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Wikipedia unter Kontrolle


1. Wikipedia: Kontrollierter Mainstream
2. Löschen, Löschen, Löschen ... bei Wikipedia
3. Wikipedia unter Kontrolle
4. Wikipedia unter Zensur: Seiten aus der Projektwerkstatt
5. Wikipedia unter Zensur: Unerwünschter SeitenHieb-Verlag
6. Autoritäre Strukturen im Internet: Mehr Beispiele

Die kritischen Atom-Internetseiten von www.bund-freiburg.de sind jüngst bei Wikipedia auf der Spamseite gelandet. Das führte dazu, dass diese wichtigen AKW-Seiten auch bei Google ab Mitte Juni 2008 nicht mehr gefunden werden. Es gibt einige Indizien, die auf eine mögliche Unterwanderung des Atombereichs bei Wikipedia schließen lassen: Getarnt als unabhängige Bürgerinitiative, verbreite die industriegesteuerte Schein- Bürgerinitiative „Bürger für Technik“ (BfT) Lobeshymnen über die Kernkraft, berichtete die "Zeit" am 17.4.2008. Die Tarnorganisation der Atomlobby bearbeitet natürlich auch Wikipedia: „Zum selben Zweck wird offenbar auch das freie Internetlexikon Wikipedia manipuliert. Mehrmals schon wurden die BfT-Mitglieder aufgefordert, missliebige Beiträge zu bearbeiten. "In der Anfangszeit war da viel ideologisch durchsetzt", zitiert die "Zeit" einen Insider.

Torsten Kleinz, Autor von Focus-Online berichtete am 15.08.07: "Biblis ist sicher! Einer der aktivsten Autoren im Wikipedia Artikel über das Kernkraftwerk in Biblis ist ein Nutzer mit der IP-Adresse 153.100.131.14. Er schrieb schon im vergangenen Jahr über Radionuklide, die Reaktion der Notstrom- Dieselgeneratoren und setzt im Brustton der Überzeugung den Satz hinzu: 'Das Kraftwerk Biblis ist ein Meilenstein in puncto Sicherheit.' Der anonyme Autor muss es wissen: Seine IP-Adresse gehört dem Biblis-Betreiber RWE."

Ausgerechnet Neues Deutschland, die Zeitung der Partei Die Linken, machte den Kommunismus für die autoritäre Kontrolle im eigentlich anarchistischen Wikipedia verantwortlich: "Mit ein wenig Fantasie könnte man Wikipedia als eine Art herrschaftsfreie Assoziation solidarischer Individuen beschreiben. Doch der Kommunismus zeigt auch hier sein Janusgesicht. In einem Forschungsprojekt stellte der Soziologe Christian Stegbauer fest, dass die Legende von der egalitären Internet-Gemeinde nicht mehr stimmt. Längst habe sich eine 'Herrschaft der Administratoren' etabliert" (ND, 15.1.2011, W9).

