Offener Raum

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Besetzt: Geschichte der Wald- und Wiesenbesetzungen gegen neue Verkehrsprojekte


1. Gedanken zu Aktionskonzepten und -zielen
2. Neue Straßen verhindern - alte rückbauen!
3. Besetzt: Geschichte der Wald- und Wiesenbesetzungen gegen neue Verkehrsprojekte
4. Der Überblick: Wo werden neue Straßen geplant/gebaut
5. Der größte Konzern im Fokus: VW - Staat und Kapital gemeinsam als Täter
6. Konzerne im Fokus: Transformation aller Autokonzerne und Zulieferer
8. Sich vernetzen, gegenseitig unterstützen, gemeinsame Aktionen planen
9. Materialien (Broschüren, Ausstellungen, Flyer ...)

Besetzungen der Flächen, auf denen neue Straßen, Teststrecken, Autofabriken usw. errichtet werden sollen, gibt es schon lange - wenn auch in Deutschland, dem Land der hierarchischen Großverbände und einheitlich-langweiligen Protestformen, eher selten.

Kurzbericht
Es gab schon vor Jahrzehnten Besetzungen gegen Mercedes-Teststrecken durch die Bundschuh-Bewegung in Baden-Württemberg und, mit dem schönen Namen Anatopia, im niedersächsischen Papenburg. Etliche Jahre später besetzten teilweise die gleichen, teilweise neu hinzustoßende Menschen die A33 bei Dissen. Etliche weitere, oft nur kurze Besetzungen folgten im Thüringer Wald und im Treburer Wald gegen die neue Abfahrt zur Frankfurter Flughafenerweiterung. Richtig in Schwung kam die Idee der Besetzungen gegen Autobahnen aber im Herbst 2019 durch die Besetzung des Dannenröder Forstes ("Danni bleibt") und dann ein Jahr später im Zuge der öffentlich viel diskutierten Räumung. Zwischenzeitlich wurden einige weitere Flächen besetzt, teilweise nur kurz, einige aber auch für längere Zeit.
Für eine Verkehrswende wichtig sind zudem solche Flächen, die Verkehr erzeugen - also alle Neubaugebiete, insbesondere Gewerbeflächen und Supermärkte auf der grünen Wiese. In Hebenshausen wurde eine solche Fläche unter dem Motto "Acker bleibt!" besetzt.

Im Detail

Geschichte der Straßen- und Verkehrsprojektbesetzungen
Die Idee direkter Aktionen gegen Verkehrsprojekte ist schon sehr alt – und verlief in anderen Ländern mitunter heftiger als in Deutschland mit seiner oft übermäßig gepflegten Demokultur. Doch auch hierzulande lassen sich erbitterte Kämpfe um die weitere Versiegelung von Flächen und gegen umweltzerstörende Verkehrssysteme nachweisen. Schon Ende der 70er Jahre, der ersten Phase intensiver Debatten über Umweltverschmutzung, führte ein Plan von Daimler-Benz, im Raum Boxberg eine Teststrecke auf 700 ha Land zu bauen, zu Auseinandersetzungen. Erhalten geblieben ist eine anschauliche Erzählung im Internet:

