Projektwerkstatt Saasen

BOLO'BOLO (AUSZÜGE)

Der grosse Kater


1. Der grosse Kater
2. Die drei Grundbestandteile der Maschine
3. Drei Deals in Krise
4. Der A-Deal: enttäuscht vom Konsum
5. Der B-Deal: frustriert vom Sozialismus
6. Der C-Deal: genug von der Entwicklung des Elends
7. Der Bankrott der Realpolitik
8. Die Schattenwirklichkeit
9. Substruktion
10. Dysko
11. Triko ... und: bolo'bolo - Grundrisse für ein Projekt
12. Fahrplan
13. ibu
14. bolo
15. sila
16. taku
17. kana
18. nima
19. kodu
20. yalu
21. sibi
22. pali
23. sufu
24. gano
25. bete
26. nugo
27. pili
28. kene
29. tega
30. fudo
31. sumi
32. asa
33. buni
34. mafa
35. feno
36. sadi
37. fasi
38. yaka
39. Anmerkungen
40. Sechs Jahre bolo'bolo
41. Abfahrt

Es hatte vielversprechend angefangen. In der Altsteinzeit z.B. (etwa vor 50000 Jahren) gab es erst wenige von uns, waren Pflanzennahrung und Wild im Überfluss vorhanden und erforderte das Überleben nur wenig Zeit und mässige Anstrengungen. Um genügend Wurzeln, Beeren, Nüsse, Früchte oder Pilze zu sammeln und um ein paar Kaninchen, Rehe, Kängurus, Fische, Vögel oder Eidechsen zu erjagen (oder noch bequemer: mit Fallen zu erwischen) brauchten wir bloss zwei bis drei Stunden pro Tag. In unseren gemütlichen Lagern, in Laubhütten oder Höhlen, verzehrten wir das Fleisch und die gesammelten Pflanzen gemeinsam und verbrachten wir den Rest der Zeit mit herumdösen, träumen, baden, tanzen, schmusen und Geschichten erzählen. Einige begannen Felswände zu bemalen, andere schnitzten an Knochen oder Holzstücken herum, oder sie erfanden neue Fallen und Lieder. Unbeschwert zogen wir in Horden von etwa 25 Leuten in der Gegend herum, ohne viel Gepäck und ohne Eigentum, ohne Familienbindungen und Chefs, ohne Angst und Religion. Von 2 Millionen Jahren haben wir nur etwa 10000 Jahre nicht so gelebt. 99,5% unserer Geschichte sprechen für sich. Die jüngere Altsteinzeit war unser bisher bester Deal - so behauptet es wenigstens die neuere Forschung. Eine lange und glückliche Zeit - verglichen mit den 200 Jahren dieses industriellen Alptraums.

Viele Geschichten wären von dort an denkbar gewesen. Eine davon ist die unsere - eine Art dummer Ausrutscher, mitgigantischenFolgen. Jemandmuss mit Samen und Pflanzen herumgespielt und so allmählich die Landwirtschaft entdeckt haben. Es schien eine gute Idee zu sein: statt den essbaren Pflanzen nachzulaufen, konnte man sie nun in der Nähe des Lagers wachsen lassen. Aber wir mussten nun mindestens einige Monate am gleichen Ort bleiben, genügend Saatgut zurückbehalten, die Arbeit einteilen, vorausplanen und unmittelbare Bedürfnisse unterdrücken. Statt mit der Natur lebten wir nun von ihr und sahen wir sie immer mehr als unberechenbaren Partner und manchmal als gemeinen Spielverderber. Wir hatten die Produktivität entdeckt: dass es einen Zusammenhang zwischen unserer Arbeit und dem Umfang der Ernte gab. Disziplin wurde wichtiger als Jagdglück. Und das Ganze nahm dann einen sehr unglücklichen Verlauf: die Frauen, die bisher hauptsächlich gesammelt hatten, wurden für die Feldarbeit zuständig. Dann kamen die Männer mit Zugtieren und Pflug. Die Frauen verloren ihre Gleichberechtigung und wurden immer mehr unterdrückt. Zum Trost erhielten sie den Kult der Grossen Göttin. Viehzüchter unterjochten die Ackerbauer, es entstanden Staat, Kriegerkasten - der allgemeine Weltkrieg, der bis heute dauert. Es ist schwierig zu rekonstruieren, was damals genau falsch gelaufen ist, doch dass wir da etwas ganz Dummes ausprobieren, ist nun klar geworden . Statt eines vielfältigen Mit- und Durcheinanders haben wir eine Unterdrückungspyramide aufgebaut: Könige-Männer-Frauen-Kinder-Tiere-Pflanzen. Diese Geschichte war sicher nicht "notwendig", aber die Weichen wurden doch schon sehr früh gestellt.