Aus dem Vorspann zum Interview mit dem Netzwerkforscher Christian Stegbauer auf telepolis am 26.11.2009
Urheber neuangelegter Artikel werden in der deutschsprachigen Wikipedia oft durch Löschungen vor den Kopf gestoßen; wer uneingeladen an Artikeln arbeitet, deren Struktur von einem etablierten Wikipedianer geprägt wurde, muss mit heftigem Gegenwind rechnen. Andererseits gilt die deutschsprachige Wikipedia als vergleichsweise anspruchsvoll, was nicht zuletzt der Aufmerksamkeit der aktiven Wikipedianer geschuldet ist, die jede Änderung argwöhnisch in Minutenschnelle kontrollieren. ...
Aus dem Interview:
Das gegenwärtige Machtmodell des ursprünglich anarchistisch anmutenden Projekts Wikipedia haben Sie "Oligarchie" genannt. Wie hat sich diese entwickelt?
Christian Stegbauer: Der Begriff der Oligarchie ist angelehnt an die klassische Beschreibung der Machtstrukturen in politischen Parteien von Robert Michels, die 1911 veröffentlicht wurde. Dort wird von der Zwangsläufigkeit der Herausbildung einer Oligarchie gesprochen. Man kann sich das folgendermaßen vorstellen: Diejenigen, die sich für Wikipedia besonders eingesetzt haben, sind über die Zeit zu Experten geworden. Nicht nur, dass sie das Wikipediaprogramm genau beherrschen würden, sie kennen die anderen relevanten Teilnehmer und wissen, wie gute Artikel auszusehen haben. Sie sind es Leid, sich immer wieder denselben Diskussion, die sie ermüdet haben, zu stellen. An vielen Stellen zeigt sich, wie unsinnig lange Diskussionen sein können - sie führen sehr oft zu keinem Ziel. Aus dieser, gemeinsam mit den Mitstreitern gemachten Erfahrung heraus, versucht man, gewonnene Einsichten zu verteidigen. Zudem sind es nicht viele, die das gleiche Niveau erreicht haben, wer sonst sollte etwas zu sagen haben? Diejenigen, die neu hinzukommen besitzen nicht die Erfahrung und nicht das über die Jahre gesammelte Wissen.
Von einem technokratischen Standpunkt aus gesehen, kann man dies durchaus nachvollziehen. Klar ist aber auch, dass dies der Grundsatzidee von Wikipedia, der gemeinschaftlichen Erstellung einer Enzyklopädie, die mit einem Befreiungs- und Aufklärungsgedanken verbunden ist, widerspricht. Forderungen nach mehr innerwikipedianischer Demokratie werden häufig mit dem Argument, man könne über Wissen nicht abstimmen abgetan - dieses Argument dient implizit der Aufrechterhaltung der inzwischen weitgehend etablierten Machtstruktur - und was für Wissen in weiten Teilen richtig ist, kann aber nicht zählen bei Fragen der Organisation.
Wie beurteilen Sie Einfluss und Kompetenz der Wikipedia-Administration?
Christian Stegbauer: Häufig wird betont, dass es sich bei Admins um "normale" Teilnehmer handele, die lediglich über ein paar mehr Befugnisse verfügten. Formal mag das stimmen, tatsächlich wird das Projekt sehr stark von Administratoren beeinflusst, was sich etwa bei "Wahlen" zu Administratoren oder anderen Funktionen gut belegen lässt. Dort sind Admins ein starker Einflussfaktor, weil sich im Vergleich zu den Wahlberechtigten nur sehr wenige Nichtadmins an dem öffentlichen Procedere beteiligen. Man kann sagen, dass Admins selbst andere Admins bestimmen. Die Öffentlichkeit der Diskussion erzeugt zudem einen sozial stimulierten "Bekennerdruck", der freie Entscheidungen erschwert. Im Grunde handelt es sich bei Admins sicherlich um eher kompetente und im Grunde vernünftige Teilnehmer, wobei die Kompetenz hinsichtlich Artikelinhalte natürlicherweise auf bestimmte Fachgebiete begrenzt ist. Nach unseren Beobachtungen lässt allerdings die Mitarbeit an der Erstellung von Artikeln nach der Ernennung als Admin im Verhältnis zu anderen Aufgaben nach.


  • Schmankerl am Rande: Die Zensoren von Texten aus dem Umfeld der Projektwerkstatt befinden sich auf einer wohl eher rechten Seite in einer Liste "Linker Wikipediaautoren" - überraschen würde das ja nicht, wenn in Deutschland steht die Linke im autoritären Lager ...

Löschen und Editieren als Konkurrenzkampf
Das ist bemerkenswert: Was eigentlich wie eine Kooperation wirkt, zeigt sich hinter den Kulissen als Konkurrenzkampf. Das beweist einerseits, dass Konkurrenz und Durchsetzungswillen je nach Bedingungen nicht zwingend andere unterdrücken müssen, andererseits wandelt sich Wikipedia aber immer mehr in eine Richtung, dass dieses doch geschieht.

