Sand im Getriebe

DIE RECHTLICHEN HINTERGRÜNDE ZUM § 265A
KEINE STRAFE FÜR OFFENES "SCHWARZFAHREN"

Das Gesetz und seine Auslegung


1. Das Gesetz und seine Auslegung
2. Der Argumentationsstrang zur Straffreiheit beim gekennzeichneten "Schwarzfahren"
3. Wann auch Hausfriedensbruch nicht gilt
4. Fazit: Das formal richtige Verhalten
5. Was bleibt? 60 Euro und eventueller Rauswurf
6. Links und Materialien

Wer ohne gültigen Fahrausweis im öffentlichen Nah- und Fernverkehr unterwegs ist und 'erwischt' wird kann dafür, neben der Forderung nach erhöhtem Entgelt (die Menschen ohne Geld egal sein kann) auch mit dem Strafrecht angegangen werden. Mögliche Straftatbestände sind: Erschleichung von Leistungen, Betrug oder Urkundenfälschung (z.B. wenn der Fahrschein gefälscht oder manipuliert wurde.
Statt plumper Angstmache soll es hier aber darum gehen, Rechts- und Verhaltenstipps zum Umgang mit solchen Repressions-Drohungen aufzuzeigen.

Erschleichung von Leistungen (§ 265a im Strafgesetzbuch)
Der Wortlaut des § 265a StGB Erschleichen von Leistungen
(1) Wer die Leistung eines Automaten oder eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes, die Beförderung durch ein Verkehrsmittel oder den Zutritt zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

Hinweis zu (3): Dabei geht es darum, dass in der Regel ein Strafantrag vom Betroffenen gestellt werden muss

Erschleichung von Leistungen ist der Standard-Vorwurf für "Schwarzfahren". Er ist allerdings sehr unscharf definiert - und das bietet eine Chance. Wesentlicher Angriffspunkt ist die Frage, ob die Leistung überhaupt erschlichen wurde. Dazu folgen ein paar Texte (Urteile und Kommentare auf einer Extraseite).

Im ARD-Rechtsratgeber hieß es (Link leider erloschen):
Wer schwarz fährt, macht sich wegen Erschleichens von Leistungen strafbar.
Dies bestätigte nun das Bundesverfassungsgericht, das eine Verfassungsbeschwerde gegen ein solches Strafurteil nicht annahm. Der Beschwerdeführer war der Ansicht, dass Schwarzfahren nicht als Erschleichen von Leistungen im Sinne des § 265 a StGB gewertet werden könne. Der Richter habe diesen Paragraphen bei seiner Verurteilung entsprechend angewandt. Daher sei mit seiner Verurteilung gegen einen verfassungsrechtlichen Grundsatz verstoßen worden. Denn Artikel 103 des Grundgesetzes verbietet, jemanden zu bestrafen, wenn seine Tat nicht ausdrücklich im Gesetz mit Strafe bedroht wird. Es reicht nicht aus, dass seine Tat ein vergleichbar hohes Unrecht verwirklicht, wie eine andere, die direkt mit Strafe bedroht ist. Der Richter darf Straftatbestände also nicht entsprechend auf vergleichbare Fälle anwenden. Das Bundesverfassungsgericht sah jedoch keinen Verstoß gegen Artikel 103 Grundgesetz. Das Erschleichen von Leistungen im Sinne des Strafgesetzbuches sei ”jedes der Ordnung widersprechende Verhalten, durch das sich der Täter in den Genuss von Leistungen bringt und bei welchem er sich den Anschein der Ordnungsmäßigkeit gibt”. Es erfasse daher auch das Schwarzfahren direkt.


Aus einemForum (wie ein "normal denkender Mensch" - also kein Richter - das wahrnimmt:
Ab dem dritten Mal gibt es eine Strafanzeige wegen Betrugs.
Wer das nicht will fährt entweder nicht schwarz oder trägt eine deutliche und gut erkennbare Kennzeichnung ("Ich fahre schwarz" etc.) am Körper.
Am besten ruft man noch beim Einstieg "Hallo, ich fahre schwarz".
Denn dann kann man niemals eine Strafanzeige bekommen, da es strafrechtlich kein Betrug mehr ist. Ist lustig, funktioniert aber. Iss nur ein bissel peinlich. :D


