Projektwerkstatt Saasen

DAS PLÄDOYER DES ANGEKLAGTEN IN DER ERSTEN INSTANZ AM 6. PROZESSTAG (20.11.2006)

Strafe und Knast


1. Strafe und Knast
2. Das Jahr 2003
3. Showdown des 3.12.2003: Vor, während und nach der Tatnacht
4. 4.12.2003: Der Tag danach
5. Der 9.12.2003
6. Gigantischer Ermittlungsaufwand
7. Die Anklage
8. Die Verhandlung
9. Wendels Wille zur Verurteilung
10. Weitere offene Fragen
11. Letztes Wort

Im folgenden sind die Stichpunkte des Plädoyers benannt. Das Plädoyer wurde frei vorgetragen.

Hinweis auf das Gefängnis auf der anderen Straßenseite und die Brutalität von Strafe, die hier in den Gerichtssälen erzeugt wird. Der Knast ist quasi der Friedhof des sozialen Mordens, dessen Henkersstätte der Gerichtssaal ist. Soziales Morden bedeutet die Zerstörung des sozialen Daseins von Menschen, u.a. seines sozialen Umfelds, der Möglichkeit zur vielfältigen Kommunikation, des Rückzugs, der selbstbestimmten Wahl zwischen Phasen von Austausch und von Ruhe.

Was soll Strafe?
Strafe ist die Ahndung der Verletzung der Rechtsordnung. Das Opfer einer Straftat bleibt Opfer, ihm soll Strafe nicht helfen. Ganz im Gegenteil: Wer Opfer einer Gewalttat wird, ist als Zeuge oder Zeugin vor Gericht ein zweites Mal in der unterdrückten Rolle. Genugtuung will sich der Staat verschaffen, der bestraft, weil er nicht klarkommt, dass jemand seine Regeln nicht befolgt hat. Das kalte Wesen Staat ist Nutznießer der Justiz - kein Mensch hat was davon.

Zitat zum Zweck von Strafe:
In der Strafe soll die Verbindlichkeit der für ein friedliches Zusammenleben der Gemeinschaft unabdingbaren Grundwerte für alle sinnfällig werden. Sie soll neben anderen Zwecken zumal verletztes Recht durch die schuldangemessene Abgeltung von tatbestandlich umgrenzten, schuldhaft verursachten Unrecht wiederherstellen und damit die Geltung und Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung für alle bekunden und behaupten.
Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 64, 271)

Aber es gibt Leute, die in Strafe noch etwas Hässlicheres sehen und es so wollen. Zitat:
Strafe ist auch Ausdruck des Unwert-Urteils einer Gesellschaft.
Hessischer Justizminister Jürgen Banzer, in: FR, 18.3.2006 (S. 6)

Wohltuend deutlich zwei andere Zitate:
Das Gesetz ist das Eigentum einer unbedeutenden Klasse von Vornehmen und Gelehrten, die sich durch ihr eigenes Machtwerk die Herrschaft zuspricht.
Georg Büchner, Der Hessische Landbote

Würden die Gesetze Straftaten verhindern, wären die Gefängnisse leer.
Alte Weisheit


Strafe macht alles schlimmer
Studie des Bundesjustizministeriums: Je härter die Strafe, desto wahrscheinlich der Rückfall (2004). Dennoch: Die Strafen werden zur Zeit durchschnittlich immer härter. Und es werden härtere Gesetze, höhere Strafen, niedrigeres Eingangsalter für Haftstrafen, weniger Vollzugslockerungen usw. gefordert.

Aus Komitee für Grundrechte und Demokratie (1998), "Strafrechtliche Gewalt überwinden!"
Obwohl überzeugend nachgewiesen ist, daß staatliches Strafen nichts nützt und nur schadet, nimmt der Trend, strafrechtliche Gewalt zu verstärken, gegenwärtig wieder einmal zu. Dieser Entwicklung lehnen wir uns mit unseren Argumenten entgegen. Um der Opfer, auch um der Täter, um unser aller willen.

