Offener Raum

WIDERSTAND ALS UTOPISCHES FELD

Wer schafft den Wandel?


1. Einleitung
2. Emanzipatorische Organisierung und Strategie
3. Widerstand ... ohne sich an Machtkämpfen zu beteiligen
4. Und was heißt das praktisch?
5. Wer schafft den Wandel?
6. Links

Es werden neue Kreise sein, die diese Verkrustung durchbrechen können – aber nicht mit reinem Aktionismus, sondern in einer kreativen, einem ständigen Prozeß der Weiterentwicklung unterzogenen Arbeitsstil, in dem Vielfalt, Offenheit, direkte Aktion und direkte Kommunikation gelten – Bewegung von unten. Nur sie ist eine Alternative zum Bestehenden. Nur sie kann sich so entwickeln, dass ihre Ideen und Aktionen zu einer Gefahr für die herrschenden Verhältnisse werden. Der Blick “über den Tellerrand” in andere Länder zeigt, dass die politische Organisierung in Deutschland eher zurückliegt. Nirgendwo sonst setzen soviele politische AkteurInnen auf die Heilungskräfte des Marktes oder das Gute in den Regierungen – und entwickeln ihre Vorschläge entsprechend vor allem marktgängig und als Appell an die jeweils Regierenden. Ebenso gibt es nur in wenigen Ländern unter denen, die Politik wenigstens als Aktionsform gegen Herrschaft und Kapitalismus begreifen, eine so klare Dominanz derer, die an alten Strukturen festhalten, Praxisfeindlichkeit zeigen und auf Neuerungen derart ablehnend reagieren.
Dabei ist nichts gut, bloß weil es neu ist. Aber Neues ist es immer wert, offen diskutiert und auch ausprobiert zu werden. Politische Bewegung braucht mehr Mut, mehr Ideenreichtum, mehr Experimente, mehr Risikofreude, mehr direkte Aktion und selbstbestimmte Kommunikationsformen.
Die Diskussion hat erst begonnen. Die Umsetzung beginnt gleichzeitig. Die Praxis ist nicht nur Teil der Veränderung, sondern auch eine Grundlage der Diskussion um Strategien und Positionen. Kein gesellschaftlicher Wandel entsteht nur aus Aktionismus oder nur aus der Debatte um Theorien. Die Verknüpfung wird die Kunst sein. Die spannendsten Politikformen entstehen dort, wo inhaltlich-strategische Debatten geführt werden und eine politische Praxis der direkten Aktion und Öffentlichkeitsarbeit gefunden wird. Wer dann loslegt, macht Fehler. Eine aufmerksame Reflektion wandelt diese in strategischen Fortschritt und Ansporn, es besser hinzukriegen. Immer weiter. Fragend voran.

Das war's. Das Ende des Lesens ist (spätestens) der Anfang des eigenen Denkens - und Handelns.

Im Original: In Gruppen und kleinen Zusammenhängen
Aus Gruppe Gegenbilder (1. Auflage 2000): "Freie Menschen in Freien Vereinbarungen", SeitenHieb-Verlag in Reiskirchen (S. 107ff)
1. Emanzipatorische Positionen benennen und erkämpfen
Die gesellschaftliche Diskussion ist geprägt von dem Bemühen um Konsens, Zugehörigkeit zur politischen Mitte und Angst von Radikalität. Politische Forderungen, die vom Status Quo stark abweichen, werden kaum noch benannt. Politik ist oft nur das Ringen um Minimalveränderungen oder Stillstand. Innerhalb reformistischer Gruppen gibt es nicht nur den Hang zu Reformen statt grundlegende Forderungen zu vertreten, sondern eine Vorliebe für ganz kleine Reformen, die niemandem wehtun und daher auch niemanden verprellen.
Ohne radikale Positionen, die gerade wegen ihrer Radikalität faszinieren und provozieren, ist politisch kaum etwas zu bewegen. Was sich von der Realität oder von den Konzepten derer, die die politische oder wirtschaftliche Macht haben, nur in wenigen Punkten unterscheidet, ist langweilig und demotivierend. Warum sollen sich Menschen für etwas interessieren oder gar engagieren, was ganz ähnlich ohnehin kommt? Daher ist es wichtig, wieder klare Positionen zu benennen, grundlegend “Nein” zu sagen, Widerstand zu organisieren und grundlegend abweichende Vorschläge und Visionen zu benennen. Wer gesellschaftliche Veränderung will, muss sich der Realität kämpferisch stellen, muss unterscheidbar sein von dem, was ist oder seitens derer, die Gesellschaft augenblicklich gestalten, als Zukunft benannt wird. Gesellschaftliche Auseinandersetzung braucht Menschen und Gruppen, die von den aktuell Mächtigen ausgegrenzt, als “Spinner” betitelt oder gar bekämpft werden. Emanzipatorische Politik stellt Herrschaft in Frage, grundlegend. Sie ist nicht integrierbar in Machtspielchen, daher muss sie zwangsläufig auf die Gegenwehr derer treffen, die aktuell Herrschaft ausüben.
Emanzipatorische Politik will nicht ein bißchen mehr Gerechtigkeit, ein bißchen mehr Gleichberechtigung, ein bißchen mehr Mit- oder Selbstbestimmung, sondern sie will es ganz. Ohne Abstriche. Werden Teilverbesserungen durchgesetzt, sind sie zu kennzeichnen als Schritte auf dem Weg nach mehr. Zufriedenheit tritt erst ein, wenn das Ganze erreicht wird. Das Ganze wird gefordert, auch in den Debatten um die Teilschritte. Teilschritte sind nie das Ziel, sondern der Weg dahin – als solche aber sinnvoll.

