Offener Raum

(MEDIEN-)GEMACHTE KRIMINALITÄT

Polizei schürt Angst - und weiß es besser


1. Sensations-Journalismus und Straflust
2. Gefühl: Mehr Kriminalität ++ Offizielle Zahlen zeigen aber: Kriminalität nimmt ab
3. Polizei schürt Angst - und weiß es besser
4. Links

Paradox: In der Zeitung "Polizei heute" (Ausgabe 1/2010, S. 4 ff.) wird die gefühlte Kriminalitätsfurcht am Beispiel älterer Menschen wie folgt beschrieben: "Besonders ältere Menschen zeigen eine ausgeprägte Angst, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Fast scheint es, als gehöre Kriminalitätsfurcht wie etwa auch Einsamkeit oder Gebrechlichkeit zu den typischen Problemen des Alters. Die subjektive
Wahrnehmung der Betroffenen widerspricht jedoch objektiven Tatsachen, denn die polizeiliche Kriminalstatistik offenbart, dass nicht alte Menschen, sondern überwiegend jüngere Altersgruppen - und darunter besonders junge Männer - vermehrt Opfer von Gewaltdelikten werden. Alte Menschen dagegen sind generell weniger gefährdet." Und fügt als Ursachenanalyse an: "Die Medien haben einen erheblichen Einfluss auf das subjektive Sicherheitsempfinden der Menschen. Presse, Funk und Fernsehen berichten manchmal aufreißerische Weise über einzelne Straftaten und schüren so die Ängste in der Bevölkerung, die bald in jedem dunklen Hauseingang einen potentiellen Vergewaltiger vermutet. Es ist also nicht überraschend, dass insbesondere ältere Frauen große Angst vor Überfällen haben, obgleich sie zu der mit Abstand kleinsten Opfergruppe gehören, während die jungen Männer, die sich für stark halten, keine Ängste haben, aber am häufigsten Opfer von Gewalttaten werden."
Soweit, so gut. Doch nur wenige Seite später macht die Zeitung genau das. Dort findet sich ein Text über sexuelle Gewalt gegen Frauen. Korrekt wird berichtet, dass solche Gewalt vor allem in den Ehen und Familien vorkommen. Doch das illustrierende Bild zeigt das Gegenteil und macht genau die Angst, die vorher als unzutreffend analysiert wurde: Die Angst vor der Fremde (Ausschnitt S. 29):



Im Original: Falsche Täter_innen und Tatorte...
Aus Schwandner, Alex (2013): „Stärke zeigen“. Bastei Lübbe in Köln (der Autor ist Polizist)
Täter sind nur im Fernsehen stark und wenn sie Opfer gefunden haben, die mitmachen. In Wirklichkeit handelt es sich bei ihnen um schwache, weiche, nachgiebige, sich selbst bemitleidende Zeitgenossen. (S. 63)
Wir kennen ihn alle. Abend für Abend erblickt man ihn auf sämtlichen Fernsehsendern. Weiß gekleidete Gestalten sichern Spuren. Der Verbrecher war immer bewaffnet, immer extrem brutal und wenn das Opfer sich wehrte oder zu fliehen versuchte, bezahlte es das mit seinem Leben. Der Täter im Fernsehen ist stets omnipotent, der Zuschauer kuschelt sich in seine Couch und vergisst manchmal sogar, nach den Chips zu greifen. Um diesen falschen Eindruck einmal geradezurücken: Polizeiliche Untersuchungen zeigen, dass fast 70 Prozent der Täter von ihren Opfern ablassen, allein wenn sich diese verbal zur Wehr setzen. Bei Vergewaltigungen liegt dieser Prozentsatz noch um einiges höher später mehr zu diesem Thema massivster Grenzverletzung. Also: Bitte schöpfen Sie keine Verhaltenstipps aus Fernsehkrimis und Kinofilmen. Das ist Unterhaltung, Spannung, Fik-tion. Keine Realität! Die Täter, die im Film auftreten, verhalten sich atypisch. Sie wurden nicht von Polizisten erfunden, sondern von Schriftstellerinnen, Drehbuchschreibern, Regisseuren. Die verdienen Geld damit, dass die Quote stimmt. Lieber an den Haaren herbeigezogen und erfolgreich, als authentisch und fad. Echte Täter sind anders als ihre filmischen Abbilder, nämlich keine coolen Helden wie viele Verbrecher im Film. …
Das liegt meiner Meinung nach auch an der filmischen Darstellung der Täter. Dazu gehört für mich an vorderster Stelle die überaus beliebte Sendung Aktenzeichen XY ungelöst eine Angst-machershow. (S. 75f)
Der junge Mann, der nach dem Diskobesuch von einem Vollbärtigen verprügelt wurde, bekommt Gänsehaut, wenn ihm einer begegnet, der ihn an den Gewalttäter erinnert. Viele Menschen fürchten sich vor Skinheads oder Punkern, andere haben Angst vor Langhaarigen, die sie für drogenabhängig halten, oder vor Turbanträgern, in denen sie Attentäter vermuten. Nicht wenige dieser Vorurteile werden durch die Medien geschürt. Wer sich über seine Voreingenommenheit nicht im Klaren ist, kann auch das Reaktionsmuster nicht stoppen, das dann abläuft … (S. 108f)
Stets gibt es eine Vorgeschichte, selbst bei dem schlimmsten anzunehmenden Fall einer Gruppenvergewaltigung, die häufig mit einem Trinkgelage beginnt, bei dem die Höflichkeitsgrenzen zwischen Mann und Frau verwischen. Wie schon einige Male geschildert, lauert keine Horde wilder Männer stundenlang im dunklen Park, um eine Frau zu überfallen und zu vergewaltigen. Das ergibt sich aus einer Situation heraus, und wenn der Tatort ein Park sein sollte, waren Täter und Opfer in der Regel gemeinsam dort. Obwohl keine Polizeistatistik belegt, dass Gruppengewalt gegen Einzelne ein häufiges Phänomen bei den Rohheitsdelikten darstellt, spukt es in den Köpfen der Bevölkerung herum. (S. 239f)


