Offener Raum

PSYCHOLOGIE UND ERZIEHUNG

Über die psychologischen Hintergründe von Erziehung


1. Einleitung
2. Über die psychologischen Hintergründe von Erziehung
3. Abhängigkeit und Gehorsam

Menschen, die selber erzogen wurden und daher lebendige Anteile von sich abspalten mussten, können den Anblick nicht erzogener Kinder nicht ertragen, weil es sie permanent mit den eigenen Verletzungen konfrontiert, die Erziehung ihnen angetan hat. Alice Miller beschreibt dieses Prozess so:

Aus Alice Miller (1980). Am Anfang war Erziehung (S. 115-116)
Wird ein so gewordener Mensch selbst Vater, dann muß er mit Ereignissen konfrontiert werden, die das ganze mühsam erbaute Gebäude ins Wanken bringen könnten: er sieht ein lebendiges Kind vor sich, er sieht, wie ein Mensch eigentlich beschaffen ist, wie er sein könnte, wenn man ihn nur nicht daran hindern würde. Aber da kommen bereits eigene Ängste ins Spiel: Das darf nicht sein. Wenn man das Kind, so wie es ist, leben ließe, hieße das nicht, daß die eigenen Opfer und Selbstverleugnungen nicht nötig gewesen wären? Wäre es möglich, daß ein Kind ohne den Zwang zum Gehorsam, ohne die Willensunterdrückung, ohne die seit Jahrhunderten empfohlene Bekämpfung des Egoismus und Eigensinns gedeihen könnte? Eltern können solche Gedanken nicht zulassen; sie würden sonst in die größte Not kommen und den eigenen Boden verlieren, den Boden der überlieferten Ideologie, in der die Unterdrückung und Manipulierung des Lebendigen den höchsten Wert darstellen.

Aus Erich Fromm, "Haben oder Sein" (S. 118)
... bedienten sich der Institution Familie, die die Funktion hatte, das Kind von dem Augenblick an, in dem es zum ersten Mal einen eigenen Willen bekundete, zum Gehorsam zu erziehen (...). Der "Eigenwille" des Kindes mußte gebrochen werden, um sicherzustellen, daß es später als Bürger wunschgemäß funktionieren würde.

Aus Grün, Arno (2006): Verratene Liebe – Falsche Götter. München: dtv (S. 24)
So erfahren unsere Kinder zum Beispiel schon in den ersten Lebensmonaten, daß ihre eigenen empathischen Wahrnehmungen von den Erwachsenen als kindisch, unerfahren, unrealistisch, gefährlich abgetan werden. Tatsächlich jedoch sind Kindeswahrnehmungen äußerst reif und werden nur durch den Sozialisierungsprozeß täglich behindert. Der "put down", das heißt die Erniedrigung, die Demütigung unserer Kinder, mit der Eltern oft unbewußt ihren eigenen Selbstwert stärken, ist in den alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen unserer Gesellschaft eine Grundregel. Sie ist Bestandteil des Drucks, dem wir alle ausgesetzt sind und der uns dazu bringt, uns dem gleichförmigen sozialen Verhalten, Denken und Fühlen zu ergeben. Dieser Druck kommt von allen Seiten, von Eltern, Geschwistern, Priestern, Politikern, überhaupt von all denen, deren Träume vom "lebendigen Wesen" erstickt worden sind.

Aus Grün, Arno (2006): Verratene Liebe – Falsche Götter. München: dtv (S. 25)
Der Konformismus, die Unterwerfung unter die "Realität" durch den herrschenden andern, fordert einen hohen, wenn auch unbewußten Preis. Wenn nämlich die empathischen Wahrnehmungen eines Kleinkindes nicht den programmierten Wahrnehmungen der Eltern/Gesellschaft entsprechen, wird die Diskrepanz zwischen den zwei Welten (der des Kindes und der der Eltern) zum "Fehler" des Kindes. Indem das Kind die Diskrepanz zum eigenen Fehler macht, erhält es sich paradoxerweise am Leben. Denn von Eltern abgelehnt zu sein, sich als nicht geliebt zu erleben, das bedeutet, der Hoffnungslosigkeit ausgeliefert zu sein.

Aus Grün, Arno (2006): Verratene Liebe – Falsche Götter. München: dtv (S. 25)
Jeder hat das verzweifelte, leere und öde klingende Schreien von Kindern im Ohr, das Einsamkeit und ungestilltes Verlangen ausdrückt. Aber wir verschließen uns, weil darauf einzugehen hieße, unser eigenes untolerierbares Leiden von damals wieder zu erleben. Und so stellen wir uns sogar gegen das Kind. Sein Ausdruck der Aussichtslosigkeit, ja Verzweiflung wird damit abgetan, daß ihm ja in "Wirklichkeit" nichts fehle.

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