Sand im Getriebe

JANUAR 2003: PROJEKTWERKSTATT VON STAATSCHUFSKYS NIEDERGEMUTZELT* (RÜCKBLICK)

Reaktionen


1. Einleitung und Übersicht
3. Die Tage und Wochen nach dem Bullenüberfall am 10.1.03
4. Reaktionen
5. Überblick über Beschwerden und Anfragen sowie der (Nicht-)Reaktion der Behörden
6. Über ein Jahr später ...
7. Links zum Thema und den "unerwünschten" Aktivitäten

PRESSEERKLÄRUNG DES BUNDESVORSTANDS DER ROTEN HILFE E. V.
Repressionsangriff auf die Projektwerkstatt im hessischen Saasen und deren Aktivisten
Festnahme von zwei Projektwerkstatt-Aktivisten

Bei Protestaktionen gegen einen Auftritt Roland Kochs (CDU, hessischer Ministerpräsident) in Grünberg (Mittelhessen) sind am 09.01.2003 zwei Aktivisten der Projektwerkstatt Saasen festgenommen worden, noch bevor sie vor dem Eingang des Veranstaltungsortes (“Gallushalle”) “Flugblätter und Zeitungen mit Demokratiekritik und Gegenpositionen zum Law-and-Order-Populismus ... verteilen [konnten]” (aus dem Bericht der Projektwerkstatt zu den Vorfällen).

Im weiteren Verlauf ließen es sich die Beamten nicht nehmen, die Festgenommen auch physisch zu attackieren und auf der Grünberger Polizeiwache dazu zu zwingen, sich “vollständig aus[zu]ziehen” (ebd.). Beschlagnahmt wurden bei dieser polizeilichen Maßnahme, die wohl im Zusammenhang mit der Tatsache steht, dass in den Tagen zuvor mehrere “politisch motivierte Sachbeschädigungen” (u. a. Farbschmierereien an der Gallushalle, an der Polizeiwache in Grünberg und am CDU-Parteibüro in Gießen) zu verzeichnen waren, ein Transparent, Flugblätter und diverse Kleidungsstücke.

Zum Schluss landeten die Festgenommenen in “zwei Zellen im Gewahrsamstrakt der Polizei Gießen in der Ferniestraße 8” (ebd.). Dort wurden sie am nächsten Tag einer ED-Behandlung und einem Verhör unterzogen.

Gegen beide sei ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden, welches fünf verschiedene Unterpunkte zusammenfasst: Amtsanmaßung in Form eines Schreibens, das den Ausfall der Koch-Veranstaltung erklärte, Farbschmierereien an der Gallushalle in der Nacht zum Besuch des CDU-Ministers sowie verschiedene andere Sachbeschädigungen (Sprühereien an der Polizeiwache in Grünberg, Sprüche am CDU-Parteibüro in Gießen und das Überkleben von Wahlplakaten auf dem Gießener Anlagenring). Beide machten keine Aussagen zu Tatvorwürfen.” (...) Freitag gegen 16 Uhr wurden beide entlassen - von U-Haft oder einer Vorführung beim Haftrichter war nichts zu spüren.” (ebd.)

Am 11.01.2003 wird einer der beiden Festgenommenen erneut kurzzeitig in Gewahrsam genommen - während einer Innenstadtaktion gegen die Gefahrenabwehrverordnung.

Technische Zerschlagung der Projektwerkstatt Saasen
Am 10.01.2003 - also noch während der Ingewahrsamnahme zweier Aktivisten (s. o.) - überfallen StaatsschützerInnen und weitere PolizeibeamtInnen die Projektwerkstatt im hessischen Saasen.

Dabei werden sämtliche Computer (...) beschlagnahmt - samt Bildschirmen, Modems, Tastaturen, Stromkabeln! (...) Für die Aktion konnten die BeamtInnen weder Beschlag-nahmebefehl oder -Protokoll aushändigen - ersterer würde später nachgereicht.” (ebd.)

Dies bedeutet de facto die technische Liquidierung eines linken Projektes...

