Offener Raum

KONSUMKRITIK-KRITIK: SELBSTREDUZIERUNG AUFS KONSUMENT*INNENDASEIN

Kritik, Zweifel, aber keine grundlegende Analyse


1. Einleitung
2. Die Machtfrage ausblenden: Selbstreduzierung aufs Konsument*innendasein
3. Wirkung der Kaufentscheidung wird stark überschätzt
4. Risiken und Nebenwirkungen: Die Kommerzialisierung des Guten
5. Ausblendungen: Die Bio-Tomaten auf den Augen und Ohren
6. Gutes Gefühl für Reiche - Niedermache der Armen
7. Kritik, Zweifel, aber keine grundlegende Analyse
8. Statt Ablasshandel und Schmieren der Getriebe: Aneignung der Verhältnisse
9. Irrtümer der Konsumkritik und Gegenmittel an Beispielen
10. Links und Materialien

Die Öko-Tomaten auf Augen und Ohren sind haltbar. Kritische Blicke fehlen weitgehend. Produkte mit Weltverbesserungsflair sind inzwischen zum Alltag geworden. Hinterfragt wird wenig. Das liegt im Interesse auch der Verbraucher_innen selbst, die sich ja gerne aus eigener Kraft zu solchen erklären. Denn ihr Gegenwert für die Mehrausgabe ist das gute Gefühl. Es ist eine Seifenblase, die fasziniert, solange sie da ist. Hingucken lässt sie zerplatzen - mindestens in den meisten Fällen. Wahrscheinlich immer, denn selbst bei gutem Willen bleiben die Zwänge des Kapitalismus bestehen. So ist es selten, dass Kritik aufkommt bzw. kleine Nörgler_innen-Nischen verlässt. Aber es gibt die Ausnahmen ...

20 Jahre reden von der Verbraucher_innenmacht: Zweifel machen sich breit - und verschwinden wieder
Sie war eine der wichigsten Ökolifestyle-Propagandistinnen - und ist es heute auch. Doch eines Tages, nur für kurz, beschlichen Claudia Langer Zweifel. Die Macherin der öko-konsumistischen Seite www.utopia.de (Leitspruch: "Die Verbrauchermacht - Unser Konsum verändert die Welt") entdeckte die Frage der Radikalität und vertraute der Ökokapitalistischen Frontzeitung "taz" ihre Bedenken am Ökokonsum-Firlefanz an: "Das Sich-gegenseitig-auf-die-Schulter-klopfen der grünen Community, weil wir Onlinepetitionen unterschreiben und im Biosupermarkt waren, das hat ja nicht funktioniert bisher." (taz, 29.9.2012)

Doch - es hilft wenig. Claudia Langer zog keine Konsequenzen aus ihrer Einsicht und machte - aus kommerziellen Gründen? - unverändert weiter mit der Werbung für die "weltverändernde Verbrauchermacht". Andere taten das auch. Öko-Konsumismus ist kaufkräftig, von Industrie und Handel umworben. Wer mag dazu schon Nein sagen?

Ein beeindruckendes Beispiel der Unfähigkeit, die Idee der Weltverbesserung durch Konsum zu überwinden, bot das Buch von Christine Ax und Friedrich Hinterberger (2013): „Wachstumswahn“ (Ludwig-Verlag in München, 367 S.) im Kapitel "Treiben wir den Konsum oder treibt er uns?" Ganz kritisch stellten die Autor_innen dort fest, dass es der Weltverbesserungs-Konsum nicht wirklich zu sinnvollen Effekten gebracht hat:

