Projektwerkstatt Saasen

ZEITSCHRIFTEN DER 90ER-JAHRE-JUGENDUMWELTBEWEGUNG

Nanu?! Den Bock zum Gärtner machen?


1. Nanu?!, die Zeitung der Projektwerkstatt Weilburg
2. Nanu?! Nr. 2 und 3 in 1996: Übersicht über die Texte
3. Nanu?!, das erste Zeitungsprojekt der Projektwerkstatt Weilburg - der Nachruf
4. Nanu?! ICE-Limburg: zu schnell zu steil
5. Nanu?! In Hessen hat's sich ausgeGENt
6. Nanu?! Projektwerkstatt virtuell
7. Nanu?! Noch mehr Gedanken zu Weihnachten
8. Nanu?! Jochen ist der Beste
9. Nanu?! Den Bock zum Gärtner machen?
10. Nanu?! Workcamp eine gute Möglichkeit ...
11. Nanu?! Hi! Mein Name ist Anton ...
12. Nanu?! Wir sind zwei dänische Mädchen ...
13. Nanu?! Workcamp der IJGD in Ernsthausen
14. Nanu?! Carwalking - Der Mensch steht über dem Auto
15. Nanu?! Wer nicht ausbilden will, muss zahlen!
16. Nanu?! Naturschutz beginnt im Garten - oder bei einer Feldhecke
17. Nanu?! B49 ausbauen???
18. Nanu?! Bürgerinitiative Sicherheit für die B49
19. Nanu?! Hallo, wir sind Anna und Annika, ...
20. Nanu?! Werdet aktiv! - Ein Leitfaden für "Naturschützer"
21. Nanu?! Naturkostladen in Weilburg
22. Nanu?! Hessentag auf dem Weg zur Besserung?
23. Nanu?! Jugendförderung in Hessen
24. Nanu?! 90/Die Grünen fordern Jugendparlamente
25. Nanu?! Bund der Steuerzahler informiert
26. Nanu?! Tschernobyl ist überall!
27. Nanu?! Kommentar zum Tag X
28. Aus dem Projektor: Das osthessische Regionalmagazin
29. Aus dem Projektor: Weltanschauung
30. Aus dem Projektor: Osthessen regional
31. Aus dem Projektor: Arbeitsmarkt
32. Aus dem Projektor: Umwelt
33. Aus dem Projektor: Jugend
34. Aus dem Projektor: Überregional

Gastbeitrag von Jörg Bergstedt, Ökologe und Publizist:

"Erst machen sie alles kaputt, dann spielen sie sich als Retter auf" - so könnte mensch das Verhalten der meisten Menschen, die in diesem Lande den Naturschutz auf ihre Fahnen schreiben, charakterisieren. Schon die Zerstörung der Natur gleicht einem strategischen Feldzug, nur sind diesmal nicht (bzw. nicht nur) Menschen die Gegner, sondern die Natur, ihre Regelkreisläufe und vor allem das undurchschaubare Landschaftsgefüge, das mit Katastrophen auf den Krieg gegen sie reagiert. Es tut das nicht als Bösartigkeit, sondern als logische Konsequenz der Wirkungsketten, die der Mensch nicht kennt, nicht sehen will oder einfach übergeht. Derselbe Mensch, der diese Zerstörungen auf dem Gewissen hat, greift nun zur zweiten strategischen Tat - die Rettung der Natur. Ob es Jäger, behördliche oder VereinsnaturschützerInnen, Garten- und Häuslebauer oder wer auch immer ist - sie alle gleicht eine Grundregel: Die Rettung bzw. Heilung der Natur muß durch denjenigen geschehen, der sie vorher zerstört hat. Die Natur selbst ist dafür selbstverständlich zu blöd. Also muß wieder der Mensch ran.

Wir basteln uns die Natur zurück!