Staatliche Repression soll linken Widerstand verhindern
Hier zeigt sich erneut, dass der Staatsschutz ein Interesse daran hat, linken, auf unterschiedlichen Ebenen entfalteten Widerstand gegen “christlich”-demokratische, sozial ausgrenzende, sicherheitsfanatische Law and Order-Konzeptionen zu unterbinden, indem Zusammenhänge zwischen “strafrechtlich relevanten” und “verfassungsmäßig garantierten” Aktionen konstruiert und dann jene Menschen attackiert werden, die für die repressiven Staatsorgane diesen Protest repräsentieren.

Hier zeigt sich aber auch erneut, dass es in solch einem Fall der massenhaften alltäglichen Repression, der alle treffen kann, die sich auf politischer Ebene gegen das “harte Durchgreifen” der systemstützenden Parteien, Institutionen und Organe zur Wehr setzen, immer besser ist, mit den zuständigen Behörden nicht zusammenzuarbeiten, keine Aussagen zu machen und ihnen die Erstellung politischer Profile möglichst zu erschweren.

Göttingen, am 21.01.2003
E v a E r l e für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V.

Die Presseinfo auf der Rote-Hilfe-Seite und als .rtf ...

Neues Deutschland, 16.01.03
  • Widerständische Werkstatt
    Linksökologisches Projekt in Hessen immer wieder im Visier des Staatsschutzes
    Der Besuch der Staatsmacht war kurz, aber folgenreich. Nur knapp 45 Minuten dauerte am vergangenen Freitag die Razzia bei der Projektwerkstatt Sassen in der Nähe von Giessen. Die Polizisten hatten die technische Infrastruktur des Projekts weitgehend zerstört. Sämtliche Computeranlagen waren beschlagnahmt worden. "Dabei hatte die Polizei weder einen Durchsuchungsbefehl präsentiert noch eine Liste der beschlagnahmten Gegenstände hinterlassen", kritisierte Sassenbewohner Patrick Neuhaus gegenüber dem ND.
    Die Staatsmacht wirft der Kommune vor, den hessischen Wahlkampf gestört zu haben. Von Graffitis und Parolen an Häuserwänden bis zur Veränderung von Wahlplakaten: Der Projektwerkstatt werden sämtliche Aktionen mit politischen Hintergrund angelastet, die sich in der letzten Zeit in dieser Region ereigneten.
    Kein Wunder, die Projektwerkstatt ist seit Jahren den Behörden und manchen konservativen Bürgern der Region ein Dorn im Auge. Handelt es sich in Sassen doch um eine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft mit politischer Ausrichtung. Doch nicht Parteidoktrinen und ideologische Debatten, sondern widerständisches Leben stehen dort im Mittelpunkt. Wer noch etwas von dem Gefühl erfahren will, das in den Anfangsjahren der diversen alternativen Bewegungen zu Beginn der 80er Jahre in Westdeutschland geherrscht hat, ist bei der Projektwerkstatt am richtigen Ort.
    Doch anders als viele ehemalige Alternative, die im Laufe der letzten 20 Jahren ihren Weg über die Landkommunen zur Bürgerinitiative und dann in die Grüne Partei gefunden haben, hält man in Sassen an der Distanz zu Staat und den politischen Parteien fest. Daher ist die Projektwerkstatt immer wieder Anlaufpunkt auch für junge Leute, die dort Möglichkeiten haben, sich politisch zu betätigen.
    Manche politische Bewegung der letzten Jahre konnte von dieser Infrastruktur profitieren. So wurde der bundesweite Widerstand gegen die Weltausstellung Expo 2000 von Sassen aktiv befördert. Aber auch auf theoretischer Ebene wurde von dort immer wieder in die Bewegung interveniert. Auch die mittlerweile eingestellte Zeitung "Ö-Punkte" wurde in Sassen hergestellt. Und die Gründung der globalisierungskritischen Großorganisation Attac wird von den Sassenbewohnern äußerst kritisch beurteilt: Statt Lobbyarbeit bevorzugte man dort Widerstand von unten.
    Das rief auch Gegner auf den Plan. So hatten sich in der Vergangenheit mehrmals rechte Bürger aus der Region vor dem Haus zusammengerottet. Auch Polizei und Staatsschutz beobachteten das Widerstandsnest in der hessischen Provinz mit Argusaugen. In den letzten Wochen nahmen die Übergriffe zu. Willkürliche Festnahmen in der Giessener Fußgängerzone gehörten ebenso dazu wie die Beschlagnahme von Fahrrädern samt Gepäck. Die jüngste Razzia war ein Höhepunkt im behördlichen Kampf gegen die renitenten Projektwerkstättler. Doch die wollen sich nicht einschüchtern lassen. Auf Spendenbasis kamen schon neue Computer ins Haus. Auch politisch will man in die Offensive gehen. Am kommenden Samstag will man in der Giessener Innenstadt unter dem Motto "Gegen Polizeiwillkür und soziale Ausgrenzung" gegen die Razzia demonstrieren.

