Offener Raum

PRAXIS: EXPERIMENT, AKTION UND ALLTAG

Aktion: Öffentlichkeit und Widerstand


1. Einleitung
2. Demaskierung des Herrschaftsförmigen in Verhältnissen und Beziehungen
3. Herrschaft abwickeln
4. Aneignung und Austeilen
5. Beteiligungsmöglichkeiten ausdehnen, Hemmnisse abbauen
6. Alternativen und Gegenkultur
7. Utopien entwickeln, benennen und vorantreiben
8. Experimente und Anwendungsfelder
9. Aktion: Öffentlichkeit und Widerstand
10. Links

Wer immer nach emanzipatorischer Umgestaltung der Verhältnisse strebt, wird in den Bemühungen immer wieder zurückgeworfen durch die massiven Einflüsse der durch alle gesellschaftlichen Sphären dringenden Formen von Privilegien, Normierungen, Zugangsbeschränkungen und mehr. Alltag und gesellschaftliche Subräume sind keine Inseln, sondern geprägt durch die Beziehungen und Verhältnisse, wie sie in der Gesellschaft wirken. Gleichzeitig wirkt jeder Teil auf das Ganze zurück, denn die Verhältnisse entspringen nicht einer zentralen Quelle, sondern wirken in allen Strukturen und Teilen der Gesellschaft. Diese ist durchzogen, das Herrschaftsförmige liegt wie eine Matrix in allem, was Gesellschaft ausmacht. Es wäre daher frustrierend, sich ständig im Kleinen zu versuchen und dann doch zu merken, wie das gewaltige Korsett der überall hineinstrahlenden Machtstrukturen und Beeinflussungen jedes Bemühen zerstören.
Es liegt daher nahe, die Veränderungen im Alltag und in gesellschaftlichen Subräumen mit dem offenen Angriff auf die Verhältnisse und Beziehungen zu verbinden, die überall emanzipatorische Veränderungen blockieren. Wegen dieser Bedeutung ist Aktion und Widerstand ein eigenes, nämlich das abschließende Kapitel gewidmet.

Im Original: Wandel und Widerstand
Aristoteles: Nicht die Taten bewegen die Menschen, sondern die Worte über die Taten.

Text von der Hoppetosse-Mailingliste (17.11.2002, Absender: einfreunddesmaquis@...)
Die Befreiung von Einschränkungen des eigenen Handelns (Emanzipation) wäre dann a) soweit als möglich alles zu tun, innerhalb der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die eigenen Interessen zu verwirklichen und b) - sofern das wegen der Herrschaft allüberall nicht geht - eben auch diese herrschenden Rahmenbedingungen durch Politik zu verändern. Einen widerspruchsfreien Weg gibt es dabei nicht. Die Leute in Prowes können halt gar nicht anders, als auf Dinge zurückgreifen, die Produkt des Kapitalismus sind (und das ist nur die ökonomistische Betrachtung des Widerspruchs), nur hilft diese Feststellung halt nichts und greift zu kurz. Wer jedoch das langfristige Interesse hat, herrschaftsfrei zu leben, kann sich immer fragen, in welchem Ausmaß im kurzfristigem Handeln emanzipatorische Wirkungen und antiemanzipatorische Wirkungen vorliegen, d.h. inwiefern er bei der kurzfristigen Verfolgung seines Interesses an einer freien Entscheidung selbst wieder langfristig die Entscheidungen anderer durch Akzeptanz der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beschränkt. Soweit ich das Konzept der Prowe Saasen kenne scheint mir die Verknüpfung von kurz- und langfristigen Interessen sehr gut gelungen.
Und was die Konsumkritik angeht, müßte eine Aktion m.E. darauf angelegt sein, einen Denkprozeß mit der Frage auszulösen, weshalb ich eigentlich so viel konsumieren will. Auch dafür gibt es wieder viele Möglichkeiten, im Gespräch von Person zu Person, müßte man halt mal ganz genau nachfragen, welches Interesse die Person mit dem Konsum eigentlich gerade genau verfolgt (und ich bin mir fast sicher, dass das dann z.B. im Falle von Weihnachten nicht allein der Gebrauchswert an der jeweiligen Sache ist, sondern auch der Wille nicht als „knauserig“ dazustehen oder kenntlich zu machen, dass man die beschenkte Person liebt, oder eine Kommunikationsstörung zu verhindern, indem man sich an die Spielregeln hält oder einfach nur anzugeben) und ob es noch andere Möglichkeiten gibt, dieses Interesse zu verfolgen (falls man eine weiß könnte ein Tip ggf. hilfreich sein). Ich würde mich mit sowas jedoch zunächst mal an Leute wenden, die bereits irgendwie ein kleines Problem haben (z.B. nicht genug Geld für Geschenke). Wer superzufrieden ist, wird kaum an solchen Gesprächen interessiert sein - aber Leute mit Problemen gibt es ja dank des Konsumdrucks genug. Nicht weiter interessiert sind die Leute vermutlich auch, wenn man ihnen einen „Wahn“ unterstellt (sofern das als krankhafte Erscheinung aufgefaßt werden könnte). Wie ich oben darzulegen versuchte, würde das auch nicht des Pudels Kern treffen. Man könnte aber auch dort angreifen, wo versucht wird, die Interessen des eigenen Handelns zu verheimlichen und andere zu instrumentalisieren. Also wenn z.B. der Geschenkberg unterm Weihnachtsbaum als familiäre Harmonie dargestellt wird - obwohl es eigentlich nur darum geht, damit Umsätze zu steigern und die eigene Kasse klingeln zu lassen. In solchen Fällen wird nämlich kein bißchen emanzipatorisch gehandelt und es schadet erstmal niemanden, wenn sowas durch den Kampf engagierter Prowe-BewohnerInnen verhindert oder offengelegt wird. Auch wenn sie dafür kapitalistische Transpifarbe brauchen, würden die emanzipatorischen Wirkungen weit überwiegen. Jetzt könnte man natürlich auch mit größerem antiemanzipatorischen Nebenwirkungen vorgehen, also z.B. alle Geschäfte einer Stadt den ganzen Dezember blockieren - muss halt jedeR mal selbst überlegen, was wohl zielführend wäre.
Wenn aber die „begründete Vermutung“ richtig ist, dass der Konsum oftmals weder der einzige noch der beste Weg ist, um das jeweilige individuelle Interesse zu verwirklichen und Leute durch Prowe-Aktionen darauf kommen (also den nächsten/ersten Schritt in Richtung des Ausmachens von Herrschaft gehen), können wir einen emanzipatorischen Fortschritt erreichen. Er besteht darin, dass jedeR die eigenen Interessen zukünftig zielgerichteter verfolgen kann und unabhängiger wird von den nahegelegten herrschaftsförmigen Interessenverfolgungswegen.

