Projektwerkstatt Saasen

AUTONOMIE UND KOOPERATION: WO EIGENNUTZ UND GEMEINNUTZ SICH GEGENSEITIG FÖRDERN!

Voraussetzungen für „Autonomie und Kooperation“


1. Eigennutz und Gemeinnutz
2. Autonomie und Kooperation
3. Beziehungskisten: Auf die Art der Kooperation kommt es an
4. Voraussetzungen für „Autonomie und Kooperation“
5. Der Weg zu Autonomie und Kooperation
6. Links und Lesestoff

Autonomie und Kooperation entstehen aus einer doppelten Strategien der Veränderung. Zum einen müssen die Idee diskutiert und konkrete Räume für Kooperation, gleichberechtigten Zugang zu Wissen und materiellen Ressourcen, Aufnahme von Kooperation und Führen von Streit geschaffen werden. Gleichzeitig aber brauchen Autonomie und Kooperation den Abbau, bestenfalls die Abwesenheit von Herrschaft. Denn Herrschaft ist ein sich selbst stabilisierendes Merkmal von Gesellschaft, d.h. es ist selbst der Grund für seine Anwendung und seine Ausdehnung. Herrschaft schafft Bedingungen, innerhalb derer die Anwendung von Herrschaft für den handelnden Menschen Vorteile bringt. Reichtum, Wissen usw. sind auf dem herrschaftsdurchzogenen Markt oder durch Absicherung über Institutionen zu erwerben und nutzbar zu machen. Wer seine Privilegien nicht absichert, verliert. Um diesen Teufelskreis der Selbstreproduktion von Herrschaft zu durchbrechen, bedarf es eines offensiven Umgangs mit Herrschaftsverhältnissen. Sie nicht zu beachten, wäre zu wenig, denn Herrschaft ist nicht nur dort, wo Polizeiknüppel, Klassenbuch, ArbeitsgeberInnen oder Benotungen sie durchsetzen, sondern reorganisiert sich über Normen, codierter Wahrnehmung und rollenartigen Verhaltensweisen, die nach ihrer Implementierung keines dauernden direkten Zwanges mehr bedürfen. Sie wirken fort in jedem Subraum der Gesellschaft, wenn sie nicht aktiv überwunden werden (siehe Text zu Herrschaftsformen)

Überwindung von Herrschaftsverhältnissen
Wer Herrschaftsfreiheit anstrebt, muss alle Formen von Herrschaft zu überwinden versuchen. Das ist eine gedankliche und eine praktische Auseinandersetzung, die sehr tiefgreifend in das konkrete Handeln als Einzelner und als Gruppe wirkt. Wenn Kooperationen frei und nicht erzwungen sein sollen, müssen sie in einem Rahmen stattfinden, der nicht auf bestehenden Herrschaftsverhältnissen aufbaut, sondern sie möglichst ganz, zumindest aber für die konkrete Kooperation auflöst.

Gleiche Möglichkeiten für alle – offene Zugänge sichern
Das Herstellen gleicher Handlungsmöglichkeiten ist selbst eine praktische Form des Herrschaftsabbaus, gleichzeitig aber ein weiterführender emanzipatorischer Akt, weil dadurch, dass Menschen gleiche Handlungsmöglichkeiten haben, nicht Gleichheit, sondern Ausdifferenzierung nach Lust und Bedürfnissen entsteht, aus der heraus der weiter vorwärtsbringende Prozess selbst wiederum gefördert wird. Die Idee gleicher Möglichkeiten unterscheidet sich daher von Gleichheit und von Gleichberechtigung. Gleichheit als Begriff hat mit Emanzipation wenig zu tun. Wer Menschen gleich machen will, muss sie einem Maßstab unterwerfen, der definiert, auf welchem Level die Gleichheit entstehen soll. Das geschieht herrschaftsförmig und wäre daher bereits Normierung. Zudem lässt jeder Blick auf das Leben der Menschen den Eindruck aufkommen, dass die Menschen in einem herrschaftsfreien Raum alles andere als gleich wären und dass darauf auch die ungeheure Vielfalt, Produktivität und der gesellschaftliche Reichtum basiert. Gleichheit würde daher immer Freiheit, Lebensqualität und Reichtum in der Gesamtmenge einschränken, auch wenn für einzelne Menschen Teile zunehmen könnten. Bedürfnisse sind nicht gleich, gleiche Anforderungen an Menschen können für diese sehr unterschiedliche Härten bedeuten.