Im März 1978 konstituierte sich die Interessensgemeinschaft der von der Teststrecke betroffenen Grundstücksbesitzer, aus der im Januar 1979 die Bundschuh-Genossenschaft hervorging. Schon bei diesem ersten Widerstandstreffen stellten die Bauern selbständig die historische Parallele zum Bauernkrieg 1525 her, als im Veranstaltungssaal die Bundschuhfahne gehießt wurde. [...] Im September 1979 erlebte die historische Schlacht von Königshofen (vom 2. Juni 1525) auf dem Turmberg eine Wiederauferstehung, diesmal allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Die neuen Bundschuh-Bauern trugen wieder die Tracht von 1525, Bundschuhfahnen wehten, Hellebarden blitzten, Mistgabeln wurden geschwenkt, ein Geschütz lag in Stellung und aus einem in Anlehnung an die Wagenburg der Bauern von 1525 aufgestellten Rondell von Planwagen heraus, erstürmte ein Bauernhaufen symbolisch den verkauften Seehof des leiningischen Fürsten. [...]
Ein weiterer wichtiger Faktor des Bezugs auf den Bauernkrieg waren die Aktivitäten des aus der Jugendzentrumsbewegung heraus gegründeten Traum-a-Land Vereins [...] Im Herbst 1985 erfuhr die Tradition der Züge von Bauernhaufen eine kurze Renaissance, als der Bundschuh von Schwabhausen aus nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht zog, um seine Verfassungsbeschwerde zu überreichen. Seinen letzten Höhepunkt erlebte der neue Bauernkrieg, als unter dem Schutz eines großen Polizeiaufgebotes der voreilige und gleichsam unsinnige Einschlag von ca. 90 000 Bäumen begann, widerstandsleistende Teststreckengegner durch den Schlamm des aufgeweichten Waldbodens gezogen und einer erkenntnisdienstlichen Nachbehandlung unterzogen wurden. Am 24.3.1987 stoppte die Entscheidung des Verfassungsgerichtes endgültig die Enteignungsversuche. Die Daimler-Benz-Teststrecke war, zumindest im Raum Boxberg, gestorben.

Für die Jahre danach lassen sich kleine Berichte weiterer Besetzungen finden, so auf der Bundesstraße 8:

Der Königsteiner Kreisel führte seit Jahrzehnten zu langen Staus. Lange Zeit liefen Planungen für eine Umgehung von Kelkheim und Königstein, die dieses Nadelöhr entschärfen sollten. Diese Baumaßnahme war politisch umstritten. Während die betroffenen Gemeinden die Maßnahme befürworteten, kritisierten Umweltschützer die Umweltauswirkungen. In der Zeit vom 5. Mai 1979 bis zur Räumung am 12. Mai 1981 fand auf einem bereits errichteten Damm der damals bereits geplanten neuen Trasse die längste erfolgreiche Platzbesetzung in der Bundesrepublik Deutschland statt (am südlichen Ende der gemeinsamen Straßenführung von B 8 und B 519). Fast zwei Jahre lang lebten dort Menschen unter einfachsten Verhältnissen in einem Hüttendorf, das als „Damm“ bekannt wurde und lange Zeit ein regelrechtes Wochenend-Ausflugsziel für Familien der ganzen Umgebung war. Die Maßnahme ist auch bekannt als ehemalige A 647 und ist im Bundesverkehrswegeplan 2003 im „Weiteren Bedarf“ ohne Planungsrecht, aber mit naturschutzfachlichem Planungsauftrag, d. h. mit hohem ökologischem Risiko verzeichnet. Im Dezember 2009 wurde die Ortsumfahrung Königstein durch die Regionalversammlung Südhessen beerdigt.“
Im November 1981 räumten ca. 600 Polizist*innen aus ganz Niedersachsen ein zu diesem Zeitpunkt bereits verlassenes Hüttendorf südlich von Osnabrück, in dem sich während des Sommers der Anti-A33-Widerstand festgesetzt hatte.

Deutlich spektakulärer verliefen die damaligen Proteste gegen den Bau der Frankfurter Startbahn West. Besetzungen, Demonstrationen und viele kleine Aktionen führten über Jahre zu massiven Konfrontationen mit der Staatsmacht, die schließlich den Bau durchsetzte, dabei aber versprach, dass damit der Ausbau für immer abgeschlossen sei. Es sollte eine Lüge sein, die 2008 erneut zu Besetzungen im Kelsterbacher Wald und einige Jahre später im Treburer Wald führte, um neue Landebahnen bzw. Terminals zu verhindern – stets ohne Erfolg.

