Offener Raum

SICH BESCHWEREN, WIDERSPRECHEN ... WEGE VOR DAS VERWALTUNGSGERICHT

Polizei- und Amtsmaßnahmen überprüfen (Fortsetzungsfeststellungklage)


1. Tipps für Widersprüche gegen Verwaltungsakte
2. Polizei- und Amtsmaßnahmen überprüfen (Fortsetzungsfeststellungklage)
3. Einstweilige Verfügungen und mehr: Rechtsschutz gegen Genehmigungen usw.
4. Links

Vorweg: Das Recht gilt auch für Uniformierte ... eigentlich
Das Recht gilt auch für die Ordnungsbehörden. Eigentlich ... nur praktisch können die erstmal alles machen - und sie wissen auch, dass sie höchst selten von ihren KollegInnen aus Staatsanwaltschaft und bei den Gerichten etwas zu befürchten haben. Zudem ist die Polizei ihre eigene Ermittlungsbehörde, d.h. sie treten selbst als ZeugInnen auf (und PolizeizeugInnen wird fast immer geglaubt vor Gericht), sie erzeugen, vernichten oder bewerten Beweismittel, sie schreiben die Ermittlungsakten, sie drehen die Beweisvideos ...
Die folgenden Seiten dokumentieren Rechtsvorschriften, die auch und gerade für Repressionsangehörige gelten:

Ein beliebter Trick bei Klageversuchen gegen Polizeimaßnahmen ist es, die Zuständigkeit von Verwaltungsgerichten zu verneinen. Üblich ist, die Polizeimaßnahme scheinbar auf die Strafprozessordnung zu stützen. Dabei reicht der Verdacht einer Straftat in der Regel aus - jedenfalls nach Meinung der Gerichte. Sprich: Die Polizei behauptet einfach, sie hätte im Moment der Festnahme, Kontrolle ... gedacht, die betroffene Person hätte irgendeine Straftat begangen - und schon ist nicht mehr das Verwaltungsgericht, sondern das Amtsgericht zuständig. Das aber hat gravierende Folgen, denn die Überprüfung des Polizeiverhaltens wird nun von AmtsrichterInnen durchgeführt. Die entscheiden aber am Schreibtisch, ohne Beweiserhebung, ohne Anhörung des Betroffenen, vielleicht in telefonischer Rücksprache mit der Polizei. Sie müssen ihre Entscheidung weder begründen noch überhaupt die Akten angucken. Sie entscheiden einfach und mensch bekommt einen Brief.

Noch krasser hat das Verwaltung in Gießen in einem anderen Fall entschieden. Im Verfahren gegen die Polizei wegen einer rechtswidrigen Festnahme am 10.7.2004 in Lich hat der Betroffene Verfassungsbeschwerde eingereicht, nachdem zwei Verwaltungsgerichte die Annahme seiner Klage mit der Behauptung verweigerten, es bestände kein Rechtsschutzinteresse, da der Betroffene die Polizeiaktionen, u.a. die Festnahme, gegen ihn gewollt hätte. Mehr zu diesen Urteilen und zur Verfassungsklage ...

Fortsetzungsfeststellungsklage
Die Fortsetzungsfeststellungsklage dient der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes, der sich im laufenden Verfahren bereits erledigt hat.

Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind:
  • Feststellungsinteresse:
    Dieses liegt vor bei der Beeinträchtigung jedes anzuerkennenden schutzwürdigen Interesses rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Dabei gibt es drei grundsätzlich anerkannte Fallgruppen:
    a) die konkrete Wiederholungsgefahr.
    b) das Vorliegen von Rehabilitationsinteresse, weil der Verwaltungsakt diskriminierende Wirkung hatte und der Kläger in seinen Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt ist.
    c) die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses.
  • Die Klagebefugnis, d.h. der Kläger muss in seinen Rechten tatsächlich beeinträchtigt sein.
  • Das Widerspruchsverfahren muss bei Erledigung des Verwaltungsaktes nach Klageerhebung und bei Erledigung des Verwaltungsaktes vor Klageerhebung nach Ablauf der Widerspruchsfrist durchgeführt worden sein.
  • Klagefrist: Die Klage muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchbescheids erhoben werden.
  • Daneben müssen die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen (Zuständigkeit des Gerichts, Eröffnung des Rechtsweges, Statthaftigkeit des Verfahrens, Prozess- und Beteiligtenfähigkeit).