Aus einem Interview mit dem Netzwerkforscher Christian Stegbauer auf telepolis am 26.11.2009
In Ihrem Buch untersuchen Sie die Motivation für die häufig anonym editierenden Wikipedianer, die im Gegensatz zu konventionellen Autoren nicht durch Geld oder Anerkennung in der Fachwelt honoriert werden. Sie vertreten die Ansicht, ein wesentlicher Beweggrund läge insbesondere in der Verbesserung der Wikipedia-internen Position des Benutzers, also dem Ansehen bei anderen etablierten Wikipedianern, das sich u.a. auch über die Zahl der Editierungen definiert. Ein Großteil der Editierung besteht jedoch aus Löschung, sodass tendenziell destruktives Verhalten belohnt wird. Wäre es sinnvoll, stattdessen ein Bewertungskriterium einzuführen, das Erhaltung und Ausbau von Informationen belohnt?
Christian Stegbauer: Die Motivation längerfristig mitzuarbeiten ergibt sich aus der sozialen Integration - d.h. die Mitarbeiter müssen wissen, wofür sie zuständig sind, was wir als Position bezeichnen würden. Ferner muss ihre Mitarbeit für sie erkennbar geschätzt werden. Innerhalb dieser Position dann findet man Wettbewerb zwischen den Teilnehmern. Die meisten Aktivisten haben sich spezialisiert. Der Wettbewerb der sich in der Anzahl der Artikelbearbeitungen ausdrückt besteht nicht zwischen allen engagierten Teilnehmern. Die Zahl der Bearbeitungen ist besonders bei den sog. "Vandalismusbekämpfern" von Bedeutung. Bei den sog. "Qualitätsautoren" ist die absolute Zahl nicht so sehr wichtig. Dort geht es eher um die Zahl der als lesenswert oder exzellent anerkannten Artikel. Wettbewerb innerhalb der einzelnen Funktionspositionen ist sinnvoll und hilft die Qualität zu verbessern. Allerdings erschweren die vielen guten Schreiber den Einstieg für Neulinge und die andere Seite des Wettbewerbs ist die Frage, wie neue Teilnehmer gewonnen werden können. Hier scheint Wikipedia heute in weiten Teilen abschreckend zu wirken. Strengere Relevanz- und Qualitätskriterien als dies zu Anfang der Fall war, helfen bei der Gewinnung und Integration neuer Mitarbeiter jedenfalls kaum.
Sie beschreiben in einem Kapitel die typische Erfahrung eines Bearbeiters, der in einem Artikel editiert, den bereits ein anderer Autor als sein Revier betrachtet. Sie sprechen von "Artikelbesitzern", während Spötter diese Leute als "Blockwarte" bezeichnen, die nur Freunden das Mitbauen an ihren Sandburgen gestatten. Wie läuft solch ein typischer Konflikt ab?
Christian Stegbauer: Wir haben die Entstehung von Artikeln untersucht. Dabei hatten wir den Eindruck, dass Artikel, um die sich jemand kümmert, in einem besseren Zustand waren als solche, für die sich niemand zuständig fühlte. Eine Grundidee von Wikipedia wird in dem Slogan "Weisheit der Vielen" beschrieben. Empirisch beobachtbar ist aber, dass es meist sehr wenige sind, die an einem Artikel schreiben. Sehr häufig wird sogar die Autorenschaft für einzelne Artikel auf der Benutzerseite markiert. Wenn ein anderer Teilnehmer sich nun an der Konstruktion des anderen "vergreift", kommt es oft zu Auseinandersetzungen. So ein Streit kann schwierig zu lösen sein, weil es hier um Expertise geht und es so aussehen mag, als ob derjenige, der nachgibt, eine Niederlage erleidet. Die sozial durch die Mitarbeit an den Artikeln konstruierte Identität wird durch so eine Niederlage in Frage gestellt. Solche Kämpfe werden nach unseren Untersuchungen immer von den "formal" Ranghöheren "gewonnen", etwa dann, wenn es im Zuge der Auseinandersetzungen zu Artikelsperrungen kommt.


Aus "Inside Wikipedia. Angriff der PR-Industrie", auf: WDR, 30.1.2014
... längst haben PR-Agenturen und große Unternehmen zum Angriff auf Wikipedia geblasen. Und plötzlich könnte ein gutgemeintes Projekt zu einem Problem für die Demokratie werden. Denn schließlich lebt eine aufgeklärte Gesellschaft von einem offenen Zugang zu unabhängigen Informationen. ...
Im Artikel über den Fahrzeugbauer MAN wurde die Information gelöscht, dass das Unternehmen im zweiten Weltkrieg Panzer für das Nazi-Regime gebaut hat - von einer Internetadresse bei MAN. Im Beitrag zum Luftverkehr wurde ein Absatz über die Gesundheitsgefahren durch Fluglärm entfernt - von einem Rechner bei der Lufthansa. Auf der Seite zur Daimler AG sollte gleich ein ganzer Absatz gelöscht werden, in dem die Lobby-Aktivitäten des Konzerns thematisiert wurden. Wieder saß der Urheber bei Daimler selbst. Manipulationsversuche, die in den letzten Jahren spektakulär aufgeflogen sind und von anderen Nutzern korrigiert wurden. Die Unternehmen bestreiten, sie veranlasst zu haben. ...
Das größte Problem, bei Wikipedia gibt es immer weniger ehrenamtliche Aktive wie Dirk Franke. Und immer mehr bezahlte Schreiber wie Malte Landwehr, die für PR-Agenturen arbeiten - sogar als Administratoren, sagt er. ...
Wikipedia ist gestartet als demokratisches Projekt - offen und unabhängig. Jetzt droht daraus ein Informationsmonopol zu werden, unterwandert von Wirtschaftsinteressen.