Viele Menschen fühlen sich unwohl in Tiefgaragen, Parks und in U und S Bahnhöfen bei Nacht. Nach Möglichkeit meiden sie diese persönlichen Angsträume. … Es gibt keine polizeiliche Statistik, die den Wahrheitsgehalt von Angsträumen belegt. Aber Krimis haben uns geprägt. An Geisterbahnorten wie Parks bei Nacht und in Tiefgaragen wird das Grauen gern in Szene gesetzt. Doch Parks und Tiefgaragen bieten Tätern aus unserer Erfahrung zu wenig Publikumsverkehr. Dennoch lassen manche Mieter eines Tiefgaragenplatzes ihren Wagen, wenn es mal spät geworden ist, lieber draußen stehen, als den Parkplatz anzufahren; zuweilen müssen sie dafür sehr lange nach einer freien Stelle an der Straße suchen. Bloß nicht in die Garage mitten in der Nacht! … Sie brauchen keine Tiefgaragen und Parks zu meiden, auch nicht nachts! Täter haben meistens etwas Besseres zu tun, als sich nach Einbruch der Dunkelheit hinter Bäume zu stellen und auf ein Opfer zu warten. Wenn im Park etwas passiert, dann häufig im Zusammenhang mit einer Gruppe, die sich dort gestritten hat. Allein im Park können Sie sich relativ sicher fühlen. … Wenn möglich immer in der Mitte gehen, so sind die Seiten besser einsehbar. Und tritt doch der unwahrscheinliche Fall ein, dass jemand aus dem Dunkeln hervorspringt (ein vergessener Statist aus einem Krimi?), muss er erst einige Meter überwinden, ehe er bei Ihnen ist. (S. 107f.)

Gerade bei Vergewaltigungen wird deutlich, dass viele Menschen ein völlig falsches Bild von der Realität haben. Genauso wenig wie die meisten Verbrechen nachts im Park oder in der Tiefgarage stattfinden, ist der Vergewaltiger der große Unbekannte. Ganz im Gegenteil. Wenn eine Frau vergewaltigt wird, ist es wahrscheinlich, dass
• sie den Täter kennt: 75 Prozent
• er in der Gegend wohnt: 82 Prozent
• die Vergewaltigung in seiner oder ihrer Wohnung geschieht: 56 Prozent
• der Täter ein "normaler" Mann ist und kein psychisch Kranker: 90 Prozent
• die Vergewaltigung geplant war: 82 Prozent.
Das bedeutet: Die meisten Vergewaltigungen haben eine Vorgeschichte, Opfer und Täter kennen sich, manchmal sind sie sogar miteinander verheiratet. Vergewaltigungen, bei denen sich Opfer und Täter fremd sind, machen nur etwa zehn Prozent aus. Und der dunkle Park spielt auch keine Rolle, der überwiegende Tatort einer Vergewaltigung ist die Privatwohnung. Es ist also ratsam, in den eigenen vier Wänden höhere Aufmerksamkeit walten zu lassen als in einer Grünanlage bei Nacht! (S. 138f)


Falsches Bild von Kriminalität
Aktenzeichen XY, Tatort, tagesschau, Bild & Co. transportieren ein bestimmtes Bild von Kriminalität. Diese findet meist im Verborgenen statt und durch Fremde. Das schürt Angst und legitimiert immer mehr Polizei, Überwachung und härtere Strafen. Tatsächlich aber ist Kriminalität vor allem eine Sache zwischen Personen, die sich kennen. Familien, Diskotheken, Arztpraxen, katholische Schulheime usw. sind die Hochburgen der Kriminalität. Doch daraus lassen sich keine Stories ziehen, die Einschaltquoten bringen oder Akzeptanz für autoritäre Innenpolitiken.

Aus "Fast jeder Mord wird aufgeklärt", in: FR, 7.4.2011 (Beilage D3)
Der Kreis der Verdächtigen ist ohnehin recht begrenzt. ... Bei Mord und Totschlag gibt es fast immer eine wie auch immer geartete Beziehung zwischen Täter und Opfer: Der Täter ist der Ehemann, der Liebhaber, der Bruder des Opfers. Der Täter hatte Spielschulden beim Opfer, wollte Drogen kaufen oder wollte sich für eine andere Tat rächen. Das alles ist denkbar. In jedem Fall aber findet man den Täter im Umfeld des Opfers.

Aus "Für die Chance auf Gerechtigkeit", in: Gießener Allgemeine am 21.5.2024
In mehr als der Hälfte der über 350 Fälle pro Jahr, bei denen das FoKoGi zurate gezogen wird, sind Kinder und Jugendliche von null bis 18 Jahren betroffen. ... Die Taten finden meist im familiären oder häuslichen Umfeld statt. Ähnlich sieht es bei betroffenen Erwachsenen aus. ... Auch hier kommen die Täter aus dem sogenannten Nahfeld des Opfers also Partner, Ex-Partner, Familienangehörige, Verwandte, Freunde oder Kollegen.

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