Sand im Getriebe

UMWELTSCHUTZ VON UNTEN: KRITIK ÜBLICHER ÖKO-ARBEIT, EMANZIPATORISCHE ÖKOLOGIE

Ein neuer Naturschutz mit den Menschen

Autor: Jörn Hartje ++ Download dieses Textes als Flugblatt (PDF)

Der Verordnungsnaturschutz stößt heute an seine Grenzen. Dies liegt zum einen in der Naturschutzverwaltung selber begründet. Die strukturellen Probleme der Naturschutzverwaltung liegen in deren Kompetenzverhältnis zu anderen Verwaltungen, Personal und Mittelausstattung begründet (z.B. plant die Naturschutzverwaltung eben keine Straßen, auch wenn diese durch Naturschutzgebiete führen, sie hat nur Einspruchsrecht). Insgesamt kommt der Naturschutzverwaltung damit die Rolle von Zaungästen zu, die große Politik machen andere.
Auch Detailänderungen bringen hier meist keine nennenswerten Verbesserungen. ABM Maßnahmen, personelle Umstrukturierungen oder Verschiebung der Zuständigkeiten von Kreis auf Landesebene oder umgekehrt ändern nichts an diesem Dilemma. Vor Ort (vor allem in Gemeinden kleiner als 20.000 Einwohner), wo die meisten für die Landnutzung wichtigen Entscheidungen fallen, ist meist gar keine Naturschutzverwaltung vorhanden oder es gibt nur einzelne Naturschutzbeauftragte, die meist wenig Durchsetzungsvermögen besitzen. Ganz zu schweigen von ausreichend Finanzmitteln, um einen wirkungsvollen Naturschutz vor Ort aufzubauen. Naturschutz erkommt so zu einem Feigenblatt für eine eher auf Umweltzerstörung basierenden Politik.
Das zweite ist ein Akzeptanzproblem. Konnte sich die Verwaltung noch in den achtziger Jahren auf eine starke ehrenamtliche Naturschutzlobby berufen, so ist sie heute fast auf sich allein gestellt. Sie stößt daher immer mehr an ihre Grenzen, da sich andere Verwaltungen besser durchsetzen können (mehr LobbyistInnen) und von vornherein mit weitreichenderen Befugnissen ausgestattet sind. Vor Ort stößt das Handeln der Naturschutzverwaltungen zunehmend auf Widerstand und Unverständnis der Bürger und LandnutzerInnen. Natürlich wird die Angst vor dem Naturschutz aus bestimmten politischen Kreisen gezielt geschürt, aber sie hat auch ihre berechtigten Ursachen, die wir NaturschützerInnen nicht leichtfertig abtun können:
  • Wertminderung des eigenen Grund und Bodens bei Unterschutzstellung
  • Einschränkung bisher bestehender Rechte, ohne selber Einfluß darauf zu haben
  • Weiterer Verlust von Arbeitsplätzen und Betriebsschließungen in sowieso schon gebeutelten Branchen, wie Fischerei und Landwirtschaft
  • Psychologisch: nicht mehr Herr über das eigene Land zu sein.

Sicher kann der Naturschutz nicht Fehlentwicklungen in anderen Bereichen (z.B. Landwirtschaftspolitik der EU, Verkehrsplanungen) allein verantwortlich gemacht werden, aber er muß hier stärker seine Rechte einfordern und vor allem tragfähige Alternativen aufzeigen.
Das Akzeptanzproblem des Naturschutzes ist mittlerweile allgemein bekannt, doch sind die bisherigen Maßnahmen dagegen halbherzig und inkonsequent, sie versuchen nur den festgefahrenen Verordnungsnaturschutz durch professionelle Information, Mediation, Moderation, Agenda-Arbeit usw. den Menschen vor Ort schmackhaft zu machen. Ein Überdenken des bisherigen Verordnungsnaturschutzes sucht mensch dagegen vergeblich.

Neue Wege im Naturschutz
Dabei brauchen wir ganz neue Wege im Naturschutz. Ziel des Naturschutzes kann es nicht sein, möglichst viel Verwaltung, Bürokratie und Gesetze aufzubauen. Dies kann zwar kurzfristig einzelne Gebiete und Arten retten, jedoch langfristig kaum aufrechtzuerhalten sein (siehe Konflikte um die Nationalparks). Denn die Menschen vor Ort werden nicht verstehen, warum in der Wirtschaft immer mehr auf Deregulierung gesetzt wird und im Naturschutz die Bestimmungen immer bürokratischer werden. Auch wenn an vielen Stellen direktdemokratische Elemente etabliert werden, die Menschen vor Ort aber einer immer mehr bevormundenden Verwaltung ausgesetzt sind. So entsteht eine ablehnenden Haltung gegenüber dem Naturschutz, die am Ende zu weniger oder gar keinem Naturschutz führt.

Die Konsequenz für den Naturschutz wäre: Naturschutz müßte mit Polizeigewalt durchgesetzt werden (Ranger und ähnliches ist ja schon ein Schritt in diese Richtung, NABU HH fordert z.B. Einsatz von Polizei in Naturschutzgebieten), dann wären wir auf dem besten Wege in die "Ökodiktatur" ...