Britische Verkehrsproteste in den 90ern
Waren Besetzungen in Deutschland Einzelfälle, so wuchs ein Groß Britannien (UK) eine breite Bewegung heran, die mit solchen und ähnlichen Aktionsformen Straßen- und Flughafenausbau, aber auch andere politische Planungen und Prozesse attackierte. Die wichtigsten Aktionen und Konfliktfelder stellte www.goldmanprize.org/recipient/emma-must/" target="_blank">Adrian Harris in einem rückblickenden Text dar (übersetzt):

Mit dem Widerstand gegen M3/Twyford begann die radikale Anti-Straßen-Bewegung der Neunziger. EarthFirst und der Dongas Stamm brachten gewaltfreie Direkte Aktion in den Anti-Straßen-Protest, Aktionsformen, die von anderen weiterentwickelt wurden. Die Zerstörung eines zauberhaften Ortes wie es Twyford Down war, um Autoreisezeiten um nur wenige Minuten zu verkürzen, verstörte viele Menschen Mittelenglands und trug zu einem sympathisierenden Klima für die kommenden Proteste bei.
Der Kampf gegen die M11 war ein Medien-Coup für den Widerstand. In der Nähe der Haupstadt London, organisiert von medienbewussten, eloquenten und idealistischen Aktivist*innen, die selbst ganz unterschiedliche soziale Hintergründe hatten, gelang es, eine Serie bildstarker Aktionen umzusetzen und Projekte wie das Kastanienbaum-Haus, den Wastonia Freistaat und die Straßenkunst-Community der Claremont Road einzubinden. Die M11 Campaigner*innen erfanden und entdeckten eine große Vielzahl von Aktionstechniken neu, die in der Folge immer wieder zum Einsatz kamen: Netze, Tunnel, Beton-Lock-On-Punkte, Kunstaktionen und mehr. Die M11 verband darüber hinaus städtische und ökologische Anliegen, die Verteidigung von Wohnungen ebenso wie die von Bäumen und nahm eine Verschiebung des Fokus von Natur- und Umwelt (wie in Newbury und Twyford Down) auf mehr sozial-ökologische Kampagnen (wie RTS und die Zusammenarbeit mit den Dockers) vorweg.
Mit der Auseinandersetzung um Newbury zusammen fiel eine Veränderung der Grundhaltung im Vereinigten Königreich. Während schon M11 und Twyford Down beachtliche öffentliche Aufmerksamkeit bekommen hatten, wurde Newsbury fast eine Massenbewegung. Die Organisation Friends of the Earth engagierte sich stark, weit mehr als bei den vorherigen Kampagnen.
M77/Free State in Glasgow brachte die ökoradikale Szene mit den lokalen Arbeiter*innen zusammen. Das gelang nirgendwo sonst ähnlich gut und war ein Meilenstein in einer Entwicklung, die manche eine „Mittelklassen-Bewegung“ nannten.
Der Protest gegen die A30/Fairmile war in mehrfacher Hinsicht wichtig: Es war der erste größere Protest gegen eine privat finanzierte Straße (DBFO: Design, Build, Finance, Operate). Und er wurde bekannt als „die Universität des Straßenprotestes“, wo besonders Tunnelbautechniken zur Geltung kamen.

Wer war aktiv in den Kämpfen um Straßenbauten in UK? Gegenüber allen Umweltbewegungen, die sich in Deutschland bisher zeigten und meist stark auf bildungsbürgerliche Kreise beschränkt waren, war die Bewegung in UK breiter. und Harris hat sie so beschrieben (aus der Übersetzung):

