Alltagsalternativen

FIESE TRICKS VON POLIZEI UND JUSTIZ

Der 14.5.2006 im Zeitplan


1. Einleitung
2. Vorspiele zum 14.5.2006
3. Der 14.5.2006: Unheimliche Begegung der Polizeiart
4. Der 14.5.2006 im Zeitplan
5. Das Federballspiel unter High-Tech-Überwachung
6. Festnahme gelungen, doch die Straftat fehlt ... Polizei als ErfinderInnen
7. Beihilfe zu Freiheitsberaubung und falsche Verdächtigung: Der Antrag der Polizei
8. Freiheitsberaubung in Robe: Amtsrichter Gotthardt und sein Beschluss
9. 5 Tage inhaftiert
10. Presse-Berichte
11. Erfinden, verschweigen, einsperren: 14.-18. Mai 2006
12. Sofortige Beschwerde und Beschluss des Landgericht
13. Mehr Merkwürdigkeiten
14. Beschwerde vor dem OLG und Stellungnahme der Polizei
15. OLG geißelt alle Beschlüsse als rechtswidrig
16. Das OLG zum 14.5.2006: Nazimethoden!
17. Der abschließende Beschluss und das Nachspiel
18. Sich beschweren
19. Anzeigen der Betroffenen, doch außer Vertuschung folgte nichts
20. Einzel-Aspekte beleuchtet
21. Nachwehen ... und Nachbeben
22. Infos, Links und mehr
23. Update (zum Buch "Tatort Gutfleischstraße")

Fast alle Angaben zu Zeiten und Abläufen stammen aus den bisher ausgewerteten Akten bei Gerichten und Polizei (vermerkt sind Aktenzeichen und Blattnummer) und aus der Presse (mit Quellenangabe). Nur wenige weitere Informationen, die in der Zeittafel enthalten sind, sind AugenzeugInnenangaben der Betroffenen. Sie sind eingefügt, wo es zum Verständnis des Gesamtablaufes unerlässlich war, weil andere Informationsquellen (noch) nicht vorliegen.
Die unterschiedliche Schreibweise des Altenfeldswegs, in der Innenminister Bouffier wohnt, ist auf Fehler in den Polizeiakten zurückzuführen, die bei wörtlichen Zitierungen beibehalten wurden.

Die Tage bis zum 14.5.2006
3.5.2006, 19.00 Uhr bis 4.5.2006, 2.15 Uhr
Attacke auf die Anwaltskanzlei der Innenminister Bouffier und Dr. Gasser in der Nordanlage 37, Gießen: Fassaden werden besprüht, Löcher gebohrt und Stinkflüssigkeit in der Kanzlei verteilt. „Der geschätzte Schaden beträgt 25.000 €“ (1, Bl. 143 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen; 1, Bl. 146 = Beschluss Gotthardt vom 15.5.2006).

4.5.2006, tagsüber
4 BeamtInnen des Landeskriminalamtes besuchen die Projektwerkstatt. Nach ihrer Aussage sind sie direkt vom Innenminister Volker Bouffier gesandt. Einen Grund dafür können sie nicht nennen, sondern formulieren selbst eindeutig, dass es keinerlei TäterInnenhinweise gibt, sondern der Innenminister nach politischen Erwägungen handelte.

8.5.2006, 0.45 Uhr
Weitere Attacke auf dieselbe Anwaltskanzlei: Farbbeutelwürfe gegen Fassade, Steinwürfe gegen Fenster (1, Bl. 143 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen; 1, Bl. 146 = Beschluss Gotthardt vom 15.5.2006)

10.5.2006
Die Staatsanwaltschaft organisiert in Panik den Haftantritt des zu 8 Monaten Haft (www.projektwerkstatt.de/prozess) verurteilten Jörg B. Bereits um 9.18 Uhr wirft ein Kurier der Staatsanwaltschaft die Ladung zum Haftantritt an der Meldeadresse des Betroffenen ein. Offenbar will die Staatsanwaltschaft keine Zeit verlieren, den unbequemen Polizei- und Justizkritiker aus dem Verkehr zu ziehen. Dafür ist selbst der Postweg zu lang (Quelle: Ladung vom 10.5.2006 mit Zustellungsurkunde vom 10.5.2006)
Ab diesem Tag werden in der Nähe der Projektwerkstatt die Fahrzeuge bewusst wahrgenommen, die sich später als Überwachungswagen des Mobilen Einsatzkommandos herausstellen (Quelle: AugenzeugInnen). Verbunden damit ist die Vorbereitung einer umfangreichen Polizeioperation, die dann am 14.5.2006 ausgelöst wird, deren Hintergrund aber erst am 31.8.2006 aufgelöst wird. Bis dahin werden die Abläufe von Polizei und Gerichten systematisch vertuscht. Der Einsatz des MEK wird am 17.5.2006 nach Recherchen der Frankfurter Rundschau öffentlich (FR, 17.5.2006, S. 23). Einen Tag später enttarnen Aktivisten die High-Tech-Polizei.

11.5.2006, 12.30 Uhr
Die Führung des Staatsschutzes Gießen, sein Leiter Mann und Mitarbeiter Broers, besuchen die Projektwerkstatt, um die dort aktiven Menschen und insbesondere den zum Haftantritt geladenen Jörg B. davor zu warnen, Straftaten zu begehen. Der Gesuchte wird allerdings nicht angetroffen (1, Bl. 141 = Protokollierung durch KHK Mann).

Die Nacht auf den 14.5.2006
Eine riesige Polizeifalle wird aufgebaut und schnappt zu. Sie fängt: Vier Menschen, die Federball spielen ...


Die Polizei weist alle Einheiten an, nur per Handy zu kommunizieren (abhörsicher) und jeden Kontakt zu den Zielpersonen zu vermeiden (damit diese sich in Sicherheit wiegen).

Noch 13.5.2006, ab 19 Uhr
Objektschutzstreife „Bouffier“ steht vor der Wohnung des Innenministers (1, Bl. 20 = Vermerk PK Rosnau). Zwei Streifen wechseln sich dabei halbstündlich ab: Eine Streife in zivil der Bereitschaftspolizei Mühlheim und eine Streife der Polizei Gießen-Süd.
Objektschutzstreife „Gericht“ observiert ab dem gleichen Zeitpunkt die Justizgebäude und Kanzlei von Bouffier/Dr. Gasser (1, Bl. 23 = Vermerk PK z.A. Launhardt).

14.5.2006, 1.00 Uhr
5 Personen fahren mit Fahrrädern in Richtung Gießen, darunter auch Jörg B. Die Fahrradtour sei ohne Grund erfolgt, weil zu diesem Zeitpunkt schon alle Kneipen und Geschäfte geschlossen hätten (1, Bl. 144 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen).

Anschließend
Teilung der Gruppe in Gießen (1, Bl. 144 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen)

1:10 Uhr
Jörg B. und weitere Personen werden in Gießen beobachtet (1, Bl. 23 = Vermerk PK z.A. Launhardt).

Ähnliche Zeit
„Im Rahmen der Streife wurden mehrere Personen entdeckt, bei denen es sich um die betreffende Personengruppe handeln könnte. Eine Meldung an die EZ erfolgt umgehend, woraufhin die EZ anordnete, dass hiesige Streife sich unverzüglich aus diesem Bereich zu entfernen habe“ (1, Bl. 34 = Vermerk PK Kaiser)

1.26 Uhr
„Um 01.26 Uhr wurde der Station durch die EZ mitgeteilt, dass sich Mitglieder der Projektwerkstatt Saasen in Gießen aufhalten würden, diese aber durch Observationskräfte verloren wurden. Daraufhin wurde eine stille Fahndung nach den Personen veranlaßt“ (1, Bl. 59 = Bericht POK Ambrosius, Dienstgruppenleiter in der Polizeistation Nord)

Verschiedene Zeiten
„Im Laufe der Abend- und Nachtzeit wurde mehrfach über Funk bekannt, dass sich mehrere Mitglieder der „Projektwerkstatt Saasen“ mit Fahrrädern im Gießener Innenstadt-Bereich bewegen. Die Personen konnten an verschiedenen Örtlichkeiten in der Stadt beobachtet werden. (U.a. wurde bekannt , dass die Personen im Bereich des Landgerichtes Gießen durch Federball spielen und Springseil hüpfen auffällig wurden)“. (1, Bl. 50 = Vermerk PK Heuel).