2. Vielfältige, selbstorganisierte Aktionskonzepte durch- und umsetzen
Horizontale Vernetzung heißt das Zauberwort. Sie bedeutet, dass Kommunikationsstrukturen, Aktionsplanungen usw. nicht mehr in hierarchischen Strukturen erfolgen, sondern aus einem gleichberechtigten Nebeneinander von Ideen und Aktivitäten besteht. Alles, was läuft, wird aus den tatsächlich agierenden Gruppen und Zusammenhängen, aus neu initiierten Arbeitsgruppen usw. heraus entwickelt, ohne dass irgendeine dieser Gruppen wichtiger ist als andere.
Als Beispiel sei die Anti-Atom-Bewegung angeführt. Das beste und wertvollste, was dort entwickelt und dann breit akzeptiert wurde, was das Konzept einer Aktionsvielfalt (“Streckenkonzept”), nach dem verschiedene Gruppen die ihnen liegenden Aktionsformen unabhängig voneinander umsetzen konnten. Niemand plant für alle mit, niemand schwingt sich auf, Führungselite für die Bewegung oder eine Aktion zu sein. Genau das hat die Stärke der Anti-Castor-Aktionen ausgemacht. Die Aktionen in Köln im Sommer 1999 waren genau das Gegenteil: Peinlich genau wurde darauf geachtet, dass alles zentral in der Hand der jeweiligen Organisationsleitung lag. Bei den Anti-Castor-Aktionen gingen vorher genaue Landkarten und Hinweise über Telefonnummern, Anfahrtsmöglichkeiten von allen Seiten und zu allen möglichen Ort rum. Aber in Köln – nichts dergleichen. Zentralistische Organisation. Die Demo-TeilnehmerInnen waren nur die Masse, die für den eigenen Medienerfolg (der dann auch noch ausblieb ...) oder die zentral ausgewählten Redebeiträge nötig waren.
Konzept der dezentral organisierten, aber dennoch vernetzten Aktionen muss im politischen Raum durchgesetzt werden – es muss möglich werden, solche Aktionsformen gegen die zentralistisch agierenden Verbände u.ä. zu verwirklichen oder auch ohne sie.
Im Expo-Widerstand wurde horizontale Vernetzung versucht – mit Teilerfolgen. Zentrale Strukturen wurden nicht geschaffen, alle Aktivitäten gingen aus konkreten Gruppen und Projekten hervor. Dadurch entstand eine Vielfalt und Unberechenbarkeit. Allerdings blieben oder entstanden Unterschiede zwischen denen, die viel machten und intensiv an den Kommunikationsstrukturen teilnahmen und denen, die sich nur begrenzt einbrachten. Konflikte zwischen den dominanteren Gruppen um Aktionsformen und Arbeitsstrategien beeinträchtigten den Gesamtzusammenhang.

