Laienverteidigung

KAMPFMITTEL FÜR PROZESSE: OFFENSIV GEGEN ROBENTRÄGER*INNEN, GUTACHTEN, ZEUG*INNEN

Schutz vor Willkürrichtis


Einleitung · Ziele offensiver Verteidigung · Belege und Fristen · Anträge, die oft passen · Einzeltipps zu Verfahren · Schutz vor Willkürrichtis · Rechtsschutz · Beweisaufnahme · Öffentlichkeit · Kosten · Links


Ablehnung von Richter*innen (Befangenheit)
Befangenheitsanträge sollen laut einer Aktualisierung der StPO im Jahr 2019 möglichst schon vor der Hauptverhandlung geklärt werden. Deshalb müssen Verteidigis den Antrag "unverzüglich" stellen, sobald ihnen die Besetzung des Gerichts und Gründe für eine mögliche Befangenheit eines Richters bekannt sind. Wird während der Hauptverhandlung ein Befangenheitsantrag gestellt, kann der abgelehnte Richter das Verfahren erstmal fortsetzen. Über den Befangenheitsantrag muss innerhalb von zwei Wochen entschieden werden - und natürlich vor der Urteilsverkündung. Wenn der Antrag durchkommt, muss der entsprechende Teil der Hauptverhandlung wiederholt werden - oft aber dann auch die ganze Verhandlung, weil eine längere Unterbrechung droht.

StPO § 24
(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.


StPO § 25
(1) Die Ablehnung eines erkennenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, in der Hauptverhandlung über die Berufung oder die Revision bis zum Beginn des Vortrags des Berichterstatters, zulässig. Alle Ablehnungsgründe sind gleichzeitig vorzubringen.
(2) Nach diesem Zeitpunkt darf ein Richter nur abgelehnt werden, wenn
1. die Umstände, auf welche die Ablehnung gestützt wird, erst später eingetreten oder dem zur Ablehnung Berechtigten erst später bekanntgeworden sind und
2. die Ablehnung unverzüglich geltend gemacht wird.
Nach dem letzten Wort des Angeklagten ist die Ablehnung nicht mehr zulässig.


StPO § 26
(1) Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. § 257a findet keine Anwendung.
(2) Der Ablehnungsgrund und in den Fällen des § 25 Abs. 2 die Voraussetzungen des rechtzeitigen Vorbringens sind glaubhaft zu machen. Der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen. Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen werden.
(3) Der abgelehnte Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern.


StPO § 27
(1) Wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen, so entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.
(2) Wird ein richterliches Mitglied der erkennenden Strafkammer abgelehnt, so entscheidet die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung.
(3) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter dieses Gerichts. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der Abgelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält.
(4) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlußunfähig, so entscheidet das zunächst obere Gericht.


StPO § 31
(1) Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten für Schöffen sowie für Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und andere als Protokollführer zugezogene Personen entsprechend.
(2) Die Entscheidung trifft der Vorsitzende. Bei der großen Strafkammer und beim Schwurgericht entscheiden die richterlichen Mitglieder. Ist der Protokollführer einem Richter beigegeben, so entscheidet dieser über die Ablehnung oder Ausschließung.


Für wen gelten die Befangenheitsregelungen?
Aus einer Seite des Rechtsanwalts Gerhard Becker:
Bei dieser Gelegenheit soll nicht unerwähnt bleiben, daß grundsätzlich die Ausschließungs- und Ablehnungsregeln nicht nur für Richter gelten (die hier meist exemplarisch genannt sind). Diese gelten für Schöffen, Rechtspfleger, Urkundsbeamte, sogar Protokollführer, Dolmetscher, vor allem Sachverständige (!) aber auch für Entscheider in Verwaltungsbehörden.
Heikel und umstritten ist hingegen die (teilweise) Gültigkeit für Staatsanwälte ("objektivste Behörde der Welt").


