Offener Raum

FREIWIRTSCHAFT UND ZINS

Kritiken


1. Zitate
2. Günter Hannich
3. Kritiken
4. Freiwirtschaftsdenken in anderen politischen Bewegungen
5. Freiwirtschaft und andere Verbände
6. Texte über Gesell aus der Freiwirtschaftsszene
7. Links und Materialien

Kritik an Freiwirtschaft-Theorie, in: antifa-rundschau Nr. 41/2001
Dass Zins ein Versprechen auf zukünftigen realen Profit aus der privaten Aneignung des Mehrwerts aus gesellschaftlicher Produktion ist, wollen die Gesellianer vernebeln. Die Grundlage diese privaten Aneignung ist das Privateigentum an Produktionsmitteln, das die Freiwirte aber nicht antasten sondern schrankenlos walten lassen wollen.
Es geht den "Freiwirten" als nicht um eine sozial gerechtere Gesellschaftsordnung, wie sie vorgeben, sondern um die Durchsetzung eines, durch keine staatlichen Maßnahmen mehr eingeschränkten Kapitalismus. ...
Auch der neue Vorsitzende der FSU, der "Umweltschützer" Hermann Benjes, stellt keine Ausnahme dar. Im Juni des Jahres 1999 trat Benjes mit einem Vortrag über die "Folgen der Zinswirtschaft" im bayrischen "Kurzentrum Schliersee" auf. Geworben wurde für diese Veranstaltung mit "Doppelbild-Projektion" u.a. in der neofaschistischen Zeitschrift "Nation & Europa". Die angegebene Kontaktadresse für diese Veranstaltung verweist auf die "Buchhandlung Krämer" im nehe gelegenen Ort Miesbach. Der Inhaber Michael Krämer war Aktivist der mittlerweile verbotenen neofaschistischen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) ...


P.M. 2000: Subcoma, Paranoia City in Zürich (S. 152f.)
Das Geld ist ein Ausdruck sozialer Tauschverhältnisse. Wenn es Ausbeutung gibt, dann gibt es auch Zins, nicht umgekehrt. Zins is strukturelle Gewalt. Das Gewaltmonopol des Staates im Dienste der Arbeitsmaschine "überzeugt" uns davon, Zinsknechte zu bleiben, nicht eine blosse Bankmechanik. Ohne Polizei gibt es keine Banken. Das Experimentieren mit Komplementärwährungen wird uns nicht aus der Zange von Staat und Kapital herausführen.

Im Original: Freiwirtschaft - eine Alternative?
Text in der Contraste von Jörg Bergstedt, Red. Umweltschutz von unten
In den letzten Ausgaben der Contraste hat der Gedanke der Zinsabschaffung im speziellen oder der Freiwirtschaft im allgemeinen wieder stärker Fuß gefasst. Das ist wenig überraschend - in Zeiten größerer Not setzen sich populistische Gesellschaftsanalysen einfacher durch. Verkürzungen, Verfälschungen, Verschwörungstheorien und ähnliches ersetzen komplexere Analysen von Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen. Einfache Lösungsmodelle gewinnen AnhängerInnen - ähnlich dem Mechanismus religiöser Leitbilder nehmen sie die Menschen ein, die kraftlos nach einem Strohhalm ringen. Die Idee der Abschaffung des Zins leuchtet dabei ähnlich wie die genauso absurde Tobin Tax von Attac oder andere ideologische Heilsbringer der Marke Agenda 21, internationaler Staatsgerichtshof und mehr. Doch neben der religiösen Aufladung als Rettungsweg haben all diese Vorschläge noch einiges gemeinsam: Die Werbung für sie ist eine Mischung aus Lügen, Verdrehungen und ökonomischen Fehlanalysen. Im folgenden soll die Theorie der Freiwirtschaft in kurzen Thesen widerlegt werden.
Als "dritten Weg" (u.a. der frühere Titel der Zeitung der inzwischen ebenfalls umbenannten Freisozialen Union) verkauft sich die Freiwirtschaft. Sie begründet sich auf die Wirtschaftstheorien von Silvio Gesell. Der hatte ein umfassendes Wirtschaftskonzept geschrieben, in dem die Abschaffung des Zinses, der festgeschriebene Wertverlust des Geldes ("Schwund") sowie eine Umverteilung von Eigentum, gleichzeitig aber auch eine Befreiung der Wirtschaft von allen Reglementierungen gefordert wird. Schon diese Theorien sind alles andere als eine Alternative zum Kapitalismus. Zudem lohnt auch ein Blick auf weitere Schriften von Gesell und aktuellen Umtrieben vieler FreiwirtschaftlerInnen - rassistische und rechte Positionen vielerorts.