Da das den RichterInnen, den StaatsanwältInnen und zumindest der Führung von Gefängnissen und Polizei selbstverständlich bekannt ist, ist die Schlussfolgerung möglich: Das ganze Polizei- und Justizwesen will nicht Straftaten verhindern, sondern Menschen bestrafen, um Macht zu festigen. Zumindest hinsichtlich der Rolle in der Gesellschaft, die alle bei Polizei und Justiz arbeitenden Personen spielen, möchte ich meine tiefe Abneigung, ja mein Ekel vor ihrer Tätigkeit ausdrücken. Ich habe keine Ahnung, wie sie als Privatmenschen drauf sind - aber in ihrer beruflichen Funktion agieren sie zutiefst unmenschlich, antiemanzipatorisch, ja einfach abscheulich. Dass Sie in dieser widerlichen Eigenschaft auch noch die Frechheit besitzen, immer weiterzumachen und selbst die Kritik an Ihrer Tätigkeit mit den gleichen Mitteln mundtot zu machen, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Fassungslos stehe ich vor der Widerlichkeit dieser Maschinerie, deren Ziel es ist, das Leben vieler, vieler Menschen zu zerstören - obwohl das niemandem was nützt, sondern nur dem kalten Ungeheuer Staat und seinen Regeln.

Aussicht?
Ich träume von einer Welt ohne Strafe, aber voller Kommunikation. Ich habe mich viel beschäftigt mit Utopien einer Welt ohne Herrschaft, ohne Kontrolle und ohne Strafe, habe an Veranstaltungen teilgenommen, diskutiert, gestritten, neue Ideen entwickelt, Bücher geschrieben - gerade im Frühjahr dieses Jahres erschien "Autonomie und Kooperation" mit dem Kapitel "Alternativen zur Strafe", das ich verfasst habe. Aber ich bin nicht der einzige, der sich wünscht, dass dieses Treiben endlich aufhört, dass Gerichte und Knäste zu bunten Häusern des Lebens umgestaltet werden können - und dass Sie, die Sie hier mit Ihren Roben und Ihrer kalten Sprache die Propheten und Exekutoren der Normierung des Lebens sind, endlich arbeitslos werden, um das Leben zu genießen, mit anderen Menschen auf gleicher Ebene zu reden, sich auszutauschen, zu streiten und Neues zu entwickeln statt - was ja auch eine Aufgabe der Justiz ist - das Alte krampfhaft und mit widerlichen Mitteln erhalten zu wollen.

Zitat:
"Mit der autoritären Gewalt wird die Justiz verschwinden. Das wird ein großer Gewinn sein - ein Gewinn von wahrhaft unberechenbarem Wert. Wenn man die Geschichte erforscht, nicht in den gereinigten Ausgaben, die für Volksschüler und Gymnasiasten veranstaltet sind, sondern in den echten Quellen aus der jeweiligen Zeit, dann wird man völlig von Ekel erfüllt, nicht wegen der Taten der Verbrecher, sondern wegen der Strafen, die die Guten auferlegt haben; und eine Gemeinschaft wird unendlich mehr durch das gewohnheitsmäßige Verhängen von Strafen verroht als durch das gelegentliche Vorkommen von Verbrechen. Daraus ergibt sich von selbst, daß je mehr Strafen verhängt werden, umso mehr Verbrechen hervorgerufen werden, ..."
(Oskar Wilde in "Der Sozialismus und die Seele des Menschen")

Im Knast ist die Selbstmordrate 10x höher als draußen. Im Knast gibt es viel mehr zwischenmenschliche Gewalt wie draußen - dabei soll ja das genau verhindert werden. Aber Autorität und Kontrolle fördern die Neigung zu Gewalt - daher ist Gefängnis prinzipiell verkehrt, weil er die Probleme verschärft und zum Teil erst schafft, die es zu verhindern vorgibt.

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