Der Mensch, oberster Feind der Natur, arbeitet mit umfassenden Konzepten und viel Geld bzw. Arbeitskraft an der Heilung. Genauso, wie in der modernen Medizin nicht die Selbstheilungskräfte des durch Umweltgifte, Rauchen, Nahrungsgifte und vielem mehr geschundenen Körpers geweckt werden, sondern der kranke Mensch an hochtechnische Apparaturen angeschlossen bzw. mit k&uul;nstlichen Produkten vollgeschüttet wird, geht es der Natur. Nichts wird dem Zufall überlassen. Alles wird genau geplant (woran natürlich viele PlanerInnen und Möchte-gern-PlanerInnen Geld verdienen). Dann rücken Horden von BiotopgestalterInnen, PflegerInnen und BiotopmanagerInnen aus, um die Natur in das neue Korsett zu zwingen, das sich der schlaue Mensch für sie ausgedacht hat. "Der Bock wird zum Gärtner" heißt, daß der Mensch, Schinder der Natur, nun selbst meint, alles wieder richten zu müssen - nach seinen Vorstellungen. Und, noch schlimmer: Während er die Natur wieder "heilbasteln" will, macht er andernorts bzw. global (durch Gifte in Luft und Wasser) immer mehr kaputt ... um schließlich wieder als Retter und Wunderheiler mit neuen Gesetzen, Richtlinien und Biotopmanagementkonzepten aufzutreten. Warum das? Ganz einfach, weil daran viele Leute ihr Geld verdienen, wieder andere ihr Gewissen beruhigen und noch andere einfach ihre Langeweile totschlagen, d.h. die Freizeit in ihren Pflegeflächen verbringen wie andere kegeln gehen.

Beispiel: Bäche


Niemand wird bestreiten, daß es Menschen waren, die den Bächen jene grausame Gewalt angetan haben, die sie in die heutige Form gebracht hat: Verrohrt oder begradigt fristen sie ihr Dasein. Nun kommen die Menschen wieder daher und basteln ihre Heilungskonzepte - und nicht zuletzt tun das die Wasserwirtschaftsämter selbst, die um ihre Arbeitsplätze bangen, weil es nichts mehr zu begradigen gibt. Jetzt wird dem Bach eine neue Form gegeben: In schönen, natürlich regelmäßigen Kurven (man will ja was für's Auge haben - und für die einfache Nutzbarkeit der angrenzenden Flächen), oft mit einem Wanderweg dabei ... und ganz nebenbei auch noch tiefer als vorher, denn die anliegenden Landwirte wollen ihr Wasser bei der Gelegenheit auch noch schneller loswerden. Letzteres wird aber nicht so deutlich gesagt. Warum auch? In bunten Broschüren, Zeitungsartikeln usw. ist das geschwungene Bachbett für eine positive Berichterstattung gut genug. Der Planer verdient gut, die örtliche Baufirma auch und der Politiker sackt ein paar WählerInnenstimmen ein.

Beispiel: Jagd


Unablässig fordern die Jäger Abschußgenehmigungen, verweisen andere Menschen aus den Wäldern und Feldern (um selbst dann mit Jeep, Hund und Flinte in selbigen rumzubrettern) und glauben sich als Regelgrößen in den Ökosystemen. Dabei hat die Jagd ihren Anteil daran, daß alles aus den Fugen geraten ist: Fütterungen verändern die Populationsdynamik und -größe erheblich. Anpflanzungen ausgewählter, oft gezüchteter oder fremdländischer Schutzgehölze fördern nur einige Arten - auf Kosten der anderen. Abschuß und Störungen durch Jäger erzeugen ebenfalls willkürliche Regelgrößen ohne Rücksicht auf ökologische Prinzipien. Nachdem nun Jagd und (teilweise wesentlich schwerwiegender) andere menschliche Eingriffe die Natur zer- oder gestört haben, wollen die jagenden Menschen nun der Ersatz für die zerstörten Regelkreise sein. Und das heißt: Abknallen, was zuviel wird (weil Freßfeinde fehlen oder, meist der Hauptgrund, Biotopbedingungen verändert wurden). Füttern, was zu wenig ist. Natur wird zum Zoo, der Jäger zum Zoodirektor. Wichtig ist allein: Nur nicht die Natur machen lassen. Am Ende könnte sich noch herausstellen, da6szlig; Jagd Unsinn ist und sich die Natur viel besser selbst hilft ...

Fazit


Naturschutz muß sich mehr an der Natur selbst orientieren. Lösungen, die das Herumbasteln des Menschen zwingend vorsehen, sind Unsinn und führen zu unvorhersehbaren Nebenwirkungen. Für Hirne mit linearen Denkstrukturen (1 Rabenkrähe abknallen = 1 Rabenkrähe weniger) ist die Natur zu komplex. NaturschützerInnen sollten mehr Mut haben, der Natur zur Selbstheilung zu verhelfen. PlanerInnen, PolitikerInnen und NaturschützerInnen sind nötig, um der Natur den Platz dafür zu geben - ein Nebeneinander von Flächen, wo die Natur selbst wirkt, und solchen, wo der Mensch nutzt - naturverträglich, versteht sich. Eine dritte Kategorie, wo der Mensch in der Natur bastelt, braucht niemand ... außer vielleicht die BastlerInnen zur Selbstbefriedigung selbst!

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