Demokratisierung des Naturschutzes
Alle Politikbereiche müssen demokatisiert werden, jedoch spricht vieles dafür, daß der Naturschutz auch eigenständig demokratisiert werden könnte und damit am Ende sogar mehr und vor allem dauerhaft Naturschutz umsetzbar wäre. Selbst eine rein auf Naturschutzfragen beschränkte Demokratisierung würde Probleme lösen helfen. Denn Entscheidungen, die gemeinsam von allen Menschen einer Region erarbeitet und getroffen worden, werden erfahrungsgemäß lange mitgetragen und auch umgesetzt. Ein Naturschutz, der auf demokratischen Entscheidungen vor Ort und freiwilligen Vereinbarungen beruht, beinhaltet quasi die Überzeugung der Menschen vor Ort.
Ziel des Naturschutzes sollte es also sein, die Menschen vor Ort selber über die Nutzung ihrer Landschaft entscheiden zu lassen. Dies sollten aber nicht nur die GrundbesitzerInnen oder die Gemeindeverwaltung oder gar irgendwelche Funktionären Grüppchen alleine tun, sondern immer alle davon direkt betroffenen EinwohnerInnen. Dabei haben alle AnwohnerInnen das gleiche Recht, Entscheidungen fallen im allgemeinen im Konsens. Wenn kein Konsens zu erzielen ist, entscheidet die Mehrheit. Gesellschaftliche Minderheiten müssen speziell berücksichtigt werden. Grundbesitzer sollten Änderungswünsche Ihrer Nutzung zu Abstimmung stellen. Grundbesitzer sollten nicht mehr Rechte haben, Luft und Böden zu verschmutzen, als andere Menschen.
Sicher wäre es so schwierig, ganze Nationalparks oder auch Naturschutzgebiete auszuweisen, weil immer irgendwelche NutzerInnen Bedenken anmelden würden. Wenn dieses Konzept so umgesetzt werden würde, bräuchten wir allerdings auch keine Nationalparke mehr. Aber es gäbe dann weniger Kristallisationspunkte, an denen sich Konflikte aufschaukeln könnten. Auf Dauer könnte so ein Naturschutz wachsen, der auf Einsicht und demokratischer Entscheidung und nicht auf Druck von oben beruht.

Konkrete Schritte zur Umsetzung
Freiwillige Vereinbarungen
Ganz einfach und ohne größere Anstrengungen könnte der Naturschutz auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen intensiviert werden. Hierzu gibt es einerseits die staatlichen Möglichkeiten des Vertragsnaturschutzes, andererseits können sich freiwillige Vereinbarungen sich auch auf Flächentausch, gemeinsame Vermarktung, Erzeuger Verbrauchergemeinschaften, Güllebörsen oder Wasserstandsregulierungen beziehen. Hier müssen alle AkteurInnen von der Notwendigkeit der Maßnahme überzeugt werden. Dies geht meist nur durch direkten Kontakt mit den Betroffenen und in persönlichen Gesprächen. Ist eine Maßnahme erstmal gut angelaufen, werden sich andere anschließen.
Dieser erste Schritt ist unabhängig von einer veränderten Struktur der Naturschutzverwaltung sofort möglich und wird auch an vielen Stellen in Ansätzen praktiziert. Allerdings bewirkt der Verordnungsnaturschutz ein sehr schlechtes Image des Naturschutzes, was eine gewisse Skepsis bei vielen NutzerInnen gegenüber solchen Vorhaben bewirkt hat. Insofern wird dieser Schritt alleine kaum Verbesserungen bringen, erst in Verbindung mit den folgenden Schritten können sich freiwillige Vereinbarungen voll entfalten.
Flächenankäufe sind zwar auch freiwillige Vereinbarungen, aber sie sind auf Dauer sehr teuer, weil neben dem Grunderwerb noch die Pflege dieser Flächen auf Dauer zu Buche schlägt. Nutzt der Landwirt die Fläche, fallen beide Kosten nicht an. Nur Ausgleichszahlungen für Nutzungsbeschränkungen müßten im Einzelfall ausgehandelt werden. Weiterhin spricht gegen Flächenaufkäufe, daß hier meist kleine und auf Grenzertragsböden wirtschaftende Betriebe Flächen abgeben und Großbetriebe immer größer werden. Der Aufkauf von Flächen unterstützt also die Konzentration der landwirtschaftlichen Betriebe und führt auf Dauer zur weiteren Vernichtung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft.