Die „heiße Phase“ an den Justizgebäuden
Ab ca. 1.30 Uhr
Badminton-Spiel zwischen Amtsgericht/Gebäude B und Staatsanwaltschft Gießen. Ziviles Observationsfahrzeug (silbermetallic, Münchener Kennzeichen, vermutlich Mobiles Einsatzkommando) wird auf dem Gelände abgestellt. Zweimal kommen Streifenwagen, aber halten sich im Hintergrund (AugenzeugInnenbericht der FederballspielerInnen)

1:42 Uhr
Objektschutzstreife „Justizkomplex“ beobachtet zwei Personen auf dem Gerichtsgelände und wird daraufhin von der Einsatzzentrale weggeschickt. Fünf Minuten später hat sich das MEK auf dem Gerichtsgelände aufgebaut.

Ca. 1.47 Uhr
Das Mobile Einsatzkommando hat sich auf dem Justizgelände aufgebaut. Ab diesem Zeitpunkt ist die Federballgruppe und damit auch Jörg B. vollständig observiert. „Nachdem der Nahbereich durch zivile Kräfte abgedeckt war, verließen wir unseren Standort, um weitere Objekte nach eventuellen Personen abzusuchen. Die Dauer unserer Aufstellung am Parkplatz Ringallee betrug ca. 5 Minuten“ (1, Bl. 80 = Vermerk VA Hentschel)

Anschließend
Weiter Federballspielen an verschiedenen Orten des offen zugänglichen Justizgeländes. Der zweite ist am Hinterausgang des Amtsgerichts, Gebäude A. Ein Federball landet auf dem Vordach des Amtsgerichts und muss dort zurückgelassen werden. Anschließend geht es weiter zum Eingang der JVA. Ein Wachtmeister sitzt in der Pförtnerloge und holt dann zwei weitere WachtmeisterInnen dazu. Unterhaltung mit den FederballspielerInnen z.T. über Sprechanlage. Am Schluss gehen die SpielerInnen vor das Landgericht.

2.28 Uhr
„Im Rahmen unserer Streifentätigkeit im Bereich des Justizkomplexes bemerkten wir gegen 02:28 Uhr im Vorbeifahren, dass sich vor dem Eingang zum Landgericht drei Personen aufhielten und dort Federball über ein rot-weißes Absperrband spielten (1, Bl. 23 = Vermerk PK z.A. Launhardt). Zeitangabe bei anderem Vermerk der gleichen Streife: 2.30 Uhr (1, Bl. 25 = Vermerk POK Röder, auch POK Hahn dabei).

2:45 Uhr
Objektschutzstreife „Justizkomplex“ trifft wieder auf die FederballspielerInnen. „Als wir in Höhe der Personen waren, bemerkten wir, dass sich unter den Dreien augenscheinlich auch der BERGSTEDT befand. Ich meldete umgehend über Funk an die Einsatzzentrale, dass sich offensichtlich der BERGSTEDT zusammen mit zwei weiteren Personen an der Gutfleischstraße befinde und in Richtung Ringallee unterwegs sei. Dies war gegen 02:47 Uhr“ (1, Bl. 23 = Vermerk PK z.A. Launhardt).
Anmerkung: 2.45 Uhr ist die Zeit, in der die Farbschmierereien im Altenfeldsweg stattfanden. Die Polizei wusste also, dass die FederballspielerInnen, darunter auch Jörg B., dafür nicht in Frage kamen, denn die Objektschutzstreife gab, wie sie vermerkt, ihre Beobachtungen an die Einsatzzentrale durch. Auch die Anbohrung der Tür an der CDU-Zentrale ist nicht möglich, denn offensichtlich befanden sich die FederballspielerInnen um 2.28 Uhr und um 2.45 Uhr auf dem Justizgelände. Schon zeitlich ist gar nicht möglich, in den von der einen Objektschutzstreife unbeobachteten 17 Minuten zum Spenerweg zu gelangen, dort eine Aktion auszuführen und wieder zurückzukehren. Außerdem fehlen in der Akte weiter die Observationsergebnisse des MEK, die zusätzlich bestätigen würden, dass die FederballspielerInnen den Ort nicht verlassen haben.
Die SpielerInnen haben vier Schläger dabei (1, Bl. 100 = Sicherstellungsliste).


Zwei der bis hier zitierten Vermerke (alle weiteren Auszüge im Buch "Tatort Gutfleischstraße")

Polizeilügen: Gleichzeitig vor der CDU-Geschäftsstelle ...
1.46 Uhr
Objektschutzstreife „CDU“ sichtet Einzelperson in der Nähe der CDU-Geschäftsstelle. Eine Polizeibeamtin glaubt, Jörg B. erkannt zu haben, ist sich aber nicht sicher (1, Bl. 16 = Vermerk von POK Kelbch). Genauere Angaben: „Auf der Anfahrt aus der Jefferson Street in Richtung der CDU-Geschäftsstelle wurde an der Ecke Trieb/Spennerweg durch Uz. und PK Franz eine männliche Person festgestellt. Diese war in Richtung Philosophenwald bzw. Richtung Trieb in normaler Gangart unterwegs“. Zudem wird die Person beschrieben als „ca. 180cm groß“. Daraus schlussfolgert die Verfasserin dieses Vermerks: „Aufgrund von bereits vorhandenen Bildern von Tatverdächtigen, ist Uz. der Meinung, dass es sich bei dieser Person um Herrn Bergstedt selbst gehandelt haben könnte.“ (1, Bl. 18, Vermerk PK'in Lerner). Anzumerken ist: Die Person bewegte sich offenbar weg von der CDU-Geschäftsstelle, war allein. Jörg B. ist 192 cm groß – ein deutlicher Unterschied. Außerdem wird er zu diesem Zeitpunkt an einer ganz anderen Stelle observiert.
Operative Einheiten oder das MEK schicken die Objektschutzstreife weg und observieren fortan selbst die CDU-Geschäftsstelle (Bl. 18 = Vermerk PKin Lerner).

2.13 Uhr
Objektschutzstreife beobachtet Jörg B. im Bereich Spener Weg. Das steht allerdings nur im Antrag auf Unterbindungsgewahrsam, der Stunden später in der Polizeizentrale entsteht. Es gibt jedoch keine Quellenangabe und auch keinen Beleg in den Akten dazu. Die einzig vorhandene, erkennbar irrtümliche Vermutung der Streife bezieht sich auf den Zeitpunkt 1.46 Uhr (siehe oben). Sie wäre dann zwecks politisch motivierter Verfolgung erstens zeitlich verschoben und zu einer Tatsachenbehauptung umgedeutet - zudem zu einem Zeitpunkt, als die Polizei längst weiß, dass alles nicht stimmt. (1, Bl. 144 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen).
In einer späteren Stellungnahme der Polizei Mittelhessen (vom 16.8.2006) heißt es denn auch nur noch, "gegen 2.13 Uhr meldete eine Objektschutzstreife" die Beobachtung. Wann diese erfolgte, steht dort nicht mehr.

2.27 Uhr
Eine Anwohnerin im Bereich der CDU-Geschäftsstelle meldet der Polizei zwei dunkel gekleidete Personen in der Nähe der CDU-Geschäftsstelle und verdächtige Geräusche (1, Bl. 144 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen).

2.35 Uhr
Die gleiche Zeugin wie 2.27 Uhr meldet sich wieder bei der Polizei und erwähnt Bohrgeräusche. Zwei männliche Personen hätten sich entfernt (1, Bl. 10 = Vermerk KOK Haas). Anschließende Feststellung: 5 mm großes Loch in Tür der CDU-Geschäftstelle gebohrt (1, Bl. 144 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen).

2.37 Uhr
Anbohrung einer Tür der CDU-Geschäftsstelle im Spener Weg 8 durch Jörg B. (1, Bl. 146 = Beschluss des Amtsrichters Gotthardt). Es stellt sich aber die Frage, wie die Anbohrung ohne eine Festnahme erfolgt sein soll, wenn doch ab 1.46 Uhr das Objekt verdeckt observiert wird.