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn der Verwaltungsakt zum Zeitpunkt der Erledigung rechtswidrig war oder die Ablehnung des Verwaltungsaktes rechtswidrig war und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wurde.

Norm: § 113 I S. 4 VwGO (Quelle auf www.rechtslexikon-online.de)

Von einer Fortsetzungsfeststellungsklage spricht man im Verwaltungsprozessrecht, wenn sich die Hauptsache einer Klage vor der Hauptverhandlung erledigt hat, der Kläger aber ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtslage hat. Für Anfechtungsklagen ist die Fortsetzungsfeststellungsklage in § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO geregelt. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist Ausfluss der Rechtsweggarantie des Art. 19 GG.
Bei einem Interessenwegefall bei Anfechtungsklagen vor Beginn der Hauptverhandlung wird § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog angewandt. Bei einem Interessenswegfall bei anderen Klagen vor Beginn der Hauptverhandlung wird § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO doppelt analog angewandt.

Berechtigtes Interesse
Ein berechtigtes Interesse wird angenommen bei:

  1. Präjudizialität für Schadensersatzansprüche, wenn die Hauptsache sich erst in der Verhandlung erledigt hat.
  2. Wiederholungsgefahr.
  3. Diskriminierender Wirkung eines Verwaltungsaktes (Rehabilitationsinteresse).
  4. Gewichtigem Grundrechtseingriff bei dem sich die Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt typischerweise vor der Möglichkeit zur Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung erledigt. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht wird dies insbesondere angenommen, bei Wohnungsdurchsuchungen (BVerG NJW 1997, 2163), Inhaftierungen (BVerfG NJW 2002, 2456), Körperverletzungen bei Wasserwerfereinsatz (BVerfG NVwZ 1999, 290, 291) und Versammlungsverboten (BVerfG NJW 2004, 2510).

(Quelle auf www.lexexakt.de)

Fortsetzungsfeststellungswiderspruch
Mit Fortsetzungsfeststellungswiderspruch wird ein Widerspruch bezeichnet, der eingelegt wird nachdem der Verwaltungsakt sich erledigt hat. Umstritten ist, ob ein Fortsetzungsfeststellungswiderspruch Voraussetzung für eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist. Die Rechtsprechung lehnt das ab, da eine Feststellung der Rechtswidrigkeit nicht Aufgabe der Behörde und auch nicht vom gleichen Gewicht die Feststellung durch ein Gericht sei (BVerwG 26, 156). Die andere Ansicht misst dem Widerspruch die gleiche Funktion wie einem Urteil zu und bejaht die Notwendigkeit (Kopp/Schenke VwGO vor § 68 Rn. 2).

Folgt man der Rechtsprechung so ist bei der Frist zu beachten, dass die Rechtsmittelbelehrung sich regelmäßig nur auf einen Widerspruch bezieht und daher bezüglich der Fortsetzungsfeststellungsklage unvollständig ist, so dass gemäß § 58 VwGO die Jahresfrist zu laufen beginnt. Das gilt allerdings nur, wenn die Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist eintritt.

Beispiel: B bekommt von der zuständigen Behörde am 2.5.2006 eine Haltungsuntersagung für seinen Kampfhund. In der Rechtsmittelbelehrung wird B über die Monatsfrist für den Widerspruch belehrt. Am 20.5. wird der Kampfhund Opfer eines tödlichen Unfalls. Am 20.6.2006 erhebt B eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagung, weil er sich in Zukunft weitere Kampfhunde zu legen will. Ist die Klage zulässig?