3. Autonomie aller Teile des Ganzen
Eine emanzipatorische Bewegung kann nur eine “Bewegung von unten” sein, in der die konkreten Zusammenhänge und in ihnen wiederum die Teilgruppen bis hin zu den einzelnen Menschen die entscheidenden Teile, also die Subjekte politischer Arbeit sind. Alle zentralen Gremien haben Initiativ- und Koordinationsfunktion, aber auch dieses wiederum nur aufgrund der Beteiligung konkreter Personen und autonomer, d.h. unabhängiger, selbstbestimmter Gruppen und Projekte. In der konkreten Arbeit bedeutet das, dass die sich für eine konkrete Aktivität zusammenfindende Gruppe auch die Entscheidungsgewalt über ihre Aktivität hat. Gerade weil sie die hat, vergrößert sich dann auch die Chance, dass sie ihre Handlungen innerhalb von Vernetzungen transparent macht – es geht ja nicht um Machtkampf, Abstimmungen oder ähnliches. Plena und übergeordnete Vernetzungen stimmen nur über das ab, was auch alle zusammen betreiben – und das ist im Idealfall nichts mehr. Die Autonomie der Teilgruppen des Ganzen muss sich auf alle Bereiche beziehen, von der materiellen Selbständigkeit bis zum Auftreten in der Öffentlichkeit. Alle Gruppen sind autonom, alle treten folgerichtig aber auch nur für sich selbst auf, nicht für etwas Ganzes, was ohnehin meist konstruiert und von der Existenz von Führungsgremien (gewählt oder informell) abhängig ist.

4. Autonome Strukturen aufbauen
Aktions- und Kommunikationsstrukturen für jede Aktion neu aufzubauen, wäre anstrengend und dumm. Daher ist es sinnvoll, autonome, d.h. selbstorganisierte und unabhängige Struktur zu schaffen, die neben den jeweils zu Aktionen aufgebauten Arbeits- und Vernetzungsstrukturen dauerhaft nutzbar sind.

a. Orte, Plätze, Zentren
Politische Freiräume braucht das Land! Infoläden, Projektwerkstätten, Wagenplätze, Kommunen usw. sind wichtig – wenn sie sich denn als politische Plattform begreifen und nicht nur als Rückzugsidylle, Fetenraum und/oder als Ort maximaler Anpassung an den Staat oder seine finanziellen Förderstrukturen. Doch die Wirklichkeit ist katastrophal: Selbst die meisten autonomen Zentren gehören dem Staat oder der Stadt. Dieser Zustand spiegelt wieder, wie weit entwickelt das strategische Potential autonomer politischer Bewegung ist. Wo Wagenplätze oder Zentren in Gefahr sind, wird nach Mami/Papi Staat gerufen, etwas Neues zu geben. Peinlich! Wir müssen stattdessen eigene, unabhängige Plätze schaffen – durch (kollektives) Eigentum oder durch politische Besetzung.
Wo wir aber solche Plätze haben, müssen sie auch Aktionsplattform sein für die politische Arbeit. Rein private Häuser oder Plätze sind privat und damit nicht-politisch – egal ob sie von BänkerInnen oder Anarcha/os bewohnt werden! Das Private ist wichtig, aber es ist nicht politisch!
Es muss unser Anliegen sein, an unabhängigen Orten Arbeitsmöglichkeiten für politische Gruppen, selbstorganisierte Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit usw. zu schaffen: Medienwerkstätten, Bibliotheken und Archive, technische Infrastruktur, Werkstätten und mehr in jedem Ort!!!
Durch geschickte Formen kollektiver Verfügungsgewalt über die politischen Räume müssen diese auf Dauer vor Privatisierung und Kommerzialisierung geschützt sein – also auch vor denen, die ein Projekt aufbauen und zunächst tragen (“uns selbst”), da wir davon ausgehen müssen, dass jedeR von uns zu der Mehrheit politisch Aktiver gehört, die sich nach einiger Zeit politischer Arbeit etablieren und dann das mit politischen Zielen Geschaffene für die eigene Lebensidylle bzw. -absicherung nutzen wollen.

b. Medien und Veranstaltungen
Der inzwischen fast abgeschlossene Niedergang selbstorganisierter Medien nimmt uns eine wichtige Möglichkeit der Einflußnahme auf das gesellschaftliche Geschehen. Als Alternativen bleiben einem nur noch die Anbiederung an die bürgerliche Presse (deren Ausrichtung der Krieg gegen Jugoslawien nicht veränderte, wohl aber mal wieder besonders deutlich machte!) oder der Rückzug in eine Nische ohne Wahrnehmung von außen.
Dabei ist unsere Gesellschaft eine Mediengesellschaft. Viele grundlegende Ideen lassen sich nicht auf Spucki oder Plakat unterbringen. Daher müssen wir wieder eigene Zeitungen, Radioprojekte (legal oder illegal ist scheißegal, wichtig ist: selbstorganisiert und politisch), Internetplattformen (gerade im Sinne einer kommunikativen Öffentlichkeitsarbeit) und auch Bildungsarbeit organisieren – von Einzelveranstaltungen bis zu Ideen wie Volkshochschulen von unten u.ä.
Auch bei Aktionen können zeitlich befristete Zeitungen oder ein Piratensender bzw. ein Kanal im vorhandenen Radio sinnvoll sein. Wir haben gute Ideen – aber niemand bekommt es mit!