Mit dem Aufkommen der alten Zivilisationen in Mesopotamien, Indien, China und Ägypten war die Staatsgewalt, die Kontrolle des Zentrums über die Gesellschaft, schon zum Selbstzweck geworden. Von nun an ging es um die "Macht", also den Einfluss auf dieses Zentrum. Und damit begann die Geschichte, diese "ewige Flucht nach vorn", auch Fortschritt genannt. Wie schlecht es uns ging, zeigt schon die Tatsache, dass nun Utopien und Träume von goldenen Zeitaltern, vom Paradies, von Arkadien, Atlantis usw. als Rechtfertigungs- oder Trostideologien gebraucht wurden. Die Männer im Zentrum sagten uns, dass nur straffe Organisation und verbesserte Produktionsmittel wieder zum Glück führen konnten. Wir begannen für die Illusion des Fortschritts zu arbeiten. Jene, die die Täuschung durchschauten und einen abgekürzten Weg zum Paradies gehen wollten, wurden als Rebellen, Verräter, Ketzer oder Barbaren verfolgt, deportiert, verstümmelt oder massakriert. Unsere Sippen und Stämme wurden ausgelöscht, wir wurden Fremdlinge auf unserer Erde und standen den hierarchischen Zwangsorganisationen wehrlos gegenüber. Statt zwei Stunden arbeiteten wir nun zehn und mehr auf den Bauplätzen und Feldern der Pharaonen und Cäsaren, starben wir in ihren Kriegen und wurden wir nach Belieben herumgeschoben. Wir wurden zum Staats- und Arbeitsvieh.

Mit der Industrialisierung wurde es nicht besser. Nachdem die Bauern frech geworden waren und die Handwerker in den Städten zu unabhängig, setzten die Herren des Zentrums zu einem neuen Sprung an. Das neue Organisations- und Zwangsmittel hiess nun Fabrik. Sie sammelten uns auf den Strassen ein und sperrten uns in diese schmutzigen, lärmigen Schuppen, wo uns Maschinen einen neuen Arbeitstakt diktierten. Die Unterdrückung wurde automatisiert und vervielfacht. Die Maschine ist Produktions- und Strafmittel in einem: wer sich ihr nicht fügt, wird mit einem "Unfall" bestraft. Fortschritt bedeutete wieder nur mehr Arbeit und noch mörderischere Lebensbedingungen. Die ganze Gesellschaft und der ganze Planet wurden zu einer grossen Arbeits-Maschine. Und diese Arbeitsmaschine war gleichzeitig eine Kriegs-Maschine, denn Frieden und Arbeit schliessen sich gegenseitig aus. Wie soll einer, den die Arbeit langsam zerstört, sich dagegen wehren können, dass die Maschine andere umbringt? Die eigene Unfreiheit ist immer eine Bedrohung der Freiheit der andern. Die Industrie ist immer eine Rüstungsindustrie - auch im "Frieden". Entweder führt sie den Kleinkrieg namens "Alltag" oder den Grosskrieg namens "Krieg". Das eine geht nicht ohne das andere.