Gesell - einer der ersten Neoliberalen
Schon der Name "Freiwirtschaft" täuscht nicht. Wirtschaft muß frei sein, fordert Gesell. Und "Umsatz, Umsatz, Umsatz". Wirtschaftswachstum ist denn auch eines der wichtigsten Argumente, die Gesell für seine Vorschläge einbringt. Das würde auch heute noch gelten. Anders als die Annahme der FreiwirtschaftlerInnen, bei einem Wegfall des Zinses würde das schädliche Wirtschaftswachstum unterbleiben, ist eher das Gegenteil zu erwarten - und Gesell selbst wußte und wollte das auch. Das ständige Ringen um Profit ist nicht primär durch den Zinsdruck, sondern durch das Streben nach Mehrung des Kapitals und der Macht hervorgerufen. "Dass Zins ein Versprechen auf zukünftigen realen Profit aus der privaten Aneignung des Mehrwerts aus gesellschaftlicher Produktion ist, wollen die Gesellianer vernebeln. Die Grundlage diese privaten Aneignung ist das Privateigentum an Produktionsmitteln, das die Freiwirte aber nicht antasten sondern schrankenlos walten lassen wollen.
Es geht den "Freiwirten" als nicht um eine sozial gerechtere Gesellschaftsordnung, wie sie vorgeben, sondern um die Durchsetzung eines, durch keine staatlichen Maßnahmen mehr eingeschränkten Kapitalismus" (antifa-rundschau Nr. 41/2001). Denn "das Geld ist ein Ausdruck sozialer Tauschverhältnisse. Wenn es Ausbeutung gibt, dann gibt es auch Zins, nicht umgekehrt. Zins is strukturelle Gewalt. Das Gewaltmonopol des Staates im Dienste der Arbeitsmaschine ?überzeugt' uns davon, Zinsknechte zu bleiben, nicht eine blosse Bankmechanik. Ohne Polizei gibt es keine Banken. Das Experimentieren mit Komplementärwährungen wird uns nicht aus der Zange von Staat und Kapital herausführen" (P.M. 2000: Subcoma, Paranoia City in Zürich, Seite 152f.).
Die Logik von Verwertung kann folglich nicht durch Detailmaßnahmen am Geldverkehr behoben werden - weder durch eine Abschaffung des Zinses noch durch die Tobin Tax. Das sind alles nur Detailveränderungen am Rande des ökonomischen Geschehens. Den Kern von Verwertungslogik und -zwang, Profitorientierung und Kapitalakkumulation sowie Herrschaft und Kontrolle berühren sie nicht. Freiwirtschaft und Attac sind sich ideologisch nahe, wenn auch ihre konkrete Hauptforderung nicht die gleiche ist. Das erkennen auch die FreiwirtschaftlerInnen: "Über das Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte sind die CGW zudem Gründungsmitglied von Attac-Deutschland. Wir setzen Hoffnung in diese globalisierungskritische Bewegung. Attac versteht sich als Bildungsbewegung mit Aktionscharakter und Expertise. ... Unsere Reformvorstellungen wurden bislang nicht einbezogen. Doch finden sich in den örtlichen und regionalen Attac-Gruppen vermutlich auch dafür offene Gesprächspartner/innen. Deswegen sind alls CGW-Mitglieder aufgefordert, sich in solchen Gruppen je nach erspürbarem Interesse einzubringen" (aus dem Rundbrief der freiwirtschaflichen CGW, Ausgabe Juni 2002, S. 8). Nähe aber haben solche verkürzten Analysen der Wirtschaft nicht nur untereinander, sondern auch zu rechten Ideologien. Auch dort wird das Finanzkapital für analytisch abtrennbar gehalten, wird das raffende dem schaffenden Kapital gegenübergestellt werden und soll das raffende, spekulative Geschehen durch Sondermaßnahmen in Schach gehalten werden. Abgesehen von den Gefahren solchen Denkens in Hinblick auf darauf aufbauenen Nationalismus und Antisemitismus ist die Analyse schlicht falsch: Spekulative und Investitionssphäre sind nicht trennbar, sondern Teil eines komplexen System der Ökonomie, die die Mehrung des Profits und ständige Verwertung von Ressourcen, Arbeits- und Denkkraft des Menschen, Kapital, Wissen bis neuerdings hin zu Genen, Luft und Gesundheit anstrebt.
Ganz nebenbei ist einiges in der vorgebrachten Zinstheorie auch im Detail falsch, denn die Summation der Zinsen in den verschiedenen Herstellungsstufen einer Ware, eines Gebäudes u.ä. ist mathematisch sinnlos. Schließlich könnte ein Beteiligter, der einen Kredit aufnimmt, damit die anderen bezahlen, die folglich keinen Kredit nehmen müssten. Dass alle an der Produktion einer Ware Beteiligten nacheinander ihren Betrag als Kredit nehmen, wäre nur dann richtig, wenn alle ihre Bank bescheissen und das Geld nicht zum Einkauf des Vorproduktes nutzen, sondern für ihren Urlaub auf Mallorca.

