf den Knien rutschend, beteuern: Wir sind gewaltfrei! Natürlich sind wir gewaltfrei, allerdings nicht passiv, sondern aktiv gewaltfrei! Uns abverlangte Dauerbekenntnisse und Distanzierungsrituale sind eine prima Methode - weil auch genug darauf reinfallen (wollen) -, um vom allgegenwärtigen Staatsterrorismus abzulenken. Damit wir nicht darauf zeigen, von wem und gegen wen die Gewalt ausgeht: gegen Asylsuchende und Flüchtlinge aus Folterländern, die schon außerhalb der Grenzen dieses reichen Landes abgewiesen werden, gegen Menschen in der Dritten Welt, gegen Erwerbslose, gegen Frauen, gegen Arme, gegen Menschen in den psychiatrischen Anstalten, gegen Lohnabhängige durch inhumane und krankmachende Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne, gegen alle Menschen durch die Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen, durch die Bedrohung mit Krebs, Waldsterben, Allergien, Aids (an dessen Ursachen auch kaum geforscht wird), durch sinkende Lebenserwartung und die Zunahme chronischer Krankheiten.
Mit den Antiterrorgesetzen, den Gesetzen zur Terrorisierung von Menschen im Widerstand, soll auch vergessen gemacht werden, daß der Staat die Bombe im Celler Gefängnis selbst gelegt hat und daß viele strafbare Handlungen von polizeilichen Lockspitzeln überhaupt erst angestiftet werden. Es geht den Herrschenden nicht unbedingt darum, nun gleich alle AktionistInnen zu verhaften. Es sind ja in Wirklichkeit auch gar nicht die konkreten Aktionen, die diesen Staat ins Wackeln bringen, sieht mensch sich die Lkw-Fahrer an, die Grenzen blockieren, und F. J. Strauß läßt grüßen, oder die Bauern, die in Bonn wg. berechtigten Zorns auf Ignaz Kiechle so dicht vor dessen Ministerium Spalier schimpfen dürfen, daß jede Anti-AKW-Initiative vor Neid erblaßt.
Allein der Verdacht einer Handlung nach § 129a ist für die Staatsorgane äußerst praktisch. Da wird alles möglich, wovon staatliche Sicherheitsorgane träumen: Telefortüberwachung, Beschlagnahmungen, Festnahmen, Ausforschung des sozialen Umfeldes usw. Voll gewalttätiger Hysterie will der Staat wissen: Wo könnte sich Widerstand regen, wenn mal wieder ein großtechnologisches Projekt durchgesetzt werden soll, ein Atomkraftwerk, ein Chemiebetrieb, ein Munitionsdepot? Wie sehen die Kommunikationsstrukturen bei uns aus? Er will ein soziales "Frühwarnsystem" und geht vom Menschen als Unsicherheitsfaktor und potentiellem Unruhestifter aus, den es in den Griff zu kriegen gilt. Das rechtfertigt dann angeblich alles: vom neuen Blockwart (Kontaktbereichsbeamten) bis zur Aufrüstung und Militarisierung der Polizei.
Ein Staat neigt dazu, immer mehr Macht anzuhäufen und einen immer größeren Gewaltapparat zu schaffen, um seine Herrschaft abzusichern. Das Gewaltmonopol des Staates zu akzeptieren heißt, ein Monopol der Gewalt zu akzeptieren, und bedeutet den Verzicht auf Widerstand, der mehr sein kann, als Protestbriefe zu schreiben oder mal was anderes zu wählen. Staatliche (Entscheidungs-)Gewalt zu dezentralisieren, an die Menschen zurückzugeben, heißt nicht, das Chaos ausbrechen zu lassen, sondern die ökologische Zerstörung und die soziale Verelendung um uns herum Schritt für Schritt zu beenden.
Damit wir über die Art staatlichen Terrors nicht reden, trat gleichzeitig, am 1. Januar 1987, ein weiteres sogenanntes Antiterrorgesetz in Kraft: Der § 130a (Anleitung zu strafbaren Handlungen) macht schon die Gesinnung zum Terrorakt. Er soll uns verbieten, zu reden und Meinungsverschiedenheiten auszutragen - nicht planen, sich nicht wehren, geschehen lassen. Wenn wir sagen, in diesem Land herrscht zuviel Gewalt gegen Mensch und Natur, sagen wir auch: Laßt uns überlegen, was dagegen zu tun ist. Dann können und sollen aus diesen Äußerungen rebellische Gedanken entstehen.
Solche Zensur von Meinungsfreiheit beseitigen wir, indem wir sie lächerlich machen und über Widerstandsformen sprechen. Das gleiche gilt für den § 129a: Wir können mit Phantasie und Energie ein politisches Klima schaffen, in dem Staatsanwälten und Gerichten der politische Boden zur Anwendung der sogenannten Antiterrorgesetze entzogen wird, zum Beispiel dadurch, daß wir uns provokative und aufrüttelnde, phantasievolle und überzeugende Aktionen ausdenken. Historische Beispiele gibt es genug.


Zum vierten Teiltext "Perspektiven" im Kapitel über Gewalt und Gewaltfreiheit als Fetisch

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