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Grundeinkommen & Existenzsicherung


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Hirnstupser - politische Analyse und Nachdenktexte
Hirnstupser am 18.3.2020: Der richtige Moment ist jetzt: Bedingungsloses Grundeinkommen ausprobieren!
Autofabriken stehen still. Fußballstadien sind verwaist. Karstadt und McDonalds sind dicht. Die Regierungen verschiedener Ebenen machen Milliarden locker, um sie in die Unternehmen zu pumpen, die sie dann, wahrscheinlich unter Abzug des üblich großen Anteils für sich selbst, als Lohnfortzahlung an ihre zwangsbeurlaubten Arbeitis* und Angestellten weitergeben. Der Umweg ist nicht nur wenig effizient, sondern mal wieder ungerecht – wie so vieles in einer Krisenstimmung, in der zeitgleich zu den Milliardenhilfen für die Wirtschaft Tafeln dichtgemacht und Flüchtlingslager immer stärker abgeschottet werden, obwohl große Menschenansammlungen als Ansteckungsgefahr Nummer 1 gelten. Das ist die richtige Zeit für ein Experiment: Das bedingungslose Grundeinkommen. Wie wäre es, wenn die Ingenieuris von VW, Marco Reus, die platte-machenden Marie und Hans, Sarah Connor und Angela Merkel alle für die ganze Zeit der corona-gefütterten Angstphase das gleiche Geld ausgezahlt bekommen, Monat für Monat. Dann entstünde die Solidarität, die die Bundeskanzlerin in ihrer Rede zur Nation eingefordert hat. Solange aber der Staat vor allem seine Muskeln spielen lässt und die Lage der Armen und Ausgegrenzten eiskalt verschlechtert, ist nichts davon glaubwürdig. Corona schafft eine künstliche Situation, in der das Experiment seinen Platz haben und endlich auch mal andere Schlagzeilen produzieren könnte als angstmachende Infektionszahlen oder das völlig absurde Gerede um Bundeswehreinsätze als Ersatz für die gemachte Personalschwäche im Gesundheitswesen. Dann wäre das Ringen um Gesundheit mit dem um soziale Gerechtigkeit verbunden – eine schöne Vorstellung in an den Schreckensnachrichten dieser Zeit.
* Das ist der Versuch, eine entgeschlechtliche Sprache zu verwenden (siehe hier).

Frei gesprochen neben einer Bahnlinie - als Beitrag auf Youtube und als Podcast:




Aus Fromm, Erich (1985): "Über den Ungehorsam", dtv München (S. 105 f.)
Für ein garantiertes Einkommen für alle spricht in erster Linie, daß die Freiheit des einzelnen auf diese Weise entschieden erweitert werden könnte. ... Bisher war der Mensch während seiner gesamten Geschichte durch zwei Faktoren in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt: durch die Anwendung von Gewalt von seiten der Herrschenden (besonders dadurch, daß diese in der Lage waren, Abweichler umzubringen) und - was noch wesentlicher war - dadurch, daß alle vom Hungertod bedroht waren, die nicht bereit waren, die ihnen auferlegten Bedingungen in bezug auf ihre Arbeit und soziale Existenz zu akzeptieren. ...
Niemand müßte sich mehr nur deshalb auf bestimmte Arbeitsbedingungen einlassen, weil er sonst befürchten müßte, er würde verhungern. Begabte oder ehrgelizige Männer und Frauen könnten die Ausbildung wechseln, um sich damit auf einen anderen Beruf vorzubereiten; eine Frau könnte ihren Ehemann, ein jugendlicher seine Familie verlassen. Die Menschen hätten keine Angst mehr, wenn sie den Hunger nicht mehr zu befürchten brauchten.


Aus Erich Fromm, "Haben oder Sein" (S. 87)
Um überleben zu können, ist es erforderlich, daß wir bestimmte Dinge haben, behalten, pflegen und gebrauchen. Dies gilt für unseren Körper, für Nahrung, Wohnung, Kleidung und für die Werkzeuge, die zur Befriedigung unserer Grundbedürfnisse vonnöten sind. Dieses funktionale Haben kann man auch als existentielles Haben bezeichnen, da es in der menschlichen Existenz wurzelt.