Schwarzfahren strafbar?
Rechts: Aus dem Göttinger Tageblatt, 12.1.2008

Aus Höcker, Ralf (2004), "Lexikon der Rechtsirrtümer", Ullstein Buchverlage in Berlin:
Irrtum: Fahren ohne Fahrkarte in öffentlichen Verkehrsmitteln ist immer straftar.
Richtig ist: "Schwarzfahrer" machen sich nur strafbar, wenn sie sich die Beförderung "erschlichen" haben.
Ein begrifflicher Irrtum sei vorab klargestellt: Das Delikt, das im Allgemeinen als "Schwarzfahren" bezeichnet wird, heißt juristisch korrekt "Erschleichen von Leistungen". Diese Bezeichnung zeigt bereits, dass wegen "Schwarzfahrens" strafrechtlich nur belangt werden kann, wer sich die Beförderung "erschlichen" hat.
Das Merkmal des "Erschleichens" wirft ein Problem auf Denn in den meisten öffentlichen Verkehrsmitteln finden heutzutage gar keine Zugangskontrollen mehr statt. Jeder kann ungehindert U- und S-Bahnen besteigen, unabhängig davon, ob er sich vorher eine Fahrkarte gekauft hat oder nicht. Wie also soll man sich heute überhaupt noch eine Beförderung "erschleichen"? Es ist schließlich niemand da, den man über seine Zugangsberechtigung täuschen könnte.
Einige Juristen haben aus diesem Umstand gefolgert, dass eine strafbare Beförderungserschleichung nur dann vorliegt, wenn jemand zumindest täuschungsähnliche Manipulationen vornimmt oder zum Beispiel Kontrollen umgeht. Das Bundesverfassungsgericht hat anders entschieden. Es erachtet es als ausreichend, wenn "der Täter sich durch sein Verhalten mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt" .
Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass jemand, der sein Schwarzfahren demonstrativ zur Schau stellt, kaum wegen Beförderungserschleichung bestraft werden kann. Wer also einen Button oder ein T-Shirt mit der Aufschrift "Ich bin Schwarzfahrer!" trägt und diesen Umstand schon beim Einsteigen den umstehenden Fahrgästen offen kundtut ("Guten Tag allerseits, ich werde jetzt schwarzfahren!"), bei dem wird es sehr schwierig werden, zu begründen, dass er sich die Beförderungsleistung "erschlichen" und damit strafbar gemacht hat.
In diesem Zusammenhang soll mit einem weiteren Irrtum aufgeräumt werden: Die Strafe für Schwarzfahren ist keineswegs das erhöhte Beförderungsentgelt, dass der Kontrolleur vom Schwarzfahrer verlangt, wenn er erwischt wird. Bei dem erhöhten Beförderungsentgelt handelt es sich lediglich um einen zivilrechtlichen Anspruch des Verkehrsunternehmens gegen jeden, der ohne Fahrkarte in Bus oder Bahn angetroffen wird. Auch wer sich die Beförderung nicht erschlichen hat, muss dieses Entgelt bezahlen. Da er sich aber nicht strafbar gemacht hat, kann gegen ihn nicht obendrein noch eine Geld- oder gar Gefängnisstrafe verhängt werden. Er gilt also als nicht vorbestraft. Wer dagegen den Tatbestand der Leistungserschleichung verwirklicht hat, haftet nicht nur zivilrechtlich auf Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgelts, sondern muss zusätzlich noch mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, nämlich mit der Einleitung eines Strafverfahrens.

Allerdings ist es inzwischen etwas komplizierter geworden. Die Gerichte haben erkannt, dass sie gegen "unsere" Argumentation nicht richtig ankommen - und haben sich etwas Neues einfallen lassen (kreatives Strafen): Hausfriedensbruch. Doch auch der lässt sich aushebeln ... alles Nähere unten in den Argumentationssträngen und dem Fazit, wie mensch sich jetzt verhalten muss, um straffrei "schwarz" zu fahren.