c. Betriebe, Verlage usw.
Was für Medien gilt, kann auch für Betriebe im allgemeinen gelten – von Verlagen über Kneipen bis zum Kino. Betriebe sollten als politische Plattform begriffen werden. In vielen Kommunen oder ähnlichen Projekten dienten Betriebe vor allem der finanziellen Absicherung der AkteurInnen. Nur wenige Jahre später waren sie eine Ansammlung von kommerziellen Einheiten zum allein privaten Nutzen. Teil einer politischen Bewegung aber sind Betriebe nur dort, wo sie ein politisches Ziel (Bildungs- oder Öffentlichkeitsarbeit, Bau von Aktionsmaterial, Renovierung von Häusern oder Wägen, Kommunikation usw.) verfolgen.

d. Kommunikation und Vernetzung
Welche Vernetzung existiert? Krampfhaft werden einige, bundesweit weniger bedeutsame[[n]] Zeitungen erwähnt (Interim, radikal usw.), wenn die Frage darauf kommt. Aber es gibt nur wenige Versuche, das breiter anzulegen, viele zu erreichen. Im Antifa-Bereich gibt es einige Vernetzungsblätter, im Umweltbereich seit kurzem die “Ö-Punkte”, aber in vielen Bereichen nichts. Übergreifende Telefonketten: Fehlanzeige. Vernetzung zwischen Wagenplätzen, Infoläden und/oder Häusern: Schwach. Gegenseitige Hilfe oder Aufbau gemeinsamer Strukturen: Kaum.
Dabei ist Informationsaustausch eine wichtige Grundlage strategischer Arbeit. Ihn zu schaffen, ist ein wichtiges Ziel. Dabei wird es, auch hier nach dem Konzept der selbstorganisierten Vielfalt, verschiedene Wege geben. Im Optimalfall ist das Geflecht von Zeitungen, Email-Vernetzung, Telefonketten, Rundbriefen usw. aber durchschaubar und jede Gruppe und Einzelperson kann sich dort einbringen, wo es ihr am sinnvollsten erscheint.
Möglichkeiten der Koordination (auch hier muss es die Vielfalt der Selbstorganisation bringen): Adreßbüchlein, Kalenderprojekt(e) u.ä. Einiges gibt es schon und könnte weiterentwickelt werden – aber bislang sind fast alles Nischenprodukte, jede Szene bedient sich selbst.

