Offener Raum

PROJEKTWERKSTATT ODER WURFZELT?
GEDANKEN ZUR SCHWIERIGKEIT DES LEBENS ...

Einleitung


1. Einleitung
2. Viele Wege führen in die Projektwerkstatt - und wieder aus hier heraus
3. Widerstandsnomadisch leben ... und die Projektwerkstatt nutzen!
4. Rückblicke
5. Einfach nur wohnen oder als Gruppe tagen? Nein danke!
6. Seiten zum Thema

Diese Seite behandelt eine komplizierte Frage: Das Leben in der Projektwerkstatt.
Der Mensch ist (zum Glück) keine Maschine - und selbst Maschinen entwickeln oft ihr Eigenleben, brauchen Aufmerksamkeit, Erholungspausen und Stoff-/Energiezufuhr. Menschen sind weitaus komplizierter, eigenartiger und kreativer. Das ist auch gut so und nicht Grund für den Text auf dieser Seite. Der steht aber trotzdem am Anfang, um ein paar Missverständnisse zu beseitigen und vielleicht auch einfach einiges klar zu sagen ...

Die Projektwerkstatt soll allen Menschen offen stehen, also diesen eigenartigen Wesen mit ihrem Rucksack an Zurichtungen, Verblendungen und Verfilmungen. Das Haus ist ein Experiment des offenen Umgangs, des Zusammenlebens in Kooperation und Kommunikation ohne Regeln.
Allerdings: Es ist nicht offen für alles, sondern explizit als Ort politischer Aktivität. Eingeladen, hier auch tiefer einzusteigen, sind also nur die, die hier ein von kapitalitischen Zwängen mehr und mehr losgelösten, widerständiges und selbstorganisiertes Leben entwickeln wollen.
Allen, die eher auf Erwerbsarbeit, Abhängen, Youtube oder Ausbildung schielen, aber sich trotzdem einbilden, politisch aktiv sein zu wollen, um das so schön ausgebaute Haus und die stets vollen Essenslager nutzen zu können, sei gesagt: Nur Mut, du schaffst das auch ohne uns. Du hast es sogar richtig gut, denn fast alle anderen Gebäude des Landes sind für das gebaut, was du willst. Du wirst bestimmt was finden. Das wird dich zwar ein bisschen Geld kosten, aber so ist die Welt da draußen halt aufgebaut: Du bezahlst, irgendwo anders, meist weit weg auf der Welt, werden dafür Mensch und Natur ausgebeutet. Das ist für die nicht schön, für dich aber bequem. Du musst dir zwar dieses Geld besorgen und dich dafür wiederum selbst den Verhältnissen anpassen. Aber dafür reicht es, im Strom mitzuschwimmen.
Wir hingegen möchten nicht die von dir Ausgebeuteten sein, also die, die dir statt der Menschen im globalen Süden, einer Ehefrau oder Mutti dein Leben organisieren. Fühle dich eingeladen, wenn du dich hier in Selbstorganisierung und widerständiger Aktion entfalten willst - und das auch ernsthaft. Wenn nicht: Du schaffst das schon, in der Normalität klarzukommen und dich selbst zu belügen, das sei irgendwie alternativ. Wir glauben fest daran. Nur bitte tue das hier nicht.

Daher geben wir hier ein paar Hinweise. Lese sie mit Vorsicht, denn es sollen nur Anregungen und Beispiele sein. Wenn du den Willen hast, dein Leben selbst zu gestalten, kann es sicherlich noch viele weitere Varianten geben.
  • Wer in der Projektwerkstatt kommt und nicht nur ein Seminar u.ä. besucht, sollte dort etwas vorhaben, also zum Beispiel an einem oder mehreren politischen Projekten schrauben. Das soll nun kein Dogma für 100% der Lebenszeit. Im Gegenteil: Selbst die heftigsten Polit-Workoholics (die es in der Projektwerkstatt immer gab und gibt) haben ein Leben neben der Aktion. Darum bietet das Haus nicht nur viele Projekträume und Werkstätten für die Zeitraum der Aktivität, sondern auch für Phasen dazwischen und rundherum. In mehreren Räumen stehen Betten, es gibt Küchen, Klos, Hängematten, Leseecken, Musikanlagen und -instrumente, Lebensmittellager, Heizung und vieles mehr.
  • Die Ausstattung der Projektwerkstatt ist sehr attraktiv, zieht aber auch die notwendige Instandhaltungarbeit nach sich. Denn wenn mensch sich nicht mehr der unsichtbaren Hand von Mami, Papi, einer_m Hausmeister_in oder, die moderne Form nach dem Auszug zuhause, dem anonymen Markt bedienen kann (oder sogar: will!), dann müssen alle wichtigen Dinge selbst organisiert werden. Sonst geht das Haus langsam zugrunde oder einige schuften für andere mit. Die Liste ist lang: Material besorgen, Reparieren, Renovieren, Essen beschaffen, heizen, all der Formalkrempel, Anfragen beantworten, Menschen unterstützen und 1001 Dinge mehr - dazu all das Unvorhergesehene, was so passieren kann. Das sollten wir uns fair teilen.
  • Die aktuelle politische Bewegung funktioniert nach der Symbiose von Apparaten und Mitläufer*innen. Die Hierarchien sind stark ausgebildet und werden nicht (mehr) weiter kritisch betrachtet. Die einen sind froh, geführt zu werden - die anderen erfreuen sich ihrer Möglichkeiten, Spenden zu sammeln und Einfluss zu haben. All das soll in unserem Haus anders sein. Wer Orientierung sucht und bei der Hand genommen werden will, ist bei Ende Gelände, Campact & Co. richtig. Wer eigene Ideen verwirklichen, Knowhow aneignen, kooperieren und kommunizieren will, ist in der Projektwerkstatt willkommen.

