Sand im Getriebe

8 TAGE U-HAFT IN STAMMHEIM

Den Prozeß machen ...


1. Kurzfassung
2. Ansichten und Innenansichten aus dem Knast
3. Verhaftet ...
4. Ab zur Bullizei ...
5. Allein ...
6. U-Haft ...
7. Stammheim ...
8. Zelle 49 ...
9. Knastleben ...
10. Knast als Heimat ...
11. Frauen ...
12. Ganz unten ...
13. Was geschieht draußen? ...
14. Den Prozeß machen ...
15. Und weiter ...
16. Vielen Dank ...
17. Spätere Nachträge
18. Reaktionen auf der Hoppetosse-Mailingliste
19. Weitere Reaktionen

Schon am Freitag gab es den ersten Versuch. Um 6.45 Uhr (es war wegen Pfingsten Wochenend-Weckzeit angesagt) wurde ich geweckt: „Sie haben Termin!“ So heißt das Kommando immer und fordert zum Anziehen und Bereithalten auf. Was für ein Termin das war, erfuhr ich nicht, aber um 7.30 Uhr sollte es losgehen. Ging es aber nicht. So saß ich und wartete. Zwei Stunden später war Hofgang. Auf dem Weg fragte ich die Beamtis und erfuhr, daß „der Termin“ gestrichen wurde. Ob es eine Verhandlung gewesen sei oder z.B. Haftprüfung, wußte dort aber auch niemand. Zurück in der Zelle erhielt ich um 13 Uhr die „Abladung“ vom Prozeß. Der wäre um 11.15 Uhr gewesen. Danach folgte Pfingsten, also vier Tage länger ...
Montag abend hatte ich schon alles sortiert – und das war schlau so, denn am Dienstag ging es früh los. Als um 6 Uhr das Frühstück reingereicht wurde, wurde ich aufgefordert, um 7 Uhr startklar zu sein. Ich durfte nochmal duschen und zog dann meine eigenen Klamotten wieder an – ansonsten war ich in Anstaltskleidung rumgelaufen. Es folgte eine Durchsuchung beim Verlassen des Knastes, per Gefangenentransporter gings durch Stuttgart zu den verschiedenen Gerichten, wo überall Einzelne ausstiegen – immer in Handschellen. Das letzte Mal lernte ich so wieder neue Knackis und ihre Geschichten kennen. Am Amtsgericht stieg auch ich aus. Es war 8 Uhr. Wir wurden in den Keller in Zellen gebracht, dort durften wir ohne Handschellen warten. Ich fragte, warum ich da sein und erfuhr, daß 30min später meine Verhandlung beginnen würde. Nach 10min öffnete sich wieder die Tür und der Beamti brachte mit von Zelle 5 auf Zelle 3. Dort saß ein Rechtsanwalti: „Hallo, Deine Freunde haben mich gebeten, Dich zu verteidigen“ begrüßte er mich. Ich erfuhr, wer ihn angesprochen hatte. Dann fragte er mich: „Deine Freunde wollen kreative Prozeßbegleitung machen und ich soll Dich fragen, ob Du das o.k. findest“. Natürlich fand ich das und wußte jetzt, daß von außen agiert wurde. Und das es wieder ein kreativer Prozeß werden würde. Ich ging in den verbliebenen Minuten mit dem Rechtsanwalti den Prozeß durch, wir einigten uns auf eine ungefähre Strategie und gingen dann hoch – ich wieder in Handschellen. Für den Prozeß sei erhöhte Sicherheitsstufe verhängt, berichtete der Anwalti, d.h. alles war mit Polizistis abgesichert und alle Besuchis mußten sich untersuchen lassen. Der Rechtsanwalti schätzte, daß es deshalb schwierig würde, Aktionen zu machen, aber ich war mir sicher, daß Kreativität auch heute über Herrschaft siegen würde – jedenfalls an diesem Punkt. Zwei Stockwerke über der Kellerzelle war der Gerichtssaal. Ich ging hinein und sah viele bekannte Gesichter. Puhhh, dachte ich mir. Wie schön.