Aus Gruppe Gegenbilder, 2000: Freie Menschen in Freien Vereinbarungen, S. 10 ... auch im Internet mit Debattenforum
Pragmatismus inder politischen Arbeit und klare Positionen bis zu Visionen stehen in einem interessanten Verhältnis zueinander. Sie sind keine Gegensätze,sondern der Pragmatismus, also die Ausrichtung daran, was gerade machbarist, gewinnt durch die Utopie seine Richtung und seinen Schwung. Zudemwird verhindert, daß Teilschritte schon als Erfolg abgefeiert werden.Visionen sind wie ein Magnet, der die realen Verhältnisse und auchdie Vorschläge zu Teilveränderungen immer ein Stückchenhöherzieht. Ohne Visionen und klare Forderungen wird es gar keineErfolge politischer Arbeit geben. Gleichzeitig aber müssen Visionengefüllt werden, Konzepte und Experimente erarbeitet und umgesetztwerden, damit aus dem Traum Wirklichkeit wird.

Aus: Christoph Spehr, 1996: Die Öko-Falle
Die Position der Abwicklung, wennsie nicht in eine Haltung der kritischen Passivität oder der aktivenRatlosigkeit umkippen soll, muß einen Krisenbegriff entwickeln. Wodie Systemüberwindende Reform tendenziell von einer objektiven Kriseausgeht (die Akkumulation von Kapital in ihrer bisherigen Form funktioniertnicht mehr), muß die Abwicklung tendenziell eine subjektive Kriseglaubhaft machen (die Orientierung der Menschen, ihre persönlichenInteressen zu wahren, geht nicht mehr mit der Stabilität der gesellschaftlichenInteressen zusammen).

Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin
Damit ist aber keineswegs klar, wie Kooperation sich stattdessen gestalten soll. Jenseits der abstrakten Bestimmung, wie sie das Prinzip der freien Kooperation gibt, bedarf es einer konkreten Politik, die auf bestimmten Lernerfahrungen von Emanzipationsbewegungen beruht und Alternativen zur herrschaftsförmigen Kooperation praktisch vorstellbar macht. Am weitestgehenden sind solche Überlegungen im italienischen Feminismus unter dem Begriff einer Politik der Beziehungen ausgearbeitet worden. Für alle Arten von Kooperation weitergedacht, ist das nichts anderes als die Frage, was man sich unter einer alternativen Vergesellschaftung in der Praxis vorzustellen hat. ...
(S. 51 f.)
Viele andere tun das auch. Unsere "näheren" Beziehungen – Wohn- und Lebensgemeinschaften; selbstorganisierte ökonomische, politische oder kulturelle Projekte; Arbeitszusammenhänge; familiäre und "wahlverwandte" Strukturen – haben eine zentrale Bedeutung als Experimentierfeld für soziale Kooperation und ihre Logik. Auch sie sind jedoch kein privilegierter Ort für die Entwicklung freier Kooperation. Es gibt genauso den Effekt, dass gesamtgesellschaftliche Umbrüche und die damit verbundenen Bewegungen eine Avantgarde-Funktion übernehmen, dass also die "ferneren" Beziehungen die "näheren" inspirieren bei der Suche nach einer veränderten Logik sozialer Kooperation. ...
(S. 67)


Zum nächsten Text, dem zweiten Text im Kapitel zur Praxis und konkreten Anwendungsfeldern: Gemeingüter (Commons)

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