Der Kern der Bewegung ist radikal, gegenkulturell aufgestellt und hat eine weitaus breitere Agenda als ausschließlich die, Straßenbauten zu verhindern. Für die Aktivist*innen, die Konsum ablehnen, anarchistisch motiviert und häufig beeinflusst sind von Tiefenökologie und erdbezogener Spiritualität, wurde der Straßenbau ein Symbol für alles, was in unserer Kultur falsch läuft. Die Bewegung bearbeitete zugleich Gesundheitsfragen, Verschmutzung, Menschenrechte, Landrechte, Konzernmacht und die Rechtsprechung selbst.
Alles begann mit der Kampagne gegen eine Strafrechts-Reform, die Anti-Straßen-Protestierende, Tierrechtler*innen, Gewerkschafter*innen, Football Anhänger*innen, Raver, Ramler und andere zusammenrücken ließ. Zugleich führten die Aktivitäten von Shell in Nigeria dazu, dass die Anti-Straßen-Bewegung die Menschenrechte in ihren Fokus nahm. Reclaim the streets hatte immer eine Vielzahl von Zielen und schloss sich mit den Liverpooler Hafenarbeitern zusammen. Aus dieser Zusammenarbeit erwuchs die 100-Tage-Protest Kampagne, die zusammenfasste, was in Verbindung mit der Macht der Ölindustrie zu kritisieren war: Verschmutzung, Klimawandel, Zerstörung und Unterdrückung gegen das Volk der Ogoni, Straßenbau, die Autokultur, Ölteppiche usw usw.
Obwohl die Mehrheit der Beteiligten junge radikale und gegenkulturelle Aktivist*innen waren, gab es immer Unterstützung von der Mainstream-Gesellschaft. Straßenproteste fanden Unterstützer*innen jeden Alters, über soziale und politische Grenzen hinweg, von Schüler*innen bis zu Pensionär*innen, Arbeitende, Mittel- und Oberklassemenschen, Tory, Labour, Liberale und Grüne. Der M3/Twyford Down-Protest erfuhr bemerkenswerte Stärkung durch lokale Tories, während die M11-Kampagne beispielhaft wurde für die Kooperation zwischen Anwohner*innen und erfahrenen Öko-Campaigner*innen. In Newbury unterstützten besonders viele lokale Selbständige, während bei der M77/Pollok-Kampagne Ökoradikale sich mit der Gemeinschaft der lokalen Arbeiter*innenklasse zusammentaten.“
Eine klare Lücke aber machte Harris aus: „Historisch gab es ein sehr geringes Engagement ethnischer Communities. Sowohl die Mainstream- als auch die gegenkulturellen Gruppen waren sich dessen bewusst. Das ändert sich inzwischen etwas, aber viele der POC-Gemeinschaften haben zu viele andere, drängendere soziale Probleme, mit denen sie umgehen müssen.“ Das ist sehr ähnlich in den Protesten hierzulande.
Panorama zog am 17. März 1997 eine Bilanz über Gewinner*innen und Verlierer*innen der Protest in UK: „Wie lässt sich der Erfolg einer solch breiten Kampagne bemessen? Einige der umkämpften Straßen wurden fertiggestellt. Aber die britische Regierung veränderte ihre Verkehrspolitik merklich. In einem geleakten Vermerk des britischen Verkehrsministeriums gab der Regierungsbeamte Wenban-Smitz zu, dass die Proteste effektiv gewesen seien. Steven Norriy, der Verkehrsminister der Torys, der die Newbury Umgehungsstraße genehmigt hatte, erklärte schließlich, die Demonstrierenden hätten ein Recht, sich dem Straßenbauprogramm zu widersetzen.

Anatopiaheft Umschlag
90er Jahre in Deutschland
1991 entstand „Anatopia“. So nannten zumeist junge Leute aus der links-alternativen Szene ihr Hüttendorf, das sie 1991 in Papenburg errichtet hatten. Es bestand aus etwa 20 selbst gezimmerten Hütten. Mit dem Protestcamp auf dem Hochmoor an der Grenze zwischen dem Emsland und Ostfriesland versuchten die Umweltschützer, eine Teststrecke für neue Fahrzeuge von Mercedes zu verhindern. Dreieinhalb Jahre lang währte der Protest. Im Sommer hielten sich bis zu 100 Menschen im Camp auf; im Winter lebten zeitweise nur 3 bis 4 Personen darin. Die Hütten wurden 1995 von der Polizei geräumt. Danach begann der Bau der Teststrecke, die seit 1998 unter Automotive Testing Papenburg firmiert (Wikipedia über das Hüttendorf ++ Weitere Berichte im Internet).