Im Original: Wirtschaftsboss gegen Arbeitszwang?
Aus einem Interview mit Götz W. Werner, Gründer der dm Drogeriemärkte, in brand eins 3/2005)
Noch grundsätzlicher gedacht, hat die Wirtschaft zwei Aufgaben. Die eine, die betriebswirtschaftliche Aufgabe, ist es, die Menschen mit konsumfähigen Dienstleistungen und Gütern zu versorgen – das gelang noch nie so gut wie heute, zumindest in den entwickelten Volkswirtschaften. Wir leben heute in einem Einkaufsparadies, das heißt, unsere Fähigkeit, Güter und Dienstleistungen hervorzubringen, ist größer als die Bedürfnisse der Menschen. Die andere, die gesamtwirtschaftliche Aufgabe ist, die Menschen mit Einkommen zu versorgen....
Die Produktivitätsentwicklung hat die Bedürfnisentwicklung längst überholt, wir haben gesättigte Märkte, und wir brauchen immer weniger Menschen um dieses Übermaß an Gütern zu produzieren. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem wir uns vom Zwang zur Arbeit befreien können. ...
Das Geld ist nicht das Problem – das Problem ist, dass wir Geld, also Einkommen, immer mit Arbeit koppeln. Die alten Griechen waren da weiter: Ein normaler Grieche hat nicht gearbeitet – dafür hatte er seine Sklaven. Und unsere Sklaven sind die Methoden und Maschinen, die es uns erlauben, immer mehr Güter herzustellen mit immer weniger Arbeit. Wenn aber die Menschen nicht mehr arbeiten müssen, weil Methoden und Maschinen das zu einem immer größeren Teil erledigen – dann müssen wir sie eben mit Einkommen versorgen.
Frage: Nicht wer arbeitet, bekommt ein Einkommen, sondern wer anwesend ist: die alte Idee des Grundeinkommens.
Die Idee mag alt sein – aber erst heute sind wir in der Lage, sie umzusetzen. ...
Tatsächlich haben wir nur deshalb Arbeitslosigkeit, weil wir sagen: Wer nicht arbeitet, liegt dem anderen auf der Tasche. Hätten wir diese Vorstellung nicht, könnten wir sagen: Wir haben so und so viele Menschen und so und so viele Güter – und weil wir so und so viele Güter haben, können wir so und so viel Geld drucken und an die Menschen verteilen. Dann hat jeder sein Grundeinkommen. ...
Frage: Wie hoch müsste das Grundeinkommen sein? Das ist wieder eine der Fragen, die die Gemeinschaft beantworten muss. Aber nehmen wir mal an, jeder Bürger in Deutschland hätte ein Grundeinkommen von 1500 Euro. Wenn dann alle sagten, prima, das reicht mir, und würden nur noch konsumieren, dann hätten wir, solange die Fischer-Wernersche Vollautomatisierung noch nicht erreicht ist, natürlich ein Problem. Aber davon müssen wir nicht ausgehen. Stattdessen wird es sehr viele Menschen geben, die sich sagen: Das Grundeinkommen ist mir gerade recht, aber ich habe noch eigene Ziele und Bedürfnisse – jetzt arbeite ich nicht mehr, weil ich muss, sondern weil ich will. Jetzt kann ich tun, was mir liegt, und muss nicht dort arbeiten, wo ich am meisten Geld verdiene. Jetzt kann ich dort arbeiten, wo man angemessen mit mir umgeht. Und wo Produkte erzeugt werden, mit denen ich mich identifizieren kann. Das wäre eine enorme Klimaveränderung im Sozialen.
Frage: Glauben Sie, dass in einer solchen Welt noch jemand Kassierer in einem Drogeriemarkt sein wollte? Aber sicher.
Frage: Warum? Weil es viele Menschen gibt, die das gern machen. Ich rede viel mit den Leuten bei uns, und dann frage ich, wie es so geht, wie die Familienverhältnisse sind – und da gibt es eine Menge Menschen, die arbeiten, obwohl sie es gar nicht nötig haben. Die arbeiten, weil sie unter Menschen sein wollen, weil sie im Netzwerk sein wollen, wie wir heute neudeutsch sagen.
Frage: Dennoch wird es Jobs geben, um die sich niemand reißt. Und die werden wir entweder hoch bezahlen müssen – oder wir erfinden Maschinen, die sie erledigen. Es wird auch keine hitzigen Debatten um Wochenendarbeit mehr geben: Wenn jemand sonntags arbeiten will, dann arbeitet er sonntags. Die Menschen werden befreit von der Notwendigkeit zu arbeiten. Denn wir brauchen kein Recht auf Arbeit und keine Pflicht zur Arbeit – wir brauchen einen freien Willen zur Arbeit.
Frage: Ist die schöne Utopie in irgendeiner Form finanzierbar? Wir erwirtschaften heute in Deutschland, in Europa schon so viel, dass alle überleben können. Schon heute werden alle Menschen mit Geld versorgt, entweder durch eigenes Einkommen, durch Vermögen oder durch Transferzahlungen. Das Geld ist nicht das Problem.


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