5. Lebensperspektiven für die Einzelnen entwickeln
Autonome Wohnprojekte sind meist nichts anderes als unverbindliche WGs, die ökonomisch von der Substanz der Orte, vom Überfluß der Gesellschaft oder, am häufigsten, aus ganz normalen Quellen gespeist werden: Eltern, BaFöG, Staatszuschüsse, Maloche oder Sozialamt. Solange aber für die einzelnen Menschen keine Perspektive besteht, das eigene Leben selbst zu organisieren, bleiben die Zwänge des Alltags ein wichtiger Grund für das ständige Wegetablieren der ehemals politisch Aktiven.
Stattdessen müssen autonome Wohn- und Lebensformen entstehen, die die einzelnen Menschen herauslösen aus den Zwängen der Normalität und ihnen damit erst die Freiheit geben, Leben und politisches Engagement sowie auch das Ausprobieren alternativer, u.a. herrschaftsfreier Zusammenlebensformen zu verbinden. Die bisherigen Versuche (Kommunen, Ökodörfer, Öko-WGs, Wagenplätze usw.) konnten den Prozeß des Etablierens nicht aufhalten, da mit zunehmendem Alter von Personen und Gruppen der Hang zu Absicherungen, mehr Luxus und Einnischung [Einnischung heißt, sich einen Platz zu suchen und dort zu verharren. Der Begriff stammt aus der Ökologie und meint den Ort und die Rolle, den ein Tier oder eine Pflanze einnimmt.] in der Normalität nicht durch ein positives Gegenmodell aufgehoben wurde. Hier gilt es, eine strategische Debatte zu führen. Alternative Lebensprojekte müssen Willen und Fähigkeit der Einzelnen zur Auseinandersetzung mit der Gesellschaft erhöhen und selbst Plattform dazu sein. Dumpfe Rückzugsprojekte, legitimiert über “unsere Existenz ist politisch”, “echte Veränderung kommt von innen” oder den Glauben an spirituelle bis esoterische Kräfte, sind entpolitisierend und befrieden kritisches Potential. Was wir brauchen sind Projekte, die Gegenmodelle darstellen, sich öffentlich zeigen und reiben an der Realität, sich selbst als politische Speerspitze einer Veränderung und Teil politischer Bewegung begreifen – und trotzdem nicht eine unverbindliche WG ohne langfristige Perspektive für die Einzelnen sind, wo es sich für die paar Jahre der Unzufriedenheitsphase vor der Etablierung aushalten läßt, aber mehr auch nicht.
Hinzukommen muss eine ökonomische Basis, die auch dauerhaft ein Gefühl der Sicherheit verschafft. Sonst werden die vorgegebenen, gesellschaftlichen Sicherungssysteme von vielen Menschen bevorzugt werden. Die konkrete Freiheit, d.h. das Ausbrechen aus den ständigen ökonomischen Zwängen kann nur im Projekt oder als Kooperative (gemeinsame Ökonomie, Gemeinschaftseigentum oder intensives Tausch- und Gemeinschaftsnutzungssystem zwischen Einzelpersonen und/oder Projekten) geben, wenn diese sich weitgehend aus den Marktlogiken auskoppeln und andere Formen der Reproduktion aufbauen. Dauerhafte Sicherheit kann es in Form der Beteiligung an existenzsichernden Eigentumsaufteilungen, z.B. an Gebäuden oder Boden geben, aber auch an gemeinsamen Fonds der Geldanlage geben, die eine langfristige Rendite im herkömmlichen Sinne ermöglichen - bei aller Problematik der Geldwirtschaft. Ein Beispiel ist das Anlegen von Geld in Windkraftanlagen, aus deren Stromverkauf dann auch dauerhaft Erlöse kommen – selbst dann, wenn die eigene Erwerbskraft eingeschränkt ist.

6. In bestehende politische Bewegung einmischen
Aktionen, Zeitschriften, Veranstaltungen und mehr sind Teil der politischen Arbeit. Emanzipatorische Positionen haben fast überall ein Schattendasein. Nur selten kümmern sich Menschen auch schon in der Vorbereitung darum, dass Aktionen, Zeitschriften, Veranstaltungen u.ä. emanzipatorisch und nach Autonomiegesichtspunkten (Selbstorganisation, Unabhängigkeit usw.) organisiert werden. Autonome Strategien und Inhalte sind es wert, prägend zu sein für politische Bewegung und sich als durchsetzungsfähig gegenüber reformistischen bis kapitalismusbefürwortenden Positionen, vor allem aber gegenüber herkömmlich-hierarchischen Organisationsmodellen in Bündnissen zu erweisen. Die Zeit muss vorbei sein, in der etablierte Organisationsspitzen von NGOs und anderen, oft mit Parteibüchern in der Tasche, sich als Bewegung ausgaben und Schröder, Daimler & Co. als ihre GesprächspartnerInnen über die Zukunft der Welt ansahen. Dafür aber müssen sich selbstorganisierte Gruppen offensiv in die politischen Zusammenhänge, Medien, Netzwerke und Aktionen einmischen, um ihre Vorstellungen politischer Organisation dort einzubringen und auch gegenüber Zentralisierungs- und Hierarchisierungsversuchen durchzusetzen.

