Sand im Getriebe

GENTECHNIK UND HERRSCHAFT: EINE KRITIK AUS EMANZIPATORISCHER PERSPEKTIVE

Kritik der Kritik


1. Einleitung
2. Agrogentechnik - eine kleine Einführung
3. Kritik der Kritik
4. Durch die Herrschaftsbrille: Emanzipatorische Kritikpunkte an der Agrogentechnik
5. Blick in eine bessere Zukunft?
6. Perspektiven I: Ziele entwickeln und benennen
7. Perspektiven II: Organisierung
8. Weiterführene und ergänzende Texte

Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, warum die Agrogentechnik sich trotz der klaren Ablehnung quer durch die Bevölkerung viele Jahre entwickeln konnte und auch heute noch in den Startlöchern steht: Die Schwäche der Kritik.


Die Fallstricke der üblichen Gentechnikkritik
Die Schwerpunktsetzung auf Risikofragen schuf etliche Probleme.
  • Die Debatte verlagerte sich auf intransparente Ebenen, die zumindest für Laien unerreichbar waren. Dazu trug eine wissenschaftliche Sprache und der ständige Bezug auf (tatsächliche oder erfundene) Studien bei. Die Umwelt-NGOs und Grünen versuchten, die Expertise-orientierten Pro-Argumente durch eine eigene Inflationierung von Aufträgen für Studien und Präsentation vieler Dr.-Titel zu kontern. Damit stützen sie aber die Herausnahme der politischen Debatte aus einer breiten Beteiligung. Gleichzeitig machten sie sich scheinbar unentbehrlich, weil den gentechnikkritischen Massen nur übrigblieb, ihre Position durch Spenden an die Expert_innen zu stärken.
  • Das Ergebnis der Risikodebatte ist immer die Feststellung, dass noch Forschungsbedarf besteht. Somit ist sie nichts anderes als der Ruf nach neuen Experimenten, Versuchsfeldern und Forschungsgeldern.
  • Wer eine Technik als riskant bezeichnet, fordert nicht deren Unterlassung, sondern eine Optimierung. Diese Optimierung ist wiederum nur über weitere Entwicklung und Forschung möglich. Somit ist die Risikodebatte eine Befürwortung der weiteren Entwicklung von gentechnisch veränderten Tieren und Pflanzen.

Ständig mit eigener Experise Risiken nachweisen zu wollen, war zudem überflüssig. Denn dass die Gentechnik unkontrollierbar, dazu nutzlos war und eine Auskreuzung nicht zu verhindern ist, wissen die Gentechnikanwender_innen nachweislich selbst. Mensch braucht nur bei ihnen nachzulesen. Ein Beispiel ist die oben schon zitierte Aussage des Gentechniklobbyisten Schrader, dass die Hoffnung auf mehr Pestizidverkauf die Gentechnik vorantreibt. Zur Auskreuzung stellte der Bundesverband Deutscher Pflanzezüchter (BDP) fest: "Ein Null-Prozent-Schwellenwert ist ebenso wie eine 100%ige Produktreinheit unerreichbar." Joachim Schiemann vom Julius-Kühn-Institut (JKI) meinte: "Eine gentechnikfreie Produktion mit Nulltoleranz ist nicht praktikabel." Der Ex-Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst-Ludwig Winnacker, geißelte sogar das Gerede von Koexistenz: "Absurd sind auch die Abstandsregelungen für Versuchsfelder etwa von MON810, denn der Maispollen fliegt kilometerweit." Und selbst die Monsanto-Europachefin Ursula Lüttmer-Ouazane räumte ein: "Die Vermischung muss minimiert werden. Ausschließen kann man so etwas nie. Schließlich befinden wir uns in freier Natur und nicht in einem klinisch sauberen Raum." Alle Genannten sind stramme Gentechnikbefürworter_innen. Ohnehin ... Monsanto: Die formulierten einen bemerkenswerten Text in einen Patentantrag für eine gentechnisch unveränderte Pflanze - als Begründung, warum auch Nicht-GVO patentiert werden sollten: "Die Möglichkeiten, eine Pflanze durch gentechnische Veränderungen zu verbessern, sind gering. Dies ist einer Reihe von Ursachen geschuldet. So lassen sich die Effekte eines spezifischen Gens auf das Wachstum der Pflanze, deren Entwicklung und Reaktionen auf die Umwelt nicht genau vorhersagen. Dazu kommt die geringe Erfolgsrate bei der gentechnischen Manipulation, der Mangel an präziser Kontrolle über das Gen, sobald es in das Genom eingebaut worden ist, und andere ungewollte Effekte, die mit dem Geschehen bei der Gentransformation und dem Verfahren der Zellkultur zusammenhängen." Noch Fragen? Um es deutlich zu wiederholen: Der Text stammt von Monsanto selbst! Worüber muss nach solchen Zitaten eigentlich noch gestritten werden?