Aus "Das Werkzeug der Spin Doctoren", in: Cicero, 23.1.2014
Die Wikipedia sieht sich selbst gern als das umfangreichste Wissensprojekt der Menschheit. Doch der offene Enzyklopädie-Monopolist wird von PR- und Lobbygruppen unterwandert. Eine Studie offenbart das Ausmaß ...
Wenn ein einzelnes Forenmitglied mit einer winzigen Manipulation die Presselandschaft derartig übertölpeln kann, wenn Medien- und Wirtschaftsprofis vor der Online-Enzyklopädie kapitulieren, wie groß muss dann erst der Einfluss professioneller Lobby-Organisationen sein? Dieser Frage ging der Journalist Marvin Oppong nach. Heraus kam die Studie „Verdeckte PR in der Wikipedia – Das Weltwissen im Visier von Unternehmen“, erschienen in einer Reihe der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung. ...
PR und Manipulation, so Oppong, seien in der Wikipedia allgegenwärtig. Die Einflüsse von Interessengruppen und Kommunikationsprofis sind sogar so groß, dass Oppong von einer „Diktatur der Zeitreichen“ spricht. ...#
Dabei gehe es für Organisationen nicht nur darum, Fakten auf den neuesten Stand zu bringen, zu ergänzen oder eigene Artikel anzulegen. Viel wichtiger sei es, Unangenehmes zu löschen oder zu verschleiern. Besonders dreist bei diesen Methoden ist nach Beobachtungen des Autors die Pharmaindustrie. So wurde von einem Account aus dem Umfeld des Konzerns Boehringer Ingelheim der Hinweis auf die Agent-Orange-Produktion der Firma entfernt. Die Änderungen blieben teilweise monatelang bestehen. Fresenius wiederum löschte kritische Angaben über ein eigenes Medikament. Die Änderungen: „größtenteils permanent“. Der WikiScanner, ein Tool, das entlarvt, aus welchen Firmen bestimmte IP-Adressen stammen, listet etwa auch Manipulationen von Real, RWE, dem Spiegel-Verlag, Scientology oder der CSU auf. Die meisten dieser Beispiele wurden entdeckt, bloßgestellt und von der Community korrigiert. Neuere Fälle sind jedoch nicht mehr aufgelistet, weil der WikiScanner seit mindestens drei Jahren nicht mehr nutzbar ist. ...
Was Marvin Oppong in seiner PR-Studie ganz besonders rügt, sind Grenzübertritte von Mitgliedern aus der Wikipedia-Community selbst. Einer davon ist Achim Raschka, Verfasser von 78.000 Artikel-Bearbeitungen und Gründungsmitglied von Wikimedia Deutschland e.V. Obwohl sich die Online-Enzyklopädie der Neutralität verpflichtet, editierte Raschka zahlreiche Artikel im Sinne diverser Lobbyverbände beim Wikipedia-Projekt „Nachwachsende Rohstoffe“ – darunter für ein Nachhaltigkeitsprojekt des Verbraucherschutzministeriums, die Energie-Pellet-Branche oder die Altholzindustrie. Raschka schulte den Kernkraftwerksbetreiber RWE; das Chemieunternehmen BASF platzierte und verlinkte er in mehreren Artikeln.
Auch der Nutzer des mittlerweile aufgegebenen Accounts von „7Pinguine“ gab Oppong Rätsel auf. „7Pinguine“ löschte einen kritischen Eintrag über mutmaßliche Ausländerfeindlichkeit bei der Sportkette McFit, nahm Schönheitskorrekturen für Trumpf, Nestlé sowie die FDP vor und hübschte den Wikipedia-Entrag des Filmemachers Günter Ederer auf. Wer sich hinter dem Pseudonym versteckte, ist bis heute unklar. ...


  • Die Studie
  • Artikel "Wie sich die Wikipedia-Gemeinschaft öffentlich zerfleischt", in: SZ, 26.2.2016

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