Selbstermächtigung statt Bevormundung
Die Projektwerkstatt ist eine offene Aktionsplattform, also ohne Zuständigkeiten, Hierarchien, Regeln und Beschränkungen. Es soll ein Experimentierfeld sein für freie Menschen in freien Vereinbarungen. Das setzt nicht bessere Menschen voraus, sondern aufmerksame – und Aufmerksamkeit kann mensch lernen. Was es hier nicht gibt, ist das bevormundende Behüten der Nutzis unserer Räume und Einrichtungen. Wer sollte das auch tun? Welche Menschen auch immer hier im Haus sind, sie stehen gleichberechtigt zueinander. Es gibt kein Hausrecht, aber auch keine Dienstleistis, die anderen das Leben organisieren und das Haus aufrecht erhalten. Vielmehr sind sie alle selbst Aktivistis, wollen an politischen Projekten werkeln und nicht ständig dier Hausmeisti der anderen sein. Eine dadurch erschreckte Gastgruppe schrieb mal auf ein Plakat, dass mensch hier sich selbst überlassen ist. Jawohl, so ist es. Wir lehnen Paternalismus ab.
Aber ihr könnt und solltet kooperieren, kommunizieren. Wartet nicht darauf, dass sich jemensch um euch kümmert oder euch sagt, was ihr tun könnt, sondern agiert selbst: Tretet in Kontakt mit anderen, entwickelt eigene Ideen und Aktivitäten und übt euch darin, selbst mitzukriegen, was wichtig ist, damit dieses Haus, seine Einrichtung, die Versorgung aller usw. auf Dauer gut funktionieren. Diese Fähigkeit, Notwendigkeiten und Möglichkeiten selbst zu entdecken, braucht ihr aber ohnehin, wenn ihr eigene Aktionen entwerfen und nicht nur großen Labeln hinterherlaufen wollt.

Dummerweise reichten Appelle, das Haus gemeinsam zu organisieren, bislang oft nicht aus - mit zunehmender Tendenz nach unten. Daher wäre sogar die Feststellung ehrlicher: Es war häufiger so, dass Menschen sich auf dem Handeln anderer ausgeruht haben als dass die Menschen sich die anfallenden Tätigkeiten aufgeteilt hätten. Offenbar zieht ein offener und so gut organisierter Raum auch Menschen an, die keine konkreten eigenen Projekte verfolgen (bzw. sich das nur einreden). Manche sind sogar ganz scharf auf eine Fortsetzung der Betreuung, sehen die Projektwerkstatt und die dorten Aktiven also als etwas Ähnliches wie Mami/Papi oder das Jobcenter. Die werden ausgetauscht durch die Aktivistis in der Projektwerkstatt, die sich um Essen, Heizung, Renovierungen, reproduktive Hausarbeiten usw. kümmern. Verschärft wird das durch die Mischung aus fehlendem Alltags-Knowhow (weder handwerklich-technisch noch in Haushalts- und Geschäftsführung) und mangelndem Willen, sich Wissen anzueignen (Abneigung gegen Bücher, Bedienungsanleitungen und selbständiges Lernen). Für all solche wirkt die Projektwerkstatt sehr bequem, da hier auch Leute agieren, die das Haus ziemlich gut in Form halten. Aber: Wer bislang (das ist ja keine eigene Schuld) wenig kann, sich aber auch nichts aneignen will, ist hier falsch. Der Kapitalismus bietet da bessere Möglichkeiten, fremdgesteuert tätig zu sein und dann den Mangel an Fähigkeiten durch Einkauf fremder Arbeitskraft zu kompensieren. Bitte macht einen Bogen um uns, wenn Ihr nicht wisst, was Ihr hier wollt und auch nicht aktiv danach suchen wollt. Wir wollen eine kreative und widerständige Runde von Menschen sein, die sich was zutrauen und immer neu aneignen. Das Haus soll eine gut organisierte Plattform für Projekte und Aktionen sein. Herzlich eingeladen sind alle, die an so etwas mitwirken wollen oder so etwas suchen - egal ob nur für ein paar Stunden oder für längere Zeit. Platz für ein schönes Leben bietet die Projektwerkstatt nämlich nebenbei auch. Schlafräume, Küchen und mehr ergänzen die Werkstätten, Bibliotheken und Tagungsräume.
Einige Menschen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt organisieren sich als Widerstands-NomadInnen, d.h. sie haben auch andernorts keine festen (eigenen) Räume, sondern verbringen ihr Leben - werkelnd an Projekten - in den Häusern, die jeweils passen. Die Projektwerkstatt in Saasen mit ihrer hervorragenden Ausstattung und der verkehrsgünstigen Lage mitten in der abzuschaffenden Republik gehört immer wieder dazu - aber wir sind auch gerne in Kooperation mit anderen Häusern dieser Art.

