Projektwerkstatt Saasen

DIRECT-ACTION UND MILITANZ: STÖREN UND SABOTIEREN

Grundgedanken


1. Grundgedanken
2. Beispiele: Hambi bleibt! ... und: 120 Menschen verhindern Abschiebung in Bremen!
3. Die Tute Bianches, Zapatismus und Widerstandskultur in Italien (später: Disobedientes)
4. Aktionsberichte
5. Tipps und Anleitungen
6. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Aus Stephan D’Arcy (2019), „Sprachen der Ermächtigung“ (S. 43 und 51)
»Militanz« bedeutet durch Missstände motiviertes, konfliktbereites und konfrontatives kollektives Handeln. …
»Militanz« ist durch Missstände motiviertes, konfliktorientiertes und konfrontatives kollektives Handeln, das darauf abzielt, den Stimmlosen eine Stimme zu geben, indem es Mittel wie Auflehnung, Obstruktion, Destruktion und bewaffnete Gewalt einsetzt.

Über den Sinn von Militanz
Militanz kann eine Grundeinstellung sein - widerborstig, konsequent ein System ablehnend in den Protest zu gehen. Sie kann aber auch eine Ausdrucksform sein - insbesondere dann, wenn andere Formen von Protest oder Vorschlägen keine Beachtung finden. Militanz ist durch die Art laut und Aufmerksamkeit erzeugend. Darin liegt eine ihrer Legitimationen.

Aus Stephan D’Arcy (2019), „Sprachen der Ermächtigung“ (S. 37f und 41)
Martin Luther King hat vielleicht die lebendigste und konziseste Beschreibung dieser Berufung gegeben, als er meinte, es gehe den Militanten darum, »den Stimmlosen eine Stimme zu geben«. Aber ob man den Stimmlosen eine Stimme gibt oder ob man die Stimme der Stimmlosen ist, ist ein wichtiger Unterschied. Angemessen praktiziert, usurpiert Militanz nicht die Stimme oder die Handlungsmacht derer, die zum Schweigen gebracht wurden und ignoriert werden. Sie behauptet nicht, anstelle von anderen zu sprechen. Im Gegenteil, Militanz bringt die Ungehörten mitten auf die Bühne und bietet ihnen eine Sprache, ein Medium, um sich Gehör zu verschaffen. Militanz ist eine Form des Engagements, die den Ungehörten ermöglicht, dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr ignoriert werden können. …
Militanz entsteht normalerweise als Reaktion auf durchgängige Muster von Unempfindlichkeit gegenüber den Belangen bestimmter Klassen und Kategorien von Menschen - der Ausgebeuteten, der Ausgeschlossenen, der Unterdrückten. Da ihnen der Zugang zu Positionen von Macht und Status oder dem Reichtum und Einfluss, die nötig sind, um gesellschaftliche Strukturen zu ihrem eigenen Vorteil zu gestalten, fehlt, werden von diesen Gruppen kommende Unmutsäußerungen fast immer missachtet. Sie können auf die konventionelle, offiziell genehmigte Art protestieren, aber solche Gesten bleiben allzu oft fruchtlos. Sie können Briefe an öffentliche Amtsträger*innen schreiben, eine Petition unterzeichnen odergesittet in den Straßen marschieren, um die Beseitigung wichtiger und akuter Missstände zu verlangen. Aber für die Mächtigen ist es nur zu leicht, diese Stimmen ohnmächtigen Protests zu ignorieren. Hier ist es die ureigenste Aufgabe der Militanten, über die durch den offiziellen politischen Prozess gesetzten Grenzen hinauszuweisen. Wenn eine Unterschriftensammlung ignoriert wird, warum dann nicht auf einer Autobahn oder Brücke den Verkehr blockieren? Wenn die Beteiligung an einer Wahl keine Folgen hat oder ein Brief an öffentliche Amtsträger*innen sich als unwirksam erweist, warum nicht zu einem Aufruhr oder einem Generalstreik übergehen? Wie wäre es, einen Betrieb zum Stillstand zu bringen oder Widerstand gegen Polizei oder Gerichte zu leisten? Das könnte die Art von nachdrücklichem und renitentem zivilem Engagement sein, die die Mächtigen nicht ignorieren können. Tatsächlich sind Renitenz und konfrontatives Handeln vonseiten marginalisierter Gruppen oft sogar innerhalb sozialer Bewegungen nötig, um sicherzustellen, dass ihre Kämpfe tatsächlich inklusiv geführt werden und um dafür zu sorgen, dass die Stimmen aller Teilnehmer*innen Gehör finden und ihre Autonomie respektiert wird. …
Weil vernunftgeleitete Diskussion gegen die Unvernunft der Macht oft wenig ausrichten kann, greift die Militanz ein und drängt Macht und Geld zugunsten der Demokratie zurück.

Kriterien für die Qualität von Militanz
Der Autor D'Arcy hat vierAspekte beschrieben, die an die Qualität von Militanz zu stellen sind.

Aus Stephan D’Arcy (2019), „Sprachen der Ermächtigung“ (S. 94ff)
Das Prinzip der maximierten Möglichkeiten: Militanz sollte neue Möglichkeiten schaffen, gravierende und drängende Missstände zu beseitigen, wenn Versuche, dies durch vernunftgeleitete öffentliche Diskussion zu tun, von unnachgiebigen Eliten oder unzugänglichen Institutionenvereitelt werden.

Das Prinzip der Handlungsmacht: Militanz sollte die am unmittelbarsten betroffenen Menschen ermutigen, beim Prozess der Beseitigung der entsprechenden Missstände die Führung zu übernehmen.

Das Autonomieprinzip: Militanz sollte die Fähigkeit der Menschen, sich durch inklusive, vernunftgeleitete öffentliche Diskussion selbst zu regieren, erhöhen.

Das Rechenschaftsprinzip: Militanz sollte sich auf Handlungen beschränken, die öffentlich, plausibel und aufrichtig als förderlich für demokratische Werte wie allgemeiner Anstand und Gemeinwohlverteidigt werden können.


  • Junge-Welt-Interview am 22.7.2020 mit Jean-Marc Rouillan (67), Militanter der bewaffneten Gruppe »Action Directe« (AD) in Frankreich, die von 1979 bis 1987 existierte. Sie kooperierte unter anderem mit der »Roten Armee Fraktion« (RAF) beim Aufbau einer »westeuropäischen antiimperialistischen Guerillafront«. Für die Aktivitäten und Attentate der AD saß Rouillan 24 Jahre im Gefängnis, wurde 2011 entlassen. Er ist Autor mehrerer Bücher.

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