Projektwerkstatt Saasen

DIE SELBSTVERTEIDIGUNG VOR GERICHT
RECHTE, HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN, ANTRÄGE, AKTIONEN FÜR ANGEKLAGTE MIT UND OHNE RECHTSBEISTAND/ANWÄLTIN

Aussagen und Sachverständige


1. Tipps für Angeklagte mit und ohne Rechtsbeistand/AnwältIn
2. Tipps in der Vorphase des Prozesses
3. Tipps für den Prozess selbst (Gerichtsverhandlung)
4. Beweisaufnahme
5. Plädoyers und Letztes Wort
6. Urteil
7. Aussagen und Sachverständige
8. Berufung, Revision & Co. - nach dem ist vor dem ...
9. Das Publikum
10. Angst vor Gericht(en): Einschüchterungsgründe vor Gericht und Umgang mit denen
11. Berichte und weitere Links
12. Direct-Action-Hefte zum Thema und weitere Materialien

Aussagen der/s Angeklagten im und außerhalb des Prozesses
Zunächst nochmal klargestellt: Es macht Sinn, die Aussage zu verweigern, d.h. weder nach der Verlesung der Anklage (bzw. in der Berufung nach der Verlesung des erstinstanzlichen Urteils) zur Sache auszusagen noch später dieses zu tun. Am sichersten ist es, ständig explizit darauf hinzuweisen, dass nicht zur Sache ausgesagt werden soll, sondern das Folge ein Antrag, eine persönliche Erklärung u.ä. ist - und diese auch keine Aussagen zur Sache enthält. Besser ist es, die Abläufe durch Fragen an ZeugInnen, Beweiserhebungen usw. zu verdeutlichen und sich dann im Plädoyer darauf zu beziehen.
Die Rechtstipps aus solchen politischen Gruppen, die nicht nur Aussageverweigerung, sondern gänzlich Schweigen verordnen, sind aus diesem Blickwinkel vielfach gefährlich. Zum einen ist selbst in den dogmatischen Schriften z.B. der Roten Hilfe überraschenderweise dieser Punkt doch gar nicht so eindeutig, stattdessen wird von Ausnahmefällen u.ä. gefaselt (die aber nicht näher erläutert werden), wann es doch sinnvoll sein kann. Zum anderen gilt das Ganze offenbar für die ohnehin peinlich als unfehlbare ExpertInnen gehypten AnwältInnen nicht. So ist eine emanzipatorische, d.h. auch gleichberechtigte und politische Verhandlungsfühung nicht möglich. Darüber hinaus aber werden durch konsequentes Schweigen einschließlich dem Verzicht auf Anträge und Fragen an ZeugInnen auch nicht versucht, die Anschuldigungen zu erschüttern.

So oder so ist es dem Gericht möglich, auch Aussagen von außerhalb des Prozesses zu verwerten. Dogmatische Aussageverweigerungsfans müssten daraus nun ableiten, generell nichts mehr zu sagen oder zu schreiben - politische Arbeit wäre beendet. Verwertbar aber sind Aussagen außerhalb des Prozesses nur, wenn sie ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingebracht wurden, d.h. sie müssen verlesen oder erörtert worden sein und den Beteiligten muss Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sein (Meyer-Goßner, zu § 261, Rd. 7).

Aus Kleinschmidt/Meyer-Goßner, Strafprozessordnung (zu § 261, Rdnr. 22)
Äußerungen des Beschuldigten außerhalb des Verfahrens sind nach ordnungsgemäßer Einführung in die Hauptverhandlung verwertbar, auch wenn er im Strafverfahren keine Angaben zur Sache macht (Miebach NStZ 00, 235). ZB darf sein Unfallbericht an seine Haftpflichtversicherung, der als Beweismittel beschlagnahmt worden ist, nach Verlesung (§ 249) verwertet werden, ebenso nach Einführung durch Zeugenaussage eines Angehörigen der Versicherung (ausführlich dazu KG NZV 94, 403; BVerfG NStZ 95, 599: verfassungsrechtlich unbedenklich). Auch Angaben, die ein Asylbewerber im Rahmen der Anhörung nach § 15 1, 11 Nr 1 AsylVfG über die Modalitäten seiner Einreise macht, dürfen ohne seine Zustimmung verwertet werden (BGH 36, 328; ebenso Düsseldorf StV 92, 503 mit krit Anm Kadelbach für Angaben aus einem im Ausland gestellten Asylantrag; aM Ventzke StV 90, 279), ferner Erklärungen im Rahinen der Zollkontrolle bei der Einreise (Oldenburg StV 96, 416 mit abl Anm Bernsmann). Erkenntnisse aus der nach UmweItschutzgesetzen vorgeschriebenen Eigenüberwachung unterliegen idR keinem Beweisverwertungsverbot (Franzheini NJW 90, 2049 gegen Michalke NJW 90, 417), auch nicht die nach § 138 I, I ZPO abgegebenen Erklärungen (aM Dauster StraFo 00, 154). Vgl auch Verrel NStZ 97, 362 sowie zur Verwertung von im Sozialhilfeverfahren gemachten Angaben v. Glahn StraFo 00, 186.

Gutachten und Sachverständige

Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München (S. 37 f.)
Schon die Wahl eines Gutachters, erst recht aber dessen Gutachten selbst kann einen Prozess entscheiden. ...
Häufig vertraut ein Gericht deshalb immer auf dieselben Gutachter, ganz nach dem Motto: „Einmal recht, immer recht“. Kammern, die kein allzu ausgeprägtes Faible für mildere Urteile oder gar Freisprüche aufgrund von eingeschränkter oder fehlender Schuldfähigkeit haben, entwickeln eine fatale Schwäche für solche psychologischen Gutachter, die den Angeklagten schneller und öfter volle Schuldfähigkeit attestieren. Will man als Anwalt ein Zweit- oder Gegengutachten durchsetzen, sind die Gerichte oft vorschnell mit der Entscheidung bei der Hand, der geforderte Sachverständige verfüge gegenüber dem vom Gericht bestellten nicht über neue oder "überlegene" Forschungsmethoden -Antrag abgelehnt. Gerne werden auch in Urteilsbegründungen aus an sich soliden Gutachten steile, aber völlig unbegründete Schlussfolgerungen gezogen - und das mit der souveränen Geste des Fachgelehrten. Selbst wenn sich ein Gericht mehr oder weniger ungeprüft und nicht selten auch unverstanden das Urteil eines Gutachters zu Eigen macht, gibt es dafür eine juristisch wasserdichte Standardformullerung: Man habe die Feststellungen des Gutachters "in eigener Würdigung nachvollzogen", heißt es dann in der Urteilsbegründung - eine Leerformel, deren Wahrheitsgehalt in einer Berufung oder Revision leider oft kaum zu erhellen, geschweige denn zu erschüttern ist.


Ablehnung eines Sachverständigen, Gutachters:

§ 74 StPO
(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.
(2) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Die ernannten Sachverständigen sind den zur Ablehnung Berechtigten namhaft zu machen, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen.
(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen.


  • Mehr unter "Leitsätze/Entscheidungen" bei www.kanzlei-doehmer.de
  • Dort auch zu Ablehnung eines Dolmetschers und von Richtern (Befangenheitsantrag)

Haftung und Risiken für Sachverständige

BGB § 839a Haftung des gerichtlichen Sachverständigen
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.


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