Offener Raum

MIA: DISKUSSION AUF HOPPETOSSE-LISTE

Beitrag von A. (1.2.04 15:21)


1. Was es ist? Neonationalistische Provokation! (andere Interpretation)
2. Liebe, Respekt, Toleranz und Mut
3. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen...
4. Rechtsextreme beißen an
5. Beitrag von A. (1.2.04 15:21)
6. Beitrag von C. (1.2.04 18:17)
7. Beitrag von D. (2.2.04 16:10)
8. Beitrag von A. (2.2.04 16:27)
9. Beitrag von C. (2.2.04 18:05)
10. Beitrag von E. (4.2.04 14:21)

Hi B.,
ich muss ja zugeben, dass ich erstmal eine ganze Menge nachlesen musste, bis mir klar war, das es hier tatsächlich um die bemüht-provokative Band MIA geht -- so war jedenfalls mein Eindruck von der letztjährigen CD. Dann habe ich mich also mal ein bißchen umgeschaut, sowohl auf www.angefangen.de (Fragebogenantworten der Leute da finde ich durchaus nicht unspannend), als auch auf der de.vu-Seite, die unten genannt wird.

Und bin verwundert. Erstens ist das Punk und damit Provokation. Zweitens nehme ich den Leute von angefangen.de ab, dass sie sich ungefähr folgende Gedanken gemacht haben: wir leben hier, wir finden die Zustände hier nicht so toll, wir könnten uns vorstellen, dieses hier -- dieses Land, weil's halt nunmal ein Land ist -- zu etwas zu machen, das lebenswerter ist, das verantwortungsbewusster mit seiner Geschichte umgeht etc. Drittens stellen sie sich dabei -- typisch Kunstprojekt, vielleicht -- etwas naiv-dämlich an. Viertens: als 1998 rot-grün an die Macht kam, habe ich mich so ähnlich gefühlt. Und dann sehr schnell gelernt, dass Regierungspolitik kein besseres Land produzieren kann, jedenfalls nicht so, wie unsere liebe Regierung das tut.

"Erstens" hat wunderbar funktioniert -- die Reflexe der Antideutschen sind gut geölt. "Zweitens" ist, finde ich, eine spannende Frage und keinen Grund, mit Nationalismusverdacht um sich zu werfen. Eine spannende Frage, weil es genau das ist, was mir in ziemlich vielen politischen Diskursen fehlt: der Wille, mit dem, was da ist, etwas anzufangen, ohne erst auf die große Revolution o.ä. zu warten. Dass mir sowas insbesondere in den typischen antideutschen Deutschlanddiskursen fehlt, muss ich vielleicht nicht extra dazusagen. Dass da Fallen liegen, ist mir auch klar. Ob das allen Menschen klar ist (siehe "drittens"), weiss ich nicht. Allerdings vermute ich, dass da durchaus folgendes Reaktionsschema ablaufen könnte:
  • Ein paar Leute überlegen sich, dass sie hier leben und das Leben hier besser sein könnte, als es ist. Und meinen mit hier "Berlin", aber auch "Deutschland", aber auch "die Welt".
  • Sie machen sich Gedanken über ein neues Deutschland (das eine PDS- Parteizeitung aus historischen Gründen auch so heißt, ist vielleicht kein Zufall).
  • Sie machen ihre Gedanken irgendwie öffentlich. Dabei gehen sie entweder provokant oder tolpatschig oder beides vor. Zum Beispiel singen sie Lieder, die mißverstanden werden können.
  • Antideutsche etc. verstehen das natürlich gerne miß und wittern eine Verschwörung, die das Ziel hat, über den Umweg mainstreamkompatibler Punk-Popmusik deutschnationale Identitätspolitik bei den "Berlin-Mitte- Kids" zu verankern. Sie mobilisieren erfolgreich Proteste.
  • Die Leute, die sich was überlegt haben, finden sich nun erstens in der Situation wieder, das die provokativen Elemente erfolgreich waren. Zweitens stellen sie aber auch fest, dass "die Linke" stinksauer reagiert, sobald sich jemand Gedanken macht. Und was von "neonationalistisches Auftreten" und "deutschnationale Inhalte" schreibt.

In dieser Situation sind nun mehrere Reaktionen möglich:


  1. Mißverständnisse aufklären und auch ein bißchen aus den eigenen Dummheiten lernen (geht nicht, weil Feindbild ist Feindbild).
  2. Selbstkritik äußern und nach dem Bekenntnis "nie wieder Deutschland" wieder in die Mitte der antideutschen Linken aufgenommen werden.
  3. Anfangen, mit der Neuen Rechten zu flirten, weil die zumindest nicht so ein Theater machen.
  4. Oder auch: Sich mißverstanden fühlen, die Antideutschen als komische Splittergruppe betrachten und versuchen, weiter einen eigenen Weg zu finden.