2.50 Uhr
Objektschutzstreife „CDU“ trifft an der CDU-Geschäftsstelle ein und stellt fest, dass in die Eingangstür ein Loch gebohrt werden sollte. Sie sucht die Umgebung ab. Kriminalpolizei trifft vor Ort ein (1, Bl. 17). Von der Beschädigung der Tür der CDU-Geschäftsstelle sind bislang keine Fotos oder Spurensicherungen in den Akten. Angesichts der Überwachung des Gebäudes mit dem Ziel einer Festnahme auf frischer Tat ist auch deshalb fraglich, ob diese vermeintliche Tat nicht komplett erfunden ist.
Gespräch mit der Zeugin/Anwohnerin: Will drei Personen gesehen haben, darunter eine schlanke Person 1,80m groß, eine weitere kräftigere und eine Frau (1, Bl. 17+18, Vermerke POK Klebch und PK'in Lerner). Das passt überhaupt nicht zu den sonstigen Vermerken über die Angaben der Zeugin, und auch weder zur Person Jörg B. .oder anderen Verhafteten der Nacht.

3.05 Uhr
Telefonische Rücksprache der Polizei mit der Zeugin/Anwohnerin nahe der CDU-Geschäftsstelle: Sie will drei Personen wahrgenommen haben, darunter zwei Männer und eine Frau (1, Bl. 9 = Vermerk POK Schust). Dazu ist anzumerken, dass das auffällig genau mit den später Verhafteten übereinstimmt. Allerdings können sie es nicht gewesen sein, wie auch die Polizei weiß, weil sie selbst diese beim Federballspiel observiert. Es stellt sich die Frage, ob hier absichtlich falsche Angaben enthalten sind, um die Festnahme nachträglich zu rechtfertigen.

3.34 Uhr
Objektschutzstreife an CDU-Geschäftsstelle beendet Untersuchung der Umgebung und fährt wieder Streife (1, Bl. 17+19).

Polizeilügen II: Gleichzeitig auch im Altenfeldsweg ...
1:30 Uhr
Objektschutzstreife „Bouffier“ wechselt. Eine Streife der Polizei Gießen-Süd nimmt den Platz vor der Wohnung des Innenministers Bouffier im Altenfeldsweg 42 ein. Keine Farbschmierereien bis zu diesem Zeitpunkt (1, Bl. 20 = Vermerk PK Rosnau).

Bis 2.38 Uhr
Objektschutzstreife „Bouffier“ vor dem Haus des Innenministers Bouffier kontrolliert die Straße kontinuierlich. Somit können „die Sprühereien bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen“ werden (1, Bl. 15 = Vermerk POK Schust).

2.38 Uhr
Objektschutz wird von einer Streife der Bereitschaftspolizei Mühlheim übernommen und beginnt mit einer Fußstreife durch die nähere Umgebung (1, Bl. 15 = Vermerk POK Schust).

2.43 Uhr
Objektschutzstreife „Bouffier“ wieder am alten Standort, bemerkt blaue Farbschmierereien, u.a. an der Mauer zum Grundstück Altenfeldsweg 36. Einsatzzentrale löst später Fahndung aus (1, Bl. 15 = Vermerk POK Schust).

2.43 Uhr
Polizei findet bei Untersuchung der Umgebung Latexhandschuhe, Sprühdose und Schablone. Keine Personen bemerkt (1, Bl. 21 = Vermerk Pkin Kakuschka; ungenauer in 1, Bl. 20 = Vermerk PK Rosnau; 1, Bl. 144 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen).

2.40 Uhr
Gleicher Vorgang (Fußstreife) in anderem Vermerk, aber auf 2.40 Uhr angegeben und hinzugefügt, dass die Farbschmiererei bei der Fußstreife auffiel (1, Bl. 20 = Vermerk PK Rosnau).

2.45 Uhr
Besprühen eines Kanaldeckels im Bereich Altenfelsweg (1, Bl. 146 = Beschluss des Amtsrichters Gotthardt).

Die Zeiten bei CDU und Altensfeldsweg überschneiden sich. Laut Antrag des Staatsschutzes und Beschluss des Richters soll Jörg B. beide Taten gleichzeitig begangen haben. Das ginge schon nicht. Tatsächlich wurde er von der Poliziei an einem dritten Ort ständig beobachtet.

Zwischenspiele
Etwa 2.30 Uhr
Funkdurchsage der EZ „diverse Sachbeschädigungen an Objekten gemeldet“ (1, Bl. 34 = Vermerk PK Kaiser).

Etwa 3.00 Uhr
Beginn der Fahndung nach der RadlerInnengruppe (1, Bl. 34 = Vermerk PK Kaiser).

4.01 Uhr
Jörg B. mit vier anderen Personen mit Fahrrädern und Bollerwagen auf Radweg von Trohe in Richtung Großen-Buseck. Zwei Personen seien geflüchtet (1, Bl. 144 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen).

Die Festnahme in Reiskirchen
4.20 Uhr
Funkdurchsage an beteiligte Polizeifahrzeuge, dass RadlerInnengruppe bei Großen-Buseck fährt. Der Objektschutz wird daraufhin abgebrochen (!) und alle beteiligten Kräfte zur Festnahme angefordert (1, Bl. 17+19).

4.25 Uhr
Festnahme einer Person in Reiskirchen. „Vor dem Haus Grünberger Str. 8 wurde vom Unterzeichner der Funkwagen quer auf den Gehweg gefahren, beim Ausweichversuch stieß der N. mit seinem Fahrrad gegen die Beifahrertür des Fzg. ohne dabei zu Fall zu kommen“ (1, Bl. 71 = Vermerk POK Peusch)

4.30 Uhr
Vorläufige Festnahme von Personen in Reiskirchen
Zusammenkrachende Polizeiwagen: „Hierbei verselbständigte sich beim Verlassen des Fzg. der Pst. Gießen Süd deren Funkstreifenwagen und rollte an dem Bergstedt vorbei. Dieser hüpfte mit seinem Fahrrad ein minimales Stück zur Seite, obwohl zu keiner Zeit die Gefahr bestand, dass er von dem führerlosen Streifenwagen hätte überrollt werden können. Das Fzg. der Pst. Gießen Süd prallte dann gegen unseren Funkstreifenwagen und wurde so gestoppt“ (1, Bl. 26+27 = Vermerk der Pkin Jakobeit). „Als wir den Streifenwagen verlassen hatten, rollte dieser plötzlich weiter. Er stieß frontal wenige Meter entfernt mit dem o.g. Streifenwagen der Polizeistation Gießen Nord zusammen, der die Personengruppe verfolgt hatte. An beiden Streifenwagen entstand Sachschaden, verletzt wurde niemand“ (1, Bl. 54 = Vermerk von POK Goltsche, Beifahrer). „Als wir der Gruppierung näher kamen und selbige uns bemerkte, beschleunigte der erste Radfahrer sein Tempo in erheblicher Weise. Ich hielt mit dem Streifenwagen rechts seitlich vor dieser Person an. Ich schaltete den Automatikhebel auf N und zog die Handbremse an. Anschließend sprang ich aus dem stehenden Funkwagen und sprach den ersten Radfahrer an, dass er anhalten soll. Dieser Aufforderung kam er widerwillig nach. ... (es folgen: Schilderungen von Festnahmen und Durchsuchungen) ... Nun bemerkte ich, dass „unser“ Funkwagen nicht mehr an selbiger Stelle stand. Pkin Jakobeit teilte mir mit, das sich „unser“ Funkwagen verselbständigt hatte und auf den gegenüberstehenden Streifenwagen der Pst. Gießen Nord gerollt sei. So ist er dann zum Stehen gekommen. Wahrscheinlich ist der Automatikhebel nichtrichtig in N eingerastet oder die Handbremse war nicht fest genug angezogen. (Dienstunfallanzeige wurde gefertigt)“ (1, Bl. 56 = Vermerk von PK Freitag, Fahrer). Anmerkung: Der Bericht des unfallverursachenden Fahrers ist schon ein Kunststück an Absurdität – kein Normalsterblicher hätte nach einem Unfall mit so einem offensichtlichen Geschwindel eine Chance. Er will vor der Person angehalten haben – aber dann wäre der Wagen gegen diese gefahren. Dass der Fahrer den Unfall nicht mitbekommen hat, passt wohl eher zu der Beschreibung, dass er sich aus dem fahrenden Auto auf einen Radler gestürzt hatte. Wäre er so ruhig vorgegangen, wie er selbst herbeiphantasiert, hätte er das Bewegen des Autos und den Aufprall wohl mitbekommen. Außerdem behauptet er, die RadlerInnen hätten die Autos erst bemerkt, als sie diese passierten. Da es dunkel war und insgesamt ca. 7 Fahrzeuge mit teilweise aufgeblendetem Licht auf einem schmalen, aber geraden Feldweg den RadlerInnen entgegenkamen, zudem noch ein Polizeiwagen voraus fuhr und hinter den RadlerInnen wendete, ist die Annahme absurd.
Die Dimension des Polizeieinsatzes irritierte offenbar auch die beteiligten Beamten. Sie wurden „trotz hoher Auftragslage“ zur Festnahme zitiert (1, Bl. 55). Als Frage stellt sich noch, ob die Objektschutzstreife, die das Federballspiel beobachtet hat, von der späteren Festnahme und dem vorgeschobenen Tatverdacht erfahren hat, denn sie würde sofort erkannt haben, dass alles erlogen war. Wenn sie es erfahren hat, was hat sie dann getan? Geschwiegen zu den offensichtlich politisch motivierten Aktionen ihrer Führung?