Selbstorganisierung und selbstbestimmtes Leben brauchen Aktivität, vor allem vom Kopf, der eigene Ideen kreiiert, eigene Ziele setzt und den Willen formt, das auch erreichen so wollen. Einfach da sein und hoffen, dass andere das Geschehen organisieren, führen dazu, in der Projektwerkstatt zu scheitern. Nur mal einige von vielen Varianten dieses Scheiterns:
  • Viele kommen blauäugig in das Haus, fasziniert von der Radikalität des Lebensentwurfes, von spektakulären Aktionen und/oder den Theorien von Herrschaftsfreiheit, von einer Welt ohne Strafe oder irgend etwas anderem, was sie über die Projektwerkstatt lesen bzw. hören. Sie glauben, cool genug drauf zu sein, um mit Herrschaftsfreiheit klar zu kommen. Doch oft entpuppt sich das als folgenschwerer Irrtum und endet dann in völliger Orientierungslosigkeit oder im Wunsch nach Führung (durch andere Menschen, Apps, Google ...).
  • In anderen Fällen, oft verbunden mit Unwillen/Unfähigkeit, das Leben selbst zu gestalten, ruhen sich Menschen mehr oder weniger bewusst auf der Organisierungstätigkeit Anderer aus. Denn ohne Putzplan, Arbeitsverteilung per Plenum oder Anweisung, ohne die Erinnerungs-App oder die Angst vor Jobverlust bei Versagen schaffen es viele nicht, das zu tun, was sie eigentlich wollen oder sich sogar vornehmen.
  • Vieles ist nicht böser Wille, sondern Unachtsamkeit: Ohne Wissen, wie "Leben" überhaupt geht, bleibt oft verborgen, was alles täglich oder immer wieder anliegt und gemacht werden muss. Viele genießen warme Räume und Duschen, sauberes Geschirr und Wäsche, Strom und Internet, volle Kühlschränke und Vorräte, fahrbereite Räder und Hänger, ohne eine Ahnung davon zu haben, woher das eigentlich alles kommt, wer das herstellt, in Gang hält, bezahlt, besorgt, organisiert, wer sich mit den formalen Hintergrundvorgängen herumschlägt oder repariert, was kaputt geht. Bei Mami zuhause oder in der Dienstleistungsgesellschaft scheint das ja auch alles wie von selbst zu klappen. Wie und wo soll mensch lernen, wie Leben geht?
  • Aber selbst wenn Menschen es wirklich ernst meinen und versuchen - immer droht die Wiederanpassung. Denn selbst wer mit dem Willen startet, das eigene Leben anders zu führen als auf dem Rücken anderer Menschen (denen vor Ort und denen im entfernten globalen Süden) und den Ressourcen der Natur, entdeckt im Laufe der Zeit, dass im reichen Deutschland überall staatliche Förderungen lauern. Aus idealistischen Ideen können einfach und schnell kleine Startups oder gut gepamperte Mini-NGOs entstehen. Das reizt, schafft auch zunächst einige schnelle Erfolge, verändert aber die Einstellung zu Selbstorganisierung und zwingt zu Kompromissen und politischer Zurückhaltung. Das treibt die Akteuris Stück für Stück wieder in die Arme der bürgerlichen Gesellschaft. Ein Konflikt und der Abgang aus der Projektwerkstatt sind die Folge - oft nach zähem Ringen mit sich selbst und anderen, aber immer noch als bessere Lösung gegenüber der andernorts üblichen Variante, das Haus mitzunehmen in die Etablierung und Anpassung.

