Alltagsalternativen

MACHT UND HERRSCHAFT

Formen der Macht


1. Definitionen ...
2. Merkmale von "Herrschaft"
3. Formen der Macht
4. Sind Macht, Ordnung, Kontrolle ... notwendig?
5. Zur Wirkung von Macht
6. Appelle & Glaube an das Gute in der Macht
7. Herrschaft und Herrschaftsfreiheit
8. Links

Direkte Unterdrückung

Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin (S. 23)
Wir sagen Menschen, die über kein für ihre Existenz ausreichendes Einkommen verfügen, was sie zum Leben benötigen; wir ermitteln das anhand von Warenkörben, in die wir seit Jahrzehnten Fürst-Pickler-Eis legen, weil das nicht im Preis steigt. Wir bestimmen, ob sie umziehen dürfen, wann ihre Waschmaschine kaputt ist und gegen wen sie klagen müssen. Wir erklären denen, die von anderswo flüchten, dass die Welt leider schon verteilt ist, zufällig zu unseren Gunsten. Wir sagen ihnen, was sie legitimerweise woanders aushalten müssen und welches materielle Lebensniveau dort für sie normal ist. Wenn wir sie bei der Deportation im Flugzeug umbringen, weil sie am Knebel ersticken, gilt das als nicht so schlimm. Sie waren ja keine von uns, sie wollten es erst werden. Wir erklären denen, die die Regeln unserer Gesellschaft für scheußlich halten, dass wir dann leider keinen Platz für sie im Leben haben. Viele nehmen das wörtlich. Verantwortlich fühlen wir uns dann nicht; wir denken darüber nach, wo sich schon früher Anzeichen für ihre Schwäche und Labilität gezeigt haben.

Indirekte Formen der Unterdrückung
Mit Codes, Titeln, Autorität usw. kann Macht ausgeübt werden - Polizeiknüppel, elterliche Gewaltmonopole und vergitterte Fenster sind in vielen Fällen gar nicht nötig. Menschen reproduzieren von sich aus unterwürfiges Verhalten.


Integration von Protest
Aus Wilk, Michael (1999): "Macht, Herrschaft, Emanzipation", Trotzdem Verlag in Grafenau
Die Fähigkeit, Irritationen innerhalb des Systems zuzulassen und durch Reintegration produktiv zu nutzen, ist Wesens merkmal moderner Herrschaftsstruktur. Ein gewisser Grad an Abweichung ist nicht störend sondern sogar gewünscht. ... (S .26)
Das System geht gleichsam gestärkt aus der Auseinandersetzung hervor - bereichert um die ihm nützlichen Inhalte der Protestbewertung und auch bereichert um die integrationsfähigen Menschen, deren bewiesenermaßen kreativeres Potential in die gemeinsame "Wir-Ebene" der "Volksgemeinschaft" eingebracht und damit gewinnbringend vermarktet werden kann.
(S. 33) ...
Die Forderung nach Gleichstellung vormals ‚Minderprivilegierter', wirkt in diesem Sinne u.U. und fatalerweise ähnlich konservativ, wie die Demokratisierung gesellschaftlicher Teilbereiche, die zum besseren Funktionieren des gesamten Herrschaftsgefüges beitragen. Es kommt nur darauf an, daß der am Rande oder am Boden befindliche Einzelne bzw. Gruppen sich zur herrschenden gesellschaftlichen Decke strecken: ...
(S. 36)
Unbeweglichkeit und Starrheit haben sich gegenüber flexiblem Umgang mit Irritationen, als die untauglicheren Mittel erwiesen. Es gilt somit, nicht nur den Fortbestand der Ordnung zu garantieren, sondern auch die kreative Potenz der Abweichung für sich zu sichern.
(S. 51)

Wichtiger Mechanismus des modernen Machterhalts: Abhängigkeiten schaffen
Aus Wilk, Michael (1999): "Macht, Herrschaft, Emanzipation", Trotzdem Verlag in Grafenau (S. 53)
Ein System, das Bedürfnisse weckt und gleichzeitig den Individuen die Ressourcen und Macht in die Hand gibt, in scheinbar freier Selbstbestimmung zur Befriedigung, dieser Bedürfnisse agieren zu können, bindet nicht nur den betreffenden Menschen ein, sondern verleiht ihm/ihr überdies noch das Gefühl selbstbestimmten Handelns und Denkens. ("Jeder ist seines Glückes Schmied“)

Marianne Gronemeyer, zitiert nach: Wilk, Michael (1999): "Macht, Herrschaft, Emanzipation", Trotzdem Verlag in Grafenau (S. 22)
Die Macht hat sich modernisiert in unseren Breiten. Sie hat ihre Plumpheit, Dreistigkeit, Rohheit, das Barbarische abgelegt. Eine Macht, die sich terroristisch gebärdet, mit Gewalt herumfuchtelt, trägt den Makel, hoffnungslos altmodisch zu sein, nicht auf dem laufenden, nicht up to date. Auch hier gibt es ein Nord-Süd-Gefälle. Elegante Machtausübung ist ein Privileg der "Ersten Welt“, Diktatur, Tyrannei, grelle Ausbeutung, die schäbigen Gestalten der Macht, bleiben den armen Ländern vorbehalten.


Verschleierung der Macht

Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin (S. 35f.)
Wir sind Opfer der "Matrix", der Welt, die uns über die Augen gezogen wird: der Selbstinszenierung einer demokratischen Gesellschaft, die von sich behauptet, dass sie gegen die klassischen Urbilder kämpft und dass sie selbst nicht herrschaftsförmig ist. Dieses virtuelle Welt macht uns blind gegenüber der Realität: dass wir Sklaven sind. Verfügbar. Regeln und Kontrollen unterworfen, denen wir uns nicht entziehen und über die wir nicht bestimmen können. Den ganzen Tag, mit all unseren Empfindungen und Fähigkeiten; bis ans Ende unserer Tage und bis in die siebte Generation. Sehen können wir das, wenn wir die oben genannte Definition von Herrschaft anwenden. Fast alles ist erzwungene Kooperation. Auf die Frage "Was ist die Matrix?" lautet die Antwort: Die Matrix ist die Inszenierung des Sozialen, aus der die Idee der freien Kooperation vollständig ausgetrieben ist. Dadurch bewirkt sie, dass wir die Stäbe unseres Gefängnisses weder riechen, noch schmecken, noch berühren können. Wir nehmen unser Gefängnis überall hin mit, wohin wir auch gehen, in jedes konkrete Verhältnis. Und das Ausmaß, in dem wir in Wirklichkeit versklavt sind, ist weit totaler als das jeder antiken oder bürgerlichen Sklavenhaltergesellschaft vor uns.

Aus: Michael Wilk, 1999: Macht, Herrschaft, Emanzipation, trotzdem-Verlag (S. 8)
Emanzipatives Bestreben sieht sich mit einem Staatssystem konfrontiert, das Integration und Einbeziehung von Widerstand zu einem wesentlichen Herrschaftsmechanismus verfeinert hat.

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