7. In gesellschaftliche Prozesse einmischen
Emanzipatorische Politik steht heute sehr stark am Rande der Gesellschaft und ist kaum noch wahrnehmbar. Schuld daran ist die Menschen, die eine solche Politik wollen und vertreten, auch selbst. Sie ziehen sich seit Jahren immer mehr aus der öffentlichen Debatte zurück und schmoren im eigenen Saft. Der Wille zur inhaltlichen Konsequenz wird nicht so umgesetzt, dass emanzipatorische Ziele immer klar und unmißverständlich formuliert werden, sondern es wird vor allem darauf geachtet, dass der Rahmen und die VeranstalterInnen z.B. von Diskussionen die politisch “richtige” Meinung haben (“pc” sind). [“pc”, Abk. von “political correctness, ist ein in politischen Bewegungen gebräuchlicher Begriff und meint eine Verregelung des Alltagsverhaltens in politischen Zusammenhängen aufgrund von Erwartungshaltungen.] Diese Strategie hat zur Folge, dass emanzipatorische Ideen zur Zeit (fast) nur innerhalb einer kleinen Szene überzeugter Menschen diskutiert oder verbreitet werden. In dem bedeutend größeren Teil etablierter Bewegungen und Organisationen, erst recht in der Normalität der Gesellschaft, auch in ihren Bildungs- und Diskussionskreisen (Schulen, Hochschulen, Volkshochschulen, Verbänden und Vereinen, Bildungszentren, Medien usw.) gibt es die Themen Herrschaft, Ausbeutung usw. nicht. Es wirkt fast, also hätten Menschen mit emanzipatorischen Ideen Angst, sich der Realität zu stellen und für ihre Ideen zu kämpfen. Oder fürchten sie um ihre sozialen Beziehungen in der “Normalität”, in der die meisten von ihnen auch existieren wollen (Job, Hobbies, NachbarInnenschaft usw.)?
Emanzipatorische Politik muss aus der Isolation befreit werden. Dafür ist nicht notwendig, dass Inhalte oder Positionen aufgegeben werden. Es ist keine Anbiederung, auf einer Veranstaltung, die nicht selbst emanzipatorische Ziele hat, aber die Formulierung solcher zuläßt, für die eigenen Positionen zu kämpfen. Politischer Verrat geschieht erst dann, wenn Verhaltensweisen oder inhaltliche Positionen zwecks besserer Akzeptanz, Etablierung oder Anbiederung verändert werden. Notwendig ist aber, radikale, emanzipatorische Politikinhalte und Aktionsformen an vielen Orten dieser Gesellschaft offensiv einzubringen – und sich auch offen zu zeigen als Gruppe, Projekt, Kommune o.ä., die bewußt und sichtbar für eine Welt von unten eintritt. Kein Stammtisch, kein Podium, keine Vorlesung, kein Seminar, kein Arbeitsplatz, keine Schulstunde, keine WG oder Familie und kein anderer Ort ist zu schade für eine Debatte für eine Welt von unten. Wer anders agiert, isoliert sich im eigenen Saft und hat auch ein falsches Verständnis einer Welt von unten – denn “unten” sind sicher nicht die selbstisolierten linken Kader.
Die Menschen, die emanzipatorische Politik vertreten wollen, sollten sich in Veranstaltungen, Kongresse, Diskussionen und auf den Podien einmischen, wo über zukünftige Strategien geredet wird. Diese Plattformen sind gute Gelegenheiten, die Dominanz der kapitalismuskompatiblen Politikkonzepte der Marken Humanität, Nachhaltigkeit, Agenda oder Bündnis für Arbeit zu brechen. Nicht die anderen Personen auf den Podien oder die VeranstalterInnen sind unsere Zielgruppe (Kritik an ihnen kann daher auch kein Grund der Verweigerung von Debatten sein!), sondern die Menschen, die zu solchen Veranstaltungen kommen. Sie der “anderen Seite” zu überlassen, ist schlicht dumm!

8. Modelle und Kristallisationspunkte schaffen
Kaum eine politische Idee wird ohne einen Bezug auf eine Symbolik durchsetzungsfähig sein. Symbole für Unterdrückung, Ausbeutung, Umweltzerstörung usw. können der Aufhänger für die Kritik am Bestehenden sein, ebenso aber auch als Symbole für emanzipatorische Ziele und Modelle dem Entwurf neuer Ideen, Konzepte oder Visionen dienen – im Einzelfall gibt es sogar Symboliken, die beides beinhalten: Widerstand und neue Ziele. Alle Symbole haben vielfache Bedeutung für die politische Arbeit:
- Als Mobilisierungspunkt, an dem die verschiedenen Gruppen, die sonst “nur” auf ein Thema spezialisiert sind, zusammen agieren und so Kräfte bei den umfassenden Zielen bündeln.
- Als öffentlich wahrnehmbares Modell für Alternativen oder Symbol für die aktuelle Normalität, d.h. die Herrschaftsformen, Ausbeutungsstrukturen u.ä.
- Bündelung verschiedener politischer Stoßrichtungen, um gemeinsame Ziele zu formulieren.
Beispiele für solche Modelle und Kristallisationspunkte können die besonderen Symbole von Herrschaft und Ausbeutung sein (Knäste, SpitzenpolitikerInnen-Gipfel, thematisch passende Veranstaltungen, Knäste, Wahlen, Großtechnische Baustellen oder Objekte, Expo 2000). Ebenso können es positive Modelle sein, also Visionen, Versuche alternativer Projekte mit politischen Zielen und als ein Kern politischer Bewegung usw. Solche gemeinsamen Aktionen ersetzen nicht die weiter notwendigen Ein-Punkt-/Ein-Themen-Gruppen und –Initiativen, sondern bieten die Chance zum gemeinsamen Agieren – beides zusammen ergibt die sinnvolle Mischung.