(Quelle auf www.lexexakt.de)

Gesetzesgrundlagen

§ 113 VwGO
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Weitere Gesetze
  • Fortsetzungsfeststellungsklage: Wer von einer Massnahme betroffen war und nachträglich feststellen will, dass die illegal waren (z.B. Platzverweis, Gewahrsam oder Beschlagnahme), kann eine sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht einreichen. Die sehen das natürlich nicht gerne wegen Arbeitsstress und außerdem richtet sich eine F.-Klage immer gegen ihre Kumpels von anderen Repressionsbehörden, aber es geht. Hier einige Internetseiten mit Tipps und Infos zu dieser Klageform:
  • Verwaltungsgerichtsordnung (dort ist geregelt, wie Verwaltungsgerichtsverfahren laufen, also z.B. bei Beschwerde gegen Demoverbote oder -auflagen bzw. sonstige Verfügungen der Verwaltung): PDF-Download und HTML-Seite

Im Original: Rechtsanspruch auf Fortsetzungsfeststellungsklage
Urteile des Bundesverfassungsgerichts
Zitierung: BVerfG, 1 BvR 461/03 vom 3.3.2004, Absatz-Nr. (1 - 54)
Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
a) Diese Norm enthält ein Grundrecht auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl.BVerfGE 67, 43 (58); 96, 27 (39); 107, 395 (401 ff.) ). Die in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gewährleistet. Sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne die Möglichkeit fachgerichtlicher Prüfung zu tragen hat (vgl.BVerfGE 96, 27 (39)).
Die Zulässigkeit eines Rechtsschutzbegehrens ist allerdings vom Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses bei der Verfolgung eines subjektiven Rechts abhängig. Damit der Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht unzumutbar beschränkt wird, dürfen aber an ein solches Rechtsschutzbedürfnis keine aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Anforderungen gestellt werden (vgl.BVerfGE 78, 88 (99)).
b) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert den Rechtsweg nicht nur bei aktuell anhaltenden, sondern grundsätzlich auch bei Rechtsverletzungen, die in der Vergangenheit erfolgt sind, allerdings unter dem Vorbehalt eines darauf bezogenen Rechtsschutzbedürfnisses (vgl.BVerfGE 104, 220 (232 f.) ). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, wenn die Fachgerichte ein Rechtsschutzinteresse nur so lange als gegeben ansehen, wie ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen (vgl.BVerfGE 96, 27 (39 f.); 104, 220 (232 f.)).
Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet darüber hinaus, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (vgl.BVerfGE 81, 138 (140 f.); 96, 27 (40); 104, 220 (233 f.) ; stRspr). Solche Eingriffe können auch durch Beeinträchtigungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit bewirkt werden, gegen die Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren in dem dafür verfügbaren Zeitraum typischerweise nicht erreichbar ist.

