Projektwerkstatt Saasen

GEWALTFREIHEIT: STRATEGIE, UTOPIE ODER DOGMA?

G8-Gipfel 2007 Heiligendamm: Dogma und Kontrolle


1. Die Argumente pro Gewaltfreiheit - und was davon zu halten ist
2. Offene Fragen und blinde Flecken der dogmatischen Gewaltfreiheit
3. Gut und Böse: Identitätsstiftende Kraft der Gewaltfreiheit
4. Der Machtanspruch gewaltfreier Dogmatik
5. G8-Gipfel 2007 Heiligendamm: Dogma und Kontrolle
6. Staat und Gewalt
7. Kritik an dogmatischer Gewaltfreiheit
8. Links

Bei der Debatte um Gewalt - auch das trägt quasi-religiöse Züge - scheint es immer gleich um das Ganze zu gehen. Wer hier eine andere Meinung vertritt, spaltet, ist ein "Spatzenhirn" (Kommentar in der FR), hilft der anderen Seite usw. Innen und außen werden konstruiert, die Schafherden gesammelt hinter das Einhauchen der kollektiven Idee von Gewaltfreiheit oder Militanz - je nach Couleur.
Im Vorfeld der G8-Proteste hatten sich die Eliten der verschiedenen Strömungen gegenseitige Akzeptanz und Unterstützung beim gemeinsamen Ziel der Dominanz in der Mobilisierung geschworen. Dieser Schwur zur gemeinsamen Herrschaftsausübung hielt auch über alle Unwägbarkeiten hinweg - außer, wenn das Thema auf die Gewaltfrage kann. Es war ein Leichtes für Medien, Politgrößen usw., durch eine einzelne kleine Frage immer wieder alle Gemeinsamkeit über den Haufen zu werden. Teilweise fielen diese Versuche richtig krampfhaft aus. Als Beispiel mag hier die Frankfurter Rundschau dienen, sie schon seit langem diesen Glaubenskrieg in soziale Bewegungen trägt und eines der Kampfblätter in Sachen der Spaltung in guten und schlechten Protest darstellt. Auslöser einer beeindruckenden Reihe täglicher (!) Hetzkommentare, verbunden immer mit der Empfehlung, zu spalten, auszugrenzen, Teile des Protestes zu entfernen, war eine absurde Razzia von Polizeitruppen gegen verschiedene linke Zentren und Privatwohnungen am 9.5.2007.

Im Original: Im Vorfeld des G8-Gipfels 2007
10.5.2007: Aus einem Kommentar von Stephan Hebel in der Frankfurter Rundschau, 10.5.2007 (S. 3)
Spatzenhirne, das wird niemand bestreiten, sind ja neben den vielen Besorgten, Gewaltfreien und Vernünftigen auch unter Globalisierungskritikern zu finden: Farbbeutel-Revolutionäre und Zündler, die sich über Strafverfolgung nicht wundern sollten. ... Aber eines sollten sie* auf keinen Fall tun: sich zu falscher Solidarität mit Gewalttätern provozieren lassen. Dann nämlich hätte sich die Unterstellung, die Grenzen zur Gewalt seien fließend, im Nachhinein bewahrheitet. Stephan Hebel
*gemeint: sog. friedliche Demonstrant_innen

11.5.2007: Aus einem Kommentar von Richard Meng in der Frankfurter Rundschau, 11.5.2007 (S. 3)
Nach den Razzien bei Globalisierungskritikern war an dieser Stelle von "Zündlern" die Rede. Gemeint waren Leute, die durch gewaltsame Aktionen den Unbelehrbaren auf der anderen, der staatlichen Seite die Vorwände für eine Kriminalisierung des gesamten Protests gegen den G8-Gipfel liefern. ... Auch wer nicht alle Parolen der Protestierenden unterschreiben kann, sollte spätestens jetzt auf großen Zulauf friedlicher Demonstranten hoffen. Sie haben ein neues Ziel gewonnen: zu zeigen, dass ein Repräsentant des Staates, der in den Kampf-Kategorien der 68er Jahre denkt, sie von ihrem Recht nicht abhalten kann. Und dass er sie nicht provozieren kann, mit Gewalt zu reagieren.

12.5.2007: Aus einem Kommentar von Richard Meng in der Frankfurter Rundschau, 13.5.2007 (S. 3)
Diese Spirale von Aktion und Reaktion war leider absehbar. Zuerst die groß angelegten Polizeirazzien, danach die demonstrativen Straßenproteste, in Hamburg mit Regelüberschreitung. So, wie eine Überreaktion auf die andere folgt, schwindet schon vier Wochen vor dem G 8-Gipfel in Heiligendamm die Hoffnung, dass in der wichtigen Diskussion über die Folgen der Globalisierung Argumente im Zentrum stehen. ... Weil es in der autonomen Szene einen ohnehin begonnenen Prozess der Aufspaltung verstärken kann, bei dem am Ende tatsächlich wenige besonders Verbohrte meinen, aus dem Staatshandeln ergebe sich die Legitimation für "Widerstand" per Gewalt. Wo sind die Besonnenen geblieben? Wo Leute, die darauf pochen, daran erinnern, dass Protest immer umso friedlicher ablief, je größer die Beteiligung war? Sie dürfen sich die Globalisierungsdebatte gerade jetzt nicht aus der Hand nehmen lassen.

12.5.2007: Aus einem Leserbrief und erneute Polemik in der Antwort von Stephan Hebel darauf, 13.5.2007 (S. 7)
War die FR nicht mal eine links-liberale Tageszeitung bzw. besser, nahm dieses für sich in Anspruch? Dieser Kommentar von Stephan Hebel zeigt, wie weit sich die FR bereits davon entfernt. Kritikerinnen der G8 als "Spatzenhirne" zu bezeichnen und gleich ganz martialisch von abgefeuerten Kanonen zu sprechen, zeugt von Missachtung des Rechts auf Meinungsäußerung, Kritik und zivilen Ungehorsam. Aber genau dies ist nötig, wenn die menschen- und naturverachtende Politik der G8 geändert werden soll - und das wiederum ist dringender denn je. Man kann nur alle denkenden Menschen in diesem Land auffordern: Jetzt erst recht, auf nach Heiligendamm ab dem 2. Juni - vielleicht reihen sich ja auch ein paar FR-Redakteurinnen in die Protestierenden ein?
Gregor Kaiser, Bonn


Antwort: Sehr geehrter Herr Kaiser,
ich bitte Sie: Das zugegeben polemische Wort "Spatzenhirne" bezog sich ausschließlich auf diejenigen, die dem maßlos übertriebenen Vorgehen des Staatsapparates auch noch Vorwände liefern (was dieses staatliche Vorgehen keineswegs rechtfertigt, aber doch bitte erwähnt werden darf). ... Ich habe mir zudem erlaubt, die globalisierungskritische Bewegung vor "falscher Solidarität" mit denen zu warnen, die durch Gewalt der Repression in die Hände spielen (siehe oben). Das haben auch viele aus der Bewegung getan, zum Beispiel Tobias Pflüger. Ist der auch auf der falschen Seite? Stephan Hebel, FR-Textchef


Dann kam die Demonstration vom 2.6.2006 mit den Krawallen in Rostock - und die Gelegenheit wurde beim Schopfe ergriffen, kräftig weiter zu hetzen.

