Offener Raum

AKTENEINSICHT: SCHNÜFFELN IN EIGENEN ANGELEGENHEITEN

Einleitung


1. Einleitung
2. Akteneinsicht in die Patientenakte nach BGB
3. Akteneinsicht nach Sozialgesetzbuch
4. Akteneinsicht nach dem FamFG
5. Politische Akteneinsicht - nicht nur die eigenen Unterlagen

Das Recht auf Einsicht in die Patient*innenakte laut Wikipedia:
Das Patientenrecht auf Einsicht in die eigenen Krankenunterlagen kann aus verschiedenen Spezialgesetzen folgen, wird sich aber zumeist schon aus dem jeweiligen Behandlungsvertrag ergeben.

Im Original: Texte zum Akteneinsichtsrecht
Aus Rolf Marschner (2009), "Rechtliche Grundlagen für die Arbeit in psychiatrischen Einrichtungen" (S. 44ff.)
Dokumentation und Akteneinsicht
Im Rahmen der beruflichen Aufgaben besteht die Pflicht zur Dokumentation der Tätigkeit, im Rahmen behördlicher Tätigkeit die Pflicht zur Aktenführung. Für Ärzte ist dies in § 10 Abs. 1 MBO-Ä ausdrücklich festgelegt. Danach haben Ärzte über die in Ausübung ihres Berufs gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen. Diese dienen nicht nur der Gedächtnisstütze des Arztes, sondern auch dem Interesse des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation. Soweit besondere berufsrechtliche Regelungen fehlen, ergeben sich vergleichbare Pflichten aus dem mit dem Betroffenen geschlossenen Behandlungs bzw. Betreuungsvertrag oder aus gesetzlichen Auskunfts und Rechenschaftspflichten (z. B. nach §§ 1908 i, 1839 ff. BGB für rechtliche Betreuer) und betreffen damit den gesamten psychosozialen Bereich.
Merke: Die Dokumentation dient in erster Linie der dem Betroffenen geschuldeten Qualität der Behandlung bzw. Betreuung. Sie dient aber auch der Beweisführung über die durchgeführte Behandlung bzw. Betreuung und damit der Absicherung der Mitarbeiter.
Der Dokumentationspflicht steht das Akteneinsichtsrecht des Betroffenen gegenüber. Dieses ergibt sich aus gesetzlichen Vorschriften (z. B. § 25 SGB X für Akten der Sozialleistungsträger oder §34 FGG für Akten des Vormundschaftsgerichts) oder wie die Dokumentationspflicht aus dem Behandlungs bzw. Betreuungsvertrag. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Obliegenheit oder Verpflichtung des Arztes bzw. der, Einrichtung, sondern um ein in dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verankertes, jederzeit geltend zu machendes und einklagbares Recht des Betroffenen. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dieses Recht für körperlich erkrankte Menschen seit langem anerkannt. Das Recht auf Akteneinsicht beinhaltet auch das Recht, Kopien der Unterlagen gegen Kostenerstattung zu verlangen. Allerdings hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Recht auf Akteneinsicht auf sogenannte objektive Daten, d.h. Aufzeichnungen über objektive physische Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen, wie Operationen oder Medikation, beschränkt. Dazu gehört auch die ärztliche Diagnose.
Für den Bereich der Behandlung psychisch kranker Menschen hat der BGH im Fall eines ehemaligen, freiwillig in Behandlung befindlichen Patienten Einschränkungen vorgenommen. Diese betreffen Aufzeichnungen über subjektive Eindrücke bzw. ärztliche Unterlagen, wenn dem näher zu kennzeichnende schützenswerte Interessen des Arztes, Dritter oder des Patienten selbst entgegenstehen. Die Einschränkung wird damit begründet, dass sich die Akteneinsicht therapeutisch negativ auf den Patienten auswirken könne und dass im Rahmen der psychiatrischen Behandlung der Arzt selbst und Dritte (Angehörige) stärker in die Behandlung einbezogen seien und dadurch subjektive Beurteilungselemente in den Vordergrund treten können, so dass die Entscheidung nicht einseitig am Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ausgerichtet werden könne (BGH in: R gz P 1983, 31). Dieser Auffassung sind schon frühzeitig nicht nur Juristen, sondern auch Psychiater entgegengetreten (siehe Wullweber in: R&P 1983, 5 ff. und Dörner in: R& P 1983,13 ff.: "Meine Patienten dürfen die Akten sehen.") Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht im Fall eines ehemaligen untergebrachten Patienten ein weitgehendes Akteneinsichtsrecht anerkannt und Ausnahmen nur im Fall einer drohenden Selbstge-fährdung zugelassen und dies mit dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen und der damit verbundenen weitergehenden Grundrechtsbindung bei einer öffentlich rechtlichen Unterbringung gegenüber einem freiwilligen, auf vertraglicher Grundlage beruhenden Aufenthalt begründet (BVerwG in: R&P 1989,114).
