Offener Raum

BÜCHER ZUR DEMOKRATIEKRITIK

Buchvorstellungen zum Themenbereich


1. Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Eine Abrechnung (SeitenHieb-Verlag)
2. Rezensionen des SeitenHieb-Buches
3. Die Geschichte des Buches ist die Geschichte von SeitenHieb
4. Links zu Alternativen, kreativem Widerstand usw.
5. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Abgesang und Rettung der Demokratie?
Wie eine Flut von Büchern das Gute sichern soll, was nie da war …

Die Reihe der Bücher mit Abgesängen auf die Demokratie ist lang. Sie verweisen auf Mängel in der Ausführung, bejammern das Verlassen des guten, weil demokratischen Pfades oder schlagen vermeintliche Verbesserungen vor, die sich schnell als Steigerungen demokratischer Legitimierung, aber nicht als Emanzipation bzw. Abbau von Herrschaft zeigen. Meist fehlt ihnen eine intensive Analyse, was Demokratie eigentlich bedeutet und ob nicht ihre Grundideen schon das Problem sind, von daher die auftretenden Probleme, z.B. ihre Kompatibilität mit kapitalistischer Ausbeutung, keine Überraschung. Eines haben alle Bücher auf jeden Fall gemeinsam: Ihre AutorInnen entstammen klar erkennbar den bürgerlichen Bildungseliten – egal ob sozialdemokratisch, neoliberal oder marxistisch geprägt. Herrschaftskritische Positionen und Abhandlungen zum Thema werden von ihnen konsequent ignoriert. Von daher sind ihre Werke auch vom wissenschaftlichen Anspruch her eher die Produktion von Ideologie.
Mit mehreren neuen Büchern beteiligt sich der marxistisch orientierte PapyRossa-Verlag aus Köln an der verkürzten Debatte. Als Basistext präsentiert sich „Demokratie“ von David Salomon (2012, 131S., 9,90 €).. Zwar werden in verschiedenen Kapiteln Informationen über die Geschichte und Erscheinungsformen der Demokratie vermittelt, eine Analyse von Herrschaftsmomenten in ihr erfolgt aber nirgends. So verwundert nicht, dass völlig unkritisch mit Begriffen wie „Volk“ oder „Arbeiterklasse“ umgegangen wird, ohne diese vereinnahmenden Kategorien zu durchleuchten. So mutiert der Begriff zur freundlichen Verpackung sozialistischer Konzepte und zur gedanklichen Fusion dessen, was ohnehin ähnlich ist: Avantgardistischer Marxismus und triefende Bürgerlichkeit. Dem setzt Thomas Wagner in seinem Buch „Demokratie als Mogelpackung“ (2011, 143 S., 11,90 €) noch einen drauf. Er bejammert einen anderen Klau des Begriffes, nämlich durch die Vertreter autoritärer oder gar rechter Konzepte. Seine Analyse derer Aktivitäten ist phasenweise erhellend und wichtig, um nicht neben der Rettung von Demokratie auch noch zum Vorantreiber neuer Blüten demokratischer Herrschaftslegitimation überzugehen. Die Zurückweisung von Konzepten zur Demokratisierung per Direktwahl von Volksführern, wie sie von links bis rechts zu finden sind, ist wichtig. Deshalb aber gleich zum Retter der Demokratie oder gar, wie es im Buch unverblümt zum Ausdruck kommt, der traditionellen Parteistrukturen zu werden, macht das Buch zu einer besonders verkürzten Betrachtung.
Ebenfalls bei PapyRossa erschienen ist „Der dritte Anlauf – alle Macht den Räten“ des niedersächsischen Linken-Funktionärs Manfred Sohn (2012, 180 S., 12,90 €). Es dient nicht der Rettung von Demokratie, sondern ist eine Werbeschrift für Regierungsformen nach Rätesystemen der Art des alten Sowjet-Bolschewismus, der unreflektiert als „Systemalternative“ zum Kapitalismus bezeichnet wird, während die Marktwirtschaft „Anarchie“ sei. Wer einen derartigen Begriffswirrwarr und weitgehende Theorielosigkeit offenbart, überrascht dann nicht mehr mit dem plötzlichen Positivbezug auf Demokratie, wie er z.B. in der Kapitelüberschrift „Rettet die lokale Demokratie“ vorkommt.
Auch das Buch „Stirbt die Demokratie?“ von Hartwig Barthold (2009, R.G. Fischer in Frankfurt, 206 S., 16,80 €) steht dem Theoriebrei in Nichts nach. Demokratie ist unhinterfragt das Gute, bildet aber eher ein Synonym für (Schein-)Wohlstand und (autoritäre) Ordnung. Die in ihr typische kapitalistische Wirtschaftsform wird nicht hinterfragt. Die von den echten Demokratien ausgebeuteten und geschundenen anderen Staaten werden als defizitär bis undemokratisch kritisiert - und schließlich wird dem lethargischen Bürger auch noch eine Hauptschuld eingeräumt, wenn sich obrigkeitsstaatliche Ideen immer mehr ausbreiten. Mit politischer Analyse hat solch ein Buch wenig zu tun.
Etwas anders fällt die Textsammlung „Demokratie?“ (2012, Edition Suhrkamp in Berlin, 137 S., 14 €) aus. Herausgegeben von Giorgio Agamben lassen mehrere AutorInnen, meist aus geisteswissenschaftlichen Uni-Fakultäten, ihren Gedanken freien Lauf. Das fällt mitunter bissig, ebenso oft aber durcheinander oder auch platt aus. Entstanden ist so eher ein Lesebuch mit allerlei interessanten Blickwinkeln und Anregungen – eher wie eine Diskussion als wie ein gegliedertes Fachbuch. DemokratiebefürworterInnen sind hier nicht alle – manch ein Text wirkt eher wie ein Pamphlet wieder der Demokratie. Doch auch hier glaubt niemand an die Fähigkeit der Menschen zur Selbstorganisierung ohne steuernden Überbau. Beeindruckend ist eher der Preis für das eher dünne Taschenbuch.

Alex Demirovic und Heike Walk
Demokratie und Governance
(2011, Westfälisches Dampfboot in Münster, 305 S.)
Die AutorInnen beleuchten moderne Entwicklungen demokratischer Rechtsstaaten im Zuge der Internationalisierung von Politik. Sei es aufgrund der dort herrschenden Schwäche staatlicher Strukturen oder als Folge der Anerkenntnis einer Überlegenheit diskursiver Steuerung - vermehrt treten informelle Zirkel und Runden an die Stelle formalisierter Politik. Die Abläufe der vergangenen Jahre, Chancen und Risiken werden in einer wissenschaftlichen Sprache erörtert. Durch diese Form der Auseinandersetzung entfernen sich die (für solche Abgehobenheit überwiegend auch bekannten) AutorInnen weit vom realen Leben. Pragmatische Ansätze z.B. der Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen, der Verlagerung von Macht in bürgerschaftliche Organisierungen oder der Verzicht auf einheitliche Politiken geraten dadurch aus dem Blickfeld einer Debatte im ExpertInnenstatus.

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