Im Original: Nach der Demo vom 2.6.2006
Leitartikel-Kommentar "Wider den Sog der Gewalt" von Steffen Hebestreit, in: FR, 6.6.2007 (S. 9)
... auch in Reihen der G8-Gegner wird kontrovers über den weiteren Umgang mit dem Schwarzen Block diskutiert.
Der Ausgang dieser Kontroverse wird entscheiden, ob die berechtigten Anliegen der Globalisierungskritiker dauerhaft Gehör finden werden. Oder ob im Steinehagel gewaltbereiter Chaoten - und es sind Chaoten, die Pflastersteine, Flaschen und mit Rasierklingen präpariertes Obst auf Polizisten schleudern - ob in dem Geschosshagel diese neue politische Bewegung untergeht.
Im Zentrum steht die Frage: Gehört der Schwarze Block zur Protestbewegung? Erfreulicherweise erklären die Veranstalter klar, dass gewalttätige Autonome einfach nicht mehr in ihrem Namen mitmarschieren sollen. Mehr als fraglich ist aber, ob sich diese Position durchsetzt. ...
Nach den Vorfällen von Rostock muss jedem klar sein: Den testosterongesättigten Gewalttouristen des Schwarzen Blocks geht es nicht um Politik, es geht ihnen um Randale, um einen Kick, bestenfalls um ein "Gemeinschaftserlebnis". Die Anliegen der globalisierungskritischen Bewegung bieten ihnen einen Deckmantel, in dessen Schutz sie - vermummt und bewaffnet - die Auseinandersetzung mit der Staatsmacht führen. Das als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu akzeptieren, wäre ein fataler Irrtum der G8-Gegner.


Aus einem Interview mit Tim Laumeyer, Sprecher der Interventionistischen Linken, in: Junge Welt, 5.6.2007 (S. 2)
Es ist uns offenbar nicht gelungen, unsere Botschaft, dass ein friedlicher Protest die größte Wirkung erzielt, allen Beteiligten zu vermitteln. ...
Bilder wie die aus Rostock werden sich nicht wiederholen, von gezielter Militanz wollen alle Beteiligten bei den geplanten Massenblockaden Abstand nehmen.


Pressemitteilung der Heinrich-Böll-Stiftung am 6.6.2007
Nach den Krawallen vom vergangenen Samstag im Vorfeld des G8-Gipfels erklären Barbara Unmüßig und Ralf Fücks für den Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung heute zum Auftakt des G8-Alternativgipfels in Rostock:
"Die gewaltsamen Ausschreitungen bei der Großdemonstration am vergangenen Samstag sind absolut inakzeptabel und widersprechen dem Geist des breiten Bündnisses, das auf dem heute beginnenden Alternativgipfel in Rostock eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen des G8-Gipfels sucht. Der legitime Protest gegen die Politik der mächtigen Staaten kann sich nicht von einer rücksichtslosen Minderheit in Geiselhaft nehmen lassen. Die gewaltsamen Aktionen schaden den Anliegen derjenigen, die nach Rostock gekommen sind, um ihren Forderungen nach einer gerechteren Welt und einer zukunftsfähigen Politik Nachdruck zu verleihen. Wir fordern das Aktionsbündnis auf, einen klaren Trennungsstrich gegenüber denjenigen zu ziehen, denen es um die Inszenierung von Randale statt um die inhaltliche Auseinandersetzung geht."


Der G8-Landwirtschafts-Aktionstag nur 24 Stunden später wurde als Vielfalt direkter Aktionen, Genfeldzerstörungen usw. angekündigt. Tatsächlich war aber eher ein schwächlicher Herdenauftrieb zu sehen, in dem viele Menschen zur ausdruckslosen Masse in einer vorgefertigten Aktion wurden. Genau das aber wurde dann noch abgefeiert als Erfolg. Der folgende Text stand in der WoZ und wurde als "guter Text" auf der G8-Landwirtschafts-Mailingliste verschickt am 12.6.2007:

Am Nachmittag des Aktionstages steht deshalb eine "Rallye" nach Gross Lüsewitz auf dem Programm. Mit Velos, Rollerskates und Autos legen die Protestierenden die dreizehn Kilometer ins Dorf zurück. Stationen auf dem Weg informieren über industrielle Tierhaltung, die Risiken von Gentechmais oder die Arbeitsbedingungen beim Billiggross-verteiler Lidl. Die Polizei sperrt die Hauptstrasse, aber Nebenstrassen führen dennoch zum Ziel - dem Gentechkartoffelfeld. Es ist umstellt: alle fünf Meter ein Polizeiauto, dazwischen Beamte mit Hunden.
Im Dorf sieht es ähnlich aus: Wie Terroristinnen nimmt die Polizei die Teilnehmerinnen des Protestfestes am Ziel in Empfang. Wie überall in den letzten Tagen ist auch hier eine Gruppe Clowns aufgetaucht. Sie umtanzen die Polizistinnen, imitieren sie, putzen ihnen mit Staubwedeln die Köpfe und kommentieren lautstark die Durchsuchungsaktion: "Sprengstoff! Aaah! Ver-boo-ten!" Gut tausend Leute nehmen am bestens bewachten Protestfest teil. Auch einige Dörflerinnen sind gekommen. Manche beteiligen sich an den Diskussionen, andere schauen skeptisch. Schon optisch sind sie leicht von den bunten Gestalten zu unterscheiden. Vor den Ess- und Infoständen spielen Gruppen Theater. Ein Imker aus Brandenburg erzählt, wie Gentechmaispollen seinen Honig unverkäuflich gemacht haben. Er ruft zu einer "freiwilligen
Feldbefreiung" im Juli im Oderbruch auf: In aller Öffentlichkeit soll, anschliessend an einen Gottesdienst, ein Gentechmaisfeld zerstört werden. Ein Rechtshilfefonds ist bereits eingerichtet. "Solche Aktionen sind vor allem wichtig als öffentliches Symbol, auch wenn die Zerstörung der Pflanzen nicht gelingt", sagt Arne Bilau. Die kleine Gruppe, die als Abschluss des Festes noch zum Kartoffelfeld zieht, ist sehr symbolisch - und wird natürlich trotzdem sofort eingekesselt und in Polizeigewahrsam gehalten, bis der Zug zurück nach Rostock einfährt.


Die hohe Medienpräsenz und der Wechsel zwischen militanten und gewaltlosen Abläufen der Aktionen entfachte ein Trommelfeuer teilweise fanatischer Kommentierungen und Bewertungen von Aktionen durch Bewegungseliten und einige anonyme Schreiberlinge. Hauptthema: Die Gewaltfrage. Dabei hatte es eigentlich an Inhalten nicht gefehlt - und auch die Grundposition, den G8-Chef_innen ganz das Recht abzusprechen, Entscheidungen mit weltweiten Auswirkungen zu treffen, ist in der Tradition des Widerstandes längst verankert gewesen. Doch an kaum einer Stelle der Proteste von Rostock war inhaltlicher Tiefgang zu erkennen. Sie beschränkten sich auf das ritualisierte Abhaken von Thementagen vor dem eigentlichen Geschehen und versandeten dann schnell in der Orientierung auf Rumlatschen in großen Gruppen, während die immer gleichen Eliten von Bewegung in den Fernsehstudios durchsagten, worum es es eigentlich ging. Das unterschied sich dann kaum von Bono oder deutschen Schnulzenbands auf den Bühnen: Appelle an die Mächtigen, „Act now“ in Farbe, tränenreiche Romantik für noch mehr Demokratie. Was hätten die Eliten ohne die Randale eigentlich noch zu erzählen gehabt? Doch beim Thema Gewalt wurde nur noch deutlicher: Protest in Deutschland ist wie die freie Marktwirtschaft - hochkonkurrent, im ständigen Kampf um Werbeminuten für den eigenen Verband oder die eigene identitäre Gruppe, ringend um Marktanteile bei Spenden und Mitgliedschaften. Da fällt kaum noch jemandem auf, dass weder Randale noch gewaltfreie Aktionen kreative Aktionsideen oder emanzipatorische Inhalte aufweisen. Würde dieser Blickwinkel gestärkt, könnte die soziale Bewegung in Deutschland eher insgesamt auf dem Müllhaufen der Geschichte landen. Gewaltfrei oder militant - wichtig ist der Mitgliedsstand? An einzelnen Beispielen und Texten soll das deutlicher werden.