Dass dennoch dieses Thema im Vordergrund stand und steht, liegt an einer absurden Win-Win-Situation. Über Risiken zu debattieren, half Gentechnikkritiker_innen und -befürworter_innen gleichermaßen. Denn wenn eine Debatte ergibt, dass etwas unklar und unsicher ist, entsteht daraus der Wunsch nach mehr Wissen. Das bedeutet neue Aufträge für GentechnikerInnen - denn sie sind es, die forschen. Gleichzeitig aber bedeutet es mehr Spenden für NGOs, ebenso Wahlstimmen für Grüne, ÖDP und andere. Schließlich traut die kritische Öffentlichkeit denen, die die Forschung beauftragen oder betreiben, aus guten Gründen nicht. Also sollen starke Gegenmächte alles begleiten und das Schlimmste verhindern - bei der Forschung, die sie selbst mit vorangetrieben haben …

Weitere problematische Argumentationsstränge gegen die Agrogentechnik sind der Bezug auf Konsum und Verbraucher_innen (end-of-the-pipe-Strategien, Reduzierung der Rolle von Menschen im Kapitalismus auf ihre Kaufkraft), der positive Bezug auf den inhaltsleeren Begriff Nachhaltigkeit und die Fixierung aller Kritik auf den US-amerikanischen Konzern Monsanto als Feindbild.


Aus "Studien zur Gefahr von Gentech-Soja sind gefälscht", in: SZ, 21.1.2016
Damit bleibt von den italienischen Studien nur die Erkenntnis, dass sich die Gegner Grüner Gentechnologie keinen Gefallen tun, wenn sie sich auf wissenschaftlich fragwürdige Arbeiten stützen. Es gibt ohnehin bessere Gründe, die genetische Manipulation von Nahrungspflanzen kritisch zu sehen. Der wichtigste ist, dass die Technik bislang nur der Industrie einen Dienst erwiesen hat.

Hinzu kam die Ausblendung von Machtfragen. Dabei böten diese wesentlich stabilere Argumente. Sie sind unter breiter Beteiligung diskutierbar, benötigen überwiegend kein Expert_innenwissen und können mit solchem auch nicht dominiert werden. Ein weiterer, ganz pragmatischer Vorteil dieser Argumente. Sie sie kaum widerlegbar. Die Gentechnikbefürworter_innen versuchen daher, ihnen auszuweichen. Sie wissen um diese Probleme der Gentechnik und probieren daher immer, die Debatte wieder auf die Risikofrage zu lenken. Dort fühlen sie sich zuhause und können nur gewinnen (siehe oben). Grüne, Umwelt-NGOs usw. haben ihnen in den vergangenen Jahren den Gefallen getan, auch aus Eigennutz. Die "besseren" Argumente im Überblick:
  • Abhängigkeit, Macht, Monopole
    Durch die Kontrolle des Saatgutes per Patente und Verhinderung des Nachbaus (Aussaat aus geernteten Samen oder Knollen) werden Bäuer_innen in ständiger Abhängigkeit gehalten. Das sichert die Macht auf dem Saatgutmarkt. Durch die Verbreitung gentechnisch veränderter, patentierter Sequenzen in viele Sorten und Linien könnten wenige Firmen sehr großen Einfluss auf das gesamte Saatgut haben.
  • Kein Nutzen, nur Profite
    Bis heute haben die Gentechnikbefürworter_innen keinen überzeugenden Nutzen für ihre Technik benennen können. Immer wieder lassen sie sich nach wenigen kritischen Nachfragen zum Nicht-Argument mit dem Hunger (siehe oben) verleiten. Das aber ist widerlegt, d.h. es ist kein stichhaltiger Grund ersichtlich, warum diese Technik her muss.
  • Steigerung des Gift- und Düngerabsatzes
    Aus immer mehr Ländern, in denen gentechnisch veränderte Pflanzen großflächig angebaut werden, sind Zahlen zu hören, dass der Spritzmitteleinsatz immer mehr steigt. Vielerorts überschreitet er die vorher eingesetzten Mengen. Das ist keine Panne, sondern gewollt, wie das bereits benannte Zitat von Chef-Lobbyist Uwe Schrader beweist. Und es ist keine Überraschung. Die großen Agrarkonzerne verdienen vor allem an den verkauften Chemikalien, nicht so sehr am Saatgut. Profitabel ist neues Saatgut, wenn es den Absatz an Pestiziden und Dünger vergrößert. Das bei Gentechnik mehr gespritzt wird, ist keine Panne, sondern war immer das Ziel.
  • Künstliche Verknappung: Hunger bringt Profit!
    Das Hungerargument ist wichtig. Allerdings gilt es genau umgekehrt. Die Kontrolle des Saatgutes soll zu einer Verknappung führen. Gerade Kleinbäuer_innen werden sich Saatgut nicht ständig kaufen können. Das ist gewollt, wird aber die Hungersnot eher verschärfen. Aus Profitsicht ist das ein wünschenswertes Elend.
  • Gentechnik als Waffe: Krieg und Bevölkerungskontrolle
    Meist ganz ausgeblendet werden Sondergebiete, in denen ebenfalls gentechnisch manipuliert wird. Hier sind die menschen- und umweltfeindlichen Wirkungen das angestrebte Ziel. Beispiele sind militärische Forschungen zur Vernichtung von Ernten oder biopolitische Überlegungen, bei Nahrungsmittel-Hilfslieferungen in zuvor ausgebeutete Gebiete Pflanzen zu wählen, deren Inhaltsstoffe die Fruchtbarkeit drosseln. Das setzt die seit Jahrhunderten Politik währende, rassistische Politik aus dem dichtbesiedelten Europa fort, die Menschen im deutlich dünner besiedelten Afrika an der Vermehrung zu hindern.