5.20 Uhr
Alkoholtest bei den Festgenommenen im Polizeigewahrsam in Gießen. Ergebnis: 0,0. Die MitarbeiterInnen in den zuständigen Kommissariaten werden informiert (Staatsschutz, Erkennungsdienst) und erscheinen nacheinander auf ihren Dienststellen, um die weiteren Aktivitäten zu leiten und durchzuführen (1, Bl. 13).

Der 14.5. tagsüber
7.48 Uhr
Bereitschaftsstaatsanwältin Fleischer ordnet eine Hausdurchsuchung an. Als alleiniges Ziel gibt sie an, „die Ausschnitte der bei den Tatorten im Altenfelsweg verwandten Sprühschablone aufzufinden“ (1, Bl. 120 = Verfügung der Staatsanwältin; aber auch 1, Bl. 117 = Gesprächsnotiz der Staatsschutzbeamtin Cofsky). Diese Beschränkung der Hausdurchsuchung war der Polizei also bekannt. Die Staatsanwältin notiert, dass die sonst übliche Beantragung einer richterlichen Anordnung nicht vorgenommen wird, weil sonst der Durchsuchungszweck gefährdet würde. Eine Begründung dafür gibt sie allerdings nicht an. Ihrem Vermerk ist zudem zu entnehmen, dass sie von der Polizei belogen wurde. Die Polizei behauptet wider besseren Wissens, dass Jörg B. verdächtigt sei, die Sachbeschädigungen an CDU-Zentrale und im Altenfeldsweg begangen zu haben – obwohl diese erstens zeitgleich geschahen und zweitens die Polizei genau wusste, wo sich Jörg B. zu der Zeit aufhielt. Die Verfügung zur Durchsuchung enthält keine präzisen Angaben bezüglich der zu durchsuchenden Räume (1, Bl. 118 = Verfügung der Staatsanwältin).

10.15 Uhr
Hausdurchsuchung der Projektwerkstatt. Die Polizei trifft dort auf weitere Personen, die auf Fragen, wo sie letzte Nacht gewesen sind, keine Antwort gaben (1, Bl. 123 = Durchsuchungsbericht KOK Broers). Die Personen werden weder durchsucht noch ihre Kleidung sichergestellt. Das ist insofern von Bedeutung, dass die Polizei ja behauptet, dass bei der Festnahme eine Person geflüchtet sein soll. Zwar deuten schon einige andere Rahmendaten darauf hin, dass das nicht stimmt (z.B. 4 Federballschläger für 4 Personen, zusammen in einer Tasche). Wenn jedoch die Polizei den Eindruck gehabt hätte, dass eine Person geflüchtet sei, so wäre aus Polizeisicht zu erwarten gewesen, dass gegen Personen, die kurz danach in der Projektwerkstatt aufgefunden werden, ein besonderer Tatverdacht angenommen wird. Das Verhalten der Polizei legt so aber eher nahe, dass sie die fünfte Person erfunden hat, um die Fluchtgefahr zu konstruieren, die als Grund der Festnahme benannt wird. Die Polizei hält sich zudem nicht an die Durchsuchungsanordnung der Staatsanwältin: „Im Wohnhaus in der dortigen Küche auf dem Tisch werden durch KHK Mann diverse Schriftlichkeiten aufgefunden und sichergestellt. Hierbei handelt es sich um Aufrufe gegen das Genversuchsfeld der Gießener Uni mit einem entsprechenden Aufruf und einer Ortsbeschreibung zu einer „Feldbefreiung“. Weiterhin wurde ein sogenannter „Direct Action Kalender 2006“ gefunden. Bei einer Sichtung wurden div. schriftliche Eintragungen festgestellt. Daneben wurden handgeschriebene Zettel aufgefunden, die sich mit der bevorstehenden Inhaftierung des Jörg Bergstedt in die JVA beschäftigen.“ (1, Bl. 123). Mit dem Kalender, der offensichtlich persönliche Eintragungen enthielt, wurden auch Adressenlisten von der Polizei mitgenommen – diese wurden auch nie wieder herausgegeben. Vom Durchsuchungsauftrag ist das Schnüffeln in privaten Unterlagen und deren Sicherstellung nicht erfasst gewesen.

11.30 Uhr
LKA-Beamte werten die Aufzeichnungen der Überwachungskameras an der Kanzlei Bouffiers aus (1, Bl. 126)

Mittagszeit
Erkennungsdienstliche Behandlung aller Verhafteten im Polizeipräsidium Mittelhessen. Drei der vier werden danach freigelassen.

15.25 Uhr
Beginn der Anhörung mit der vierten, noch inhaftierten Person beim Amtsrichter Gotthardt. Die Polizei legt einen Antrag auf mehrtägigen Unterbindungsgewahrsam vor und behauptet, der Betroffene Jörg B. werde verdächtigt, die Sachbeschädigungen am 3./4.5., 8.5. und alle vom 14.5. begangen zu haben (1, Bl. 142 = Antrag auf Gewahrsam der Polizei Mittelhessen, unterzeichnet vom Staatsschutzchef Mann, überbracht von den Staatsschutzbeamten Lutz und Broers). Der Richter wird angewiesen, dem Betroffenen nichts von der Observierung zu sagen. Der Betroffene äußert gegenüber dem Richter, dass er observiert wurde und wird vom Richter belehrt, dass das nicht sein könne („Nehmen Sie sich nicht so wichtig“). Das sagt der Richter, obwohl er schon weiß, dass die Observation stattgefunden hat. Richter Gotthardt notiert die Verhaltensanweisung der Polizei in den Gerichtsakten (2, Bl. 3 = Handschriftliche Notiz von Richter Gotthardt „Nicht sagen!“ auf dem Antrag der Polizei mit dem Hinweis auf die Observation).

18 Uhr
Ende der Anhörung, nachdem Richter Gotthardt über eine Stunde brauchte, um seinen Beschluss mit einem der Staatsschutzbeamten zusammen abzufassen (der Betroffene musste auf dem Flur warten). Nach der Verkündung des Beschlusses legt der Betroffene sofortige Beschwerde ein. Eine Begründung lässt der Richter nicht zu. Auf Anfrage reicht er ihm Stift und Papier, damit die Begründung im Knast verfasst und nachgereicht werden kann.
Übersicht über die Behauptungen, warum Jörg B. tatverdächtig ist (1, Bl. 142 ff. = Antrag auf Unterbindungsgewahrsam und 1, Bl. 146 f. = Beschluss von Amtsrichter Gotthardt):
- Diktion der aufgesprühten Farbschmierereien (keine näheren Ausführungen, was gemeint ist)
- Tatausführung insgesamt (keine näheren Ausführungen, was gemeint ist)
- Motiv: Verärgerung über Haftantritt am 18.05.2006
- Unsachliche Kritik an Innenminister Bouffier (keine näheren Ausführungen, was unsachlich gewesen sei und warum das einen Tatverdacht für den 14.5.2006 erzeugt)
- Einstellung von Kritik an Sicherheitspolitik und Bouffier auf Homepage „Projektwerkstatt Saasen" (eine Anfrage, wer DomaininhaberIn ist, wurde allerdings nie gestellt)
- Thematisierung der Sachbeschädigungen vom 4.05.2006 an der Kanzlei von Bouffier im Internet
- Kritischer Artikel über den Innenminister von Thüringen, Dr. Gasser (keine näheren Ausführungen, warum das Tatverdacht erzeugt)
- Frühere Sachbeschädigungen im Vorfeld von Gerichtsverhandlungen: 19.6.2003, 2.7.2003, 23.8.2003, 3.12.2003 und 15.12.2003 (keine näheren Ausführungen, worin der Bezug liegt, denn es stand diesmal keine Gerichtsverhandlung an)
- Geständnis, am 14.05.2006 in Gießen gewesen zu sein (was ja bewiesen ist und der Polizei auch bekannt durch die Observation – allerdings enthielt das Geständnis auch Angaben, wo der Betroffene war, nämlich woanders in Gießen)

18.10 Uhr
Der Betroffene wird in die JVA Gießen eingeliefert und zunächst in einer Eingangszelle untergebracht. Stift und Papier werden ihm dort beim „Einchecken“ abgenommen. Die Beschwerdebegründung kann damit nicht mehr erfolgen. Richter Gotthardt fertigt ein Protokoll. In diesem verschweigt er das Hauptthema der Anhörung: Die Observation. Stattdessen erfindet er einen Befangenheitsantrag und eine Beleidigung gegenüber dem Richter.