Im Original: Aus dem Buch von C. Ax und F. Hinterberger
Aus dem Buch von Christine Ax und Friedrich Hinterberger (2013): „Wachstumswahn“
Das Thema Konsum hat so viele spannende und wichtige Seiten, dass man mühelos ein ganzes Buch darüber schreiben könnte. Oft werden dabei aber zwei wichtige Aspekte außen vor gelassen: der Nutzen der Dinge und die Arbeitswelt, die hinter diesen Produkten steht. Denn letztlich entscheiden wir mit dem Inhalt unserer Einkaufstüten darüber, was morgen produziert wird. Signalisieren wir mit unserem Einkauf billig, billig, billig und oft, oft, oft, bereiten wir das Feld für viele "schmutzige Jobs" mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen; und wir fördern damit Produkte, die einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Signalisieren wir: hochwertig und eher auf Langfristigkeit angelegt, können wir mit unserer Investition eine entgegengesetzte Entwicklung befördern. So weit die Theorie aber ist nachhaltiger Konsum tatsächlich die Lösung?
In den Anfangsjahren der ökologischen Bewegung wurde jeder Konsum sehr kritisch diskutiert, Verzicht war das Wort der Stunde. In den 1990er Jahren schlug die Konsumgesellschaft zurück und erfand die "Ökos": Sie trugen angeblich dicke hässliche Wolljacken und strümpfe, unelegante Schuhe von Birkenstock und ernährten sich von Müsli. Inzwischen ist das Wort "Verzicht" selbst unter "Grünen" verpönt. Dafür ist viel von "nachhaltigem Konsum" die Rede. Die Ökos von gestern machten einen Crashkurs in Design, Marketing und gutem Leben und rüsteten nach. Aus etwas verstaubten Bioläden mit Schrumpeläpfeln wurden schicke Markthallen. Der Bedarf an "Selbstgestricktem" wird inzwischen durch Boutiquen abgedeckt, in denen man aktuelle Mode aus biologisch angebauten und fair gehandelten Fasern erwerben kann. Damit konnte die einstige Nischenbewegung eine neue Zielgruppe für sich gewinnen: die LOHAS (lifestyle of health and sustainability). Diese Zielgruppe wird heute auch von der "ganz normalen" Konsumgüterindustrie sehr ernst genommen. Sie ist besonders gebildet, kaufkräftig, man findet sie vor allem in urbanem Milieu, und sie gehört zu den Trendsettern. Am offensichtlichsten können wir diese Entwicklung beim Lebensmittelangebot beobachten.
Es ist bemerkenswert, wie schnell sich der einst kleine Bereich der etwas verstaubt anmutenden Bioläden (in denen anfangs nur die überzeugten "Ökos" einkauften) flächendeckend ausgeweitet hat. Heute gibt es nicht nur eigene Bio Supermärkte, auch die großen Sortimenter haben reagiert und ihr Warenangebot entsprechend angepasst. Die Käufer kommen inzwischen aus (fast) allen Schichten, die Nachfrage ist so groß, dass sie bei manchen Produkten kaum noch gedeckt werden kann. ...
Gut Wulksfelde und die vielen anderen Öko Supermärkte und Textilläden, die man heute in den Metropolen findet, sind das Ergebnis einer Entwicklung, die auf den ersten Blick zu begrüßen ist: regionale, saisonale, biozertifizierte oder fair gehandelte Produkte, die auf so große Nachfrage stoßen, dass sich die Geschäfte tragen. Auf den zweiten Blick aber haben diese Läden mehr mit Feinkostshops und Luxusmarkenboutiquen gemein; denn sie sind auch Ergebnis einer Ungleichverteilung von Arbeit, Bildung, Einkommen und Vermögen. Nachhaltiger Konsum ist ein Statussymbol geworden für diejenigen, die es sich leisten können.
Wer Bioqualität einkauft, lebt deswegen jedoch nicht zwangsläufig umweltfreundlicher als alle anderen. Vergleichende Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen und Menschen, die sehr sparsam und achtsam mit ihren Dingen umgehen, oft nachhaltiger leben als konsumfreudige LOHAS. In manchen Geschäften oder auf Wochenmärkten gibt es inzwischen Bio Erdbeeren und die ganze Palette an Gemüsen rund ums Jahr und aus aller Welt. Der ökologische Rucksack ist weit größer als bei konventioneller Ware, die in der Region angebaut wurde. Zudem schmecken Obst und Gemüse einfach am besten, wenn sie frisch geerntet wurden und in ihrer jeweiligen Saison sind sie auch ausgesprochen günstig.

