Sand im Getriebe

SS-TREFFEN IN BAD HERSFELD

Eine fassungslose Unbegreiflichkeit


1. Scherbenhaufen für die Stadt
2. Wie alles begann
3. Das Ansehen Hersfelds droht Schaden zu erleiden
4. Eine fassungslose Unbegreiflichkeit
5. Klausmann will die Festspiele torpedieren
6. Geben Sie Gedankenfreiheit
7. Ende gut, alles gut?
8. Widerstand gegen den 'braunen Sud' - Interview mit dem Ex-DGB Kreisvorsitzenden Julius Klausmann

Anfang 1983 stellte ein empörter Bürger bei Bürgermeister Boehmer die Anfrage, ob es der Wahrheit entspräche, daß er an den letzten Treffen als Ehrengast teilgenommen hätte. Dieser antworte in einem Schreiben, daß es ausschließlich seine Entscheidung sei, an welchen Treffen oder Veranstaltungen er teilnehme, denn ?als Privatperson kann ich Ehrengast sein, selbst, wenn Ihnen das nicht gefällt", formulierte er. Er werde sich auch in Zukunft die Freiheit herausnehmen, in seiner Freizeit zu tun, was er wolle.16

Nachdem im Mai 1983 der Antrag der SPD, durch den Magistrat der Stadt zukünftige Treffen der HIAG in Bad Hersfeld zu verhindern, an den Gegenstimmen der CDU und der FDP gescheitert war, informierte Julius Klausmann, der DGB-Kreisvorsitzende und einer der Mitorganisatoren der Proteste in den vorausgegangenen Jahren, alle Mitglieder der Ensembles, die jemals bei den Bad Hersfelder Festspielen aufgetreten sind. In einem Schreiben berichtete er ihnen, daß in der Festspielstadt auch 1983 wieder Treffen der HIAG stattfinden sollten. Unter den informierten Künstlern befanden sich z.B. der Regisseur Imo Moszkowicz, der den ?Sommernachtstraum" inszenieren sollte, und die Schauspieler Günther Mack und Eva Renzi, die Hauptrollen in verschiedenen Stücken übernommen hatten. Als Reaktion auf die an ihn herangetragenen Vorfälle verfaßte Moszkowicz, der seine Mutter und sechs Geschwister im KZ verloren hatte und sich als ehemaliger Auschwitzhäftling mit einer ?fassungslosen Unbegreiflichkeit konfrontiert" sah, einen Brief an Bundespräsident Karl Carstens, der gleichzeitig Schirmherr der Festspiele war. Er bat ihn darin, ?mir höflichst mitzuteilen, wie Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, in dieser erschreckenden Situation, in die der Magistrat der Stadt zumindest Sie und mich gebracht hat, zu reagieren beabsichtigen, damit ich mich an Ihrem Beispiel orientieren kann."17

Einige Tage später erreichte den Regisseur ein Brief von Bürgermeister Boehmer, in dem dieser ihm, so sehr er auch die ?persönliche Situation" des Künstlers ?sehe und verstehe", mitteilte, daß die Stadt keine rechtliche Handhabe besitze, das SS-Treffen zu verbieten. Die HIAG sei nicht verfassungswidrig, da in ihrer Vereinsatzung zu lesen sei, daß der Verein ?restaurative Kräfte" ablehne und mit seinen Mitgliedern bereit sei, ?mit ganzer Kraft die Stärkung der Demokratie zu fördern". Deshalb müsse die Stadt bei der Vermietung der Stadthalle eine Neutralität wahren, die nicht nur politische Parteien betrifft, sondern auch den ?weltanschaulichen Bereich", formulierte Boehmer.

Brief von Boehmer an einen Hersfelder Bürger:

Schließlich könne ?ein Mietvertrag nicht im Hinblick auf mögliche Demonstrationen wieder aufgehoben werden."18 Auf dieses Schreiben hin bat Moszkowicz um die Entlassung aus seinem Festspielvertrag, solange ?ehemalige SS-Organisationen willkommenes Gastrecht" in Bad Hersfeld genießen würden.19 Auch die Antwort des Bundespräsidenten konnte den Regisseur nicht beruhigen, denn dieser machte lediglich darauf aufmerksam, daß die Festspiele einen ?nicht wieder gutzumachenden Schaden" erleiden würden, falls er seine Schirmherrschaft zurückziehen würde.20 Nach Imo Moszkowicz kündigten aus Solidarität auch Günther Mack und die Schauspielerin Gabriele Kloske ihre Veträge. Der Festspielintendant Hans Gerd Kübel äußerte sich vorläufig nicht zu den Vorfällen.

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