Freiwirtschaft - Eingangstür für rechte Ideologie
Fast überall in Freiwirtschaftskreisen finden sich persönliche Kontakte und inhaltliche Bezüge zu rechten Kreisen, z.B. zum Collegium Humanum, zum Weltbund zum Schutze des Lebens usw. In ihren verschiedenen Zeitschriften kommt das unterschiedlich stark rüber. Von der softeren Fraktion der Christen für eine gerechte Wirtschaftsordnung (CGW), dem Verlag und der Zeitschrift für Sozialökonomie (von Werner Onken) bis zur deutlichen rechten Freisozialen Union (FSU) mit ihrer Zeitung "Der Dritte Weg" reichen inhaltliche und personelle Schnittstellen. Die Chefideologen sind überall zu finden - Vielreferent Helmut Creutz oder der rechte Ideologe ("Nationalrevolutionär") Günter Bartsch. Eingang finden FreiwirtschaftlerInnen vor allem in der Debatte um alternative Ökonomie, zum einen als Referenten bei den entpolitisierten Umweltorganisationen oder bei der damals auch rechtesorientierten ÖDP (Gesell-Fan Hermann Benjes war dort Spitzen-Funktionär), zum anderen in verschiedenen Tauschringen sowie neuerdings massiv bei "Mehr Demokratie". Offen für rechte, rassistische und biologistische Positionen war schon Gesell selbst - Distanzierungen von seinen Positionen sind Mangelware bei heute aktiven FreiwirtschaftlerInnen: "Wie bei allen Lebewesen, so hängt auch das Gedeihen des Menschen in erster Linie davon ab, daß die Auslese nach den Naturgesetzen sich vollzieht ... auch kann in dieser amerikanischen Rassenpolitik der schwarze Bestandteil, können die Neger eines Tages die Oberhand gewinnen ... So kämen die Frauen wieder zu ihrem Wahlrecht, und zwar nicht zum wesenlosen politischen Wahlrecht, sondern zum großen Zuchtwahlrecht." (Aus "Die natürliche Wirtschaftsordnung"). Doch nicht nur Distanzierungen von den rechten und neoliberalen Positionen Gesells sucht mensch vergebens, auch aktuelle Positionen haben rechten Ideologien Raum, selbst in den gemäßigten Zeitungen und Rundbriefen der CGW (Christen für gerechte Wirtschaftsordnung), in der Helmut Creutz wichtigster Autor ist. In der Ausgabe März 2001 findet sich ein Vorwort von Herrmann Block zu "Wo ist eigentlich links und rechts?" Darin schreibt er: "Gefahren für die Menschheit gingen und gehen auch von sog. "linken Tendenzen" aus, z.B. ist es dieser politischen Denkweise zu verdanken, dass gute und lebenwichtige Begriffe wie z.B. Ordnung, Disziplin, Zucht, Pflichtgefühl, Opferbereitschaft usw., weil "rechtslastig" in den sechziger Jahre durch eine von der damaligen SPD-Regierung engesetzten Kommission bewusst und systematisch aus allen neuen Schulbüchern entfernt wurden".

Weitergehende Informationen

  • Bergstedt, Jörg (1998): Agenda, Expo, Sponsoring - Recherchen im Naturschutzfilz, IKO-Verlag, Frankfurt
  • Bergstedt, Jörg (2001): Reich oder rechts, IKO-Verlag Frankfurt
  • Bergstedt, Jörg (2002): Nachhaltig, modern, staatstreu?, Buchreihe aus der Projektwerkstatt in Saasen
    (alle bisherigen Materialien beziehbar über www.aktionsversand.siehe.website)
  • Ditfurth, Jutta: Entspannt in die Barbarei (Konkret Literatur Verlag)
  • Geden, Oliver (2000): Rechte Ökologie, Elefantenpress-Verlag, Berlin

Wegen dieses Textes hat die Contraste-Redaktion eine Art Zensur über den Autor verhängt. Während die Beiträge der teilweise rechtslastigen Freiwirtschaftler wie z.B. Helmut Creutz unkritisiert blieben, wurde der obige Kritikartikel von der Redaktion scharf attackiert und dann beschlossen, dass der Autor künftig nur noch Texte schreiben darf, die ein anderes Redaktionsmitglied vorher durchsieht.
  • Der Text erschien auch in den Ö-Punkten. Reaktionen: Leserbriefe pro Freiwirtschaft in der folgenden Ö-Punkte 1/2001.

Im Original: Zinsen sind schlimm. Ohne Zinsen auch!
Absurder Artikel in "Stimme&Gegenstimme" Nr. 4/2014: Plötzlich ist das Fehlen des Zinses die böse Verschwörung


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