Alltagsalternativen

MOBIL IN MITTELHESSEN???

Regionale Radrouten: Wunsch und Wirklichkeit


1. Einleitung
2. Wir wollen die Verkehrswende - wer macht mit?
3. Gruppen und Netzwerke für Verkehrswende und Bahnreaktivierung
4. Verkehrswende im Süden Gießens (Linden, Langgöns)
5. Verkehrswende im Lumdatal
6. Von Gießen bis Fulda: Vogelsbergbahn stärken
7. Entlang von Lahn-Kinzig- und Horlofftalbahn
8. Weitere Bahnstrecken, die auf Reaktivierung warten
9. Marburg und Wetzlar
10. Regionale Radrouten: Wunsch und Wirklichkeit
11. Aus der Politik: Lippenbekenntnisse und Beschlüsse

Unsere Vorschläge

Für folgende Gemeinden haben wir Radwegekonzepte im Rahmen der umfassenden Verkehrswendepläne erarbeitet:

Fahrradschnellwege
Viele Fahrradverbindungen sind mühselig. Sie verlaufen über viele Ecken und Kurven im freien Feld oder in Wohngebieten, oft aber fehlen innerhalb der Orte gute Verbindungen ganz. Dem sollen Fahrradschnellwege abhelfen - an sich also eine gute Idee. Doch viele Vorschläge und die Ausführung zeigen, dass es um Konzepte geht, die das Auto nicht antasten. Als Ergebnis wird wieder Landschaft betoniert und asphaltiert, obwohl ohnehin schon zu viel versiegelt ist. Daher die klare Position: Fahrradstraßen und -schnellwege - Ja! Aber als Umverteilung der Verkehrsfläche. Weniger für Autos, mehr für Fuß und Fahrrad!

Unser konkreter Vorschlag ist eine richtig gute, Gießen und Marburg sowie die dazwischenliegenden Orte verbindenden Fahrradstraße auf vorhandenen Autostraßen. Es gibt so viele, viel zu viele Straßen, so dass ein gutes Fahrradnetz nicht zu neuer Flächenversiegelung führen muss. Stattdessen sind vorhandene Autostraßen umzuwidmen sind. Im Fall des Lahntals zwischen Gießen und Marburg ist die westlich verlaufende Landesstraße dafür geeignet, denn ...
  1. Die westlich der Lahn verlaufende Verbindungsstraße Gießen-Lollar-Odenhausen-Ruttershausen-Fronhausen-Niederwalgern-Niederweimar-Marburg hat wenig Höhenunterschiede und ist daher angenehm zu fahren.
  2. Sie verbindet nicht nur Marburg und Gießen, sondern auch die dazwischen liegenden Orte. Angesichts der hohen Pendler*innenströme von und nach Marburg bzw. Gießen ist es besonders wichtig, die Orte der Umgebung mit guten Fahrrad- und ÖPNV-Verbindungen an die Städte anzubinden und untereinander zu verknüpfen.
  3. Alle Orte haben direkte Verbindungen zur B3a. Eine weitere zwischen- und überörtliche Autoverbindung ist deshalb entbehrlich.
Wir fordern: Die westlich der Lahn verlaufende Straße wird in eine Fahrradstraße verwandelt. Sämtlicher zwischenörtlicher Autoverkehr wird über die B3a geführt und auf der Fahrradstraße unterbunden, indem Autos die Fahrradstraße nur noch bis zum Ortsrand oder anderen Objekten, die erreichbar bleiben müssen, nutzen können ("Anlieger frei").
Wo kleine Abschnitte der Fahrradstraße als B3a-Zubringer unerlässlich sind, ist ein "KfZ frei" denkbar.


Fahrradachsen zwischen Gießen und Wetzlar
Auch hier schlagen wir Verbindungen vor, die überwiegend vorhandene Wege nutzen - befestigte Feldwege und bisherige Autostraßen, die in Fahrradstraßen umgewandelt werden, weil sie parallel zu anderen Autostraßen verlaufen und daher entbehrlich sind. Nicht in Frage kommt die Nutzung der alten Bahntrasse von Garbenheim entlang von Lahnau, da diese für eine Reaktivierung und die vorgeschlagene RegioTram in Mittelhessen wichtig ist.
Wir schlagen eine Verbindung nördlich und eine südlich der Lahn vor:
  • Die nördliche Verbindung verläuft von Gießen über Heuchelheim und Lahnau in die nördlichen Stadtteile von Wetzlar. Sie nutzt dabei überwiegend asphaltierte Feldwege, die bereits jetzt als Fahrradverbindung ausgewiesen sind. Lückenschlüsse sind aber auf vorhandenen Straßen nötig.
  • Die südliche Verbindung verläuft zunächst auf dem befestigten Feldweg von Gießen zwischen den Baggerseen und der B49. Danach nutzt sie die Straße zwischen der Anschlussstelle an der B49 und dem Ort Garbenheim.