Befangenheitsantrag - aber wie?
Aus einer Seite des Rechtsanwalts Gerhard Becker:
Während die "Ausschließung" kraft Gesetz eintritt, setzt die Ausscheidung wg. Befangenheit eine gerichtliche Entscheidung voraus, die wiederum erst auf einem Anstoß,"Ablehnungsantrag" oder Selbstanzeige zustande kommt.
Ein weiterer Unterschied: Ausschließung knüpft an die Stellung des Richters (als Verwandter, als früherer Verfahrensbeteiligter, als Verletzter der Straftat u.a.) an, Ablehnung an seine Verhalten ("Opelfahrern glaub ich sowieso kein Wort") im Sinne von Voreingenommenheit.
Zugehörigkeit des Richters zu einer bestimmten Religion oder Partei sind für sich allein daher noch kein Ablehnungsgrund, (auch nicht wenn der Richter aktives Gewerkschaftsmitglied ist und in einem Arbeitsgerichtsprozeß zu entscheiden hat); anders evtl. wenn der Richter zum selben Kleingartenverein gehört wie der Angeklagte - hier könnte z.B. der Staatsanwalt Einwände erbeben.
Maßgeblich für eine Ablehnung sind:
1. Besorgnis der Befangenheit (aus Sicht des Antragstellers),
2. Ausführliche Darlegung der zugehörigen Fakten nebst Glaubhaftmachung
3. Form und Zeitpunkt des Antrags ...
So früh wie möglich, spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung muß ein Ablehnungsantrag gestellt werden.
Soll aufgrund von Ereignissen während der HV abgelehnt werden, wird i.A. der Verteidiger auf sofortige Unterbrechung dringen um "einen unaufschiebbaren Antrag zu stellen" , der abgelehnte Richter darf bis zur Entscheidung über die Ablehnung seinerseits nur noch unaufschiebbare Amtshandlungen vornehmen.


Da die Richter_innen, die über den Befangenheietsantrag entscheiden, ja auch befangen sein können, ist neben der Glaubhaftmachung (nicht vergessen, z.B. "Glaubhaftmachung: Dienstliche Erklärung des abgelehnten Richters" unter den Antrag zu schreiben) auch folgender Satz nützlich: "Ich beantrage die Namhaftmachung der zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufenen Richter_innen (§24 Abs. 3, Satz 2 StPO) und verzichte nicht auf mein Recht zur Stellungnahme zur dienstlichen Erklärung."

Immer wieder kommt es vor, dass Richter*innen selbst über das Ablehnungsgesuch gegen sie entscheiden - und natürlich der Meinung sind, dass sie vollkommen neutral sind, der Befangenheitsantrag gegen sie also völlig falsch sei. Ein solches Vorgehen ist eine Zumutung, denn welche*r Richter*in wird sich selbst ablehnen?
Aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 7. August 2023 (Az. StR 550/22 5 StR 39/23)
Die Wahl des Verfahrens nach § 26a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO als Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne die Mitwirkung des abgelehnten Richters darf nicht dazu führen, dass der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und sich damit gleichsam zum „Richter in eigener Sache“ aufschwingt. Die Beteiligung eines Richters an der Entscheidung über ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch ist vielmehr auf Fälle echter Formalentscheidungen und die Verhinderung eines offensichtlichen Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt; sie setzt voraus, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird und scheidet dementsprechend aus, wenn ein auch nur geringfügiges Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich ist.

Befangenheitsantrag gegen RichterIn, weil selbst betroffen
Aus "FinanzXL: Richter - Unparteilichkeit"
Besorgnis der Befangenheit liegt gemäß § 24 II StPO vor, "wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen" / Es kommt also nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist oder nicht / Auch objektive Zweifel an der Unparteilichkeit sind nach ständiger Rspr für die Ablehnung nicht erforderlich, es reicht vielmehr aus, daß der Verfahrensbeteiligte aus seiner Sicht bei verständiger Würdigung Zweifel an der Unparteilichkeit haben kann (BGHSt 24, 336, 338) / Anlaß dafür können neben der Art und Weise der Verfahrensführung auch das außergerichtliche Verhalten des Richters, z.B. intensivere private Kontakte mit Verfahrensbeteiligten oder auch Solidaritätsbezeugungen mit dem (vermeintlichen) Opfer der Straftat sein. ...
Ablehnung eines erkennenden Richters muß nach der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Person unverzüglich geltend gemacht werden (§ 25 I 1) / Dies kann in der Hauptverhandlung, aber auch schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden (§ 26 I) / Gericht prüft zunächst unter Mitwirkung des abgelehnten Richters die Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs (§ 26a StPO) und entscheidet sodann ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters über dessen Begründetheit / In der Zwischenzeit darf der abgelehnte Richter nur noch eingeschränkt Amtshandlungen vornehmen (§ 29 StPO) / Gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben, die Zurückweisung der Ablehnung eines erkennenden Richters kann jedoch nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden (§ 28 II) / Das gleiche Verfahren gilt auch dann, wenn der Richter sich selbst ablehnt (§ 30 StPO).


