Offener Raum

HERRSCHAFT AUSMACHEN

One ring to rule them all? - Kapitalismus vs. Sexismus vs. Rassismus vs. ...


1. Definitionen und Formen
2. Blick ins Herz der Finsternis
3. One ring to rule them all? - Kapitalismus vs. Sexismus vs. Rassismus vs. ...
4. Herrschaft im Brennpunkt
5. Der Blickwinkel oder Die drei Seiten der  Medaille
6. Die Spezialfilter oder Tragende Säulen der Dickichtkonstruktion
7. Debatten zum Text

Neulich in Bremen hielt Frau Lieselotte Meier einen Fragebogen in den Händen. Sie sollte dort Kategorien ankreuzen: männlich/weiblich; schlank/übergewichtig; unter 50 Jahre/über 50 Jahre; nicht behindert/behindert; sportlich/unsportlich; heterosexuell/homosexuell; mit EU-Pass/ohne EU-Pass usw.
Einige der Kategorien war sie gewohnt ("Ja klar, weiblich."), andere schienen ihr ungewöhnlich, ließen sich aber immerhin leicht ankreuzen (mit EU-Pass; nicht behindert; heterosexuell). Doch dann schimpfte sie los: "Sportlich oder unsportlich; schlank oder übergewichtig - so eine Frechheit, soll ich damit gebrandmarkt werden? Und was soll das mit meinem Alter, bin ich mit 53 etwa schon zu alt?"
Frau Meier fühlt sich bei der Frage nach ihrem Alter unwohl und irgendwie ausgeschlossen. Da sie andererseits keine Behinderung hat, braucht sie vor Diskriminierung in diesem Zusammenhang keine Angst zu haben.
Herrschaft manifestiert sich also in den unterschiedlichsten Bereichen. Unverzichtbarer Bestandteil emanzipatorischer Politik ist es, Herrschaftsverhältnisse in allen diesen Bereichen zu kritisieren und zu bekämpfen, also z.B. Sexismus, Rassismus oder Behindertenfeindlichkeit. Eine Beschränkung auf einzelne solcher Herrschaftsverhältnisse und ihre isolierte Betrachtung hat fatale Folgen: Es kann zu Reproduktion von Herrschaft und diskriminierendem Handeln in anderen als dem gerade problematisierten Bereich kommen. Die Tatsache, dass Frau Meier viel weniger verdient als ihr Mann, obwohl sie ursprünglich einmal das gleiche gelernt haben, empfindet sie als diskriminierend. Dafür findet sie es sehr praktisch, dass ihre polnische Putzfrau dazu bereit ist, für nur 5 Euro bei ihnen zu arbeiten. Wer in einem bestimmten Herrschaftsverhältnis zu den Unterdrückten und Fremdbestimmten gehört, ist oft in einem anderen auf der Seite der Herrschenden und Bevorteilten. In dem Willen, Sexismus, und zwar nur Sexismus, zu kritisieren, ist schon manche "Feministin" schnurstracks dahin gekommen, den Krieg in Afghanistan deswegen zu befürworten, weil er sich gegen das frauenverachtende Talibanregime richtet.
Diese Beschränkung der Analyse auf einzelne Unterdrückungsverhältnisse kann nicht nur in die beschriebenen Sackgassen führen, sondern ist auch inhaltlich fragwürdig. Deshalb ist es wichtig festzustellen, dass Herrschaftsverhältnisse grundsätzlich miteinander verknüpft, wechselseitig verwoben und in gleichem Maße problematisch sind. So bleibt die kapitalistische Vergesellschaftung mit ihren Mechanismen und Auswirkungen nicht auf die Sphäre der Ökonomie beschränkt, sondern strahlt in alle Lebensbereiche. Andererseits lassen sich beispielsweise rassistische Strukturen und Handlungen nicht erschöpfend aus der kapitalistischen Logik heraus erklären. Mehr noch, es gibt vom Kapitalverhältnis unabhängige Prinzipien, die gesellschaftlich verankert sind und ebenfalls eine umfassende Durchschlagskraft entfalten.

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