Die bereits zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.1.2006 (R&P 2006, 94ff.) zum Akteneinsichtsrecht eines im Maßregelvollzug Untergebrachten führt zu einer neuen Beurteilung des Akteneinsichtsrechts auch von freiwilligen Patienten. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass es offen bleiben könne, ob die vorstehende Rechtsprechung des BGH angesichts neuerer Entwicklungen und zwischenzeitlich veränderter Anschauungen aus verfassungsrechtlicher Sicht der Weiterentwicklung in dem Sinne bedürfe, dass die Persönlichkeitsrechte des Patienten höher gewichtet werden. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch außerhalb des Maßregelvollzugs und der öffentlich rechtlichen Unterbringung ein Akteneinsichtsrecht des psychisch kranken Menschen in seine vollständigen Krankenunterlagen von seltenen Ausnahmen abgesehen besteht. Dies gilt nicht nur für psychiatrische Krankenhäuser, sondern ebenso für niedergelassene Ärzte und psychosoziale Einrichtungen. Die Dokumentation ist deshalb ohne stigmatisierende oder diskriminierende Elemente so abzufassen, dass sie dem Betroffenen ohne Bedenken überlassen werden kann.
Auch das behördliche Akteneinsichtsrecht ist im Grundsatz unbeschränkt. Nach § 25 Abs. 2 SGB X besteht allerdings die Möglichkeit, bei Angaben über gesundheitliche Verhältnisse den Akteninhalt durch einen Arzt vermitteln zu lassen, soweit ein gesundheitlicher Nachteil des Betroffenen zu befürchten ist. Dies entspricht im Wesentlichen der oben genannten Gü-terabwägung.
Die Rechtsprechung hat in diesem Zusammenhang auch die Frage beschäftigt, ob der Betroffene den Widerruf einer nach seiner Auffassung falschen ärztlichen Diagnose verlangen kann. Der Bundesgerichtshof hat hierzu entschieden, dass es sich bei der psychiatrischen Diagnose um ein auf medizinischer Begutachtung beruhendes Werturteil handelt, dass einem Widerruf selbst dann nicht zugänglich ist, wenn die Diagnose sich nachträglich als unrichtig erweist (BGH in: R&P 1989, 116). Diese Position ist schwer nachzuvollziehen und vor allem Betroffenen schwer zu vermitteln. Allerdings kann ein leichtfertig ausgestelltes ärztliches Attest mit einer unrichtigen Diagnose einen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt auslösen.

Aus Cornelia Schaumburg (2010), "Maßregelvollzug" (Psychiatrie Verlag in Bonn, S. 91ff)
Die Dokumentation der Behandlung
Praktisch ebenso wichtig wie die Behandlung der Patienten ist die Dokumentation dieser Behandlung. Sie darf auf gar keinen Fall auch nur zeitlich hinausgeschoben werden, weil angeblich die "eigentliche" Aufgabe der Behandlung Vorrang hat.
Erstens ist die Dokumentation eine gesetzlich festgeschriebene Pflichtaufgabe.
Zweitens ist sie unbedingt notwendig, damit es möglich ist, sich über die meist langen Unterbringungszeiten hinweg und trotz Stations und Therapeutenwechsel einen Überblick auch über Details der Behandlung und die Entwicklung eines Patienten verschaffen zu können. Dieser Überblick ist unter anderem für die regelmäßigen Stellungnahmen für Staatsanwaltschaft und Strafvollstreckungskammer, vor allem aber für die Entlassungsprognose und die Epikrise nötig.