Für die Projektwerkstatt stellt das oft die größte Herausforderungen dar: Nicht Polizei und Justiz, BASF oder die Nazis der Umgebung setzen dem Haus und denen, die es aufrecht zu erhalten versuchen, am meisten zu, sondern die Menschen, die im Haus aktiv sind, aber sich treiben lassen von Zufällen, umgebenden Einflüssen und denen, die sich kümmern. Dem Ideal, dass die im Haus aktiven Menschen Kooperation und Organisierung untereinander, d.h. ohne vorgegebene Strukturen aushandeln, nähern wir uns oft nur zentimeterweise oder gar nicht an. Plena, Vorstände, Chef_innen - all das soll es ja nicht geben, ebenso keine Hauptamtlichen. Das alles wären Formen der Steuerung - und zwar auch dann, wenn sie als nett empfunden würden oder ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen.Selbstbestimmung basiert auf Aufmerksamkeit, Kommunikation, Selbstorganisierung und daraus folgend freier, bewusster Kooperation. Doch genau das fehlt meist. Menschen kommen von draußen in der Projektwerkstatt - also daher, wo alles herrschaftsförmig, zunehmend automatisiert funktioniert und Mamis bzw. des anonymen Marktes unsichtbare Hand alles Nötige bereitstellt. Wer in der Projektwerkstatt nicht aktiv umschaltet, sondern sich treiben lässt wie im Rest der Gesellschaft, ist schnell draußen aus Kooperation und Organisierung. Das fühlt sich sogar bequem an, weil gar nicht auffällt, dass alles weitergeht wie bei Mami oder im Kapitalismus - nur ohne Geld oder patriachaler Rollenzuweisung. In den letzten Jahren waren es immer nur eine Minderheit, mitunter Einzelne, die sich um (fast) alles kümmerten. Welch ein Desaster des gegenkulturellen Versuchs. Trotzdem war es das immer wert, denn erstens ist genau deshalb, weil der Versuch hartnäckig immer fortgesetzt wurde, das Haus weiter mit seinen Potentialen da. Und zweitens ist auch das Scheitern im Experiment ein Ergebnis, aus welchem etwas folgen kann - für die Menschen, für Ideen und Projekte. So oder so: Die Projektwerkstatt hat Bestand, ist nicht zu einem staatsförderungs-abhängigen Projekte oder eine Ansammlung klein-kommerzieller Einrichtungen geworden, auch zu keinem Schöner-Wohnen-Projekt oder einfach untergegangen. Hier gibt es immer noch kein Eigentum. Wer die eigenen Arbeits- und Lebensperformance verbessern will, verbessert für alle anderen mit. Wie viel bunter und besser nutzbar wäre es, wenn das mehr Menschen täten, also selbstorganisiert handeln, das Ganze mittragen, miteinwickeln und ihre Ideen umsetzen? Von diesem Traum der "Villa Kunterbunt für kreativen Widerstand" wollen wir nicht lassen ...

Was hilft, ist schwierig zu sagen. Oft herrscht nur Ohnmacht, die sich in Überlegungen ausdrückt, wie es besser gehen könnte. Diese Seite ist eher eine Baustelle, wie das Leben selbst ... Es folgen Texte, die im Laufe der Zeit als Beschreibung oder Appell verfasst wurden. Viele Texte sind nie geschrieben worden, denn etliche Bewohnis der Projektwerkstatt fanden nicht nur das selbstorganisierte Leben zu anstrengend, sondern auch die Idee, ihre eigenen Vorstellungen zu der Frage mal zu benennen oder niederzuschreiben.

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Kommentare

VW am 31.12.2021 - 12:43 Uhr
Ja, ein komplexes Leben ist komplex. Und Mensch MACHT vieles kompliziert.

Frei leben bedeutet jeden Tag aufs Neue, vom Eigensinn ausgehend, zum Wohlempfinden aller aktiv zu gestalten. Ohne Willenskraft zu Reflexion und Vordenken geht es schief.
Wer nach Sicherheiten süchtig ist, lebt seine "Freiheit" auf Kosten anderer. Egal in welcher (Konsum)-Blase.

Danke für die Ausdauer, damit sich dieser AktionsRAUM (auch) in Zukunft auf mehreren Schultern tragen lässt.


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