A fände ich persönlich am besten, aber auch am unwahrscheinlichsten, D halte ich für gut möglich, C für wirklich gefährlich (und leider nicht ganz unwahrscheinlich) und B für einen Wunschtraum der braven LeserInnen von Adorno & Co.

So, und an dieser Stelle könnte ich jetzt anfangen, mich auf den realitätsverlorenen Magdeburger Flyer-Text zu beziehen.

>MIA. - Aktion in Magdeburg
>von Mülli - 24.01.2004 01:51

[...]

>Schon einige Tage zuvor wurden im "C7", einem alternativen Club in
>der Stadt, Flyer zu MIA.s nationalistischer Musik verteilt, was
>einige Diskussionen brachte. Erschreckend war hierbei, dass so
>manchE MIA.-Fan garnicht das nationalistische an MIA. in Frage
>stellte, sondern dass es kein Verständnis dafür gab, dass die
>Nation und Deutschland im Speziellen als so was Schlimmes
>betrachtet werden. Schließlich seien wir nun mal "Deutsche" und
>würden hier leben und außerdem sei ja nicht alles schlecht (so der
>Tenor). Da hat also der nationalistische Diskurs, den auch MIA.
>mit ihrem Lied "Was es ist" bedient, schon gewirkt.

Hier liegt meine ich eine Verwechslung vor. Was genau ist nationalistisch? Und was nicht? Muss ":Nation" als etwas Schlimmes betrachtet werden -- oder kann sie als reale Verwaltungseinheit betrachtet werden? Und wie soll mensch nicht-nationalistisch mit der Tatsache umgehen, dass wir -- die wir hier leben -- nun mal tatsächlich hier leben? Auswandern? Sich umbringen? In die Ecke spucken? Insofern würde ich mir wünschen, doch nochmal im Detail erklärt zu bekommen, warum das Adjektiv "nationalistisch" sich ebenso auf das hier diskutierte Was-es-ist-Lied von MIA wie auf Hohmann, das Kaiserquartett, Leitkulturdebatten, der Großvater von Merz, Einsätze der Bundeswehr im Ausland zur Sicherung 'unserer' Rohstoffe etc. beziehen lässt, ohne dabei überdehnt zu werden. Ich persönlich halte positive Bezugnahme auf das meiste auf dieser Liste tatsächlich für nationalistisch - und für ziemlich verabscheuungswürdig. Bei den Musikstücken wäre ich mir nicht so sicher.

>Dass es keinen nachvollziehbaren Grund gibt, sich unbedingt auf
>die "Nation" zu beziehen, wenn es um irgendwelche positiven Werte
>gehen soll (was MIA. ja behaupten), ist eine Sache.

Sehe ich anders. Weil:

>Denn Nationen
>sind konstruiert, wer sich darauf positiv bezieht oder versucht,
>die damit in Verbindung stehenden Begriffe "neu zu besetzen" -
>auch ein Anliegen des Angefangen-Projekts - identifiziert sich
>also mit etwas auf die Menschen aufgesetzten.

Das ist meine ich ein falscher Begriff von Konstruiertheit. Wer Berger/ Luckmann oder andere sozialkonstruktivistische Texte kennt, weiss, dass jede menschliche Institution -- auch freie Kooperationen, auch eine anarchistische Tradition, auch das glühende Internationalismusbewusstsein der Linken -- konstruiert, als auf die Menschen aufgesetzt sind. Und trotzdem gibt es all diese Dinge, und trotzdem sind sie wirkmächtig, und trotzdem ist es sinnvoll, sich aktiv daran zu beteiligen, wie Konstruktionen aussehen. Insofern kann ich den Ansatz nachvollziehen, die Konstruktion "Deutschland" zu verändern.

>Außerdem kann sich
>kein Mensch konkret auf Deutschland beziehen, ohne dabei die
>Geschichte aus den Augen zu verlieren. Die Verbrechen
>Nazideutschlands als Gipfel menschenverachtender Politik gehören
>einfach zu dem Konstrukt eines "Deutschlands" dazu.

Im ersten Satz muss es "darf" und nicht "kann" heißen, ansonsten stimem ich dem zu. Nur stellt sich eben die Frage, wie damit umgegangen wird. Ignorieren? Keine gute Idee. Lobpreisen? Eine noch sehr viel schlechtere Idee! Etwas daraus lernen? Warum nicht? Auf der angefangen.de-Seite habe ich durchaus den Eindruck, dass letzteres die Intention der Leute da ist.