Fazit aus den informellen Eliten gewaltfreier Zusammenhänge
"Massenmilitanz ist zu dynamisch, als dass sie kontrollierbar wäre"
Ein Blick auf die Gewaltfreien-Ecke zeigt unter anderem Jochen Stay. Er gehört zu den Prominenten der politischen Gruppen, die mit dem Label 'Gewaltfrei' hausieren. Das als Hauptwiderspruch benutzte Label teilt in Gut und Böse, Innen und Außen, d.h. es ist ein markantes Beispiel für identitäre Gruppen- und Einheitsbildung - wie üblich verbunden mit dem Anspruch Weniger, für die nicht mehr gefragten Menschen in der geformten Einheit sprechen zu können. Jochen Stay ist einer dieser Weniger, andere wie die Zeitschrift "Graswurzelrevolution" und andere Koryphäen der Bewegung auch. Er ist aber auch einer derjenigen, die ihre eigene Identität als die herrschende Identität durchsetzen wollen - gegen die explizit nicht Gewaltfreien, aber auch gegen alle die, die offensiv äußern, sich dem identitären Rumgepose der Bewegungs-Obermacker nicht unterwerfen, sondern ihren eigenen Kopf benutzen und je nach Situation zwischen vielen Möglichkeiten der Aktionsformen entscheiden zu wollen.
Jochen Stay ist unbarmherzig: "Die Militanten verdienen keine Solidarität" - also egal ob gezielte Militanz oder das elendige Steinewerfen in die eigenen Reihen. Alle sollen dran glauben müssen und nach der Stay-Regel des Dazugehörens von jetzt nicht mehr dazugehören. Militante raus! "Wir" (in diesem Stil spricht Stay dann auch gleich mal für alle anderen mit) wollen die nämlich nicht.
Wenn Jochen Stay an Militanz denkt, führt er immer wieder die Beispiele auf, die in der Tat die Haare zu Berge stehen lassen: Steinwürfe aus der siebten Reihe, viele Platzwunden am Hinterkopf (so in Rostock nach dem 2.6.2007). Schon diese Kritik ist verkürzt, aber Stay denkt eben nicht politisch, sondern identitär. Die splitternden Glasfronten der immer wieder gleichen Feindbilder Banken und McDonalds müssten Kritik nach sich ziehen, die bei vielen Militanten genauso wie bei den Gewaltfreien offensichtlichen internen Gleichschaltungstendenzen und Dresscodes. Das alles ist wenig emanzipatorisch - und tatsächlich lassen sich unter den militanten Aktionen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zumindest in Deutschland kaum aufklärerische, befreiende, eben emanzipatorische Orientierungen erkennen. Nur: Eine Kritik an der aktuell bestehenden Militanz in deutschen politischen Zusammenhängen ist zu unterscheiden an dem, was denkbar wäre an kreativer, inhaltsreicher Militanz. Das gilt für die Gewaltfreien ja ebenso: Die Langeweile, normierten Aktionen und verkürzten Inhalte der aktuell dominierenden Gewaltfreien in deutschen Landen taugen für eine Kritik an Stay, GWR & Co., aber nicht für eine grundsätzliche. Denn auch gewaltfreie Aktionen können kreativ, selbstbestimmt und inhaltsreich sind. Sind sie nur leider selten. Stattdessen dominieren peinlich genormte Aktionen wie die mit der amerikanischen Armee abgesprochene Blockade eines Eingangstors nahe Frankfurt, dass die US-Luftwaffe ohnehin gerade nicht brauchte. Oder Blockaden an den telegensten Plätzen der Castorroute, die mit dem eigenen Veto gegen den Wunsch aller anderen Gruppen durchgesetzt werden.
Das aber juckt Jochen Stay nicht. Er posiert wie ein PR-Manager mit den Ausnahmen, z.B. der gelungenen 5-Finger-Strategie auf dem Weg zum Zaun in Heiligendamm. In der Tat: Das war ein eher vielfältiges Konzept - und während der Aktion fehlten auch die Obermacker_innen an den Megaphonen. So konnte sich alles interessant entwickeln. Kaum am Zaun angekommen, fanden sich die Herden wieder zusammen und machten das, was deutsche soziale Bewegung - egal ob gewaltfrei oder militant - am besten kann: Langeweile. Das Rumsitzen vor dem Zaun war nicht durch die Polizei erzwungen, analysiert Stay scharfsinnig. Recht hat er, aber schlußfolgert: "Diesen Ablauf hat nicht die Polizei bestimmt, sondern wir selbst, und das macht uns stark." Das 'Wir' sind wieder einmal er und seine Mit-Eliten der Bewegung, denn selbstverständlich ist nirgends irgendwie von allen entschieden worden, am Zaun tatenlos zu bleiben. Warum es stark machen soll, sich selbst zu disziplinieren, bleibt auch unklar. So bleibt der Marsch zum Zaun das einzige positive Beispiel. Dass es die Gewaltfreiheit gewesen sein soll, die den Erfolg bahnte - oder nicht vielleicht eher die kreative Vielfalt und das Abhandenkommen der ständigen Steuerung durch Führungspersonen, dass untersucht Stay lieber nicht. Je platter, desto besser für die Werbung, die schließlich auch signalisiert: Wir sind eine identitäre Gruppe. Darum brauchen wir Werbung für uns. 'Kommt zu uns!' (und nicht zu anderen) ersetzt politische Positionen, offene Debatte und einen Widerstand, der fragend voran geht ...