Wer derart die Gentechnik kritisiert, provoziert Gegenwehr. Doch die immer gleichen Abwehrmechanismen der Gentechniklobby-/profiteure zeigen nur, dass sie hier in die Enge getrieben werden. Sie titulieren die ihnen unangenehme Debatte als ideologisch und fordern mehr Sachlichkeit - am liebsten ihr Gewinnerthema Risikodebatte. „Fakten statt Ideologie“ hing als Spruchband über einer Tagung der Gentechnikbefürworter_innen 2009, auf der dann - wie absurd - asugerechnet Wolfgang Clement die Festrede hielt und den gemeinsamen Kampf gegen den Untergang Deutschlands beschwor. Standortchauvinismus ist aber nichts Anderes als reine Ideologie. Was zum Vorteil von Deutschland ist, hilft nicht automatisch auch irgendwelchen Menschen. Meist verschlimmert es die Lage - jedenfalls für die Meisten.
Die Durchsetzungsstärke der Kritik an Gentechnik als machtförmige Waffe ist ein Grund, sie stärker zu nutzen. Ein weiterer liegt noch auf der Hand: Sie fördert weder direkt noch indirekt neue Versuche und Forschungsgelder.

Aus all diesen Gründen sollte die bisher vordergründige Risikodebatte eher vermieden werden. Denn sie führt zu:.
  • Schwächung der Kritik
    In der Risikodebatte geht es um Risiken, also nur mögliche Nachteile. Aus ihr können Gentechnikbefürworter_innen unwidersprochen ableiten, dass zwischen Vorteilen und Risiken abzuwägen ist. Damit erobern sie bereits einen Pluspunkt in der Debatte erstritten. Denn es wirkt dann so, dass Gentechnik das Positive tatsächlich schafft, das Negative aber nur eventuell entsteht. Indem sie dann fordern, die Forschungen zwecks Risikominderung zu verstärken, machen sich die Böcke dann auch noch erfolgreich selbst zum Gärtner - mit freundlicher Unterstützung so mancher Gentechnikgegner_in.
  • Sich selbst zerlegender Kritik
    Wer Risiken in den Vordergrund stellt (bzw.: Gefahren), behauptet selbst, dass die Gentechnik unproblematisch sein kann - nämlich dann, wenn die Risiken erforscht und bewältigt wären. Das sei zwar nicht der Fall, lautet die Kritik, aber ungewollt stärkt es diejenigen, die genau deshalb die weitere Erforschung der Gentechnik einfordern. Außerdem fällt es der Gentechniklobby dann leichter, für Einzelfälle Behauptungen aufzustellen, in diesem und jenen konkreten Fall seien die Risiken bereits sehr gut erforscht und handhabbar. Die Gegenargumentation verbleibt notwendigerweise in der Schlacht mit Fachausdrücken, Untersuchungen usw. - eine Debatte, bei der viele Beobachter_innen schnell aussteigen und dazu neigen, der Personen mit dem höheren wissenschaftlichen Grad (Prof., Fachbehördenleiter ...) mehr Glauben zu schenken. Die Gentechniklobby nutzt die Schwäche aus und behauptet ebenfalls, dass die Gentechnik Vorteile bringen würde (also bereits realisierbarer Nutzen), ohne diesen allerdings genauer benennen zu können. Dem ständen lediglich Gefahren (also mögliche Schäden) gegenüber.
  • Problemwahrnehmung, die genau solche Lösungen einfordert, die Gentech-Macher_innen anbieten
    Wird Gentechnik als gefährlich eingestuft, ruft die Debatte über die Größe der Gefahren das Verlangen nach mehr Klarheit im Sinne von Risikoabschätzung hervor. Gefragt sind dann vermeintliche Wissenschaftlichkeit ("jetzt bleibt mal sachlich") und Menschen mit Anspruch auf fachliche Versiertheit. Das aber sind im Normalfall wieder genau die Macher_innen der Gentechnik, sie sich und ihre Methoden als Retter_innen inszenieren für Probleme, die ohne sie gar nicht bestehen würden.

Außerdem blendet sie wichtige Fragen aus. Denn auf dieser Weise entsteht "gentechnikfrei" als Qualitätssiegel. Doch giftig sind in der industriellen Landwirtschaft vor allem die Agrochemikalien. Gentechnikfreies Soja zerstört den Regenwald und führt zur Vertreibung von Menschen. Gentechnikfreie (Massen-)Tierhaltungen sind keine Perspektive. Die Beschränkung auf "gentechnikfrei" kann daher propagandistisch schnell für andere Zerstörungs- und Unterdrückungsformen genutzt werden - ein Beitrag zur Begrünung des Kapitalismus.


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