Gescannte Originalunterlagen aus der Zeit aus dem Archiv der Projektwerkstatt (Sammlung als PDF)

Über ein Jahrzehnt währte der Kampf um die A33 – eine ständige Wiederholung von Aufbau und Räumung. Ein Beteiligter berichtet:

Tripod auf der A33-Trasse
Wollte man die 6 Hüttendörfer entlang der A33 Trasse zwischen Bielefeld und Osnabrück zwischen 1992 und 2006 mit aktuellen Besetzungen vergleichen, sind es wohl eher die kleinen Anfänge mit knapp einem Dutzend Menschen im Hambi und im Danni. Das derzeitige massenhafte Interesse von linken Aktivistis dort ist den A33 Hüttendörfern damals nie zuteil geworden. Dabei waren die Hüttendörfer auf der A 33 Trasse durchaus keine reine Nischenkultur, einige „Hüttis“ setzten sich sehr wohl, wie damals ein nennenswerter Teil der linken Ökoszene auch, mit sozialen Auswirkungen des Individualverkehrs auseinander (patriarchale Dominanzen, Reclaim the streets, Recht auf Immobilität als Stichpunkte) und nahm an bundesweiten Vernetzungen teil. Die geringe Anzahl von Dauerbesetzer*innen ist im Nachhinein auch deswegen erstaunlich, da das Hüttendorf in der damals recht großen Tierbefreiungs-/Tierrechtsszene einen guten Anklang fand, auch trotz der teils quälenden Auseinandersetzungen dort um ökofaschistische Elemente in eben dieser Szene.
Zwei Dinge sind mir im Nachgang unvergessen:
Zum einen der permanente K(r)ampf (Gewalt und Legalitätsdebatte) mit der eher grünliberalen Bürgerinitiative, die ihren Weg des Widerstandes mittels Petitionen und Latschdemos als ultima ratio ansahen, aber mit auch kreativen Einlassungen in Planfeststellungsverfahren jahrelange Bauverzögerungen bewirkten. Umso erstaunlicher lässt sich heute festzustellen, dass die Gräben zwischen den Vorgehensweisen von anderen lokalen BIs und den Besetzungsprojekten häufig nicht so tief sind.
Zum anderen war es das inspirierende Moment dieser Trassenbesetzung(en), praktischen Widerstand mit dem Alltag zu kombinieren. Das hat anderes Flair, als sich z. B. ein ganzes Jahr auf den nur kurz andauernden Showdown mit dem Castor vorzubereiten. Die Nähe zur damals nicht gesicherten Autobahnbaustelle machte eine fast tägliche Intervention möglich, wenn mensch das nur wollte. Auch wenn sich die schnell gemachte Baggerblockade nach dem Morgenkaffee als wenig effizient herausstellte und auch irgendwann abnutzte. Aber es gab viel auszuprobieren, viel von anderen Protestkulturen (M5 in London oder Valley d‘aspe in Spanien) zu lernen (Walkways bauen, Lock-ons zu nutzen) und es war auch witzig, anstatt Trassenbegrenzungspfähle verbotenerweise zu entfernen, gleich aussehende überall in die angrenzenden Felder hinein zu kloppen. Der Bagger machte dann den nächsten Tag erstmal Pause. - Und neben Bagger und Antiautobahnkampfpolitik? – In den restlichen 95 % ähnelte das Leben im Hüttendorf eher dem in einem der vielen mehr oder weniger politisch angehauchten Wagenplätze. Wägen waren damals eben ein wichtiges Mittel, um nach der meistens kurzen Durchsetzungsphase von Neubesetzungen von Tagen bis wenigen Wochen dort schnell Infrastruktur hinzubekommen. Mit Baumbesetzungen und Tripods in der Fläche hatten wir ja damals erst zaghaft angefangen.
Mit zu Hochzeiten (1996/97) insgesamt ca. 15 BesetzerInnen in 2 Dörfern waren wir zu wenig, um effizient zu wirken, es gab mit den Besetzungsprojekten in Breechen (A20), bei Dresden (A14) und an der A17 auch nur 3 vergleichbare aber deutlich kürzere Projekte in den 90ern. Ich bin der Auffassung, dass gerade Autobahnbaustellen, deren Trassenstücke in unterschiedlichen Legalitätsstufen sind (planfestgestellt, enteignet, in Planung etc) Besetzungspotential für ich sage mal alle Schwierigkeitsgrade haben. Nur das hat es bei den A 33 Hüttendörfern möglich gemacht, dass sie knappe 15 Jahre andauerten. Angesichts des wesentlich größeren Aktivistiinteresses heute an solchen Projekten wäre die massenhafte Nutzung dieser Potentiale einen Versuch wert, diese scheiß Automobilisierung zum Stoppen zu bringen.