"Offizielle" Planungen und Vorschläge
Der Landkreis Gießen erarbeitete 2020/21 selbst ein Radwegekonzept. Fünf Jahre hat die Erarbeitung durch ein Planungsbüro und in politischen Gremien gedauert. Eine Bürger*innenbeteiligung fand nicht statt, obwohl genau dort die Expert*innen sitzen, nämlich die Alltagsradler*innen. Wir haben das Konzept daher scharf kritisiert und eine nachholende Bürger*innenbeteiligung gefordert. Dafür haben wir auch einen genauen Vorschlag für deren Gestaltung gemacht, damit es nicht die übliche Form von oben herab wird, z.B. in Form unverbindlicher Befragungen oder irgendwelcher Bürger*innenversammlungen, wo alle irgendwelchen Vielredner*innen folgen müssen bei ihren Verbalergüssen plus PowerPoint-Folien, und dann am Ende noch ein paar Minuten Fragezeit eingeräumt wird.

Radhauptnetz Hessen mit Karten für Landkreise
Das Radhauptnetz ist eine Planung der Landesregierung - für Hessen und aufgeteilt für die Kreise. Die Vorschläge sind enttäuschend und bestätigen das, was Landespolitik fürs Fahrrad gerade darstellt: Einfach Radwege an Bundes- und Landesstraßen bauen. Das hilft vor allem den Autos, die jetzt störungsfreier brettern können, und der Bauindustrie. Fürs Radeln sind die Trassenführungen oft sehr ungünstig, zB an Orten vorbei oder gedoppelt zu schon bestehenden Radwegeverbindungen zwischen Orten über Feldwege, aber gerade nicht in den Orten selbst (was wichtig wäre). Vorschläge von Verkehrswende-Initiativen scheinen nicht eingeflossen zu sein.

Oben: Ausschnitt aus dem Radhauptnetz für den Kreis Gießen
Unten sind hellgrün sinnvolle Routen eingetragen (nur der dunkelgrüne R7 bleibt sinnvoll)

Kein Neubau von Straßen und Radwegen!
Verkehrswende-Aktive aus Wieseck, Buseck, Reiskirchen und Grünberg fordern die Ausweisung von Fahrradstraßen statt dem Neubau von Fahrradwegen. Damit wollen sie der weiteren Versiegelung von Flächen entgegentreten. Anlass sind der Haushaltsplanentwurf des Landkreises Gießen, in dem für zwei unsinnige Fahrradwege erhebliche Geldmengen eingeplant sind, die sinnvoller und viel wirksamer für die Umwidmung von Auto- in Fahrradstraßen verwendet werden können. Diese Position wurde schon im andauernden Streit um die Philosophenstraße in Gießen benannt, bei der der geplante Radweg ebenfalls auf Kritik stößt, weil er eher dem Autofahren nützt und wertvolle Naturflächen versiegelt.
„Solche Fahrradwege dienen nicht dem Schutz des Radfahrens, sondern fördern den Autoverkehr, weil Fahrräder von der Straße verbannt werden“, heißt es aus den Verkehrswendegruppen. Offenbar solle dem Auto kein Quadratmeter Verkehrsfläche genommen, die ungerechte Flächenverteilung also weiter festgeschrieben werden. Den Aktivist*innen geht es um mehr Gerechtigkeit bei der Mobilität: „Das umweltfreundlichste Verkehrsmittel, zu Fuß oder mit Gehhilfen, muss zuerst kommen, dann das Fahrrad, der ÖPNV und erst ganz am Schluss das Auto, weil es am meisten das Klima und die Umwelt schädigt, zudem für viele Tote und Verletzte verantwortlich ist.