Zitierung: BVerfG, 2 BvR 527/99 vom 5.12.2001, Absatz-Nr. (1 - 48)
1. Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl.BVerfGE 8, 274 (326); 67, 43 (58); 96, 27 (39) ; stRspr). Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert. Sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne gerichtliche Prüfung zu tragen hat (vgl.BVerfGE 94, 166 (213); 96, 27 (39)). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 49, 329 (343); 83, 24 (31); 87, 48 (61); 92, 365 (410); 96, 27 (39) ; stRspr). Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl.BVerfGE 40, 272 (274 f.); 54, 94 (96 f.); 65, 76 (90); 96, 27 (39) ; stRspr). Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl.BVerfGE 78, 88 (98 f.); 96, 27 (39)).
2. Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem vorhandenen und fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen (vgl.BVerfGE 96, 27 (39) ). Es ist ein allgemein anerkanntes Rechtsprinzip, dass jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt (vgl.BVerfGE 61, 126 (135) ). Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., Vorbemerkung § 40 Rn. 30 m.w.N.). Ein Rechtsschutzinteresse ist zu bejahen, solange der Rechtsschutzsuchende gegenwärtig betroffen ist und mit seinem Rechtsmittel ein konkretes praktisches Ziel erreichen kann. Danach ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses annehmen. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht, dass die Gerichte generell auch dann noch weiter in Anspruch genommen werden können, um Auskunft über die Rechtslage zu erhalten, wenn damit aktuell nichts mehr bewirkt werden kann. Dies dient auch der Entlastung der Gerichte, die damit Rechtsschutz insgesamt für alle Rechtsschutzsuchenden schneller und effektiver gewähren können.
3. a) Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Insofern entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht, wohl aber ändert sich der Prozessgegenstand. Es ist allgemein anerkannt, dass ein Rechtsschutzinteresse fortbesteht, wenn das gerichtliche Verfahren dazu dienen kann, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen (vgl.BVerfGE 96, 27 (40)).
b) Darüber hinaus kommt ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe in Betracht. Hierunter fallen vornehmlich solche, die schon das Grundgesetz - wie in den Fällen der Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3 - unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl.BVerfGE 96, 27 (40) ). Bei derart schwerwiegenden Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht ein durch Art. 19 Abs. 4 GG geschütztes Rechtsschutzinteresse in Fällen angenommen, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Dies hat der Senat für Fälle der Wohnungsdurchsuchung aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung bejaht (vgl. BVerfG, a.a.O.). Im Anschluss hieran haben die Kammern des Bundesverfassungsgerichts ein Rechtsschutzinteresse trotz so genannter prozessualer Überholung etwa bei erledigtem polizeirechtlichen Unterbindungsgewahrsam (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 1997 - 2 BvR 126/91 -, EuGRZ 1997, S. 374 und Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Februar 1999 - 2 BvR 804/97 -, NJW 1999, S. 3773) und bei der vorläufigen gerichtlich angeordneten Unterbringung psychisch auffälliger Personen nach § 70h FGG (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 1998 - 2 BvR 978/97 -, NJW 1998, S. 2432) angenommen. Auch die Verwaltungsgerichte bejahen im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO teilweise ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse (sog. Fortsetzungsfeststellungsinteresse) in Fällen, in denen der angegriffene Verwaltungsakt sich typischerweise kurzfristig erledigt (vgl. die Nachweise bei Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 113 Rn. 145 m.w.N.). ...
4. a) Das Recht auf Freiheit der Person hat unter den grundrechtlich verbürgten Rechten einen besonders hohen Rang (vgl. BVerfGE 32, 87 (92); 65, 317 (322); Grabitz, Freiheit der Person, in HStR VI, § 130 Rn. 1). Jede Inhaftierung greift in schwerwiegender Weise in dieses Recht ein. Schon dies lässt in aller Regel auch nach Erledigung des Eingriffs ein Interesse des Betroffenen an - auch nachträglicher - Feststellung der Rechtswidrigkeit als schutzwürdig erscheinen. Es kommt hinzu, dass ein Rechtsschutzinteresse für eine (nachträgliche) Feststellung der Rechtswidrigkeit, dem im Rahmen von Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung zu tragen ist, anerkanntermaßen auch aus dem diskriminierenden Charakter einer Maßnahme folgen kann (vgl. Schenke, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 142 m.w.N.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 245). In der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird ein Rechtsschutzbedürfnis nach Erledigung einer Maßnahme im Sinn eines Rehabilitierungsinteresses bejaht, wenn die begehrte Feststellung, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig war, als "Genugtuung" oder zur Rehabilitierung erforderlich ist, weil der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen beeinträchtigte (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 113 Rn. 142 m.w.N.).
Ein Freiheitsverlust durch Inhaftierung indiziert ein solches Rehabilitierungsinteresse. Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit, mit denen der Staat auf festgestelltes, begründeterweise vermutetes oder zu besorgendes rechtswidriges Verhalten des Einzelnen reagiert, berühren den davon Betroffenen, auch wenn sie nicht mit einer strafrechtlichen Unwerterklärung verbunden sind, im Kern seiner Persönlichkeit (vgl. auch BVerwGE 62, 317 (322)).

Zitierung: BVerfG, 1 BvR 1790/00 vom 15.8.2002, Absatz-Nr. (1 - 21)
a) Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt. Gewährleistet wird nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl.BVerfGE 35, 263 (274); 35, 382 (401 f.) m.w.N.; 93, 1 (13) ). Dieser muss die vollständige Nachprüfung des angegriffenen Hoheitsakts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch ein Gericht ermöglichen (vgl.BVerfGE 15, 275 (282) ; stRspr). Praktische Schwierigkeiten allein sind kein ausreichender Grund, den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutz einzuschränken (vgl.BVerfGE 84, 34 (55)).

  • Extra-Seite zum Rechtsanspruch auf Zugang zum Gericht mit mehr BVerfG-Entscheiden

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