Text in der "taz" am 13.1.2003
  • "Die Aktionen tragen eure Handschrift"
    Weil Mitarbeiter der Projektwerkstatt Sassen Wahlaktionen der hessischen CDU sabotiert haben sollen, veranstaltet die Polizei eine Razzia
    BERLIN taz Wer noch etwas vom Feeling aus den Anfangsjahren der Ökologiebewegung mitbekommen wollte, musste in die Projektwerkstatt Sassen in der Nähe von Gießen fahren. Nicht nur Anti-AKW-Symbole, auch die Politikformen erinnerten an die 80er-Jahre. "Umweltschutz von unten" hieß das Schlagwort, mit dem immer wieder gegen Atomkraftwerke, Flughäfen und gegen die Expo 2000 in Hannover mobilisiert wurde.
    Die Projektwerkstatt stand immer wieder im Visier von Polizei und Staatsschutz. Den letzten Besuch der Staatsmacht aber bezeichnet Bewohner Jörg Bergstedt als "technische Liquidierung" des linken Umweltprojekts. Am Freitag beschlagnahmte die Polizei sämtliche Computer, Laptops, Monitore, Tastaturen und Mäuse, die in der Projektwerkstatt zu finden waren. Dabei habe sie weder einen Durchsuchungsbefehl vorgezeigt noch eine Liste der beschlagnahmten Gegenstände hinterlassen, sagte Sassen-Bewohner Patrick Neuhaus der taz.
    Neuhaus selbst hatte von der Razzia auf der Polizeiwache erfahren. Er war mit einem weiteren Mitarbeiter der Projektwerkstatt am Donnerstag in Grünberg festgenommen worden, als er Flugblätter in der Nähe einer CDU-Wahlveranstaltung mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch verteilen wollte. Erst nach 24 Stunden wurden beide freigelassen. Auf der Polizeiwache waren ihnen sämtliche Antiwahlaktionen in der Region zur Last gelegt worden. Unter anderem sollten sie ein Plakat gefälscht haben, auf dem unter dem Logo der CDU die Verschiebung der Wahlveranstaltung gemeldet wurde.
    Zur Beweissicherung wurden die Computer beschlagnahmt. Bisher kann die Polizei nur spekulieren. "Die Aktionen tragen eure Handschrift", sagten sie den Festgenommenen.
    Die Polizeiaktion solle auch die Arbeit der Projektwerkstatt lahm legen, glaubt Neuhaus. So habe ein Polizist auf die Frage, was denn die Beschlagnahme von Computertastaturen zur Beweissicherung beitrage, offen erklärt: "Die kosten auch 15 Euro." Die Betroffenen wollen sich juristisch und politisch wehren. Rechtsanwälte wurden schon eingeschaltet. Am Samstag will ein Bündnis linker Initiativen unter dem Motto "Gegen Polizeiwillkür und soziale Ausgrenzung" in der Gießener Innenstadt protestieren. "PETER NOWAK
    taz Nr. 6953 vom 14.1.2003, Seite 8, 77 Zeilen (TAZ-Bericht), PETER NOWAK