Den ganzen Tag über
Viele der eingesetzten PolizeibeamtInnen fertigen Protokolle ihres Einsatzes. Daraus ist erkennbar, wie der Einsatzplan lief. Mehrere Vermerke zeigen, dass der Plan nicht allen beteiligten Einsatzkräften bekannt war. Etliche wunderten sich über die Anweisungen.

Die Konstruktion eines Tatverdachtes
AV GCE
Klar erkennbarer Schriftzug z.B. auf Foto der Folie (1, Bl. 42). Dennoch wird er als „politisch motivierte Sachbeschädigung“ umgedeutet.

Lüge über Aufenthaltsort
„Der o.g. Bergstedt steht in dringendem Tatverdacht am 14.5.06 Sachbeschädigungen bei der CDU-Zentrale 35394 Gießen, Spenerweg 8 begangen zu haben. (1, Bl. 51 = Festnahme/Gewahrsams-Formular)
KOK Haas: Behauptet, dass die in der Nacht Festgenommenen verdächtigt seinen, an der CDU-Geschäftsstelle gewesen zu sein (1, Bl. 8).
KOK Haas: Spricht nur von Sprühereien im Bereich Altenfeldsweg, sonst keine weiteren benannt. (1, Bl. 12)

Fehlender Grund für Radfahrt
Die Polizei stellt die Behauptung auf, es gäbe keinen Grund für die Radtour (Antrag auf Gewahrsam). Tatsächlich wurde Federballspiel beobachtet, außerdem stellte die Polizei Lebensmittel in den Fahrradtaschen fest, die offensichtlich aus Abfallcontainern von Lebensmittelmärkten stammten. Der Polizei Gießen ist bekannt, dass etliche Aktivistinnen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt von solchen Lebensmitteln leben. Deshalb suchten Polizeifahrzeuge im Fahndungsverlauf gezielt Supermärkte mindestens in Alten Buseck und Gewerbegebiet Reiskirchen ab. (1, Bl. 57+86, Punkt 4 = Listen von Lebensmitteln in Fahrradtaschen).

Fluchtgefahr
Als Grund für die Festnahmen wird schließlich Fluchtgefahr behauptet, obwohl schon von der Fahrtrichtung auch der Polizei klar gewesen war, dass die observierten Personen schlicht Richtung Projektwerkstatt und damit für einige zu ihrem angemeldeten Wohnsitz unterwegs waren. Warum das als Fluchtgefahr gewertet wurde, ergibt sich aus keiner Unterlage (1, Bl. 68+99 = Festnahmeprotokolle)

15.5.2006
9.20 Uhr
Verlegung des Inhaftierten in die Einzelzelle Nr. 220 (Block II). Er erhält Stift und Papier zurück, jedoch keine Möglichkeit, die dann geschriebene Beschwerdebegründung zum nebenan liegenden Amtsgericht zu leiten.

10.45 Uhr
Ein Rechtsanwalt besucht den Inhaftierten. So kann eine Beschwerdebegründung doch zum Gericht gelangen. Das aber war reines Glück. Der Alltag des Justizvollzuges hätte den Rechtsweg versperrt.

12.30 Uhr
Es wird bemerkt, dass die Unterbringung in einer JVA ein Rechtsfehler ist. Jörg B. wird nun in den zentralen Polizeigewahrsam nach Frankfurt transportiert. Auf dem Einlieferungsschein steht plötzlich mit roter Schrift quer über das Titelblatt „Gewalttätig“. Wer das darauf notiert hat, ist unklar. In dieser Phase hatte nur die Gießener Polizei Zugang zu dem Zettel, der ursprünglich vom Richter Gotthardt ausgefüllt wurde. Der zusätzliche Auftrag, der in den Akten noch nicht enthalten ist (2, Bl. 10), kann daher nur von der Gießener Polizei stammen. Als Ziel kann vermutet werden, die Polizei in Frankfurt gegen den Betroffenen voreingenommen zu machen.

15.05 Uhr
Der Rechtsanwalt legt währenddessen sofortige Beschwerde ein (2, Bl. 12). Als Anlage reicht er auch die Begründung des Betroffenen mit ein (2, Bl. 15).

18.18 Uhr
Die Polizei gibt eine Pressemitteilung zu den Vorgängen heraus, in der sie öffentlich behauptet, die Festgenommenen seien der Sachbeschädigung verdächtig. Da die Polizei weiß, dass das nicht stimmt, handelt es sich um eine Straftat der falschen Verdächtigung und der Beihilfe zur Freiheitsberaubung (1, Bl. 302). Die Gießener Allgemeine enthüllt wiederum, dass diese Pressemitteilung über den Schreibtisch des Innenministers Bouffier ging – dieser hat damit diese Straftaten auch begangen (Gießener Allgemeine, 19.5.2006, S. 26, und Kommentar am 30.5.)

Der inzwischen wieder entlassene Patrick N. erhebt Klage gegen seine Inhaftierung vor dem Verwaltungsgericht (Az. 10 E 1421/06).

16.5.2006
Das Landgericht weist an, dass über die Beschwerde zur Inhaftierung nicht zu verhandeln sei, sondern dass zuerst der vom Richter Gotthardt ausgedachte Befangenheitsantrag zu behandeln sei. In der Beschwerdebegründung hatte der Betroffene allerdings bereits formuliert, nie einen Befangenheitsantrag gestellt zu haben. Das Landgericht beachtet das nicht und ordnet an, erstmal sei der erfundene Antrag zu behandeln (1, Bl. 164). Das dauert zwei Tage. Es entsteht der Verdacht, dass diese Verzögerung auch der Grund für das Manöver des Landgerichts ist. Währenddessen sitzt der Betroffene in Haft, ohne dass seine Beschwerde überprüft wird. Wahrscheinlich hofft das Gericht auf eine Verzögerung bis zum 18.5., weil dann die offizielle Haftphase des Betroffenen begonnen hätte und das Ziel der Repression ja war, ihn vorher nicht mehr freilassen zu müssen.

Die Polizei Mittelhessen lässt die Verbindungsdaten der zwei im Umfeld der Projektwerkstatt eingesetzten Handys überprüfen – ergebnislos. (1, Bl. 165 ff.)

Staatsschutzbeamtin Cofsky erhält das Ergebnis der DNA-Untersuchungen zu den Handschuhen im Altenfeldsweg. Die DNA des deswegen in Gewahrsam befindlichen Bergstedt ist nicht gefunden worden. Es geschieht ... nichts. Cofsky gibt das Ergebnis nicht an die Gerichte weiter und beantragt auch nicht die Freilassung. Ermittlungsergebnisse werden nur verwendet, wenn sie dem gewünschten Ergebnis entsprechend. Im Zweifel werden sie gefälscht oder vertuscht (1, Bl. 136 = Gesprächsnotiz KOKin Cofsky mit dem HLKA; 1, Bl. 138 = Bericht des HLKA).

Die Polizei entdeckt eine Sachbeschädigung am Gebäude des RCDS nahe der CDU-Zentrale. Der Zeitpunkt der Sachbeschädigung kann nicht mehr geklärt werden (1, Bl. 193).

15.09 Uhr
Der Rechtsanwalt des Betroffenen fragt beim Gericht an, warum in der Freiheitsentziehungssache keine Entscheidung gefällt wird (2, Bl. 30).

17.5.2006
Die Frankfurter Rundschau enthüllt die MEK-Überwachung der Projektwerkstatts-AktivistInnen (1, Bl. 301 = FR, 17.5.2006, S. 23).

