Offener Raum

KATEGORIEN SOZIAL GEMACHT

Rollen, Erwartungshaltungen und Zuschreibungen


1. Rollen, Erwartungshaltungen und Zuschreibungen
2. Dekonstruktion von Zweigeschlechtlichkeit
3. Herstellung von Zweigeschlechtlichkeit im Alltag
4. Intersexualität und Transgender
5. Dekonstruktion praktisch?
6. Verwandte Themenbereiche und weiterführende Links

Aus der Zuweisung in ein als eindeutig definiertes biologisches Geschlecht folgt durch Erziehung, Diskurse, Symbole, Spielzeug usw. das Hineindrücken in Rollen und Erwartungshaltungen.

Aus Frigga Haug (2018): "Selbstveränderung und Veränderung der Umstände" (S. 22f)
Was bezeichnet der Begriff Rolle?
In ihm soll deutlich werden, was die Gesellschaft von den Einzelnen erwartet, sollen die sozialen Vorschriften und Anforderungen in Gestalt von Normen und Moral zusammengefasst sein, je verschieden nach gesellschaftlicher Lage eines Individuums und durchgesetzt durch ein Netz von Sanktionen positiver und negativer Art. Die Gesellschaft erscheint dabei als Theaterstück mit fertigen Rollen, auf die sich die einzelnen Gesellschaftsmitglieder als Darsteller verteilen. Die Darstellungsfähigkeiten erwerben sie im Laufe der Sozialisation, aber als ihnen äußerliche Qualifikationen. Denn hinter dem Rollenhandeln steckt der eigentliche Mensch. Die Rollen sind die Fäden, die ihn an die Gesellschaft knüpfen. Die lerntheoretischen Annahmen, die dabei für die Entwicklung des Säuglings zum Rollengesellschafter gelten müssen, sind nur leichte Modifikationen einfacher Reiz-Reaktions-Ketten - funktioniert doch die Übernahme der gesellschaftlichen Erwartungen durch ein System von Belohnung und Strafe. Gründet sich zwar dieser Rollenbegriff auf eine vorgängige Auseinanderreißung von Individuum und Gesellschaft, so birgt er doch zugleich auch Kritik an der Gesellschaft, die dem Menschen gegenüber als Zwangsgesetz sich geltend mache. Privatistisch resignativ richtet sich jedoch diese Kritik gegen die Gesellschaftlichkeit des Menschen schlechthin, gegen die Formen des Zusammenlebens, die als innere Notwendigkeiten von Zusammenleben überhaupt interpretiert werden. Zugleich gelingt es, eine klassifikatorische Ordnung in das beobachtbare Verhalten der Gesellschaftsmitglieder zu bringen. Bestimmten Situationen, Positionen, Konstellationen, die allesamt als Rollen bezeichnet werden, können bestimmte Verhaltensweisen mit relativer Genauigkeit zugeordnet werden, sie werden damit vorhersagbar. …
Die Zusammenziehung aller möglichen Verhaltensweisen im Begriff der Rolle lässt auch die Frage nach der Relevanz der einen oder anderen Verhaltensweise ebenso ungelöst wie das Verhältnis der unterschiedenen Verhaltensweisen zueinander oder auch die Frage nach bestimmendem und untergeordnetem, abhängigem Handeln und Verhalten. Die gemeinsame Bezeichnung aller möglicher Seinsäußerungen des Menschen unter die Sprachregelung Rolle - seien es biologisch begründete (wie Eltern), herrschaftsmäßige (wie König), arbeitsteilige (wie die verschiedenen Berufe), Ersatzhandlungen (wie die vielen Freizeithobbys) oder einfach körperliche Betätigungen (wie Zu-Fuß-Gehen), bis hin zu kollektiven Taten (wie Genosse-Sein) - die Erfassung all dieser Handlungen und Haltungen mit dem Begriff Rolle verhindert jede wesentliche Analyse, die den Stellenwert, den Ursprung und die Perspektive der Handlungen und Verhaltensweisen sowie ihre Adäquanz für menschliches Verhalten überhaupt ausmachen könnte.

Zuschreibungen aus sprachphilosophischer Sicht
Gitta Mühlen Achs (1998): Geschlecht bewußt gemacht. München: Frauenoffensive (S.17)
Die Natur kennt keine Kategorien und bringt auch keine hervor. Kategorien sind immer gesellschaftlich produziert und haben den Zweck, menschliche Erfahrungen zu ordnen und zu organisieren. Um unbestreitbare Unterschiede zwischen individuellen Menschen als Kategorien etablieren zu können - seien es Rassen-, Klassen- oder eben Geschlechterkategorien -, müssen einerseits die zwischen ihnen bestehenden Gemeinsamkeiten weitgehend negiert oder bagatellisiert und andererseits die Unterschiede dramatisiert, in systematischer Weise hervorgehoben, durch Wertungen gewichtet und durch gesellschaftliche Mechanismen forciert werden [...] .

Roland Barthes (2005): Das Neutrum. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 109
Das Kompliment macht Vergnügen, es beruhigt nicht, es schafft keine Ruhe ? Ein Kompliment, das man bekommt, enthält zweifellos ein Moment des narzißtischen Kitzels; doch ist diese erste Minute erst einmal (rasch) vorüber, ruft das Kompliment zwar keine Verletzung hervor (wir wollen nicht übertreiben!), aber doch Un behagen: Das Kompliment legt mir etwas bei, fügt mir etwas zu, nämlich das Schlimmste aller Komplemente: ein Bild (Kompliment = Komplement, Ergänzung). Doch in Bildern gibt es keinen Frieden.

Roland Barthes (2005): Das Neutrum. Frankfurt am Main: Suhrkamp. (S. 115)
Ein Freund sagt zu mir: "Von jemandem sagen, er sei schön, sperrt ihn in seine Schönheit ein." Ich sage: ja, das stimmt, aber trotzdem: nicht zu schnell! Seien wir nicht voreilig! Das ist schön, das ist frei, das ist menschlich. Es mag sein, daß wir unser Begehren in den Wind schreiben müssen (wie es uns die Psychoanalyse lehrt), aber tun wir es nicht sofort: Genießen wir das Begehren, das Adjektiv: die "Wahrheit" (wenn es denn eine gibt) soll nicht unmittelbar hereinbrechen: Genießen des Trugbilds: Der Bildhauer Sarrasine ist an der Wahrheit gestorben (Zambinella war nur ein Kastrat), doch er hat das Trugbild genossen (Zambinella war eine anbetungswürdige Frau"'): Ohne das Trugbild, ohne Adjektiv, geschähe nichts. Gewiß, das Adjektiv sperrt (den anderen, mich) stets ein, genauso ist es ja definiert: präzidieren heißt bejahen, also einsperren. Doch die Adjektive abschaffen hieße die Sprache sterilisieren, letztlich zerstören, begraben; vgl. jenen australischen Stamm, der jedesmal, wenn eines seiner Mitglieder gestorben ist, zum Zei chen der Trauer ein Wort der Sprache unterdrückt. Statt die Sprache keimfrei zu machen: lieber sie auskosten, sie sanft reiben oder meinetwegen striegeln, aber sie nicht "purifizieren" : Wir können das Trugbild der Trauer vorziehen, oder wenigstens können wir anerkennen, daß auch das Trugbild, auch das Adjektiv seine Zeit hat. Vielleicht ist das Neutrum genau das: das Prädikat als Moment, als eine Phase akzeptieren.

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