Muss selbst als konkrete Person betroffen sein
Aus "BGH-DAT Strafsachen"
In Anwendung dieses Gesetzes bezeichnet der BGH eine Befangenheitsrüge als unbegründet. Der Angeklagte war u.a. wegen Bedrohung gemäß § 241 Abs. 1 StGB verurteilt worden (Bombendrohung gegen die Justizbehörden in Regensburg). Der BGH führt u.a. aus: Nach § 24 Abs. 1 StPO findet die Ablehnung eines Richters daneben auch statt, wenn er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Die Androhung einer Sprengstoffexplosion (§ 308 StGB) im Landgerichtsgebäude richtete sich ganz allgemein an die Justizbehörden als Drohungsadressat im Sinne des § 241 Abs. 1 StGB, das heißt an die verantwortlichen Organwalter. Nur sie kamen deshalb als Verletzte in Frage. Die im Landgerichtsgebäude im übrigen tätigen Bediensteten und Besucher konnten allenfalls potentielle Verbrechensopfer einer gemeingefährlichen Straftat nach § 308 StGB sein; der Angeklagte hatte insoweit gerade nicht mit der Begehung eines individuell gegen bestimmte Personen gerichteten Verbrechens gedroht. Sie waren deshalb nur mittelbar betroffen. Mithin kommt es hier nicht darauf an, ob und inwieweit es sich bei den Bediensteten - namentlich den Richtern - um Personen handelt, die den Drohungsadressaten im Sinne des § 241 Abs. 1 StGB "nahe stehen".

Aus dem Urteil: BGH 1 StR 90/01 - Beschluß v. 3. April 2001 (LG Regensburg)
Verletzt im Sinne von § 22 Nr. 1 StPO ist ein Richter nur dann, wenn er durch die abzuurteilende Tat unmittelbar betroffen ist; die strafbare Handlung muß sich als Eingriff in Rechte seiner Person erweisen (BGHSt 1, 299; BayObLG NStZ 1993, 347; Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 22 Rdn. 4). Die Androhung einer Sprengstoffexplosion (§ 308 StGB) im Landgerichtsgebäude richtete sich ganz allgemein an die Justizbehörden als Drohungsadressat im Sinne des § 241 Abs. 1 StGB. das heißt an die verantwortlichen Organwalter. Nur sie kamen deshalb als Verletzte in Frage. Die im Landgerichtsgebäude im übrigen tätigen Bediensteten und Besucher konnten allenfalls potentielle Verbrechensopfer einer gemeingefährlichen Straftat nach § 308 StGB sein; der Angeklagte hatte insoweit gerade nicht mit der Begehung eines individuell gegen bestimmte Personen gerichteten Verbrechens gedroht. Sie waren deshalb nur mittelbar betroffen.

Wenn einE RichterIn in einem früheren Vorgang zur gleichen Sache willkürlich gehandelt hat
Aus BGH 2 StR 46/05 - Beschluss vom 22. April 2005 (LG Trier)
Auch (vermeintliche) Rechtsfehler bei einer Vorentscheidung können für sich genommen eine Ablehnung nicht rechtfertigen, es sei denn, sie wären so grob, daß sie den Anschein von Willkür erweckten.

Nicht für Staatsanwaltschaft und auch nicht gegen gesamte Behörde (z.B. ganzes Gericht)
Aus BGH 2 ARs 433/05 / 2 AR 229/05 - Beschluss vom 23. November 2005
Die §§ 22 ff. StPO gelten nicht für Staatsanwälte, im Übrigen kann auch nicht eine ganze Behörde als solche abgelehnt werden.

Wird ein Ablehnungsgesuch gegen einen Einzelrichter (Amtsgericht) durch Beschluss zurückgewiesen, kann dagegen keine Beschwerde eingelegt werden (§ 28 II 2 StPO). Es erfolgt vielmehr eine Überprüfung der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren gegen das von dem abgelehnten Richter verkündete Urteil (also in der Revision).