Einrichtung geeigneter Strukturen vor Ort
Naturschutz ist Basisarbeit, er findet vor allem an konkreten Projekten vor Ort statt. Naturschutz von unten muß also auch alle wichtigen Entscheidungen vor Ort selber fällen können. Eine elementare Voraussetzung für eine Demokratisierung des Naturschutzes ist daher die Einrichtung von Bürgerversammlungen, Naturschutzstationen, Naturschutz AGs oder regionalen Umweltzentren. Alle Einrichtungen sollten für alle BürgerInnen offen sein und aus ihnen selber entstehen, also nicht von oben eingesetzt oder vorgeschrieben werden. Besonders geeignet erscheinen aus den bisherigen Erfahrungen die Naturschutzstationen oder Ökologischen Stationen, weil sie einen festen Ansprechpartner in Sachen Naturschutz, an den sich die Bevölkerung wenden kann, darstellen (vergleichbar mit einer Kirchengemeinde). Die Naturschutzstation hat ein offenes Ohr für die Probleme der Menschen vor Ort und hat aber gleichzeitig die finanzielle und organisatorische Ausstattung, sich für die Belange des Naturschutzes einzusetzen, Projekte zu initiieren und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Die Naturschutzstationen haben ihr Ziel eigentlich schon im Namen verankert und können nicht so leicht abgewählt werden. Sollten also bestimmte Naturschutzvorhaben gerade nicht durchsetzbar sein, wird die Naturschutzstation noch mehr Menschen davon überzeugen müssen. Ihr Erfolg hängt direkt damit zusammen, wie sie Menschen überzeugen kann.

Übergabe von Kompetenzen
Der nächste Schritt sollte die Übergabe von staatlichen Kompetenzen sein. Hier könnte der Anfang mit dem Vertragsnaturschutz gemacht werden, der schon jetzt in einigen Biologischen Stationen verwaltet wird. Anzustreben wäre aber auch, daß Kompetenzen für die Ausweisung von Schutzgebieten, Planungen oder der Mittelvergabe vor Ort geregelt werden. Hierzu wären sicher auch Gesetzesänderungen nötig.

Auflösung von Verwaltungsstrukturen
Die Auflösung von Verwaltungsstrukturen ist auf Dauer eine der wichtigsten Voraussetzung dafür, daß Naturschutz von unten wachsen kann. Die Serviceleistungen der Naturschutzverwaltungen, wie z.B. Erfassung von Daten über Tier und Pflanzenarten oder die Betreuung von Schutzgebieten könnten auch von Naturschutzstationen vor Ort übernommen werden. Überregionale Anliegen könnten von einzelnen Stationen übernommen werden (z.B. Wiesenvogelschutz übernimmt die Naturschutzstation, in einer Region mit einem hohen Wiesenvogelanteil).
Eine Umstrukturierung der Naturschutzverwaltung hinein in die regionalen Strukturen (Stationen, Beauftragte) wäre nicht sinnvoll, da die bestehenden Feindschaften einfach weiter bestehen und kein echter Neuanfang möglich wäre.

Ziel: Demokratisierung in allen Bereichen
Neben den Naturschutzbereichen sollten auf Dauer alle den Landschaftsverbrauch betreffenden Entscheidungen (Straßenbau, Kiesabbau, Siedlungsbau, usw.) vor Ort gefällt werden. Dies würde den Naturschutz aufwerten, weil er nicht mehr übergeordneten Planungen unterzuordnen wäre. Sicher wäre es schwieriger Großprojekte, wie Autobahnen oder Transrapid durchzusetzen. Dies ist im Interesse des Naturschutzes. Gibt es allerdings einen echten Bedarf für ein Großprojekt, kann dies auch mit direkt-demokratischen Prozessen eine Chance haben, es würde dann aber von der breiten Bevölkerungsteilen getragen und auch deren Belange in die Planung integrieren.

Dauerhafte Ziele des Naturschutzes
Natürlich sollte ein Naturschutz von unten nicht beliebig sein und allen Konflikten ausweichen. Er sollte klare Ziele formulieren (im Rahmen regionaler Bürgerforen) und diese dann mit den Menschen umsetzen, Aufgabe einer Naturschutzstation wäre hier immer wieder gleichberechtigt die Bedürfnisse der Natur einzubringen. Die Umsetzung erfolgt wie oben beschrieben durch Kooperation und Mehrheitsentscheide. Folgende Ziele wären z.B. aus naturschutzfachlicher Sicht anzustreben:
  • mindestens 15% Naturschutzfläche oder "Wildnis"
  • Reaktivierung alter Nutzungsformen mit der dazugehörigen Vermarktungsstruktur
  • Direktvermarktung und Ökolandbau
  • Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Kleinstrukturen (Knicks, Feldgehölze, Tümpel, usw.)
  • Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes

All diese Dinge können aber nicht auf einmal umgesetzt werden, sondern bedürfen der Überzeugung aller Beteiligten, hier spielt die Naturschutzstation eine wichtige Rolle. Trotzdem sollten diese und noch weitere Ziele möglichst von Anfang an klar benannt werden und einvernehmlich umgesetzt werden.

Wer's religiös braucht ...

Aus Locke, John, "Zwei Abhandlungen über die Regierung" (I § 24), zitiert in: Gebhardt, Jürgen/Münkler, Herfried (1993), "Bürgerschaft und Herrschaft", Nomos in Baden-Baden (S. 141)
Durch diese Verleihung hat Gott ihm kein persönliches Beitzrecht über die niederen Lebewesen übertragen, sondern ein der gesamten Menschheit gemeinsames Recht.


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