Im Original: Jochen Stays Fazit zu G8 2007
Jochen Stay in: Jungle World, 13.6.2007 (S. 19):
Die Faust öffnen! Die Militanten verdienen keine Solidarität. Ein Plädoyer für den gewaltfreien Widerstand.
Ist es politisch zielführend, aus einer Bündnisdemonstration heraus Verkehrspolizisten anzugreifen, ein Mittelklasse-Auto abzufackeln, sich dann hinter Familien mit Kindern zu verstecken und aus der 23. Reihe Flaschen und Gehwegplatten so zu werfen, dass mehr Demonstranten durch "friendly fire" verletzt werden als gut gepolsterte Beamte? Michael Kronawitter von der Antifaschistischen Linken Berlin konnte sich in der Jungen Welt vom 4. Juni darüber freuen, "Berliner Polizisten auch mal rennen zu sehen", auch weil angeblich "in den letzten Jahren die Polizei den Ablauf von Protesten bestimmt" habe. Aber was ist daran politisch? Was ist daran solidarisch? Und wieso meinen Leute, die sich auf einer Demonstration so verhalten, hinterher müssten alle mit ihnen solidarisch sein?
Ich gebe zu: Mich macht das auch deshalb so ärgerlich, weil mir diese Erfahrungen nicht neu sind. Ich fand es schon in Wackersdorf unerträglich, dass mir, während ich am Zaun sägte, von hinten mit der Zwille Stahlkugeln um die Ohren geschossen und Leute neben mir von Mollis getroffen wurden. Und das Lachen mancher über die ach so militanten Oberpfälzer Bauern blieb dann doch im Halse stecken, als man erfuhr, dass die auch ganz selbstverständlich zu Hause ihre Frauen schlugen.
Massenmilitanz ist zu dynamisch, als dass sie kontrollierbar wäre. Das gilt genauso für Aktionen Einzelner, siehe den Mord an zwei Polizisten an der Startbahn West 1987. Leider sind diese Desaster anscheinend schon zu lange her, um heute noch eine Rolle zu spielen.
In der in den Anti-G8-Camps geführten Debatte um die Gewaltfrage kamen viele der Anhänger von Militanz mit Argumenten, die stark an diejenigen erinnern, mit denen früher für die Prügelstrafe in der Kindererziehung geworben wurde. Wer sich aber die bessere Welt mit der Verbreitung von Angst und Schrecken schaffen will, der muss wahrscheinlich lange auf sie warten. Revolutionen werden meist dadurch gewonnen, dass die Regierungstruppen zur Opposition überlaufen, weil sie deren Argumente nachvollziehen können, und nicht, weil sie Angst vor ihr haben.
Glücklicherweise wurde die Diskussion nach dem Rostocker 2. Juni auf überzeugende Weise mit den Blockadeaktionen am 6. Juni abgeschlossen. Kronawitter hatte noch kurz davor spekuliert: "Militanz heißt, nicht noch die andere Wange hinzuhalten, sondern auch mal zurückzuschlagen. Das wird in den kommenden Tagen sicher passieren." Da hat er sich gründlich getäuscht.
Gelernt haben also viele was in den Tagen rund um Heiligendamm, einerseits über die politisch vernichtende Wirkung von Massenmilitanz - hatten wir doch vor der Rostocker Demonstration die Auseinandersetzung um den Gipfel quasi schon gewonnen. Und andererseits über die politisch erfolgreiche Wirkung offensiver gewaltfreier Aktion - hatten wir die Sache nach der Demonstration doch quasi schon verloren. Eine Rostocker Zeitung schrieb: „6000 gelangten am Mittwoch nahezu ungehindert am Kontrollpunkt Galopprennbahn an den Zaun. Ein Durchbruch bis in den Tagungsort wäre kein Problem gewesen. Es ist vor allem den Demonstranten zu verdanken, dass es keinen Angriff gab, der vermutlich in einer Katastrophe geendet hätte.“ Diesen Ablauf hat nicht die Polizei bestimmt, sondern wir selbst, und das macht uns stark.
Viele haben beim Training der Kampagne *“Block G8“ in den vergangenen Monaten gelernt, wie ein entspannterer Umgang mit der Polizei nicht weniger, sondern mehr Erfolg ermöglicht. Die Gipfel-Blockaden und die zum dort Ankommen angewandte flexible „Fünf-Finger-Methode“, mit der man Polizeiketten auseinanderzieht, haben es gezeigt.
Gewaltfreies Handeln wird häufig falsch verstanden als passives Stillhalten. Das Gegenteil ist der Fall: Gewaltfreies Handeln ist ein aktives Prinzip, das ermutigt und befähigt, Unrecht und Gewalt gezielt entgegenzutreten. Gewaltfreie Aktion kann also durchaus als Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol verstanden werden. Viele gewaltfreie Aktivistinnen und Aktivisten gestehen dem Staat nämlich gerade nicht zu, Gewalt auszuüben. Sie sehen aber auch nicht ein, nur weil der Staat Gewalt anwendet, dies auch machen zu müssen, sondern suchen intelligentere Wege - die dann manchmal bis nach Heiligendamm führen.
Der Autor ist aktiv bei X-tausendmal quer, - der Gruppe, die das Fünf-Finger-System in die Kampagne "Block G8" eingebracht hat.


Beifall für diesen Text: In der Graswurzelrevolution Sommer 2007 zitiert der Redaktionschef Drücke aus dem Text von Jochen Stay und fügt hinzu: "Schön formuliert, Jochen!"

Gewaltfreie Super-Blockade?
Am Blockadetag gelangten Tausende von Aktivist_innen an den Zaun. Das war verboten, aber ein kluges Aktionskonzept sorgte für den Teilerfolg. Sofort buchten die Gewaltfreien-Führer_innen das als ihren Sieg ab. Doch ist es das? Nein. Das Schlaue am 5-Finger-Prinzip ist nicht die Gewaltfreiheit, sondern das Fehlen eines Zentrums. Die einzelnen Stränge sind selbstorganisiert, die Obermacker_innen von Polizei und Bewegung verlieren die Kontrolle. Die Aktivist_innen aber vermissen die sonst in politischer Bewegung übliche Fremdbestimmung nicht, sondern agieren und entscheiden selbst.
Am Zaun angekommen, war es damit zuende. Es formten sich wieder einheitliche Massen, die immer gleichen Bewegungsführer_innen mit ihren Megafonen tauchten auf. Die Kreativität war weg. Nichts ging mehr. Noch mehr: Das Durchfließen von Polizeiketten und Sicherungen hat schon Gandhi praktiziert. Blieb die Polizeikette stehen, ist er weitergegangen, prallte auf die Sichernden und provozierte deutlich sichtbar eine körperliche Auseinandersetzung. Auch das Fingerprinzip arbeitet damit. Bei der Gendreck-weg-Feldbefreiung 2006 in Badingen prallten 150 Menschen auf eine teilgeschlossene Polizeikette. Der Aufprall Mensch gegen Mensch war einkalkuliert. Einige wurden festgehalten, andere gelangten aufs Feld. Auch hier: Nicht die Gewaltfreiheit, sondern Selbstbestimmung und Kreativität waren die Gründe für den relativen Erfolg!
Noch mehr: Es ist zwar nicht bewiesen, aber auch nicht geklärt ... erst wenige Tage vor dem Marsch an den Zaun hatte das Bundesverfassungsgericht die Aktion möglich gemacht - durch das Verbot der Demo! Erstens könnte es also eine Taktik der Polizei gewesen sein, eine Kampfstätte außerhalb des Zaunes zu schaffen zwecks Selbstbefriedigung und -befriedung der Aktivist_innen. Zum zweiten bekam die Randale vom 2. Juni einen späten Sinn (den die platten Steinewerfer_innen aber nicht kalkuliert hatten): Ohne die Steine kein Demoverbot (das BVerfG hat explizit das als Grund benannt und die vorherigen verworfen!) und folglich ohne die Steine auch kein Erfolg des 5-Finger-Prinzips. So kompliziert ist die Realität - im Gegensatz zu den einfachen PR-Statements der Bewegungsführer_innen.

Inhalte? Einheit?
Die Organisator_innen beschworen Einheit und Geschlossenheit. Streit gab es nur um die Frage der Gewalt - vorher, während und nach den Protesten. Warum diese Prioritätensetzung? Was ist mit Inhalten? Radikale Positionen wurden kaum sichtbar. Stattdessen dominierten Slogans, die seltsam anmuten. Greenpeace war überall, auch z.B. auf der eher von selbsternannten linksradikalen Gruppen organisierten Rostockkonferenz wenige Wochen vorher, mit dem Leitspruch „G8 - act now!“ vertreten. War aber nicht ursprünglich mal als Problem begriffen, dass die G8-Länder handelten? Ähnlich wie im Castorwiderstand wurden Politik und Polizeieinsätze als undemokratisch bezeichnet. Welch ein Demokratiebegriff liegt diesem romantischen Staatsverständnis eigentlich zugrunde? Aber nein - das interessiert niemanden. Die Gewaltfrage dominierte. Schlechte Inhalte sind dann okay, Hauptsache gewaltfrei/militant.
  • Extra-Seite zu Diskurssteuerung und Medienmanipulationen rund die Gewaltfrage beim G8-Protest 2007

Im Original: Mehr Zitate gegen Militanz bei G8
Aus der Contra-Militanz-Position von Stefan Reinecke* in der taz, 5.6.2007
Der Krawall in Rostock hat drastisch vor Augen geführt, dass die Zusammenarbeit mit Militanten ein Irrtum der Anti-G-8-Bewegung war. Dort haben sich rabiate Jungmänner egozentrisch und gewalttätig aufgeführt - also ungefähr so wie George W. Bush auf internationaler Bühne. Es geht ihnen nicht um Politik, sondern um narzisstische Kicks. Wie man die Macht der Hedgefonds bricht oder globale Unrechtigkeiten abschafft, ist ihnen egal. Sie wollen sich, auf Kosten anderer, Adrenalinschübe verschaffen. ...
Keine Zusammenarbeit mehr mit Autonomen. Und zwar nicht bloß, weil Randale dem Image der Bewegung schadet. Sondern weil Chaoten und Bewegung wenig gemein haben. "Die Bewegung", so ein Linksradikaler kürzlich in der taz, "ist wie ein Orchester", die Militanz darin eine Stimme. Ganz falsch. Die Anti-G-8-Bewegung und die Militanten spielen völlig verschiedene Melodien.