Den Gerichtsprozess selbst fand ich vom Verlauf her überraschend. Dass ca. 20 Leute gekommen waren, fand ich super. Dass nur fünf Aktionen gemacht haben und der Rest trotz der laufenden Aktionsversuche konstant geschwiegen hat, fand ich dann aber erschreckend. Die Aktionen der fünf (nicht alles klappte, weil die Bullen tatsächlich einige Aktionsmaterialien beschlagnahmten) machten die ersten 10 Minuten des Prozesse zu einem kreativen Feuerwerk. Eine Person setzte sich immer um, während andere laut fragten: „Hast Du keinen festen Wohnsitz?“, worauf sich Debatten entspannen. Der Bezug war klar, das Gericht hatte mich auch deshalb schikaniert, weil ich keine Meldeadresse hatte. „Ohne festen Wohnsitz“ fanden sie als Eintrag in meinem Personalausweis. Als der Staatsanwalt seine Anklage verlesen wollte, zeigten sich doch drei Transparente jeweils mit gerufener Parole. „Wir klagen an“, dann „die Atomindustrie“ und „alle Herrschaft“ sind mir als ungefähre Erinnerung geblieben. Dann flogen Luftschlangen und Seifenblasen. Sehr schön, ich freute mich und erinnere mich an den genialen Prozeß drei Wochen vorher in Marburg ...
Aber es ging nicht so weiter. Der Staatsanwalti beantragte gleich die Verhaftung der Störenden, die Richti ließ zwei Akteuris rausschmeißen. Die schweigende Mehrheit ließ das geschehen, obwohl so eine Räumung eines Gerichtssaals eigentlich kaum möglich ist, wenn mensch sich geschickt verhält. Die Passivität brach das Feuerwerk. Die Akteuris wurden zum Publikum. Die Anklage wurde verlesen, dann stellte ich einen Befangenheitsantrag, weil mir auffiel, daß es die gleiche Richti war, die mich in U-Haft schickte und meine Argumente damals als „Kasperletheater“ bezeichnete. Unterbrechung, wieder mit Handschellen in die Kellerzelle, dann (aus Sicherheitsgründen) über einen anderen Weg wieder zurück. Antrag abgelehnt, da zu spät gestellt. Ich lehnte Aussagen zur Sache ab, der Rechtsanwalti schlug vor, daß ich eine politische Erklärung abgeben dürfe, was erlaubt wurde (siehe gesonderter Redetext) Als ich meine "Rede" fertig hatte, enttäuschten mich die ZuhörerInnen sehr stark. Es lag eisiges Schweigen im Raum, kein Applaus, Reaktionen, Dialog u.ä. - hätte ich mir auch schenken können. Den Fünfen (von denen zu dem Zeitpunkt ja nur noch drei da sein durften) will ich das aber ausdrücklich nicht als Kritik entgegenhalten - einer sagte mir hinterher auch klar, daß er zu dem Zeitpunkt schon am Ende war, ständig recht einsam agieren zu müssen, während der Rest den Prozeß eher konsumierte.
Den Hauptteil des Prozesses lief das Frage- und Antwortspiel mit den Zeugis. Alle ohne Ausnahme konnten der Rechtsanwalti und ich dahin bringen, sich über nichts mehr sicher zu sein – ob es nun um die Aufforderung, das Max-Kade-Hausdach zu verlassen, um das Versperren der Tür oder um andere Punkte ging. Übrig blieb der Hausfriedensbruch auf einer offen zugänglichen Fläche. Der Staatsanwalti forderte dennoch 60 Tagessätze – und 30 wurden es schließlich (Urteil). Unspektakulär ging der Prozeß zuende. Zusammen mit einigen anderen kaufte ich Tabak, Kaffee, Schokolade und Tee für ein Paket an die Erdgeschoß-Knackis und brachte das zum Knast. Ein letztes Mal mußte ich hinein, durch die vielen Schleusen und Gitter, um meine Sachen abzuholen. Eine Runde um den Knast herum ließ mich bestaunen, was ich nur von innen kannte. Bei der Runde dabei waren zwei Bekannte vom Colorradio Dresden, eine lange Reise für diesen Prozeß und die Aufnahmen hatte sie nicht abgeschreckt.

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