9.53 Uhr
Der Rechtsanwalt des Betroffenen teilt dem Landgericht mit, dass er die gewählte Vorgehensweise, zunächst langwierig einen vermeintlichen Befangenheitsantrag zu behandeln, für rechts- und verfassungswidrig hält.

Das Amtsgericht bearbeitet im Schneckentempo den Befangenheitsantrag.

12.18 Uhr
Das Amtsgericht schickt an den Rechtsanwalt des Betroffenen ein Fax zwecks Stellungnahme zum Befangenheitsantrag und der dienstlichen Äußerung von Richter Gotthardt, der sich nicht für befangen hält (2, Bl. 24).

12.20 Uhr
Das Amtsgericht schickt die gleiche Anfrage an den Betroffenen Jörg B. in die JVA Gießen. Nur: Der sitzt da seit zwei Tagen nicht mehr (2, Bl. 25).

13.08 Uhr
Der Rechtsanwalt des Betroffenen verzichtet auf eine Stellungnahme und erneuert die Kritik an dem Verfahren.

14.15 Uhr
Das Bundesverfassungsgericht setzt die Strafhaft von Jörg B. aufgrund von dessen Verfassungsbeschwerde bis zur Entscheidung in der Hauptsache aus (2, Bl. 37). Damit ist der Unterbindungsgewahrsam, der mit dem bevorstehenden Haftantritt begründet wurde, aus einem weiteren Grund hinfällig. Doch die Gießener Gerichte beschäftigen sich weiter ausführlich mit einem nie gestellten Befangenheitsantrag.


15.44 Uhr
Die Staatsanwaltschaft Gießen teilt dem Rechtsanwalt des Betroffenen mit, dass sie aufgrund des BVerfG-Urteils davon ausgehe, dass alle Beschwerden gegen den Haftantritt damit gegenstandslos sind. Um eine Freilassung des Verhafteten bemüht sie sich nicht. Den Antrag auf Haftaufschub bis zur Entscheidung des BverfG, der auch an die Staatsanwaltschaft ging, hatte diese gar nicht bearbeitet.

18.5.2006
8.00 Uhr
Obwohl bereits klar ist, dass Unterbindungsgewahrsam nicht in einer JVA abgesessen werden kann, wird Jörg B. vom Frankfurter Polizeipräsidium in die JVA Preungesheim gebracht. Nach ca. einer Stunde in der Zelle wird er dort entlassen.

9.22 Uhr
Das Landgericht Gießen ordnet die Freilassung von Jörg B. an, bestätigt aber die Richtigkeit des Unterbindungsgewahrsams bis zu diesem Zeitpunkt. Dabei stellt das Landgericht durch die RichterInnen Geilfus, Dr. Berledt und Schnabel die Logik auf, dass die Anschläge am 3./4.5. und 8.5. eine Reaktion auf die am 10.5. zugestellte Ladung zum Haftantritt gewesen seien. Dass das gar nicht möglich ist, kommt den RichterInnen offenbar nicht in den Sinn. Auszug aus dem Beschluss 7 T 215/06: „Die Umstände sprechen dafür, dass die Straftaten, die dem Betroffenen vorgeworfen werden, wenn dieser Vorwurf zutreffen sollte, von ihm im Zusammenhang mit dem für den 18.5.2006 vorgesehen Antritt der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Gießen vom 3.5.2005 begangen worden sind.“ Die Ladung und damit der Termin 18.5.2006 waren aber erst am 10.5., also nach den Attacken auf die Kanzlei Bouffier, verfasst und zugestellt worden.

Spät
In Saasen werden die Fahrzeuge des MEK nacheinander enttarnt und verlassen nach einigem Hin- und Hergefahre schließlich den Ort.

19.5.2006
Der Rechtsanwalt des Betroffenen reicht Beschwerden gegen die Inhaftierung und den Unterbindungsgewahrsam ein.

Die Gießener Allgemeine berichtet, dass die Presseinformationen der Polizei mit der Behauptung des Tatverdachtes am 14.5.2006 über den Schreibtisch des Innenministers gingen (Gießener Allgemeine, 19.5.2006, S. 26, und Kommentar am 30.5.).

Die Folgetage
22.5.2006
Ein neues Ziel der Ermittlungen wird in den Polizeiunterlagen benannt: Die Aufklärung der Attacken auf die Anwaltskanzlei Bouffier/Dr. Gasser (1, Bl. 174). Die Ermittlungen zum 14.5.2006 dienen dem Ziehen von Vergleichsproben. Vorrangig ginge es die Sicherheit der Innenminister Bouffier und Dr. Gasser.

24.5.2006
Die Beschwerde geht an das Oberlandesgericht, dortiger Eingang am 26.5.2006 (2, Bl. 80).

26.5.2006
Der Rechtsanwalt des Betroffenen reicht weitere Beschwerden gegen die Inhaftierung und den Unterbindungsgewahrsam ein.

31.5.2006
Das Amtsgericht Gießen beschließt, dass die Entnahme von DNA bei den vermeintlich Tatverdächtigen rechtmäßig war und ist (Az. 5610 Gs – 501 Js 12450/06)

2.6.2006 Öffentlich angekündigte Feldbefreiung am Gießener Gengerstefeld ... die Polizei guckt weg. Zufall?

6.6.2006
Das Amtsgericht Gießen weist die Beschwerde des Wohnungsinhabers der durchsuchten Wohnung, Patrick N., als unbegründet ab (Az. 501 Js 12450/06). Das ist kein Wunder, da der Betroffene Akteneinsicht beantragt hatte, um eine Begründung nachzureichen. Das wartet das Gericht aber nicht ab und beschließt vor Herausgabe der Akten!

Noch am gleichen Tag (wenn es so herum ist, geht alles immer ganz schnell ...) erhalten die Betroffenen Vorladungen zur DNA-Entnahme durch das Polizeipräsidium Mittelhessen.

8.6.2006
Die Betroffenen Patrick N. und Jochen K. legen Widerspruch gegen den Beschluss des Amtsgerichtes zur DNA-Entnahme ein.

9.6.2006
Das Amtsgericht (Richterin Kaufmann) beschließt, dass die Beschlagnahmen bei den am 14.5.2006 Festgenommenen rechtmäßig waren (5610 Gs – 501 Js 12450/06). Als Grund führt sie den weiter bestehenden Tatverdacht an, erweitert den aber plötzlich um Farbschmierereien in der Weserstraße. Dort liegt die Kanzlei von Innenminister Bouffier. Alle bisher vorliegenden Polizei- und Gerichtsakten, alle Anträge und schriftlichen Vorgänge geben keinerlei Hinweis auf solche Graffiti auch an diesem Ort. Es scheint, dass der Amtsrichterin hier ihre Phantasie im bei ihr üblichen Verfolgungswahn durchgegangen ist und das Graffiti in Nähe der Bouffierschen Kanzlei zum Zwecke der Kriminalisierung erfunden wurde.

10.6.2006
Der Förderverein, dem das von der Hausdurchsuchung betroffene Haus gehört, fragt bei der Polizei die Hintergründe der Hausdurchsuchung an, weil er nie eine Information erhalten habe, was aber gesetzlich vorgeschrieben ist. Er erhält nie eine Antwort.

16.6.2006
Der Förderverein legt Beschwerde/Klage beim Verwaltungsgericht Gießen ein, weil keine Formvorschrift von der Polizei eingehalten und er bis heute nicht offiziell von der Durchsuchung informiert worden sei.

21.6.2006
Das Amtsgericht Gießen beschließt, dass seine Beschlüsse zur DNA-Entnahme rechtmäßig waren (Az. 5610 Gs – 501 Js 12450/06).

22.6.2006
Die Polizei Mittelhessen erklärt in einem Widerspruchsbescheid die Festnahme des 14.5.2006 für rechtmäßig. Da sich der Bescheid nur auf die Festnahme bezieht (nicht auf den anschließenden Gewahrsam) und diese noch nicht richterlich bestätigt wurde, eröffnet sich an dieser Stelle der Weg vor das Verwaltungsgericht. Die Verfahren dort werden öffentlich geführt (anders als Beschwerden vorm Amts-, Land- und Oberlandesgericht).

1.7.2006
Der Betroffene Jörg B. reicht beim Amtsgericht Gießen Beschwerde gegen die Inhaftierung in der JVA Preungesheim ein. Zudem stellt er wegen dieser Inhaftierung Anzeige wegen Freiheitsberaubung bei der Staatsanwaltschaft Gießen (Az. dort: 501 UJs 49013/06).