*Journalist beim tagesspiegel, früher bei der taz und Freitag

Spaltungsgerede
Auszug mit Zitaten in: Junge Welt, 11.6.2007 (S. 13)
Die Abgrenzungsarien von Brangsch und Brie sind ebenso schrill wie aggressiv. "Das Prinzip eines ›überwältigenden Konsenses‹ muss durchgesetzt werden. Grenzen sind zu ziehen, oder gemeinsames Handeln ist nicht länger möglich. (...) Offensichtlich ist Zeit für einen Bruch. Let’s make it real." Das klingt wie Peter Wahl vom ATTAC-Koordinierungsrat, der die Leser des Tagesspiegel wissen ließ, "dass alle, die sich nicht klipp und klar von Gewalt distanzieren, nicht zu uns gehören. Wir müssen gegenüber Gewalttätern eine ähnlich harte Haltung einnehmen wie gegenüber Neonazis: Wir wollen euch nicht bei uns."
Bodo Ramelow: Kirchentage als besserer Widerstand
Aus "G-8-Richter angezeigt", in: Junge Welt, 11.6.2007 (S. 1)
Fraktionskollege Bodo Ramelow kämpft derweil an der entgegengesetzten Front. Der Vizevorsitzende der Linkspartei.PDS erkor am Sonntag – frei nach Spiegel online: "Rostock-Gewalt=Köln" - den evangelischen Kirchentag zum großen Vorbild für globalisierungskritische Kundgebungen, ja Demonstrationen überhaupt. Ramelow ging auf Distanz zu allen Kritikern des massiven Polizeieinsatzes in Heiligendamm. Protest soll besser fernab vom eigentlichen Geschehen stattfinden und bitte auch der Bundeskanzlerin genehm sein, bleibt als Schlußfolgerung aus seiner Erklärung "Ein anderer Protest ist möglich".

Konsens als Machtwort, Autonome als Feinde der Demonstration - pro Spaltung
Aus dem Standpunktepapier "In der Sacke - oder: Mittel beherrschen Ziele" von Lutz Brangsch und Michael Brie (Rosa-Luxemburg-Stiftung), dokumentiert in: Junge Welt, 6.7.2007 (S. 3)
Die Toleranz wurde zu einem Nebeneinander, das dazu ausgenutzt wurde, Strategien durchzusetzen, die durch keinen Konsens gedeckt waren. ... Der schwarze Block hat in Rostock vor allem ein Anliegen erfolgreich bekämpft – den legitimen und wirkungsvollen Demonstrationszug der Gewaltlosen. Die falsche Toleranz im Vorfeld und die fehlende offensive Vorbereitung auf diese Gewalt durch die Organisatoren der Demonstration hat diesen Sieg der Unvernunft und Inhumanität möglich gemacht. (...) Offensichtlich ist Zeit für einen Bruch. Let’s make it real.
Aus dem dazugehörigen Artikel "Raus aus der Sackgasse", in: Junge Welt, 6.7.2007 (S. 3)
Als Gegner jeder Militanz traten Michael Brie vom Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Sven Giegold vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC hervor.
Aus dem Rundbrief "Entschuldungs-Kurier EXTRA 1/2007 zum G8-Protest:
Leider bestimmten andere Bilder die Berichterstattung ... Diese Gewalttätigkeiten haben uns zutiefst erschüttert und wir haben uns sofort von jeglicher Gewalt klar und deutlich distanziert. Es ist für uns besonders niederschmetternd, das eine handvoll Gewalttäter das Bild dieser friedlichen Demo so zerstörten.
Aus der Erklärung des Lenkungskreises der Erlassjahrkampagne (abgedruckt auf Seite 2):
Am 2. Juni abends hätten wir Protestierer die Fernsehschirme der Welt für uns gehabt. Statt aber über Schuldenerlass, eine gerechtere Nord/Süd-POlitik bei Hasndel, Finanzen, Umwelt oder Ressourcennutzung zu informieren, haben die Medien Bilder von der Gewalt in Rostock um die Welt geschickt. Gewalttätige Demonstranten haben ein Auto in der Rostocker Innenstadt verbrannt, Schaufenster eingeworfen, Polizisten mit Steinen und Schlagstöcken angegriffen. Diese Demonstranten kümmert der Schaden, den sie den Anliegen der Entschuldung der Entwicklungsländer, einem gerechteren Welthandel, einer Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und einer solidarischen Globalisierung beigefügt haben. Die Medien haben fast ausschließlich über diese Gewalt berichtet.
Der Lenkungskreis von erlassjahr.de möchte seinen Mitträgern gegenüber seine Enttäuschung über diesen gedankenlosen und unpolitischen Aktionen der Gewalttäter zum Ausdruck bringen und sich eindeutig davon distanzieren.


Jimi Merk (Informationsstelle Peru) in: iz3w Juli 2007 (S. 4)
Die anschließende Randale hat mich wütend gemacht. Dabei ist mir letztlich egal, ob eine Provokation der Polizei oder ein Pflasterstein der Auslöser war. Die Polizei hat zum Beispiel mit den Kampfuniformen während der Demo und mit dem lärmenden Hubschrauber über der Kundgebung die Spannungen eskalieren lassen. Dies rechtfertigt allerdings in keinem Fall die Aktionen der so genannten Autonomen, die mit ihren Stein- und Flaschenwürfen Leben und Gesundheit von Polizistinnen und Demonstratinnen gefährdet, die Demonstration als Tribüne für ihren Auftritt und an der Randale unbeteiligte Demonstrantinnen als Schutzschild vor den Angriffen der Polizei missbraucht haben. Gehören diese Leute zu uns? Der (politische) Kampf gegen unser Wirtschaftssystem hat für mich nicht mit einem (militärischen) Krieg gegen die Polizei zu tun!

Angela Klein in der SoZ 7/2007 (S. 9)
Der Schutz der Massenaktion vor ihrer Denaturierung und Instrumentalisierung für fremde Zwecke muss gewährleistet sein - und zwar von den Akteuren selbst.

Auch Linksradikale auf Anschlusssuche an den Anti-Gewalt-Diskurs?
Aus einem Streitgespräch mit Olaf Bernau, dokumentiert in der taz, 19.6.2007
Wenn man nur den Samstag nimmt, würde ich sagen: Der Anfang wurde in der Tat von Seiten der Demonstrantinnen gesetzt.