Turmbau zu Dissen – so hoch hinaus ging es selten mit Tripods
Unten: Gescannte Originalunterlagen aus dem Archiv der Projektwerkstatt (Sammlung als PDF)


1997: Zwei Hüttendörfer – dann längere Pause
An der Thüringer-Wald-Autobahn wurde 1997 einige Bäume besetzt. Die Aktion währte nicht lange. Dauerhafter hielt sich ein Hüttendorf westlich von Dresden auf der Trasse der geplanten A17 Richtung Prag. Ein Text in der Startausgabe berichtete die Umweltzeitung „Ö-Punkte“ ist der einzige Text, den wir zu dieser Besetzung finden konnten:

Seit dem 11.4.97 gibt es in Zöllmen bei Dresden das Hüttendorf gegen die A17. Die A17 soll, geht es nach dem Willen der PlanerInnen, Anfang nächsten Jahres Dresden und Prag verbinden. Das Hüttendorf steht auf dem ersten Planungsabschnitt. Ursprünglicher Anlaß zur Errichtung war der Beginn der BürgerInnenbeteiligung im Planfeststellungsverfahren. Wir wollten möglichst viele AnwohnerInnen dazu bringen, Einwendungen zu schreiben und diese bei mangelnder Berücksichtigung dann auch vor Gericht durchzusetzen. Für viele Hüttis war jedoch von Anfang an klar, daß es dabei nicht bleiben sollte. Die anfangs für zwei Wochen angemeldete und (unter Auflagen) genehmigte Versammlung blieb auch nach den ersten 14 Tagen bestehen. Unser erster Platz war auf einem Privatgelände, so daß sich die Behörden etwas einfallen mußten, um die Anmeldungspflicht - und die damit verbundene Pflicht der VersammlungsleiterInnen-Benennung - zu begründen. Insbesondere unsere Weigerung, eineN zur/m Verantwortlichen zu erklären (Selbstschutz!!!) machte es den Behörden immer sehr schwer. In dieser ersten Zeit bestand das Dorf aus zwei Bauwägen, einer großen Jurte, einem Tipi und mehreren Ego-Zelten. Als klar wurde, daß wir dauerhaft bleiben wollen, forderten uns die GrundstücksbesitzerInnen auf, einen anderen Platz zu suchen. Sie stellten uns eine Wiese, die ebenfalls ihnen gehörte, zur Verfügung, machten aber zur Bedingung, daß auch andere EinwohnerInnen eine Einverständniserklärung zur Nutzung der Fläche unterzeichnen und uns erlauben eine zweite, sich anschließende Wiese, mitzunutzen. Nach langem und nervenaufreibendem Hickhack kam es dann doch zum Umzug in den idyllischen Zschonergrund. Seitdem leben wir dort, und mittlerweile stehen fünf Ego-Hütten, eine Küchenhütte, ein Baumhaus, ein Bauwagen, viele Zelte und eine große winterfeste Rundhütte ist im Bau. Natürlich gibt es immer noch Leute, die etwas gegen uns haben. Da sind zum einen die Behörden, die sich momentan am Baurecht festgebissen haben. So existiert eine Abrißverfügung für einige der Hütten, die aufgrund ihrer Größe als nichtgenehmigte Bauten eingestuft werden. Wenn nötig werden wir uns dem gerichtlich zur Wehr setzen, denn bei unseren Hütten handelt es sich keineswegs um dauerhafte Bauwerke, sondern um Notunterkünfte, die nur für die Dauer der Versammlung bestehen werden. Wie überall, wo Menschen anders sind als die Masse, gibt es auch hier welche, die damit nicht umgehen können. Ein von Faschos niedergebranntes Tipi und die ständigen Pöbeleien aus vorbeifahrenden Autos machen das Leben nicht gerade ruhiger und zwingen uns seit nunmehr drei Monaten zur ständigen Nachtwache. Auch eine Menge Alltagsprobleme gibt es im Dorf: Geldmangel, Isolierung der Hütten für den Winter und zwischenmenschliche Schwierigkeiten, die sich beim Zusammenleben vieler und verschiedener Leute zwangsläufig ergeben. Aber das ist auch das Schöne an dieser Widerstandsform: Mensch macht Widerstand nicht, mensch lebt ihn - intensiv und radikal!