Weitere Quellen zur Frage, was Erschleichung von Leistung bedeutet

Aus Dr. Sascha Böttner, "Ich fahre schwarz" an der Mütze. Zettel schützt vor Strafe – nicht?", auf:Legal Tribune, 11.8.2014
Die Rechtsprechung verlangt für die Erfüllung des Tatbestandes nämlich keine "Heimlichkeit". Es reicht aus, wenn die Person sich mit dem "Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt". Dies soll bereits dann gegeben sein, wenn ein unauffälliges und unbefangenes Auftreten vorliegt. Sicherungen oder Kontrollen umgehen muss man nicht.
Was genau das bedeutet, darüber ist sich die Rechtsprechung allerdings nicht einig. So verlangt zum Beispiel das OLG Naumburg, dass für einen objektiven Beobachter der Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung des Vertrags erregt wird (Beschl. v. 06.04.2009, Az. 2 Ss 313/07). Eben diesen Anschein kann aber ein Zettel mit der Aufschrift "Ich fahre schwarz" zerrütten. Mit dieser Begründung wurde im Jahr 2013 bei einem ähnlichen Sachverhalt wie im Siegburger Mützen-Fall ein Beschuldigter vom AG Eschwege freigesprochen (Urt. v. 21.11.2013, Az. 71 Cs - 9621 Js 14035/13).
Anders hat dies im Jahr 2011 das Kammergericht Berlin gesehen (KG Berlin, Beschl. v. 02.03.2011, Az. (4) 1 Ss 32/11 (19/122)). Ein Zettel an der Kleidung reicht nach Ansicht der Berliner Richter nicht aus, um den Anschein der Ordnungsmäßigkeit zu erschüttern. Einerseits kann man ein solches Schild im Einzelfall übersehen, beispielsweise wenn man die Person nur von der Seite betrachtet, andererseits könnte man einen solchen Zettel aber auch als bloße Provokation gegen die Verkehrsbetriebe deuten.


Aus "Über das gekennzeichnete Fahren ohne Fahrkarte: Bestraft kann nur das Erschleichen werden", in:Augustin, 17.2.2015
Eigentlich ist das Anlegen völlig logisch: Im Gesetz steht eindeutig: Nur, "wer die Beförderung durch ein Verkehrsmittel ... erschleicht", begeht eine Straftat. Wer es offen macht, begeht sie nicht. Allerdings muss die Kennzeichnung eindeutig sein, d.h. der Inhalt, dass keine Fahrkarte vorhanden ist, muss klar und verständlich sein, die Botschaft muss lesbar und sichtbar sein, und sie darf nicht die Formen annehmen, die auch außerhalb von "Schwarzfahrten" üblich sind - ein hippes Schwarzfahrer-T-Shirt, das auch in Discos u. Ä. zum Angeben getragen wird, reicht also nicht.
Die Gerichte reagieren trotz dieser zwingenden Logik unterschiedlich. Ein positives Beispiel aus dem Freispruch des Amtsgerichts Eschwege vom 12. 11. 2013: Der Angeklagte hat zwar eingeräumt, jeweils den Zug der Verkehrsgesellschaft benutzt zu haben, ohne im Besitz des erforderlichen Fahrscheins gewesen zu sein. Seine Einlassung, dass er jedoch in allen 3 Fällen vor Fahrtantritt deutlich sichtbar einen Zettel an seine Kleidung geheftet hatte mit der Aufschrift "Ich fahre umsonst", war nicht zu widerlegen. Damit hat er allerdings gerade offenbart, kein zahlungswilliger Fahrgast zu sein, weshalb bereits der objektive Tatbestand des § 265 a Abs. 1 StGB nicht erfüllt ist.
Entsprechende Erfahrungen fehlen in Wien. Tipp aus einem Wiener Schwarzfahrer-Blog: "Wenn du ehrlich sagst, dass du keine Fahrkarte hast, dann ist nur das erhöhte Beförderungsentgelt fällig. Wenn du versuchst, den Kontrolleur zu täuschen oder gar die Fahrkarte zu manipulieren oder zu fälschen, können noch andere Delikte (Erschleichung einer Leistung usw.) hinzukommen. Das kann richtig teuer werden.

Lage in Österreich
Der entsprechende Paragraph in Österreich macht noch deutlicher, was gemeint ist. Im österreichischen StGB existiert der § 149 (Erschleichung einer Leistung), der auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Bezahlung des vorgesehenen Fahrpreises einschließt und mit gerichtlicher Strafe bedroht.

§ 149. (1) Wer die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalt oder den Zutritt zu einer Aufführung, Ausstellung oder einer anderen Veranstaltung oder zu einer Einrichtung durch Täuschung über Tatsachen erschleicht, ohne das festgesetzte Entgelt zu entrichten, ist, wenn das Entgelt nur gering ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Monat oder mit Geldstrafe bis zu 60 Tagessätzen zu bestrafen.

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