Drittens dient die Dokumentation bei besonderen Vorkommnissen wie Suizid oder Entweichung und neuer Straftat als Nachweis, ob die Maßregelvollzugseinrichtung ihrer Sorgfaltspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Die Dokumentation unterteilt sich in Behandlungs- und Pflegedokumentation; außerdem führen meist Sozialdienste, Ergotherapeuten, Lehrer und andere Berufsgruppen Handakten über die einzelnen von ihnen betreuten Patienten. In der Verwaltung gibt es zudem eine Personal oder Verwaltungsakte über jeden Patienten. '
Merke: Die Dokumentation ist nicht nur eine gesetzliche Pflicht. Sie ermöglicht einen Überblick über die Entwicklung des Patienten und über besondere Vorkommnisse. Sie ist regelmäßig zu führen.
Alle Dokumentationen werden spätestens bei der Entlassung des Patienten in der Krankenakte zusammengefasst und archiviert. Die Aufbewahrung der Krankenakte ist für dreißig Jahre vorgeschrieben; die Modalitäten und der Zugang zu den archivierten Krankenakten werden durch Archivordnungen geregelt, die sich die Maßregelvollzugseinrichtungen geben. Derzeit geht der Trend hin zur elektronischen Krankenakte, bei der durch Vernetzung und elektronische Kommunikation aller mit einem Patienten befassten Stellen innerhalb der Einrichtung die Daten elektronisch gespeichert werden und Papier praktisch überflüssig wird. Bisher ist diese Zielsetzung aber erst in Ansätzen verwirklicht; die völlige Realisierung wird noch Jahre in Anspruch nehmen. Im Maßregelvollzug wird sie sich zudem nie vollständig verwirklichen lassen, weil beispielsweise die Ausfertigungen von Urteilen und Beschlüssen in schriftlicher Form aufbewahrt werden müssen.
Inhaltlich ist von der Pflege und Behandlungsdokumentation vor allem zu fordern, dass sie konkret und aussagekräftig ist und regelmäßige Einträge enthält. Wie oft das ist, richtet sich danach, ob ein Patient gerade Probleme bereitet, ob intensive Behandlungsmaßnahmen laufen und entsprechend viele Veränderungen zu beobachten sind oder ob er sich gerade in einer Phase der Stabilität befindet, in der nur noch eine langsame Entwicklung abläuft. Wichtige Ereignisse sind grundsätzlich umgehend, notfalls handschriftlich, zu dokumentieren, ansonsten kann die Häufigkeit von Eintragungen zwischen mehreren in der Woche und einem innerhalb von etwa vierzehn Tagen schwanken. Dokumentiert werden:
• alle Besonderheiten,
• in regelmäßigen Abständen die kontinuierlich ablaufende Entwicklung,
• Verhaltensänderungen vor dem Hintergrund des Behandlungsplans,
• Begründungen und Überlegungen zu bestimmten Behandlungsmaßnahmen oder dem Procedere allgemein sowie
• prognostische Oberlegungen.
Auch die Entscheidungswege, die zur Gewährung oder Rücknahme bestimmter Lockerungen führen, müssen stets nachvollziehbar dokumentiert werden.
Wie jeder Patient, der in einem Krankenhaus behandelt wird, haben auch Patienten im Maßregelvollzug ein Recht auf Einsicht in ihre Krankenakte. Für die Psychiatrie allgemein gilt dabei die Einschränkung, dass nur objektive Befunde, nicht aber subjektive Beurteilungen vorgelegt werden müssen und dass die Akteneinsicht insgesamt verweigert werden kann, wenn dadurch eine gravierende Verschlechterung der psychischen Erkrankung zu befürchten ist. Soweit die Akteneinsicht für Patienten im Maßregelvollzug nicht durch die Maßregelvollzugs- oder Psychisch Kranken Gesetze der einzelnen Bundesländer geregelt ist, orientiert man sich an dieser Regelung für die Psychiatrie. Wo sich besondere gesetzliche Bestimmungen für die Akteneinsicht durch Patienten im Maßregelvollzug finden, geht die Tendenz eher dahin, ihnen unbeschränkte Einsicht zu gewähren, teilweise nach vorheriger Warnung, dass die Kenntnis von Details der Akten ihren psychischen Zustand beeinträchtigen könne. Von der Einsicht ausgenommen sind aber in jedem Fall Dokumente Dritter, also zum Beispiel Briefe von Angehörigen oder auch Arztbriefe über frühere Behandlungen.