Auch diesmal begleiteten Illusionen und Utopien die neue Verschärfung unserer Sklaverei. Die "Zukunft" musste ja besser werden, wenn die Gegenwart so elend war. Sozialistische Reformer versuchten den Arbeitern einzureden, dass die moderne Industriegesellschaft auf lange Sicht mehr Freizeit und Wohlstand, mehr Freiheit und Genüsse bringen würde. Marx meinte, wir würden dann endlich wieder in Ruhe jagen, fischen und dichten können. (Wozu der grosse Umweg?) Dann verlangten sozialistische und kommunistische Politiker aller Schattierungen, von Lenin bis Trotzki, von Castro bis Pol Pot, von uns mehr Opfer und Disziplin, um die neue Gesellschaft aufzubauen. Doch der Sozialismus war nur ein neuer Trick der Arbeits-Maschine, die sich so auch dort durchsetzen konnte, wo es an privatem Kapital fehlte. Die Herren des Zentrums hatten sich nur anders verkleidet. Der Arbeits-Maschine ist es egal, ob sie nun von transnationalen Konzernen oder von Staatsbürokratien entwickelt und verwaltet wird. Ein Politbüro ist ihr genauso genehm wie ein Verwaltungsrat. Die industrielle Arbeits- und Kriegsmaschine hat unser Raumschiff und seine Zukunft gründlich ruiniert: die Möblierung (Dschungel, Wälder, Seen, Meere) ist zerschlissen, unsere Spielgenossen sind verschwunden oder fast ausgerottet (Wale, Schildkröten, Bären, Tiger), die Luft stinkt und macht uns krank, die Vorratskammern sind geplündert (fossile Brennstoffe, Metalle) und die atomare Selbstzerstörung ist vorbereitet. Wir bringen es trotz "Fortschritt" nicht einmal zustande, dass alle genug zu essen haben . Wir sind so nervös und reizbar geworden, dass wir für alle Arten von nationalistischen, rassistischen oder pseudoreligiösen Bewegungen, Pogrome und Kriege zu haben sind. Für viele von uns ist der Selbstmord oder ein Atomkrieg nicht mehr eine Bedrohung, sondern die willkommene Erlösung von Angst, Plackerei und Langeweile.

Einige Tausend Jahre Zivilisation und 200 Jahre Industriegesellschaft haben uns mit einem grossen Kater zurückgelassen. Die "Wirtschaft" ist zum Selbstzweck geworden und droht uns zu verschlingen. Das Hotel "Erde" terrorisiert seine Gäste. Doch wir sind Gäste und Wirte zugleich. Die Planetare Arbeits-Maschine (PAM)

Das Monster, das wir aufgezogen haben und das diesen Planeten beherrscht, heisst: Planetare ArbeitsMaschine (PAM). Wenn wir unser Raumschiff/ Hotel wieder in einen angenehmen Aufenthaltsort zurückverwandeln möchten, müssen wir uns also zuerst mit der PAM befassen. Wie schafft es die Maschine, uns unter Kontrolle zu halten? Wie kann sie blockiert und auseinander genommen werden? Wie können wir sie loswerden, ohne dass sie uns zugleich vernichtet?

Die Arbeits-Maschine ist heute zum vorneherein eine planetare Maschine: sie frisst in Afrika, verdaut in Asien und scheisst in Europa. Sie wird geplant und gesteuert durch ein Geflecht von multinationalen Firmen, Banken, Staatsorganen, Brennstoff- und Rohmaterial-Kreisläufen. Es kursieren viele Illusionen über die Bedeutung von Nationen, Blöcken, Erster, Zweiter und Dritter Welt, Nord und Süd. All das sind nur mehr oder weniger grosse Räder der gleichen Maschine und nationale Unabhängigkeit ist nur eine Fata Morgana, die uns darüber täuschen soll. (Spätestens die Politik des Internationalen Währungsfonds - IMF - sollte dem Letzten die Augen geöffnet haben.) Natürlich besteht die PAM aus verschiedenen Teilen, die sich gegenseitig abstossen, antreiben und bremsen. Die PAM lebt geradezu von der Energie, die aus ihren inneren Widersprüchen erzeugt wird: Arbeiter/Kapital, Privatkapital/Staatskapital (Kapitalismus/Sozialismus), Entwick lung/Unterentwicklung, Elend/Verschwendung, Krieg/Frieden, Mann/Frau usw. Die PAM ist kein "hartes", einheitliches Gebilde, sondern sie benützt Widersprüche, um sich umzuformen, auszudehnen und zu verfeinern. Sie gleicht eher einem biologischen Organismus als einem mechanischen Koloss. Im Unterschied zu faschistischen oder theokratischen Systemen oder zu Orwells "1984" braucht sie durchaus ein "gesundes" Mass von Widerstand, Unruhe, Provokation und Rebellion. (Nach dem Motto: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker!) Sie verdaut Gewerkschaften, Linksparteien, Protest-Bewegungen und demokratische Regimewechsel dort am besten, wo sie stark ist. Wenn die Demokratie ihr nicht mehr nützt, greift sie zur Diktatur. Wenn die Legitimation in Krise gerät, hat sie Gefängnisse, Folter und Deportation in Reserve. So wichtig diese Modalitäten für die jeweils Betroffenen auch sein mögen, sind sie doch nicht wesentlich für das Verständnis des Funktionierens der PAM.