Ebenso stellt der Betroffene Strafanzeige gegen die Beschwerdeverfahren verschleppenden RichterInnen des Landgerichtes Gießen (Az. bei der StA Gießen: 501 Js 16177/06). In gleicher Weise stellt er Strafanzeige gegen den Fahrer des Polizeiwagens, der aus dem fahrenden Auto sprang und dadurch Menschen gefährdete (Az. bei StA Gießen: 501 UJs 49162/06).
Schließlich reicht Jörg B. Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Festnahme am 14.5.2006 ein, weil am 22.6. der Widerspruch bei der Polizei abgewiesen wurde (Az. 10 E 1698/06).

10.7.2006
Der Beschwerdeführer bei der Fortsetzungsfeststellungsklage beantragt Prozesskostenhilfe.

17.7.2006
Das Landgericht Gießen beschließt, dass die Entnahme von DNA wegen des bestehenden Tatverdachtes gerechtfertigt war. Damit vertritt das Landgericht also nach über zwei Monaten immer noch die These des bestehenden Tatverdachtes. Es kann davon ausgegangen werden, dass nach wie vor kein Gericht sich jemals in der Sache aktenkundig gemacht hat.

20.7.2006
Die Polizei Mittelhessen nimmt Stellung zur Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Festnahme am 14.5. Die Polizei behauptet erneut: „Der Kläger wurde am 14.05.2006 in Reiskirchen gem. ¶ 127 StPO vorläufig festgenommen, da er der Sachbeschädigung in mehreren Fällen verdächtig war“. (Az. bei der Polizei: V1 – 12 a 10 03 W 21/06).

1.8.2006
Das Landgericht weist die Beschwerde des Wohnungsinhabers der durchsuchten Wohnung, Patrick N., als unbegründet ab (Az. 501 Js 12450/06).
Erst im Zuge dieser Beschlussfassung erhält der Betroffene Akteneinsicht. Diese Akten enthalten erstmals genauere Angaben über die Abläufe des 14.5. (siehe Quelle Nr. 1).

16.8.2006
Das Polizeipräsidium Mittelhessen räumt in einer Stellungnahme zur Beschwerde gegen den Unterbindungsgewahrsam von Jörg B. vor dem Oberlandesgericht erstmals ein, dass eine Observation durch das MEK stattgefunden hat. Allerdings ersetzt es die eine (nicht mehr aufrechtzuerhaltende) Lüge durch eine neue, indem die Polizei nun das Ergebnis der Observation falsch wiedergibt – nämlich dass diese im Stadtgebiet Gießen nicht weitergegangen wäre.
Unter anderem behauptet die Polizei: „Gegen 02.13 Uhr meldete eine Objektschutzstreife, man habe im Bereich des Spener Wegs, wo sich die Geschäftsstelle des CDU-Kreisverbandes befindet, den Antragsteller gesehen“. Erstens ist das schon deshalb falsch, weil die Objektschutzstreife nur die Vermutung ausgesprochen hat aufgrund des ihr vorliegenden Fotos. Gleichzeitig wurde die Person als 1,80m groß beschrieben, d.h. von der Größe her war die Abweichung derart stark, dass in der Polizeizentrale mit Sicherheit die Information sofort als Falschmeldung erkannt wurde. Zweitens wurde zu dieser Zeit die betroffene Person ja auch schon über 20min dauerhaft an einem ganz anderen Ort geortet und lückenlos überwacht. Das war der Einsatzzentrale (siehe Zeitplan am 14.5.2006) auch ständig bekannt. Am 16.8., also über zwei Monate später, war das der Polizei auch bekannt – die Stellungnahme an das OLG ist also weiterhin vorsätzlich falsch.

24.8.2006
Fortsetzungsfeststellungsklage des Fördervereins (Hausbesitzer) zur Hausdurchsuchung: Das Verwaltungsgericht Gießen beschließt, nicht zuständig zu sein und gibt das Verfahren an das Amtsgericht ab (Az. 10 E 1663/06). Dort wird jetzt entschieden, allerdings nicht-öffentlich - wohl das Ziel des Manövers.

26.8.2006
Der Betroffene Jörg B. reicht bei der Staatsanwaltschaft Gießen Strafanzeige gegen Amtsrichter Gotthardt wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung im Amt ein, zudem gegen die beteiligten Staatsschutzbeamten wegen falscher Verdächtigung und Beihilfe zur Freiheitsberaubung.

31.8.2006
Der Beschwerdeführer bei der Fortsetzungsfeststellungsklage erhält Akteneinsicht in die Akte zu seiner Festnahme. Diese enthält kein einziges Papier, dass vor der Festnahme entstanden ist oder Vorgänge der Zeit davor beschreibt oder belegt. Daher ist in der vorliegenden Gerichtsakte kein Grund für die Festnahme zu erkennen. In einem Schreiben an das Verwaltungsgericht weist der Beschwerdeführer am 1.9.2006 auf diese Lücken hin und beantragt daher die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Festnahme. Gleichzeitig weist er auf vorhandene Akten mit mehr Informationen hin, die ebenfalls zu seinen Gunsten beweisen, dass keinesfalls ein Tatverdacht gegen ihn bestand oder besteht.
Zudem erhalten Betroffene Akteneinsicht in Akten, die die Vorgänge des 14.5. klären (siehe Quellen Nr. 1).

1.9.2006
Der Betroffene reicht als Ergänzungen zu seinen Strafanzeigen die Ergebnisse der Auswertung der Akteneinsicht nach. Danach ist bewiesen, dass die Polizei wusste, der er nicht tatverdächtigt war.

6.9.2006
Der Anwalt des Betroffenen reicht ebenso die Ergebnisse der intensiven Aktenauswertung als Ergänzung zur Beschwerde gegen den Gewahrsam an das Oberlandesgericht und fordert die Hinzuziehung der Akten.

12.10.2006
Das Landgericht hebt die Beschlagnahmen auf (Az. Os 177/06). Die DNA-Tests bei den Graffitis haben einen anderen Tatverdächtigen ergeben. In der Begründung behauptet die 7. Strafkammer um Richter Pfister aber erneut, es hätte Tatverdacht bestanden und es wäre auch in der Weserstraße (nahe der Kanzlei von Inneninister Bouffier) gesprüht worden. Beides ist gelogen. Der Betroffene rügte deshalb trotz der für ihn positiven Entscheidung die Nichtbeachtung seiner Beschwerdeinhalte. Der andere Tatverdacht könnte ein Trick sein, um aus der peinlichen Rechtsbeugung wieder herauszufinden.

2.11.2006
Eines der Opfer dieses Polizeieinsatzes trägt die Geschehnisse ein einem anderen Gerichtsverfahren vor. Ziel ist die Dokumentation verfassungswidrigen Handelns beim Amtsgericht Gießen, weil das Justizkritik rechtfertigen würde. Doch Richter Wendel (auch bei diesem Amtsgericht) verwirft den Antrag: „Ohne Bedeutung“. Damit bleibt es bei dem Stand, dass auch vier Jahre nach Beginn der pausensolen Hetze, dem Verurteilungswahn und vielen Straftaten durch PolitikerInnen, Polizei, Staatsanwälte und RichterInnen gegenüber ihren KritikerInnen zwar deren Opfer vielfach vor Gericht standen und mehrfach verurteilt wurden - aber noch kein einziges Mal die Taten in Uniform und Robe vor Gericht landeten.

14.11.2006
Amtsrichterin Kaufmann fällt einen neuen absurden Beschluss: Die Hausdurchsuchung am 14.5.2006 sei rechtmäßig, weil die vier Festgenommenen der gemeinschaftlichen tat verdächtigseien. Verdächtig sei nur noch eine Person - allerdings wurde der am 12.10.2006 auch bereits bescheinigt, nicht mehr verdächtig zu sein. Kaufmann ist aber nicht nur auf der Höhe der Zeit, sondern legitimiert eine Hausdurchsuchung, wo der ihrer Meinung nach noch Verdächtige überhaupt nicht wohnt.

Zum Einsatzplan
Es waren etliche Polizeigruppen an der Polizeiaktion beteiligt. Diese erhielten bestimmte Aufträge, aber einige waren nur über die ihren Teil betreffenden Dinge informiert, wussten aber nichts über den Gesamtplan.