9. Emanzipatorische Verhältnisse durch unmittelbare Intervention schaffen
Der Abbau von Herrschaft und Verwertungslogik ist immer und überall Gesamtziel politischer Arbeit. Auch die eigenen politischen Gruppen, Projekte usw. sind Teil der Gesellschaft – noch dazu ein unmittelbar beeinflußbarer. Konsequente emanzipatorische Binnenverhältnisse herzustellen, ist daher wichtiges Element des politischen Engagements. Hierzu zählen der Abbau aller formalen Dominanzstrukturen von Vorständen bis zu unterschiedlichen Zugriffsrechten auf die gemeinsamen Ressourcen (Wissen, Geld, Materialien, Räume, Kontakte usw.) sowie der Kampf gegen jede Form der Diskriminierung, sei sie sexistischer oder rassistischer Art, der Ausgrenzung von sogenannten Behinderten oder der Bevormundung bis Unterdrückung von Kindern und Jugendlichen. Alle diese Arten von Diskriminierung sind auch in politischen Gruppen überall anzutreffen. Der bisherige Umgang damit war in der Sache wirkungslos und vom Ziel her verfehlt. In der Regel ging es nicht um den Abbau der Diskriminierung, sondern nur um Machtverschiebungen, neue Definitionsgewalten oder auch die Denunziation mißliebiger Personen. Das wird auch darin sichtbar, dass in den meisten politischen Gruppen nur solche Arten von Diskriminierung diskutiert werden, die auch selbst vertreten sind und daher auch ein reales Interesse an dieser Debatte einbringen. So sind antisexistische und antirassistische Diskussionen und Verregelungen inzwischen weit verbreitet, während sogenannte Behinderte und, am auffälligsten, der Umgang mit Kindern und Jugendlichen fast überall ganz durchschnittlichen gesellschaftlichen Gepflogenheiten entspricht.
Ein Ende der Diskriminierung ist über Verregelungen und neue Machtpositionen nicht zu erzielen. Stattdessen müssen auch in diesem Fall die Menschen selbst zu den AkteurInnen werden. Dieses bewußt und jeden Menschen zum Mittelpunkt des Handelns zu machen, ist das Ziel der Debatte. Es gilt, aufmerksam zu werden für die Formen der Unterdrückung und Diskriminierung, zudem ist unmittelbares, d.h. sofortiges und von den konkreten Personen durchgeführtes Handeln im Sinne einer Intervention erforderlich. Das Ende der Diskriminierung kann nur dann erreicht werden, wenn alle Menschen als Einzelne begreifen, dass sie es sind, auf die es ankommt. Diese Verantwortung kann nicht auf Gruppenstrukturen, Regeln oder Plena verlagert werden – wie es bislang regelmäßig der Fall ist. Sexistische, rassistische oder sonstige Übergriffe, die ständige Bevormundung und Zurechtweisung von Kindern, die Ausgrenzung von sogenannten Behinderten oder weniger intellektuell auftretender Menschen müssen sofort angegriffen werden. Dieser “Angriff” muss nicht eine Tätlichkeit sein, sondern vielmehr die klare Intervention, das Sich-selbst-Positionieren der einzelnen Menschen gegenüber dem diskriminierenden Verhalten – statt dem Wegsehen, statt dem Verlagern von Verantwortung auf übergeordnete Strukturen. Ebenso muss klar sein, dass nicht die Person, sondern das diskriminierende Verhalten Ziel des Angriffs ist.