Die Gewährung von Akteneinsicht kann auf keinen Fall so aussehen, dass man dem Patienten einfach seine Krankengeschichte zum beliebigen Blättern in die Hand drückt. Empfehlenswert ist, dass der Bezugstherapeut dem Patienten den Aufbau der Krankenakte erläutert und ihn fragt, was an Unterlagen ihn interessiert. Diese werden dann gemeinsam eingesehen und durchgesprochen. Der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Patienten, zu der es am ehesten über die Verlaufsdokumentation kommen wird, muss man sich stellen; dies fällt umso leichter, je sachlicher und fachlich fundierter der Behandlungsverlauf dokumentiert ist.

Aus C. Löser (Mitglied der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald), "Das Recht auf Einsicht in die eigenen Patientenakten"
Dass die Akteneinsicht aus Unkenntnis über das Einsichtsrecht des Patienten verweigert wird erscheint an gesichts seiner Verankerung in den jeweiligen Landesberufsordnungen und entsprechender Artikel in Fachzeitschriften ausgeschlossen. Sollte der Arzt bzw. Psychologe oder der Krankenhausträger sich dennoch weigern, sollte er freundlich, aber bestimmt und unter Setzung einer angemessenen Frist nochmals zur Einsichtsgewährung aufgefordert werden. Wenn auch das nicht zum Ziel führt ist zu erwägen, das Einsichtsrecht gerichtlich durchzusetzen.


Grundsatzurteile zum Akteneinsichtsrecht für Patient*innen
Im Original: Bundesverfassungsgericht
Aus dem Urteil des BVerfG, 2 BvR 443/02 vom 9.1.2006 (Presseinfo dazu)
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 (43); 78, 77 (84); 80, 367 (373)). Dieses Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet. Einschränkungen bedürfen aber einer gesetzlichen Grundlage und müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen; vor allem dürfen sie nicht weiter gehen als zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich (vgl. BVerfGE 65, 1 (44); 78, 77 (85)). ...
Bezogen auf den Zugang zu Krankenunterlagen hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde des Patienten (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG) es gebieten, jedem Patienten gegenüber seinem Arzt und Krankenhaus grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen einzuräumen (Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. September 1998 – 1 BvR 1130/98 -, NJW 1999, S. 1777). Dieses Informationsrecht des Patienten ist zwar von Verfassungs wegen nicht ohne Einschränkungen gewährleistet (BVerfG, a.a.O., S. 1777 f., näher dazu unter b). Das ändert aber nichts daran, dass es seine Grundlage unmittelbar im grundrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat und daher nur zurücktreten muss, wenn ihm entsprechend gewichtige Belange entgegenstehen.
Auch in der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Selbstbestimmungsrecht als Quelle von Schutzansprüchen anerkannt, die sich auf den Zugang zu persönlichen Daten beziehen, auch hier allerdings bislang nicht als Quelle eines umfassenden, nur durch Gesetz einschränkbaren Informationsanspruchs, sondern als Quelle jedenfalls eines Anspruchs auf Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der sich zu einem Informationsanspruch dann verdichtet, wenn keine mindestens gleich gewichtigen Belange entgegenstehen (vgl. BVerwGE 84, 375 (378 f., 381); für den Zugang zu Unterlagen über psychiatrische Behandlung BVerwGE 82, 45 (48 f.); BGHZ 106, 146 (148)).
b) Bei der demnach notwendigen Abwägung kommt dem Informationsinteresse des Patienten grundsätzlich erhebliches Gewicht zu. Ärztliche Krankenunterlagen betreffen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen den Patienten unmittelbar in seiner Privatsphäre (vgl. BVerfGE 32, 373 (379); 44, 353 (372); Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. September 1998 – 1 BvR 1130/98 -, NJW 1999, S. 1777; Jorzig/Noltze, KHuR 2000, S. 136 (137)). Deshalb und wegen der möglichen erheblichen Bedeutung der in solchen Unterlagen enthaltenen Informationen für selbstbestimmte Entscheidungen des Behandelten hat dieser generell ein geschütztes Interesse daran, zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen wurde, welche Daten sich dabei ergeben haben und wie man die weitere Entwicklung einschätzt (vgl. Hinne, NJW 2005, S. 2270 ff.; Deutsch, AcP 192 (1992), S. 161 (171)). Dies gilt in gesteigertem Maße für Informationen über die psychische Verfassung (vgl. BVerfGE 89, 69 (82 ff.)). ...