Aus Strutynski, Peter: "Gewaltverhältnisse. Rostock, Heiligendamm und die Folgen"
Wo Steine fliegen, hört jegliche Diskussion auf. ...
Eine einseitige Schuldzuweisung für die eingetretene Situation in Rostock an die Adresse des nur im äußeren Erscheinungsbild einheitlich wirkenden, in Wirklichkeit aber sehr heterogenen „schwarzen Blocks“ halte ich aus diesen Gründen für verkürzt. Völlig verfehlt war auch die an den Tenor der ersten Medienberichte sich anschließende Erklärung aus der Demonstrationsleitung, wonach die Polizei an der Entstehung der Gewaltsituation keine Schuld trage. Vielmehr hätte sie sich an die vereinbarte Deeskalationsstrategie gehalten. Dem steht doch eine Reihe von Fragen gegenüber, die im weiteren Verlauf der Untersuchungen zu überprüfen wären. In welche Gruppen des schwarzen Blocks waren verdeckt arbeitende Polizisten eingeschleust worden? Immerhin ist mindestens ein Polizeispitzel von Demonstranten enttarnt worden. Unvorstellbar, dass dies der einzige gewesen sein soll. Welche Strategie verfolgten die eingeschleusten Polizisten in Zivil? Lautete ihr Auftrag tatsächlich nur „Informationsbeschaffung“ oder hatten sie auch freie Hand, zur Gewalt aufzustacheln? Liegen der Polizei Erkenntnisse vor, ob sich im schwarzen Block auch eingeschleuste rechtsradikale Gruppen befanden? Wie konnte es passieren, dass ein Polizeiauto auf dem Kundgebungsplatz „zurück gelassen“ wurde? Manche Beobachter sahen in dem tätlichen Angriff auf dieses Auto den entscheidenden Auslöser für das Eingreifen der Polizei. Der ehemalige Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber äußerte sich hierzu in einem Interview: „Das empfanden einige Teilnehmer offensichtlich als Herausforderung. Das Fahrzeug wurde attackiert, ein Gruppe von Polizeibeamten versuchte einzugreifen, und danach überstürzten sich die Ereignisse.“ Wozu kreiste ein Polizeihubschrauber immer wieder für längere Zeit direkt über dem Kundgebungsplatz und erzwang auf diese Weise die wiederholte Unterbrechung der Kundgebung? Warum war das vereinzelte Abschießen von Feuerwerkskörpern - bei der Auftaktkundgebung am Bahnhof gleichsam als Beigabe zum karnevalistischen Charakter des Aufzugs noch geduldet – am Rande der Schlusskundgebung Anlass für polizeiliche Übergriffe?
Um nicht missverstanden zu werden: Hier soll nun keineswegs der Versuch gemacht werden, den Spieß einfach umzudrehen und die Randalierer aus dem schwarzen Block zu entschuldigen. Mir geht es vielmehr darum, auf die strukturelle Ähnlichkeit des Verhaltens gewaltbereiter „Protestierer“ und gewaltbereiter „Ordnungskräfte“ hinzuweisen. Zwischen ihnen besteht ein psychisch-mentaler symbiotischer Zusammenhang, der sich – beinahe gesetzmäßig – in einer Spirale der Gewalt entlädt, wenn die äußeren Rahmenbedingungen es zulassen. Und diese Rahmenbedingungen wurden im Vorfeld von Rostock geschaffen. Unnötig zu sagen, wessen politische Geschäfte hierbei erledigt werden.
Unnötig auch zu sagen, dass eine an politischer Aufklärung interessierte globalisierungskritische und Friedensbewegung jegliche Gewalt bei Demonstrationen strikt ablehnen muss.

Aus einer lesenswerten Zusammenfassung zum Anti-Gewalt-Hype nach dem 2.6.2007 auf Indymedia
Die Reaktion des Rostock-Bündnisses
Selbstverständlich sind die Möglichkeiten eines Bündnisses beschränkt, auf diesen Krieg der Bilder adäquat Einfluss zu nehmen. Dass die Wirklichkeit in der Hand der Beteiligten liegt, deren Ausdeutung und Nachbelichtung jedoch in der Hand des embedded Journalismus, sollte jedoch den Erfahrenen innerhalb des Bündnisses nicht entgangen sein. Anstatt die Pressekonferenz noch am selben Abend abzuhalten, verschob man sie auf den folgenden Tag. Zeit genug, um Kron-Zeugen aus den Reihen des Bündnisses zu suchen, die die Version eines marodierenden Schwarzen Blockes stützten.
"Wir wollen euch nicht mehr sehen!", erklärte Attac-Sprecher Peter Wahl am Sonntag im Fernsehsender nt-v in Richtung Autonome. Bei dem "schwarzen Block" handele es sich "um eine Gruppe von Personen, die mit der Absicht, Krawall zu machen, angereist ist."
Monty Schädel, Anmelder der Rostock-Demonstration und Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft verglich am Sonntag abend in einem ZDF-Interview die Ereignisse vom Vortag mit den Pogromen 1992 in Rostock-Lichtenhagen vor einem Flüchtlingsheim.
Werner Rätz, der zum linken Flügel im Attac-Koordinierungskreis zählt und Mitglied in der Interventionistischen Linke/IL ist, komplettierte die Kronzeugenliste. Er entschuldigte sich "bei den Rostocker Bürgern für die Eskalation…(und) präzisierte (dabei), wie seine Organisation in den kommenden Tagen mit mutmaßlichen Militanten umzugehen gedenke: ›Wenn einer ankommt, mit Kapuze und Palästinensertuch vor dem Gesicht, dann sagen wir dem, er ist unerwünscht.‹ Nachdem auch der linke Flügel innerhalb Attac wegknickte, meldete sich Peter Wahl mit einer allerletzten Attacke zu Wort: "Wir werden in Zukunft nur noch Demonstrationen mit der klaren Ansage machen, dass alle, die sich nicht klipp und klar von Gewalt distanzieren, nicht zu uns gehören. Wir müssen gegenüber Gewalttätern eine ähnlich harte Haltung einnehmen wie gegenüber Neonazis: Wir wollen euch nicht bei uns."
Mit dieser Gleichsetzung brachte sich der Attac-Sprecher auf die Höhe rechter Totalitarismus-Theorien und machte sich zum Bündnispartner jener, die sich in Heiligendamm zum G-8-Gipfel trafen.

Aus Jürgen Elsässer, "Provokateure raus!" in: Junge Welt, 16.6.2007 (S. 11)
Glaubwürdig kann die Linke diesen Widerstandsparagraphen jedoch nur für sich reklamieren, wenn sie sich als Verteidigerin und nicht als Feindin der Verfassung präsentiert. Das schließt die darin festgeschriebene Garantie des Privateigentums ein - allerdings auch dessen soziale Bindung und die Möglichkeit für Enteignungen, mit anderen Worten: das venezolanische Übergangsmodell zum Sozialismus. Für dieses Programm sind nicht nur Christdemokraten wie Heiner Geißler und Norbert Blüm zu begeistern, sondern auch Polizisten und Soldaten ...

Neben der Hetze: Die Wir-sind-völlig-nett-Selbstdarstellung
Mehr noch als die identitätsstiftende Abgrenzung von militanten und selbstorganisierten Gruppen deutet das penetrante Gerede von der eigenen Nettigkeit darauf hin, worum es den Strateg_innen der Gewaltfreiheit auch geht: Akzeptanz beim Gegner und beim gut betuchten, für die Spendeneingänge so wichtigen Bildungsbürger_innentum. Das nämlich, mangels brauchbarer Herrschaftsanalyse fast überall in gutmütiger, aber intensiver Befürwortung rechtstaatlicher Ordnung geübt, hat von dem Glauben in die Wirksamkeit netter Händchen-Halt-Aktionen auch etwas: Den Glauben, gegen das Schlechte in der Welt etwas auszurichten. Wenn dann noch Campact, .ausgestrahlt usw. verkünden, dass wegen ihnen die und die Erfolge erzielt wurden - perfekt! Diese Selbstbelügung ist ihren Preis in Form einer satten Spende an die Verkäufer_innen guten Gefühls wert.
Eine Ähnlichkeit mit der Aufmüpfigkeit von Vorbildern wie Gandhi, Luther King oder Jesus hat all das allerdings dann auch im gewaltfreien Sinne nicht mehr.