Die PAM verkörpert das Wirtschaftsprinzip und sie kann nicht anders. Was aber ist Wirtschaft? Umwandlung menschlicher Energien in Arbeit und Verwandlung von Arbeit in messbare Produkte (Waren). Damit Menschen arbeitsfähig und daher für die Maschine nutzbar werden, müssen sie aus ihrer natürlichen Umgebung und ihren gesellschaftlichen Bindungen gelöst werden, die dadurch zerstört werden . Arbeit selbst bedeutet sodann, dass Du die Kontrolle über bestimmte Portionen Deiner Lebenszeit aufgibst, die in eine unpersönliche, zentral gelenkte Zirkulation eingehen. Du brauchst z.B. Deine Zeit dazu, irgendeinen Bestandteil zu bauen, der von irgendjemandem gekauft und zu einem Dir unbekannten Zweck verwendet wird. Der Kreislauf dieser anonymen Lebensfetzen wird geregelt gemäss der aufgewendeten Arbeitszeit, deren Mass eine Zahl, das Geld, ist. Die Austauschenden kennen sich nicht, haben keine Kontrolle über ihr gemeinsames Produkt, wissen nicht, wofür es eingesetzt ist und woher die Waren kommen, die sie selbst verbrauchen. So wird der Arbeiter von dem Gewehr erschossen, das er geholfen hat herzustellen. Oder er stirbt an dem Gift, das in seiner Fabrik erzeugt wird. Oder er beklagt sich über den Lärm jener Autobahn, für die er den Beton gemischt hat. Das ist der Mechanismus der Arbeits-Maschine: die Gesellschaft in isolierte Individuen aufspalten, sie einzeln mit Lohn oder Gewalt erpressen, und dann ihre Arbeitszeit gemäss dem eigenen Plan zusammensetzen. Wirtschaft bedeutet: immer bessere Kontrolle der Maschine über ihre Bestandteile, Vermehrung der Bestandteile und der erzeugten Arbeit. Die PAM wächst, weil Wachstum ihr Überleben sichert. Ein Wozu? braucht sie nicht. (Unser Widerstand genügt.)

Wir alle sind Bestandteile dieser Maschine, wir sind die Maschine. (Die techriischen Mittel der Maschine- Anlagen, Bauten, Motoren, Maschinen usw. - sind unsere geronnene Vergangenheit ) Wir stellen die Maschine gegenseitig für uns dar Ob wir nun über-, unter- oder gar nicht entwickelt sind, ob wir entlöhnt sind oder nicht, ob wir auf eigene Rechnung wirtschaften oder angestellt sind - wir funktionieren für die Maschine. Wo es keine Industrie gibt, werden Arbeiter zum Export in Industrie zonen hergestellt und "billig" verkauft. So produzierte Afrika Sklaven für Amerika, exportiert die Türkei Arbeiter nach Deutschland, Pakistan nach Kuweit, Ghana nach Nigeria, Marokko nach Frankreich. Die Menschen noch unberührter Gebiete werden als pittoreske Dekoration für das Touristen-Geschäft genutzt: so etwa die Indianer in gewissen Reservaten, die Balinesen, Polynesier, Bergbauern. Die PAM setzt sich über alle "Abkopplungs"-Versuche hinweg, holt alle "nationalen Wege" wieder ein. Und wer gerade glaubt, der Maschine entkommen zu sein, erfüllt eine Funktion als "Aussenseiter" (Clochard, Hippie, Yogi, Original usw.). Solange es die PAM gibt, sind wir alle in ihr drin. Sie hat inzwischen alle traditionellen Gesellschaften zerstört oder sie in der Defensive verkümmern lassen. Selbst weit hinten in einem "verlassenen" Gebirgstal bist Du nie sicher vor der Steuerbehörde, den Rekrutierungsorganen, der Polizei. Die Maschine kann mit ihren Fangarmen jeden Ort auf diesem Planeten innert weniger Stunden erreichen. Wir sind "besetzt". Nicht einmal in der entferntesten Ecke der Wüste Gobi kannst Du absolut sicher sein, unbeobachtet in aller Ruhe unter freiem Himmel scheissen zu können.

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