Presseinfo der Polizei Mittelhessen
  • GIESSEN/GRÜNBERG/REISKIRCHEN-SAASEN/
    Festnahmen und Sicherstellung von Computer
    Wie bereits von hier berichtet, wurden am Donnerstag im Zusammenhang mit Sachbeschädigung durch Schmierereien ein 38-Jähriger und ein 21-Jähriger festgenommen. Aufgrund eines Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Gießen wegen Sachbeschädigung, Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole und Amtsanmaßung wurden am Freitag, 10.01.03, in der Projektwerkstatt Saasen 5 PCs und 1 Laptop sichergestellt, da sie als Tatmittel von Bedeutung sein können. Die beiden Personen wurden gegen 16.30 Uhr entlassen.
    Am Samstag, den 11.01.03, kam es gegen 13.15 Uhr während einer Wahlkampfkundgebung im Seltersweg in Gießen zu Störungshandlungen des 38 jährigen. Als ein Megaphon des Betreffenden sichergestellt werden sollte, kam es zu Widerstandshandlungen. Daraufhin wurde der Mann erneut festgenommen. Bei dem Transport in ein Polizeifahrzeug trat er einem Polizeibeamten gezielt an den Kopf. Der Mann wurde gegen 16.00 Uhr wieder entlassen und das Megaphon an ihn ausgehändigt. Ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstands und gefährlicher Körperverletzung wurde eingeleitet.

Giessener Anzeiger vom 14.1.2003 (Internet)
  • Aktivist wurde gebremst
    Bergstedt zweimal festgenommen - Ermittlungsverfahren
    KREIS GIESSEN (jl). Gleich zweimal hintereinander ist der Polit- und Ökoaktivist Jörg Bergstedt, geistiger Führer der Projektwerkstatt in Saasen, in der vergangenen Woche von der Polizei vorübergehend festgenommen worden. Am Donnerstag wurde er und ein weiterer Verdächtiger im Zusammenhang mit Farbschmierereien vor einer Wahlveranstaltung der CDU in der Grünberger Gallushalle von der Polizei vorläufig festgenommen. Am Freitag dann durchsuchten Beamte auf Grund eines Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Gießen wegen Sachbeschädigung, Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole und Amtsanmaßung die Räume der Projektwerkstatt in Saasen. Dabei wurden fünf Computer und ein Laptop sichergestellt, da sie nach Angaben der Polizei als Tatmittel von Bedeutung sein können. Bergstedt und die andere Person wurden am Freitag gegen 16.30 Uhr wieder entlassen.
    Am Samstag kam es gegen 13.15 Uhr während einer Wahlkampfkundgebung im Seltersweg in Gießen zu Störungshandlungen des 38-Jährigen (der Anzeiger berichtete).
    Bei einer Art Demonstration gegen die Gefahrenabwehrverordnung in der Nähe des CDU-Standes, bei dem auch Innenminister Volker Bouffier zugegen war, kam es zu Handgreiflichkeiten mit einem FWG-Stadtverordneten. Als Polizeibeamte Bergstedts Megafon sicherstellen wollten, kam es zu Rangeleien. Daraufhin wurde der 38-Jährige erneut vorläufig festgenommen.
    Bei dem Transport in einem Polizeifahrzeug trat er laut Polizeimeldung einem Beamten gezielt an den Kopf. Bergstedt wurde gegen 16 Uhr wieder entlassen und das Megafon an ihn ausgehändigt. Ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstands und gefährlicher Körperverletzung wurde gegen den Politaktivisten eingeleitet.

Ansonsten ist es nicht so berühmt ... in typischer "linker" Manier verschwiegen auch die meisten sich als "links" definierenden Zeitungen die Bullengewalt. Besonders cool damals die Junge Welt, für die sogar ein Interview gemacht wurde - aber wieder rauszensiert wurde. Bürgerlichkeit und linke Eliten sind sich einmal mehr einig: Zickig-eigensinnige Orte soll es in ihren Zukunftsbildern nicht mehr geben!

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