Im Original: Gerade von der eigenen Harmlosigkeit
Einleitungstext zu einer Bilderreihe vom G8-Protest ... dann folgt vor allem Langeweile, zwar bunt gekleidet, aber ohne kreative Aktion
Seit den militanten Auseinandersetzungen auf der Großdemonstration am 2. Juni in Rostock sieht die gesamte Weltpresse den Geist von Genua heraufziehen und widmet sich mit aller Leidenschaft ausschließlich den Autonomen. Erfreulicherweise können wir, als autonomes, linksradikales Fotoarchiv, uns somit ganz darauf konzentrieren, auf die anderen Gesichter des G8-Widerstandes hinzuweisen - sozusagen um Gegenöffentlichkeit herzustellen.
Nun denn:, das Schwadronieren über den "Holiganismus" der Autonomen überlassen wir einstweilen der taz. In dieser Bildgalerie über den 2.-4. Juni in Rostock seht ihr erste Eindrücke eines kreativen, militanten, internationalen und bunten Widerstandes gegen den G8-Gipfel.


Aus "Bunte Bilder statt Schwarzer Block", in: FR, 6.6.2007 (S. 5)
Bunte Plansche-Bilder, hilflose Versuche, die Aufnahmen von Randale und Gewalt zu verdrängen.
"Wir müssen zu unserem Konzept zurückfinden, das wir seit 2005 vorbereitet haben", sagt Monty Schädel von der Deutschen Friedensgesellschaft. Die Vielfalt einer Protestbewegung müsse gezeigt werden, die nicht auf Eskalation mit der Polizei aus sei. In den Camps sehen das längst nicht alle so. Dort mischen sich militante Autonome, Christen, Friedensaktivisten, Umweltschützer. "Friedlich, anders kann es gar nicht gehen", sagt eine junge Frau aus Köln im Camp Reddelich.

Rameleien
Bodo Ramelow, PDS-Führungskader und zuständig für die autoritäre innere Organisation, verglich Kirchentag und G8-Protest, zitiert in: Junge Welt, 11.6.2007 (S. 8)
Über sein Büro ließ er ausrichten: "Für mich war der Kirchentag aber auch schärfer". Bitte was?! "Er war schärfer in der Kritik an der unakzeptablen Zurückhaltung der G8 bezüglich Klimaschutz und Armutsbekämpfung und zwar in doppelter Hinsicht." Doppeltgemoppelt zeigt Ramelow allen G-8-Gipfelgegnern den Weg zum Gipfelkreuz. "Einerseits war auf dem Kirchentag scharf getrennt zwischen eindeutig friedlichen und mit Gewalt unklar umgehenden Demonstranten, denn es gab einfach niemand, der Gewalt als Mittel des Protests toleriert oder gar gerechtfertigt hätte". Nur Gott allein schenkt fröhlich ein. Dann freuen sich auch die Wachtmeister: "Andererseits konnte man auf dem Kirchentag auch ›die andere Seite‹ schärfer sehen, denn die Polizei fand nicht nur mit dicken Helmen und in Hubschraubern statt, sondern die Beamten waren als ganz normale Menschen zu erkennen und jederzeit freundlicher Ansprechpartner".

Dasselbe nochmal: NATO-Gipfelproteste 2009 in Straßbourg
Die Strategien wiederholen sich von Event zu Event: Gewaltfreie inszenieren sich als Bewegungen, die mensch einfach liebhaben muss und sich - um ein angestaubtes, bürgerliches Bild zu verwenden - zum Schwiegersohn wünscht. Militante und auch bereits selbstorganisiert-unberechenbare Gruppen werden diffamiert.

Im Original: Hetze gegen Militanz in Straßbourg
Alle Gewalt ist "kontraproduktiv" - immer, überall, in jedem Kontext!
Aus Andreas Speck: "Nach Straßbourg. Zum Umgang mit Gewalt in den eigenen Reihen", in: GWR Mai 2009 (S. 11 f.)
Als Graswurzelrevolutionärinnen, als gewaltfreie Anarchistinnen müssen wir uns jedoch auch mit Gewalt aus den Reihen sozialer Bewegungen auseinandersetzen, denn diese Gewalt ist aus unserer Revolutionsperspektive kontraproduktiv. ...
Auch wenn "wir ... weit davon entfernt [sind], aus der Gewaltfreiheit wieder ein Dogma zu machen" (Clara Wichmann), so kann es doch auch nicht darum gehen, Differenzen in der linken und revolutionären Bewegung zuzukleistern und durch Aussparung der Gewaltdiskussion letztendlich einem "Alles ist möglich" das Wort zu reden. Auch die "Toleranz der Aktionsformen" hat ihre Grenzen, und die sind nicht erst da erreicht, wo Menschenleben bedroht werden, sondern da, wo durch die Militanz einiger die gesamte Bewegung in eine aus meiner Sicht falsche militante Auseinandersetzung gedrängt wird. ...
Auch wenn ich schon jetzt den Spaltungsvorwurf höre, so gibt es für mich klare Bedingungen für eine zukünftige Zusammenarbeit. Und dem Spaltungsvorwurf entgegne ich, dass hier faktisch der spaltet, der Menschen und Gruppen durch die Nichtbeachtung ihrer Aktionsformen und -grenzen aus der Bewegung drängt. ...
Folgende Bedingungen kann ich mir für eine zukünftige Zusammenarbeit vorstellen: ... klare Absprachen zu einem eventuellen gemeinsamen Camp und zum Umgang mit Eskalationen und der Polizei, sowie die Bereitschaft, diese Absprachen auch gegenüber nicht an den Absprachen beteiligten Gruppen und Personen mit durchzusetzen; klare Absprachen, Demonstrationen nicht für eine Auseinandersetzung mit der Polizei zu nutzen.


Absurd: Eine Seite vorher versuchen die "Gewaltfreien", französische Proteste für ihre Ideologie einzugemeinden - und beschreiben dabei sogar das Einsperren von Menschen als positive Aktion (vergleiche die dogmatische Position im Hegemoniekampf nach Innen und die PR-orientierte Vereinnahmung von Aktionen nach außen!), in: GWR Mai 2009 (S. 10)
Der Blockierte ist zum Verbleib am Ort gezwungen, manchmal bis die Polizei räumt. Trotzdem wird die Person weder körperlich bedroht noch verletzt.