Den Autor_innen sind dabei die zerstörerischen Logiken des kapitalistischen Wirtschaftssystems sogar bekannt.
Dem Diktat des Wachstums folgend ist unsere Wirtschaft derzeit darauf angewiesen, jedes Jahr noch mehr Dinge herzustellen als im vergangenen. Und wir müssen sie konsumieren. ...
Es reicht, hin und wieder die Börsenberichterstattung zur Kenntnis zu nehmen, um sich ein Bild von der Gnadenlosigkeit der Märkte zu machen. Unternehmensvorstände, die das Wachsen oder Weichen nicht mitmachen, bleiben nicht lange auf ihrem Posten. Wir müssen uns also nicht wundern, wenn Produkte kurz nach Ablauf der Garantiezeit nicht mehr funktionieren, Reparaturen sehr teuer oder in Ermangelung von Ersatzteilen erst gar nicht möglich sind. ...
Politik und Forschung sind industriehörig und kaum interessiert an den Rechten der Verbraucher und einer längeren Nutzungsdauer von Produkten.

Dennoch schlussfolgern sie weder, die Machtfrage zu stellen, noch sich die Produktionsmittel (Boden, Energienetz, Wasserversorgung usw.) anzueignen. Stattdessen plädieren wie für noch bewussteren und ein bisschen weniger Konsum. Es ist wie bei einer Medizin, die nicht hilft und von der dann noch mehr genommen werden soll. Oder das Spritzmittel, welches nicht mehr wirkt und deshalb höher dosiert wird. Weltverbesserungskonsum gerät so in den Verdacht, eine oder gar "die" Droge für Gutmenschen zu sein.
Am Anfang eines jeden Produktdesigns müsste demnach die Frage stehen: Wie kann ich den vorhandenen Bedarf an einem Produkt am ökologisch effizientesten und mit einer längeren Halbwertzeit befriedigen, ohne dabei den Preis und die Arbeitsbedingungen der Produzierenden aus den Augen zu verlieren. Es ist also wichtig, nicht nur über die Produkte, die wir kaufen, nachzudenken, sondern vor allem auch über die Arbeitswelten und Kostenstrukturen hinter diesen Produkten. ...
Darum tut es gut, über das Thema Konsum nachzudenken: weil man dann schnell erkennt, wie man sich selbst vor den Auswirkungen der (nächsten) Krise schützen kann. Was wir schon haben, müssen wir nicht noch mal kaufen. Und wenn es uns gelingt, unseren Lebensstil zu vereinfachen, können wir auch mit weniger Geld gut leben. Wir haben es selbst in der Hand.

Ganz ähnlich liest es sich bei der BUNDjugend in einem kleinen Büchlein zum nachhaltigen Konsum und Alltagsverhalten. Im Text reflektieren die Autor*innen sogar selbst, dass das handeln der Einzelnen kaum Wirkung hat - und rufen dennoch dazu auf.
Aus "Worauf warten?" der bundjugend
Jede*r einzelne kann mit seinen Kaufentscheidungen einen individuellen Beitrag leisten. Aber was nützt ein "richtiges Leben im falschen"? Gerade die Politik und die Wirtschaft sind gefragt, wenn es darum geht, Alternativen zu entwickeln. Nur wollen und können wir darauf warten? - Nein! Es braucht Menschen, die schon heute wagen, was morgen vielleicht selbstverständlich ist. Deshalb wollen wir dich mitnehmen auf einen kleinen Stadtrundgang der gelebten Alternativen. Dort stellen wir dir Beispiele vor, wie du jetzt schon damit anfangen kannst, deinen Konsum so zu verändern, dass sich die negativen Auswirkungen minimieren. Denn kritischer Konsum bedeutet nicht nur Einschränkung und Verzicht, sondern eröffnet zahlreiche neue, spannende Perspektiven und Möglichkeiten!

Ökologischer Fuß- und Handabdruck
Ein Beispiel für die verkürzte Kritik am Umweltverbrauch ist die Idee des ökologischen Fußabdrucks. Das Konzept ist allgegenwärtig und rechnet den Umweltge- und -verbrauch einer Gesellschaft (Staat, Land, Stadt, Dorf o.ä.) auf den Einzelnen herunter. Allerdings schiebt er damit die Verantwortung für negative Umweltauswirkungen weitgehend den Konsument*innenzu. Einen Gegenentwurf bietet der ökologische Handabdruck, auch wenn er im Moment praktisch noch sehr unbestimmt daherkommt. Die Idee ist immerhin eine deutliche Kritik am Ansatz, den Einzelnen zur Berechnungsbasis zu machen.

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