Landgericht und Oberlandesgericht haben dem Antrag des Beschwerdeführers den Erfolg versagt unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die den Anspruch des Patienten auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen zunächst grundsätzlich auf sogenannte objektive Befunde beschränkt (vgl. BGHZ 85, 327 (329 ff.)) und einen sogenannten therapeutischen Vorbehalt anerkannt hat, der es ermöglicht, einer erstrebten weitergehenden Einsichtnahme über eigene Rechte des Therapeuten und Rechte Dritter (vgl. BGHZ 85, 339 (342, 344)) hinaus auch therapeutische Bedenken entgegenzuhalten (vgl. BGHZ 106, 146 (148 ff.)). Ob diese Rechtsprechung, nicht zuletzt angesichts neuerer Entwicklungen und zwischenzeitlich veränderter Anschauungen, aus verfassungsrechtlicher Sicht der Weiterentwicklung in dem Sinne bedarf, dass die Persönlichkeitsrechte des Patienten höher gewichtet werden (vgl. Hinne, NJW 2005, S. 2270 ff.), kann offenbleiben; denn jedenfalls bietet sie für die angegriffenen Entscheidungen keine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage. ...
Die grundrechtliche Gefährdungslage im Maßregelvollzug ist von derjenigen in privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen fundamental verschieden. In einem Bereich, der wie der Maßregelvollzug – in einem gewissen Maße zwangsläufig - durch ein besonders hohes Machtgefälle zwischen den Beteiligten geprägt ist, sind die Grundrechte der Betroffenen naturgemäß besonderer Gefährdung ausgesetzt (vgl. Bernsmann, Maßregelvollzug und Grundgesetz, in: Blau/Kammeier, Straftäter in der Psychiatrie, 1984, S. 42 (151 ff.); Müller, Der Maßregelvollzug aus der Innenansicht eines Betroffenen, in: Blau/Kammeier, a.a.O., S. 107 (113 ff.); Lindemann, Die Sanktionierung unbotmäßigen Patientenverhaltens - Disziplinarische Aspekte des psychiatrischen Maßregelvollzuges, 2004, S. 68 ff.). Dies gilt auch in Bezug auf die Führung der Akten und den Zugang zu ihnen. Die Akteneinträge können in vielfältiger Weise Auswirkungen auf den Unterbringungsalltag haben (vgl. OLG Hamm, NStZ 2002, S. 615 (616)). Sie sind als wesentlicher Teil der Tatsachengrundlage für künftige Vollzugs- und Vollstreckungsentscheidungen verfügbar (vgl. Rzepka, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, Rn. H 27). Von ihnen hängt sowohl die Ausgestaltung des Vollzugsalltags des Betroffenen und dessen Aussicht, einzelne Freiheiten oder seine Freiheit insgesamt wiederzuerlangen, nicht unwesentlich ab.
Vor diesem Hintergrund besteht an der Akteneinsicht im Maßregelvollzug auch deshalb ein besonders starkes verfassungsrechtlich geschütztes Interesse, weil der Betroffene ohne sie seinen Anspruch auf Löschung oder Berichtigung falscher Informationen gegenüber der die Informationen erhebenden und verarbeitenden Stelle nicht verwirklichen (vgl. BVerfGE 100, 313 (361), dort im Rahmen von Ausführungen zu Art. 10 GG; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 2001 - 1 BvR 1104/92, 1086/99 -, DVBl 2001, S. 1057 (1059); OLG Hamm, NStZ 2002, S. 615 (616)) und sich nicht vergewissern kann, ob die Akten auch im Übrigen so geführt sind, dass seine grundrechtlichen Ansprüche in Bezug auf Behandlung und eventuelle Beendigung der Unterbringung nicht beeinträchtigt werden.