>Wer wie MIA.
>diese Geschichte abhakt und "frische Spuren im weißen Strand" (der
>deutschen Geschichte) machen will, relativiert damit diese
>Verbrechen und ihre Bedeutung.

Und wer eine Eisbude in Deutschland eröffnet, auch. Hier schlägt meine ich der antideutsche Reflex voll durch -- statt auszuhalten, dass wir trotz unserer schrecklichen Geschichte hier leben, und irgendwie damit umgehen müssen, uns davon nicht distanzieren können (und dürfen) -- aber eben auch nicht unsere komplette Identität daran festmachen sollten.

>Diese Taten können nicht
>"wiedergutgemacht" werden. Das heißt nicht im gleichen Zug, dass
>alle hier geborenen Menschen - ich meine die jüngeren Generationen
>- sich als "TäterInnen" fühlen müssen - aber wer sich "deutsch"
>fühlen will, kommt um diese geschichtliche Verantwortung nicht
>mehr herum!

Stimmt. Oder auch nicht so ganz. Auch wer sich als "nicht deutsch" fühlen will (oder gar als "antideutsch"), kommt um die gesellschaftliche Verantwortung nicht herum. Noch nicht einmal durch den formalen Akt des Ablegens der Staatsangehörigkeit. Und auch, wer hier lebt, ohne hier geboren zu sein, kommt nicht darum herum, dass dieses Land eine ziemlich furchtbare Geschichte hat.

Dennoch sehe ich nicht so ganz, warum das ein Vorwurf an die angefangen.de-Leute sein kann. Aber das erklärt uns der Flyer ja im nächsten Schritt:

>MIA. und Angefangen sind deshalb gefährlich, weil sie den
>pronationalen Diskurs, der längst im Mainstream der Bevölkerung
>normalisiert wurde, in eine Szene hereinträgt, die ein Walser oder
>rechte Bundestagsabgeordnete und all die anderen ProtagonistInnen
>nicht oder nur schwer erreichen können. Durch die insgesamt
>unkritischere Haltung auch junger Menschen (und damit ist gemeint,
>dass hinter Parolen oftmals nur noch wenig Ahnung von den
>Hintergründen und den Zusammenhängen besteht bzw. auch kaum ein
>Interesse daran besteht) trifft MIA.s Botschaft, mensch dürfe und
>solle sich wieder ungehemmt "deutsch" fühlen dürfen, auf
>fruchtbaren Boden.

Ich fasse dass zusammen als: es gibt so etwas wie eine dumme und unkritische Bevölkerung, gerade auch bei jungen Menschen -- und wir, die Retter der Wahren und Guten, müssen sie davor bewahren, bestimmte sprachliche Viren aufzufangen. Wer den Text des Liedes als Botschaft auffasst, "mensch dürfe und solle sich wieder ungehemmt 'deutsch' fühlen", hat erstens was falsch verstanden und war zweitens vorher vielleicht schon dieser Auffassung -- eine Haltung, die es tatsächlich leider oft gibt. Daraus den Schluss zu ziehen, Flyer zu verteilen und Diskussionen anzufangen, finde ich gut. Daraus den Schluss zu ziehen, Tomaten und Eier zu werfen und eine Band in eine neonationalistische Ecke zu schubsen, in die sie nicht reingehört, finde ich falsch.

Und jetzt bin ich gespannt, ob das irgendwer hier diskutieren will. Vielleicht irre ich mich ja auch, und bei MIA/angefangen handelt es sich tatsächlich um ein kryptofaschistisches Kulturprojekt. Ich kann mir das aber ausgehend von dem, was ich weiss, nicht vorstellen. Aber spannender als die Diskussion darum, ob MIA jetzt böse ist oder nicht (letztlich also eine religiöse Debatte), finde ich die Diskussion darum, wie vernünftige Menschen mit der Tatsache umgehen sollten, dass sich selbst die emanzipativsten, anarchistischten und sonstwie tollen Projekte in einem "Kulturraum" (so steht das bei den angefangen.de-Leuten, ich bin mir nicht so sicher, ob ich das so ausdrücken würde) leben, zu dem - je nachdem, wie weit er gefasst wird - eben auch die Verbrechen der deutschen Geschichte und der globalen Gegenwart zählen, sicherlich zuerst einmal die Shoa, aber auch die Geschichte einer imperialistischen Kolonialisierung des Südens durch den Norden, die Geschichte einer jahrhundertelangen Unterdrückung von Frauen durch Männer, etc. Ein kompletter Neuanfang ist nicht möglich -- unsere Sprache, unser Wissen und Denken, unser Alltag sind voll damit --, eine affirmative Haltung zu all diesen Punkt ist nicht sinnvoll. Wie also damit umgehen?

Schöne Grüsse,

A.

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