Aus Ulrike Laubenthal/Hans-Peter Richter, "Gedanken zur spektenübergreifenden Zusammenarbeit", in: GWR Mai 2009 (S. 12 f.)
Und deshalb brauchte die Regierung dringend Gewalt von Seiten der Demonstrantinnen. Nehmen wir mal an, es hätte an diesem Tag keinerlei Gewalt von Seiten der Demonstrantinnen gegeben. Keine Rauchsäulen über Hotels, keine zerstörten Bushäuschen, keine erbosten Anwohnerinnen, nicht mal Vermummte. Nehmen wir an, die Polizei hätte ihr Tränengas und ihre Blendgranaten von Anfang bis Ende ausschließlich gegen Leute eingesetzt, die in keinerlei Weise auf diese Eskalation eingestiegen wären. Der politische Preis wäre vermutlich inakzeptabel hoch gewesen. Wir werden nie herausfinden, welche der Gewalttaten von agents provocateurs und welche von "echten" Demonstrantinnen begangen wurden. Sicher ist: Sie haben alle der Gegenseite gedient.
Das heißt andererseits: Wir können als Aktivistinnen unseren eigenen Handlungsspielraum erweitern, wenn wir uns auf eine Strategie der aktiven Gewaltfreiheit festlegen. Wenn von vornherein klar ist, dass wir unsererseits unter keinen Umständen Gewalt anwenden werden, dann weiß die Gegenseite, dass sie einen hohen Preis zahlen muss, wenn sie uns mit Gewalt angreift. ...
Ein Glück für die Polizei, dass es ausreichend Bilder von gewalttätigen Demonstrantinnen gab - sonst wäre sie womöglich in Erklärungsnot geraten, warum sie friedliche Leute angreift. ...
Gewalt ist eine soziale Verhaltensweise, die subjektiv aus der Sicht des Täters in aller Regel sinnvoll und gerechtfertigt erscheint. Objektiv gesehen ist sie aber unserer Meinung nach immer schädlich. Sie mag einen kurzfristigen Erfolg bringen, ein Vordringen ermöglichen, ein Gefühl des Triumphs geben - langfristig schadet sie der Bewegung. Deshalb ist unsere Antwort auf die Frage nach Kriterien für militante Aktionen relativ einfach: Wenn "Militanz" bedeutet, dass man Menschen angreift, direkt oder indem man ihr Eigentum zerstört, dann halten wir alle militanten Aktionen für falsch. Gewalt schadet uns, egal von wem sie ausgeht. ...
Wir haben hier die strategischen und taktischen Gründe dargelegt, warum Gewaltfreiheit für eine soziale Bewegung sinnvoller ist als Gewalt. Darüber hinaus haben wir ethische Gründe, uns grundsätzlich gegen Gewalt zu entscheiden. Darüber diskutieren wir gerne.
Das Angebot zur Diskussion wurde übrigens angenommen. Aber dann stellte sich - erwartungsgemäß - heraus, dass das mal wieder nur ein rhetorischer Trick war. Eine Gegenposition wurde nicht abgedruckt. Die GWR ist ein einseitig-ideologisches und damit zensiertes Blatt - sie will über Fragen wie Gewaltfreiheit und (Basis-)Demokratiebejahung nicht diskutieren lassen. Das ist Gehirnwäsche - aus selbsternannt anarchistischer Feder.

Und nochmal: G20-Gipfel Anfang Juli 2017 in Hamburg

Campact nach dem Gipfel: In Zukunft soll die Gewaltfrage Freund und Feind unterschieden
Aus "G20: Bittere Bilanz", einer Erklärung der Campactchefs Bautz und Kolb auf der Campact-Internetseite
Wie sehr gewaltsamer Protest unserem Anliegen schadet, das haben uns die letzten Tage in Hamburg noch einmal gezeigt: Die inhaltliche Kritik am G20-Gipfel verschwand völlig hinter der Debatte um gewaltsame Auseinandersetzungen. Mit Gewalt erreicht man nicht die Herzen der Menschen, sondern bringt sie gegen sich auf. Wer Autos anzündet und Polizist/innen attackiert, wer marodierend alles kurz und klein schlägt und Geschäfte plündert, der sabotiert und diskreditiert das Engagement zehntausender Menschen, die ihre Kritik friedlich an der Politik der G20 äußern. Das ist anmaßend. Das ist dumm. Das ist kriminell. Und braucht eine klare Ansage: Mit uns habt ihr nichts gemein. ...
Wir wissen nicht, wer sich alles schwarz vermummte, und etliche waren vielleicht schlicht kriminelle Hooligans. Das ist ein Grund mehr, endlich das Geschwurbel mancher Organisatoren des Protests zu beenden, die sich vor einer klaren Distanzierung von Gewalt drücken. Es reicht nicht, wenn sich jetzt einige von “sinnloser Zerstörung” distanzieren oder von einer “Form von Militanz, die sich an sich selbst berauscht hat”. Das impliziert ja, dass es in einer parlamentarischen Demokratie sinnvolle Militanz und Zerstörung gäbe. Auch Fehlverhalten der Polizei rechtfertigt in keinster Weise tätliche Angriffe auf Polizist/innen und Vandalismus. ...
Demos pauschal auf 38 Quadratkilometer untersagen. Der Versuch, Camps für Demonstrant/innen generell zu verbieten. Das ist eines Rechtsstaats unwürdig. ...
Bewusst haben wir als Campact uns nicht der plakativen Botschaft “No G20” angeschlossen. Gerade in so krisenhaften Zeiten wie den jetzigen halten wir es für zentral, dass Staatschefs miteinander reden. ...
Denn so bitter die Bilder der Gewalt in Hamburg auch waren – wir erinnern uns auch an viele andere Eindrücke. Singende und tanzende Menschen. Eine Binnenalster voller Gummiboote, Kajaks und selbst gebauten Flößen. Etliche urige Schilder und Protestbanner. Kinder, die Seifenblasen durch Hamburgs Straßen pusten und alte Freunde, die sich unverhofft auf einer gemeinsamen Demonstration treffen. Auch das sind starke Bilder – Bilder, die bleiben.


Sven Giegold nach dem G20-Gipfel
Friedlicher Protest ist legitim und begrüßenswert. Friedliche Demonstrationen verdienen den Schutz und die Ermöglichung durch den Rechtsstaat. Die Ausschreitungen sind dagegen völlig inakzeptabel. Die Gewalttäter haben aus dem Gipfel einen Tiefpunkt der Menschlichkeit gemacht. Sie müssen mit aller Härte strafrechtlich verfolgt werden. Das war Gewalt gegen die Demokratie.
Trotz aller Differenzen ist richtig und wichtig, dass solche Gipfel stattfinden. Globale Probleme können nur durch globale Zusammenarbeit gelöst werden. Das Motto einiger Demonstrationen, die den G20 grundsätzlich ablehnen, halte ich für einen Fehler. Wir sollten froh sein, dass Staatschefs in dieser unsicheren Welt überhaupt miteinander reden.


Total absurd war überwiegend das Verhalten derer, die dogmatisch jede Gewalt oder Militanz ablehnen. Ihre Aktionen waren schwach, inhaltsleer, zum Teil sogar eher eine Unterstützungsaktion der Herrschenden - z.B. das Konzert mit Herbert Grönemeyer, Coldplay und anderen.

Global Citizen selbst über den Abend:
24 Stunden später können wir es immer noch nicht fassen, wie fantastisch es war! ... Keine Frage, der Abend war ein voller Erfolg ... Spitzenpolitiker aller im Bundestag vertretenen Parteien sprachen sich dafür aus, dass Deutschland weiterhin das UNO-Ziel erfüllt, 0,7% des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben ... auf politischer Seite glänzte der Abend mit hochkarätigen Politikern: Die Staats- und Regierungschefs aus Kanada, Argentinien und Norwegen richteten eindringliche Worte an ihre G20-Kollegen ...

So wurde der Protest gegen G20 zu einem Werbefest der G20. Konkrete Forderungen fehlten oder reduzierten sich auf den naiven Wunsch, die ohnehin eher imperial ausgerichtete sog. "Entwicklungshilfe" möge gesteigert werden. Es traten u.a. auf: Hermann Gröhe, Bundesminister mit CDU-Parteibuch, Sigmar Gabriel und Katrin Göring-Eckart, Ex- bzw. Fraktionsvorsitzende von zwei Parteien, und die per Agenda 2010 die Armut förderten und die 1999 und 2001 ersten Angriffskriege von deutschem Boden aus starteten. Außerdem Gordon Brown, als Schatzkanzler und späterer Premierminister von Großbritannien Teil der Regierung, die mit den USA die Kriegshetze gegen Jugoslawien, Afghanistan und den Irak betrieben und dann gemeinsam angriffen. Sponsoren war unter anderem die Melinda&Bill-Gates-Stiftung.

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