Offener Raum

REZENSIONEN

Herrschaftskritik und Utopien

Andreas Rauscher
Das Phänomen Star Trek
(2003, Ventil Verlag in Mainz, 352 S., 14,90 Euro)
Star Trek ist nicht nur etwas für Dauer-FernguckerInnen, die solche Endlos-Serien mögen. Sondern die dargestellten Charaktere fanzinieren viele BetrachterInnen ebenso wie die aufgezeigte Historie des Geschehens, die nicht ohne politische Bezüge und manchem Wink mit dem Zaunpfahl verläuft. Im vorliegenden Buch werden Rollen, AkteurInnen und Handlungen interpretiert auf ihre verschlüsselten Botschaften. Dabei folgt es der Tradition, sehr viel zu interpretieren - vielleicht mehr als die Regisseure und Drehbuchautoren selbst je hineingedacht hatten. Aber wie auch immer: Star Trek lässt sich zum Vergleichsbild für gesellschaftliche Utopien und Gegenwarten machen. Die gedruckten Sozialanalysen können dabei anregend sein.

Gabriel Kuhn
"Neuer Anarchismus" in den USA - Seattle und die Folgen
(2008, Unrast in Münster, 301 S.)
Ein schönes Lesebuch über anarchistische Debatten und Strömungen in den USA. Das Buch folgt keinem roten Faden, sondern stellt Texte nebeneinander. Dadurch werden Unterschiede oder gar Gegensätze deutlich - aber gerade so ist es ein interessantes Sammelsurium aktueller Ideen. Allein die Tatsache, dass AktivistInnen und solche, die nur theoretisch diskutieren, aus der heutigen Zeit zu Wort kommen, ist für einen deutschsprachigen Verlag bereits positiv hervorzuheben - allzu dominant sind die sonstigen Rückgriffe in das vorletzte Jahrhundert oder das penetrante Wiederholen sozialdemokratischer Guter-Staat-Konzepte.

Heinz von Foerster/Bernhard Pörksen
Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners
(2004, Carl Auer Verlag in Heidelberg, 167 S., 19,95 Euro)
Ein langes, langes Gespräch - aufgezeichnet in diesem Buch. Heinz von Foerster tritt mit einer spektakulär konsequenten Position gegen die Konstruktion von Wahrheit und objektiv Vorhandenem auf. Menschen sollten in vorhandene Wahrnehmungs- und Verhaltensraster gesteckt, „trivialisiert“ werden, schimpft er - immer wieder kritisch hinterfragt von seinem Gesprächspartner, der sich mit eigenen Positionen einbringt. Eine Kampfansage an alle Wahrgläubigen, ob religiös, rechtsstaatlich oder marxistisch orientiert ...

Uri Gordon
Hier und jetzt
(2010, Edition Nautilus in Hamburg, 256 S., 18 Euro)
Die anarchistische Theorie außerhalb des deutschsprachigen Raumes lebt stärker als hier von der Praxis des Alltag und des politischen Kampfes. Das zeigt auch dieses Buch - es ist erfrischend anders als die deutschen Langweiler von Graswurzelrevolution bis FAU. Hier geht es um Aktionen, Debatten und Organisierungsversuche. Das Buch ist eher ein Mosaik der bunten, bisweilen chaotischen Welt anarchistischer Kultur. Es ist keine systematische Abhandlung anarchistischer Entwürfe. Wichtige Fragen sind unter anderem die Gewalt- und die Technikdiskussion.

Andreas Kilian
Egoismus, Macht und Strategien
(2009, Alibri in Aschaffenburg, 212 S., 16 €)
Ein Buch archaischer Verhaltensantriebe des Menschen. Diese werden beschrieben, bewertet und auf moderne Verhaltensmuster übertragen. Das regt zum Nachdenken an in zweierlei Form: Zum einen, wieweit tatsächlich Triebe und alte Traditionen der Grund für etliche antiemanzipatorische Verhältnisse sind. Zum anderen aber auch, ob dieses Buch nicht vor allem auf wirren, aber abenteuerlich und damit interessant klingenden Phantasien entspringt. Dummerweise sind zwar im Anhang viele Literaturangaben enthalten, aber im Text befinden sich überhaupt keine Hinweise, worauf die vielen Annahmen beruhen. Auffällig häufig werden patriarchale Unterdrückungsmechanismen den Frauen in die Schuhe geschoben, denen sie angeblich mal genutzt haben sollen. So läuft das Buch Gefahr, Legitimationshilfe genau für solche Muster zu sein.