10. Offene und direkte Streitkultur statt Harmonie und Gruppenidentität
Ohne offene und direkte, d.h. intersubjektive Beziehungen gleichberechtigter PartnerInnen kann eine politische Bewegung oder ein Projekt nicht die Selbstentfaltung der Einzelnen fördern. Streit dient dann, wenn die Menschen und nicht der Selbstzweck der Gruppe im Vordergrund stehen, nicht der Ausgrenzung anderer oder dem Aufbau von Macht, sondern dem gemeinsamen Ringen um das Wohlbefinden und die Gleichberechtigung der Einzelnen, der Vielfalt der Ideen, der Weiterentwicklung von Positionen und der Qualität der eigenen Strategien. So wie die konkreten Aktionsmethoden zwischen den AkteurInnen unterschiedlich sind, gleichzeitig daher zugelassen wie auch offen und kritisch diskutiert werden, sind es auch die Verhaltensweisen im Streit. Gemeinsames Ziel muss sein, Streit als Ringen um Positionen und Strategien zu fördern und so zu gestalten, dass einerseits Dominanzkämpfe und Ausgrenzungen, andererseits aber auch unklare Verhältnisse aufgrund eines harmonisierenden Gruppendrucks vermieden werden. Gegenstand des Streites sind Abläufe, Rahmenbedingungen, Strategien, Verhältnisse, nicht Personen. So lassen sich emanzipatorische Positionen klären, erstreiten, beschreiben, in Veröffentlichungen und Aktionen verdeutlichen, niemals aber durch das Ausgrenzen von Menschen.
Die einzelnen Menschen müssen die Träger der politischen Aktivität und die AkteurInnen in der politischen Arbeit sein – von der Entwicklung der Ideen bis zur Umsetzung und Nachbereitung – und nicht die Gruppe!

11. Die Debatte anzetteln
Eine Debatte um Strategien muss selbstkritisch sein, d.h. schonungslos aus eigenen Erfolgen und Fehlern lernend. Sie kann und sollte aus den Erfahrungen aus den vielen Jahren selbstorganisierter politischer Arbeit schöpfen, aber nicht daran kleben. Die autonome Politik hat zur Zeit nicht nur gegenüber der herrschenden Politik und Normalität das Nachsehen, sondern auch gegenüber der Art nichtautonomer politischer Arbeit, wie sie von den etablierten, meist staats- und oft wirtschaftsnahen Verbänden (neudeutsch: NGOs) betrieben wird.
Autonomie bzw. Selbstorganisation ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Wegbleiben von Strategie – genausowenig wie Anarchie nur das Wegfallen des Staates und das Heraufkommen völliger Unorganisiertheit bedeutet. Ganz im Gegenteil: Eine politische Autonomie besteht erst dann, wenn sie sich organisiert, denn “allein machen sie dich ein”! Politischer Widerstand braucht eine wirkliche Qualität, die wehrhaft ist gegen Repression, Abhängigkeiten und Einverleibung, die Alternativen bietet zu den Wegen der Normalität (auch der normal-etablierten politischen Arbeit z.B. der NGOs). Autonome Politik ist nicht nur ein Inhalt, sondern auch eine Strategie. Und sie hat nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie die bessere ist, also der wirksamere Weg, diese Von-oben-Gesellschaft in Richtung einer Welt von unten, einem emanzipatorischen Ziel zu verändern. Die Existenz autonomer Gruppen als Selbstzweck kann und darf es nicht geben. Notwendig ist die Entwicklung einer Strategie, die den Aufbau von Infrastruktur, Kommunikationsformen und Aktionsfähigkeit beinhaltet und eigene Wege in die Öffentlichkeit, Modelle und Kristallisationspunkte, ökonomische Absicherungen, Solidarität und Perspektiven für die einzelnen AkteurInnen schafft.

12. Kontinuierliche Diskussionspunkte schaffen
Politische Aktivität orientiert sich meist an zeitlich beschränkten Anlässen. Strategie- und politische Diskussionen beginnen, wenn sie überhaupt laufen, ständig neu. Auswertungen und Weiterentwicklung unterbleiben so meist. Durch die AkteurInnen politischer Gruppen muss ein über Teilbereichsbewegungen hinweg reichender, dauernder Diskussionsprozess zu Strategien, Zielen und Positionen politischer Arbeit geschaffen werden. Treffen, Internetprojekte, kontinuierlich weiterentwickelte Positionspapiere und Veröffentlichungen, Austausch über bestehende Magazine, Seminare und mehr können Bausteine dieses Prozesses sein.


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