Der Zugang zu den in Krankenunterlagen enthaltenen Informationen hat zudem Bedeutung für die Effektivität des Rechtsschutzes in Vollzugs- und Vollstreckungsangelegenheiten (zur Bedeutung des Gesichtspunkts der Effektivität des Rechtsschutzes schon im Vorfeld potentieller Rechtsstreitigkeiten vgl. BVerfGE 65, 1 (70); 69, 1 (49); Albers, Informationelle Selbstbestimmung, 2005, S. 472). Auch dies erhöht das Gewicht des Informationsinteresses des Untergebrachten. Kriminalprognostische Gutachten, auf die sich Vollzugs- und Vollstreckungsentscheidungen stützen, müssen auf sorgfältiger Auswertung der Akten beruhen. Auch insoweit unterliegt die Qualität solcher Gutachten richterlicher Kontrolle im Rahmen der vom Richter selbst zu treffenden Prognoseentscheidung (vgl. BVerfGE 109, 133 (164 f.); Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2005 - 2 BvR 983/04 -, JURIS, Rn. 15; OLG Koblenz, ZfStrVo 2003, S. 301 (302); zur Bedeutung sorgfältiger Aktenauswertung siehe auch Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 2000, S. 247 f.). In der Praxis weisen Gutachten aber gerade hinsichtlich der Auswertung der Akten häufig Mängel auf (vgl. Kröber, NStZ 1999, S. 593 (594, 598)). Diesbezügliche Zweifel an der Qualität eines Gutachtens lassen sich nur bestätigen oder ausräumen, wenn die vollständigen Akten zum Vergleich herangezogen werden. Das Landgericht selbst war in einem vorausgegangenen Verfahren des Beschwerdeführers über die Fortdauer der Maßregel offenbar zunächst davon ausgegangen, dass es auf den Inhalt der Krankenakten ankommt; denn es hatte – allerdings vergeblich – um Vorlage dieser Akten gebeten. ...
Ob nach den Grundsätzen über den Schutz personenbezogener Daten, die das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil entwickelt hat, Amtsträger und andere öffentlich Bedienstete überhaupt vor einer Offenbarung personenbezogener Daten insoweit, als es um ihr dienstliches Handeln geht, in ähnlicher Weise geschützt sind wie Privatpersonen, und besonders ob auch insoweit personenbezogene Daten nur auf gesetzlicher Grundlage erhoben und weitergegeben werden dürfen, hat das Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht entschieden (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 1988 - 2 BvR 522/87 -, NVwZ 1988, S. 1119; bejahend wohl BVerwG, NJW 2004, S. 2462 (2464); verneinend Simitis, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes, in: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Veröffentlichte Gesetzesmaterialien des Parlamentsarchivs, Nr. 23, Februar 1988, S. 140; Rzepka, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, Rn. H 31). Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung; denn auch wenn sie zu bejahen sein sollte, würde daraus nicht folgen, dass im vorliegenden Fall berechtigterweise das Informationsinteresse des Beschwerdeführers gegenüber dem Interesse des Therapeuten an der Vertraulichkeit seiner Einträge in die Krankenakte zurückgesetzt wurde. ...
Soweit rechtliche Gesichtspunkte der Gewährung vollständiger Akteneinsicht entgegenstünden, wäre im Übrigen zu prüfen, ob eine weitergehende als die seitens der Klinik zugestandene Einsicht nicht durch Herausnahme oder dadurch hätte ermöglicht werden können, dass Aktenbestandteile, die unzugänglich bleiben sollen, in einer zur Einsichtnahme bereitzustellenden Kopie der paginierten Akte abgedeckt oder geschwärzt werden. Die Angabe der Klinik, ein Ausnehmen einzelner Aktenbestandteile von der Akteneinsicht sei wegen der Art der Aktenführung unpraktikabel, ist nicht nachvollziehbar. Um eine praktische Unmöglichkeit kann es sich angesichts der auch vom Bundesgerichtshof aufgewiesenen Möglichkeit, zur Einsichtnahme eine Kopie mit - als solche erkennbar gemachten - Abdeckungen zur Verfügung zu stellen (vgl. BGHZ 85, 327 (338 f.)), nicht handeln. Dem Gesichtspunkt befürchteten Arbeitsaufwandes, auf den die Klinik sich mit dem Einwand der Unpraktikabilität möglicherweise berufen wollte, kann, da es sich um einen in jedem Einzelfall recht begrenzten Aufwand handelt, kein Vorrang vor dem Informationsinteresse des Betroffenen eingeräumt werden, zumal es in der Hand der Klinik liegt, die Aktenführung so zu gestalten, dass der Aufwand möglichst gering gehalten wird.


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