Die zwei Neubau-Radwege im Haushaltsentwurf des Landkreises Gießen für 2022 (S. 488)

Die Erklärung:
Straßenraum umverteilen statt Neubau von Radwegen!
Wir lehnen den Neubau von Fahrradwegen ab. Neue Fahrradwege bedeuten weitere Flächenversiegelung. Sie fördern zudem den Autoverkehr, weil Autos auf der Straße wegen des Ausbleibens von Fahrrädern mehr Platz haben. Zudem erhöhen Fahrradwege oft auch gar nicht die Sicherheit, weil viele Unfälle zwischen Auto und Fahrrad beim Rechtsabbiegen der Autos geschehen – gerade dann, wenn Fahrradfahrer*innen auf getrennten Wegen unterwegs und deshalb schlechter sichtbar sind.
Die laut Haushaltsentwurf des Kreistages geplanten Radwege an Kreisstraßen (Trohe-Wieseck und Saasen-Bollnbach) und anderen Straßen (zum Beispiel Grünberg-Flensungen und Gießen-Marburg) sind gegenüber bestehenden Fahrradverbindungen oder der Ausweisung eines Netzes von Fahrradstraßen eine deutlich schlechtere bis nutzlose Variante vermeintlicher Fahrradförderung. Statt solch teurer und flächenversiegelnder Maßnahmen fordern wird:
  • Die Ausweisung eines zusammenhängenden Netzes von Fahrradstraßen in allen Orten und von Fahrradverbindungen auf Feldwegen oder bisherigen Autostraßen zwischen den Orten. Solche Umwandlungen sind wesentlich schneller, billiger und ohne zusätzliche Flächenversiegelung machbar.
  • Die Umwidmung von Mitteln für Straßen- und Radwegeneubau für Fahrradstraßen, barrierefreie Fußverbindungen und den ÖPNV.
  • Umverteilung statt Neubau - Fahrradstraßen auf Kreis- und Landesstraßen statt neuer Radwege an ihnen!
  • Hauptverbindungsstrecken als durchgehende Fahrradstraßen, z.B. der „R7“ von Gießen bis Mücke und die L3093 zwischen Gießen und Marburg.
  • Fahrradstraßen vom „R7“ in die benachbarten Siedlungsgebiete, zu Schulen usw. – unter anderem über die Steinerne Brücke und die Philosophenstraße nach Wieseck durch Umwandlung dieser Straßen in Fahrradstraßen statt eines Radwegneubaus Trohe-Wieseck.

Zusatzbemerkung: Flächenversiegelung überall stoppen!
Gegenüber dem Neubau von Straßen, Gewerbe- und Wohngebieten brauchen Radwege weniger Flächen. Zur Klarstellung betonen wir daher, dass wir gegen jede weitere Flächenversiegelung und einen konsequenten Schutz des Bodens eintreten. Neue Autostraßen und Gewerbegebiete lehnen wir noch entschiedener ab, da sie zusätzlich noch neuen Verkehr erzeugen, der dann Klima und Umwelt noch mehr schädigt und zu weiteren Toten und Verletzten führt.

Unbefriedigende Hilfsmittel
Neben privatwirtschaftlichen oder gemeinnützig organisierten Fahrradroutenplanern haben etliche Gemeinden, Kreise oder Landesverwaltungen Karten und Tools herausgegeben, die vermeintlich Radelnden helfen soll, den passenden Weg zu finden. Leider machen fast alle den Eindruck, dass hier Autofahrer*innen vom Schreibtisch aus bzw. per Satellitenbild am Computer die Streckenvorschläge erarbeiten. Das führt oft zu absurden Ergebnissen.

Beispiel "Besser zur Schule"
Auf dem hessischen Schüler-Radtourenplaner lassen sich die Schulen als Zielort gar nicht eingeben. Die ausgeworfenen Routen sind zudem alles andere als befriedigend. Als Beispiel die Verbindung vom Ortsteil Saasen (Start auf dem Radweg "R7") zur Grundschule in Reiskirchen. Statt den R7 zu nutzen, werden die Kids auf die schmale, ungesicherte Dorfdurchgangsstraße, dann einen unbefestigten, zum Teil gar nicht vorhandenen Feldweg nach Lindenstruth und dort sogar auf die ungesicherte B49 im Ortsbereich geleitet. In Reiskirchen müssen sie zudem die B49 kreuzen an einer Stelle, wo es keinen gesicherten Übergang gibt.

Screenshot des Ergebnisses von Saasen zur dazugehörigen Grundschule

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