Jens Braun
Marx - Weber - Luhmann
(2011, Projekte Verlag Cornelius in Halle, 91 S., 17,50 €)
Ein interessanter Versuch: Drei Personen und ihre gesellschaftlichen Analysen werden vorgestellt. Der Text ist überwiegend stichpunkthaft, enthält dadurch aber auf engem Raum sehr viele Hinweise und Informationen. Roter Faden sind Erklärungsmodelle von Gesellschaft und der Stellung des Menschen in ihr. Ausgewählte Kurzzitate eignen zwar weniger für eine vertiefende Lektüre, aber für eine Übernahme von Einzelgedanken und Formulierungen im Original. Der Anhang wirkt wie ein vierter Teil: Der Autor selbst beschreibt hier die Funktionsweise der Gesellschaft. Die Vereinfachung wird hier zu einem gedanklichen Dualismus, denn immer wieder werden Sphären als Gegensätze konstruiert.

Detlef Hartmann
"Empire"
(2002, Assoziation A, 196 S.)
Ein wichtiges Anliegen - aber schlecht um gesetzt. Hartmann wirft den Autoren Hardt und Negri vor, mit den Positionen oft hinter bereits erreichte Positionen zurückzufallen oder oberflächlich zu argumentieren. Leider aber geht der Text selten in die Tiefe und argumentiert auch wenig an den zusammenhängenden Gedanken von "Empire". Richtigerweise wird ein "Hype" attestiert, aber mit Kampfparolen attackiert. "Empire" sei nichts als der "Ausdruck der eposchalen Offensive zur Durchsetzung des postmodernen Kommandos" - schöne Wortschöpfungen, null Inhalt. Leider im Buch ähnlich.

Axel Brüggemann
Wir holen uns die Politik zurück!
(2009, Eichborn in Frankfurt, 192 S, 14,95 Euro)
Eine Fülle von Geschichten aus den Alltagsniederungen der Politik. Es kann und soll wohl überzeugen, dass die ausführenden PolitikerInnen nicht geeignet sind für die Führung dieses Landes. Als Grund wird ständig wiederholt, dass sie nicht aufs Volk hören. Der Autor macht verschiedene Vorschläge, wie das Volk mehr Gewicht bekommt: z.B. per Internet. Wie genau, wird gar nicht beschrieben - das Internet ist per se basisdemokratisch und große Konzerne würden dort von selbst verdrängt. Behauptet der Autor - vielleicht hat er die Antwort ergoogelt, denn um diesen Großkonzern kommt mensch kaum noch herum. Und was der sperrt, gibt es virtuell gar nicht mehr. Auch sonst ist das Buch bedrückend platt. Wer ist überhaupt das Volk? Auch die Frage bleibt ungeklärt, obwohl in dem Wort die Hoffnung für die Zukunft stecken soll. Das Volk soll abstimmen und die ParteikandidatInnen bestimmen können - was aber wird das bewirken? Experimente mit Kumulieren und Panaschieren auf kommunaler Ebene zeigen: Die Stadt- und Dorfpatriarchen werden gestärkt. Innovative und mutige PolitikerInnen abgestraft. Das Volk ist eine Erfindung derer, die in seinem Namen reden. Aber wer darüber gar nicht nachdenkt, bemerkt das nicht.

Matthias Horx
Technolution
(2008, Campus in Frankfurt, 278 S., 24,90 Euro)
Unzählige Geschichten um Tüftler, Forschungsabteilungen, Durchbrüche und Scheitern bei Erfindungen und technischen Träumereien füllen das Buch. Horx zeigt sich als Beobachter des Alltags und verzichtet weitgehend auf ideologische Überfrachtungen - weder eines Technik-Hypes (wie er von Horx in anderen Büchern durchaus gepredigt wird) noch einer Technikverdammung. Vielmehr sind gerade seine Verweise auf soziale Prozesse interessant, die Technik vorantreiben, bremsen oder in ihrer Wirkung verändern. Was fehlt, ist der Blick durch die Herrschaftsbrille: Wer kann Technik entwickeln, steuern, ausbremsen oder verbreiten?

Markus Jensch
Eine glücklichere Welt ist möglich
(2009, AG SPAK Bücher in Neu-Ulm, 182 S., 16 Euro)
Ein schönes Lesebuch durch "Versuche, den Kapitalismus erträglicher zu gestalten" bis zu alltagsromantischen oder gesamtgesellschaftlichen Revolutionsideen. Schon durch diese Aufteilung werden gut die Grenzen und Möglichkeiten der einzelnen Ansätze erkennbar. Einige Ideen erfahren eine besondere Beachtung und werden umfangreicher dargestellt, z.B. die Freie Kooperation von Christoph Spehr oder Subcoma von P.M. Wo es um gesamtgesellschaftliche Perspektiven geht, wird das Buch dünner. Recht kritiklos werden hochkommerzielle Alternativprojekte vorgestellt, als "gelungen" bezeichnet der Autor das umstrittene ZEGG.

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