Gleichberechtigung nähert sich einem emanzipatorischen Ziel an, neigt aber schon vom Begriff her zu formalisierten Rahmensetzungen statt zu tatsächlichen. Das ist gut sichtbar bei der Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Gesetze durchziehen die Gesellschaft, die diese sichern sollen. Praktisch wird das oft nicht erreicht oder es werden neue Normen geschaffen, um bestehende Normierungen gleich zu behandeln statt aufzuheben – z.B. die (annähernde) Gleichstellung von homo- und heterosexuell orientierten Paaren unter Durchsetzung formalisierter Dominanz von Zweierbeziehungen und der Diskriminierung aller Anderen. Gleichberechtigung organisiert eine Praxis nicht aus den Wünschen und Bedürfnissen der Einzelnen, sondern hinsichtlich des Ziels der Normierung bedarf erneuerter institutioneller, meist auch diskursiver Durchsetzung wie die vorhergehenden Regelungen.

Das Konzept gleicher Möglichkeiten setzt andersherum an. Idee ist hier, alle gesellschaftlichen Ressourcen frei zu geben. Damit werden sie nicht institutionell „beschlagnahmt“, um sie z.B. gleichberechtigt zu verteilen. Sondern sie werden jeglicher „Beschlagnahme“ durch Einzelne, Gruppen oder einer Vertretung der ganzen Gesellschaft entzogen. Das allein reicht allerdings nicht, um bereits den gleichen Zugang herzustellen. Je nach Fähigkeiten von Menschen können diese nicht an alles Wissen, alle Produkte usw. herankommen. Daher muss in das Konzept gleicher Möglichkeiten auch der tatsächliche Zugang integriert werden, was eines aktiven Prozesses bedarf. Gesamtgesellschaftlich ist das mit etlichen Schwierigkeiten verbunden, im organisierten Raum können Gruppen, Organisationen, Netzwerke oder andere Kooperationen diese aber als eigenes Ziel setzen und entsprechend verwirklichen. Praktisch wird das bedeuten, dass neben der Schrankenlosigkeit des Zugang zu allen Möglichkeiten viele Orte und Wege aufgebaut werden, in denen dieser auch aktiv gefördert wird, also z.B. Wissen angeboten oder Infrastruktur bereitgestellt wird.

Der Verlust im Kleinen und der Gewinn im Großen
Eigentum schafft gefühlte Sicherheit. Menschen häufeln eigenes Geld an, verteidigen Land und Wohnung gegen andere, horten große Mengen technischer Geräte für den ausschließlichen Eigengebrauch oder stellen sich ein Fahrzeug vors Haus, dass mehr steht als fährt. "Meine" Bohrmaschine liegt lieber 364 Tage im Regal als dass ich sie mit anderen teile. Wer sich an dieses Credo nicht hält, macht oft schlechte Erfahrungen: Die Bohrmaschine verschwindet, ist schneller kaputt oder dreckig. Christoph Spehr behauptet, zudem seien wir "äußerst empfindlich, wenn wir den Eindruck gewinnen, dass sich die konkrete Kooperation für den anderen deutlich mehr lohnt als für uns selbst." Auch er will vergleichen, messen, bewerten. Das gilt jedoch nur, wenn die Lebenswelten der Kooperierenden getrennt bleiben. Welchen Sinn aber macht die Überlegung von Spehr, wenn das, was ich tue, nicht mehr zur abgeschotteten Welt einer anderen Person gehört (so wie ich meine Welt abschotte), sondern ein gemeinsamer Reichtum entsteht. Schauen wir das Beispiel offener Software an: Was ich dort als Beitrag leiste - und sei es ganz direkt als Hilfe für eine konkrete andere Person -, steht als Fortschritt für alle, unter anderem also auch für mich selbst zur Verfügung. Das ganze Rechnen und Vergleichen verliert seinen Sinn.
Doch das Problem steckt noch tiefer. Viele glauben, dass Menschen nur mit den Sachen gut umgehen, die ihnen gehören. Solches Denken ist einer der Stützpfeiler von Kapitalismus und Rechtsstaat. Doch stimmt das mit der Wirklichkeit überein? Bleibt die Bohrmaschine im eigenen Regal nicht vor allem deshalb länger heil, weil sie selten oder gar nicht benutzt wird? Warum leihen wir sie Verwandten und guten Bekannten dann doch aus, obwohl die keine besseren Menschen sind? Ist die Angst vor dem Fremden nicht einer der großen Irrtümer dieser Welt - und nicht nur bei der Bohrmaschine, sondern auch bei viel zentraleren Lebensfragen wie der Gewalt zwischen Menschen, Übergriffen und mehr? Die Abschottung des Eigenen gegenüber dem Anderen, dem unbekannten Draußen schafft die Atmosphäre in Familien, Vereinen, Kirchen, Arztpraxen, Polizeistationen, Gefängnissen usw., die diese Orte zu den größten Gefahrenquellen für Übergriffe machen.

Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin (S. 32)
Zwischen Menschen, die sich als gleich betrachten, sind wir äußerst empfindlich gegenüber dem Ansinnen, die eigene Zeit, Kraft, Leistung, Person sei fühlbar weniger wert als die des anderen. Und wir sind äußerst empfindlich, wenn wir den Eindruck gewinnen, dass sich die konkrete Kooperation für den anderen deutlich mehr lohnt als für uns selbst. Wir erwarten aber nicht (jedenfalls nicht bewusst), dass sie sich für uns deutlich mehr lohnen muss als für den anderen. Unter Gleichen definieren wir "es lohnt sich" als: "Diese Kooperation ist besser für mich, als wenn ich sie nicht hätte." Wir definieren "es lohnt sich" nicht als: "Diese Kooperation lohnt sich, weil ich dir weniger gebe als du mir."


Keine Metastruktur im Hintergrund
Es darf keine Option mehr bestehen, doch wieder herrschaftsförmig zu handeln. Nur dann erscheint gleichberechtigte Kooperation als sinnvolle Ebene gesellschaftlicher Interaktion. Solange noch eine noch so versteckte Chance auf das Erzwingen bestimmter Verhaltensweisen besteht, wird der Kontakt zwischen Menschen belastet. Die totale Abwesenheit von Macht- und Kontrollmöglichkeiten hingegen ebnet den Weg zu gleichberechtigter Kooperation. Wann immer dazu eine Alternative besteht – sei sie im Einsatz körperlicher Überlegenheit, im Rückgriff auf eine im Konfliktfall entscheidende Metastruktur (Regierung, Polizei, Rat, Plenum o.ä.), in der Drohung auf materiellen Entzug usw. -, wird der Kontakt zwischen Menschen und ihren Zusammenhängen nicht vom Denken daran zu befreien sein. Zur Kooperation besteht dann eine Alternative in Form herrschaftsförmiger Durchsetzung – die Angst davor oder die Hoffnung darauf werden den Verlauf der Kommunikation prägen. Daher ist nur die vollständige Nicht-Möglichkeit von Kontrolle und Zwang als Grundlage für herrschaftsfreie Selbstorganisierung geeignet.

Dieses Denken scheint den meisten Menschen fremd. Auch solche politischen Gruppen oder AkteurInnen, die Herrschaft verringern und die Selbstbestimmung fördern wollen, werden von Ängsten um Fehlentwicklungen getrieben. Diese Ängste sind nicht aus der Luft gegriffen – es wird (!) auch in durch Autonomie und Kooperation geprägten Gruppen oder einer ganzen Gesellschaft zu gewaltförmigem Verhalten und Versuchen der Ausgrenzung von Menschen aus Kommunikation, Wissensflüssen oder materiellen Ressourcen kommen. Im unsinnigen Traum von der perfekten Welt neigen viele dazu, zwar eigentlich eine herrschaftsfreie Welt zu wollen, aber für den Notfall der Fehlentwicklung dann doch eine Lösung „von oben“ zu ermöglichen.

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