Auftrag für die Objektschutzgruppe „Bouffier“
„Im Zeitraum 13.05.2006, 19.00 Uhr – 14.05.2006, 07.00 Uhr wurde ich als Führer eines Objektschutzkommandos bei der Polizeistation Gießen-Nord eingesetzt. ... Auftrag war die Bestreifung des Altenfeldsweges im Bereich eines gefährdeten Objekts. Bei der Einsatzbesprechung wurde ein gesondertes Augenmerk auf eine Person namens BERGSTEDT, welcher sich vermutlich mit anderen Personen umgibt, gelegt. Gegen 1.00 Uhr wurde ich durch PK Kaiser fernmündlich über ein Gespräch mit dem PvD, Schust, informiert. Inhalt dieses Gesprächs war, dass die o.g. Personengruppe um BERGSTEDT von operativen Zivilkräften aufgenommen und observiert wird. Ein Herantreten an die Personengruppe sollte nicht geschehen. Alle Maßnahmen, welche sich auf diese Personengruppe beziehen, sollten vorher mit der Einsatzzentrale Gießen abgesprochen werden. Der Inhalt dieses Telefonats sollte und wurde fernmündlich an die anderen Streifen weitergegeben.“ (1, Bl. 22, wdh. 35 = Vermerk von POK Kohlenberg)
Nach diesem Einsatzplan ist sicher, dass
- Die Einsatzzentrale (z.B. der dortige PvD, Schust) immer über alles (!) informiert war, d.h. die Polizei wusste damit auch, dass die später Festgenommenen nicht tatverdächtig, weil zur Tatzeit Federballspielen an einem anderen Ort waren.
- Die Polizei wollte, dass eine Straftat begangen wird. Hier zeigt sich ein Verfolgungswille, bei dem die Straftat selbst mit provoziert wird, um endlich mal einen Erfolg zu haben.
- Die Polizei ergriff eine Vielzahl von Maßnahmen, damit die beobachtete Gruppe das umfangreiche Polizeiaufgebot um sie herum und den Einsatzplan nicht bemerkt.
- Nachdem der Plan der Polizei, eine Straftat zu provozieren und dann die TäterInnen auf frischer Tat zu erwischen, scheitert, entscheidet sie sich dennoch für einen Zugriff und dann zur Erfindung eines Tatverdachts unter Verschleierung dessen, dass sie selbst weiß, dass es nicht stimmt.

Diese Details gehen auch aus anderen Vermerken hervor.

Polizeikontakt zur Radelgruppe unbedingt vermeiden
„Im Laufe der Nacht wurde der Streife über Funk und auch über Telefon von hiesiger Wache mitgeteilt, dass sich Personen der Projektwerkstatt Saasen in Gießen aufhalten. Eine offene Kontrolle dieser Personen bei deren Antreffen sollte unterblieben. Es sollte lediglich Mitteilung über deren Standort erfolgen.“ (1, Bl. 16, Vermerk POK Kelbch).
„Gegen 01:10 Uhr kam vom Kommandoführer, POK Kohlenberg, per Handy die Anweisung, die vorgenannten Personen beim Antreffen nicht zu kontrollieren, sondern lediglich die Feststellungen direkt an die EZ weiterzuleiten. Diese Weisung sei unmittelbar von der EZ ergangen ... Gemäß Auftrag entfernten wir uns vorübergehend aus dem Bereich.“ (1, Bl. 25 = Vermerk POK Röder).
„Die PK'in Lerner und ich wurden kurz zuvor durch den POK Kelbch informiert, dass bei Feststellung verdächtiger Personen die Leitstelle telephonisch zu informieren sei und keine weiteren Maßnahmen zu treffen sind, da im Stadtgebiet operative zivile Kräfte eingesetzt wären, welche die verdächtigen Personen aufnehmen und möglichst auf frischer Tat ertappen sollen. Aus diesem Grund wurde die Leitstelle telefonisch informiert und eine Personenbeschreibung abgegeben. Weitere Maßnahmen erfolgten nicht. Wir verließen das Gebiet auf Weisung der operativen zivilen Kräfte, um deren Maßnahmen nicht zu stören.“ (1, Bl. 30 = Vermerk PK Franz).
„Eine Meldung an die EZ erfolgt umgehend, woraufhin die EZ anordnete, dass hiesige Streife sich unverzüglich aus diesem Bereich zu entfernen habe. Auf Nachfrage wurde angeordnet, dass man sich komplett zurückziehen solle und auch ein verdecktes Aufstellen im Nahbereich nicht zu erfolgen hat“ (1, Bl. 34 = Vermerk PK Kaiser)

Ziel: Observation, Straftaten ermöglichen und erwischen
Die normalen Polizeistreifen dienten neben dem Objektschutz vor allem zur Steuerung der zivilen Kräfte MEK und OPE: „Weitere offene Maßnahmen sollen unterbleiben, da sich operative zivile Einheiten im Stadtgebiet Giessen befinden, die die Verfolgung verdächtiger Personen aufnehmen und auf frischer Tat ertappen wollen“ (1, Bl. 18, Vermerk PK'in Lerner).
„Unmittelbar nach Erkennen dieser Personen, gab der Kollege KAISER diese Feststellung an die EZ Gießen über Funk weiter. Von dort wurde angewiesen, Maßnahmen zu unterlassen, da zivile Kräfte an diese Personengruppe herangeführt werden sollen. Nähere Hinweise über Alter, Aussehen, Bekleidung etc. können nicht gegeben werden, da sofort nach der Anweisung, ein Einschreiten zu unterlassen, die Örtlichkeit verlassen und auf den Parkplatz Ringallee gefahren wurde. Von dort ist eine Sicht in den Bereich Gutfleischstraße Ecke Ostanlage möglich. Nachdem der Nahbereich durch zivile Kräfte abgedeckt war, verließen wir unserem Standort, um weitere Objekte nach eventuellen Personen abzusuchen. Die Dauer unserer Aufstellung am Parkplatz Ringallee betrug ca. 5 Minuten“ (1, Bl. 80 = Vermerk VA Hentschel).

Handy benutzen
Statt Funk sollten Handys für Durchsagen über die Standorte der RadlerInnengruppe erfolgen (1, Bl. 18, Vermerk PK'in Lerner). Grund dafür dürfte sein, dass die Polizei auf keinen Fall wollte, dass ihr Plan auffliegt. Der analoge Polizeifunk ist abhörbar, Handy-Gespräche nicht.

Paranoia auf Polizeiseite
Der Antrag des Staatsschutzes an Richter Gotthardt enthält nicht nur Lügen und erkennbare Widersprüche, sondern auch Absurdes: „Um 02.35 Uhr meldete sich die Zeugin erneut und gab an ... 2 männliche Personen, beide dunkel bekleidet, eine davon mit weißem Kapuzenpulli ...“ (Bl. 144).

PK'in Lerner will Jörg B. um 1.46 Uhr nahe der CDU-Geschäftsstelle gesehen haben. Angesichts der Observationsergebnisse der Polizei ist das nicht möglich, da er ab 1.42 Uhr auf dem Gerichtsgelände observiert wird. Es muss also Einbildung gewesen sein (1, Bl. 16) – sicherlich ein Vorgang, der zu denken geben sollte angesichts dessen, wie oft PolizistInnen die Personen sehen, die sie sehen sollen. Von der Einsatzzentrale wurde die Beobachtung bewusst für die Konstruktion eines Tatverdachts benutzt - wider besseren Wissens.

Vier Tage später: Bei Kreidemalereien vor der Kanzlei des Innenministers Bouffier, die am helllichten Tag (16.10 Uhr) stattfanden, glauben die Polizeistrategen, es könnte ein Ablenkungsmanöver sein. Für was es die Ablenkung sein soll, ist nirgends notiert (1, Bl. 217 = Vermerk POK Brück).

Quellen
1. Akte zum Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung: 501 UJs 46175/06 POL, eingesehen am 31.8.2006
2. Akte zum Unterbindungsgewahrsam: AG 22 II 27/06 beim Amtsgericht Gießen; 7 T 215/06 beim Landgericht Gießen.

Abkürzungen
EZ = Einsatzzentrale
PK, POK, KK, KOK, KHK, VA = Dienstränge der PolizeibeamtInnen
MEK = Mobiles Einsatzkommando (technische Überwachungseinheit der Landespolizei)
PvD = Polizeiführer vom Dienst, d.h. der zentrale Einsatzleiter an diesem Abend.
HLKA = Hessisches Landeskriminalamt

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