Darunter fand sich der folgende Aufruf:

An alle UnterstützerInnen im Kampf gegen Mobilitätswahn und Umweltzerstörung: "Wir kämpfen, damit wir leben können!" Beides kostet Geld. Das zum Leben kann mensch auf niedrigem Niveau halten und selbst aufbringen. Das Kämpfen aber ist teurer! Bauholz, Seile, Werkzeug und vor allem Verfahrens- und Prozeßkosten kann mensch kaum allein aufbringen. Unser Dorf aber ist nur aufrechtzuerhalten, wenn wir juristisch handlungsfähig sind und uns auf Prozesse einlassen können. Die Abrißverfügung zwingt uns in naher Zukunft auf diesen Weg. Und das ist erst die Spitze des Eisberges: Noch gehört das Land, auf dem wir uns befinden, UnterstützerInnen von uns. Das wird sich jedoch bald ändern. Nach Verkauf bzw. Enteignung der Fläche ist bereits unser Aufenthalt dort illegal. Das zieht dann meist Räumung und in deren Folge Strafprozesse gegen die Hüttis nach sich. Erst im September wurden "Thüringer WaldpiratInnen" im Schnellverfahren zu hohen Strafen verurteilt. Deshalb unsere Bitte an Euch: Helft uns mit Material oder Finanzen! Auch kleine Beträge helfen!!! Außerdem benötigen wir dringend Seile, Nägel, alle Art Werkzeug, Holz, Decken und Matratzen. Wir haben bei der Grünen Liga e.V. Sachsen ein Spendenkonto: …
Zum Schluß möchten wir uns bei allen UnterstützerInnen bedanken und Euch alle ganz herzlich ins Hüttendorf einladen.


Wie genau die Besetzung endete, war nicht mehr zu erfahren. Wir fanden im Hochschul-Umweltinfo Nr. 2/2000 aber einen Hinweis, dass das Autobahnamt eine Rechnung von 92.834,20 DM für die Räumung des Hüttendorfs an deren ehemaligen Bewohner*innen schickte.
Die A17 war für längere Zeit die letzte Besetzung gegen ein Straßenbauprojekt. Um die Jahrtausendwende schwächelte die inzwischen etablierte Umweltbewegung. 2007 eroberten Besetzungen die Versuchsfelder der Agrogentechnik, 2008 wurde der Kelsterbacher Wald aus Protest gegen die Landebahn Nord des Frankfurter Flughafens besetzt. 2012 folgte das legendäre Baumhausdorf im Hambacher Forst („Hambi“). Im Zug der dadurch befeuerten Klimaschutzdebatte trat auch die Mobilitätsfrage wieder in den Fokus, bis die Besetzung des Dannenröder Forstes alles veränderte ...


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