RichterInnen an Gesetzesvorgaben gebunden
  • Aus: BVerfG, 1 BvR 1611/96 vom 9.10.2002
    Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in unmittelbarer Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet (vgl. BVerfGE 52, 203 (207)). Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Verpflichtung zu einer fairen Handhabung des Beweisrechts, insbesondere der Beweislastregeln (vgl. BVerfGE 52, 131 (145)). Auch aus den materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG können sich Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben (vgl. BVerfGE 101, 106 (122) m.w.N.). ...
    Allein das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Straf- und Zivilrechtspflege reicht aber nicht, um im Rahmen der Abwägung stets von einem gleichen oder gar höheren Gewicht ausgehen zu können, als es dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zukommt. Vielmehr müssen weitere Aspekte hinzutreten, die ergeben, dass das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung schutzbedürftig ist. Im Strafverfahren kann dies etwa die Aufklärung besonders schwerer Straftaten sein (vgl. BVerfGE 34, 238 (248 ff.); 80, 367 (380)). Auch im Zivilprozess kann es Situationen geben, in denen dem Interesse an der Beweiserhebung - über das stets bestehende "schlichte" Beweisinteresse hinaus - besondere Bedeutung für die Rechtsverwirklichung einer Partei zukommt.In der fachgerichtlichen Rechtsprechung wird dies etwa in Fällen angenommen, in denen sich der Beweisführer in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage befindet (vgl. BGHZ 27, 284 (289 f.)). Ein Beispiel dafür ist die Anfertigung heimlicher Tonbandaufnahmen zur Feststellung der Identität eines anonymen Anrufers, der sich als eine andere Person ausgegeben hatte, um unter diesem Deckmantel Verleumdungen gefahrlos aussprechen zu können (vgl. BGH, NJW 1982, S. 277). Ein anderes Beispiel sind Maßnahmen zur Feststellung erpresserischer Drohungen (vgl. BGHZ 27, 284 (290)). In der Rechtsprechung wird eine Rechtfertigung des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch dann erwogen, wenn es dem Eingreifenden bei der Schaffung des Beweismittels darauf ankam, einem auf andere Weise nur schwer, möglicherweise überhaupt nicht abwehrbaren kriminellen Angriff auf seine berufliche Existenz zu begegnen (vgl. BGH, NJW 1994, S. 2289 (2292 f.) für einen Fall der Produktpiraterie). Demgegenüber reicht allein das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, nicht aus (vgl. etwa aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung BGHZ 27, 284 (290); BGH, NJW 1982, S. 277; NJW 1988, S. 1016 (1018); NJW 1998, S. 155). ...
    In den angegriffenen Entscheidungen fehlt jede Feststellung zum Vorliegen einer derartigen besonderen Situation.

RichterInnen sollen sich für Wahrheit interessieren
Mehrere Instanzen bestätigten einen Richter, der der Meinung war, die Wahrheit müsse ihn nicht interessieren. Erst das Verfassungsgericht kippte das. Aus einem Pressetext dazu (weiterer Text):

Ein Zivilrichter darf in einer mündlichen Verhandlung nicht äußern, dass ihn die Wahrheit nicht interessiert. Dies hat das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde hin entschieden (Beschluss vom 12.12.2012, Az.: 2 BvR 1750/12). In einem Zivilrechtsstreit hatte sich ein Richter am Landgericht Chemnitz geweigert, einen in der Schweiz wohnhaften Zeugen zu befragen. Der entsprechende Beweisantrag wurde ebenso wenig in das Protokoll aufgenommen wie der Antrag eines Rechtsanwalts, das Verfahren auszusetzen. Nachdem der Anwalt dem Richter vorgehalten hatte, dass auch er der Wahrheitsfindung verpflichtet sei, meinte dieser: „Die Wahrheit interessiert mich nicht.“ Die Versuche, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, seien sowohl beim LG Chemnitz als auch beim OLG Dresden gescheitert. Daraufhin zog der Anwalt vor das BVerfG und bekam jetzt Recht. Der Richter habe mit seiner Äußerung bekundet, so jetzt die Verfassungsrichter in Karlsruhe, dass er an der Erfüllung einer wesentlichen richterlichen Amtspflicht nicht interessiert sei. Nicht tragfähig sei auch die Annahme des OLG Dresden, die Äußerung des Richters, dass ihn die Wahrheit nicht interessiere, sei als Reaktion auf eine sachwidrige Beeinflussung durch den Beklagtenvertreter hinzunehmen, der die Pflicht zur Wahrheitsfindung als Druckmittel eingesetzt habe, um den Richter zur Anhörung des Zeugen zu bewegen. Weshalb in dem Hinweis auf eine bestehende Amtspflicht eine sachwidrige Druckausübung liegen solle, sei nicht ansatzweise nachvollziehbar.

Mehr zu RichterInnen und SchöffInnen

Recht auf ein faires Verfahren
Auf Wikipedia
In der deutschen verfassungsrechtlichen Rechtsprechung wird die Geltung eines Rechts auf ein faires (rechtsstaatliches) Verfahren bejaht. Es „gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens“ und wird als „allgemeines Prozessgrundrecht“ qualifiziert. Seine „Wurzeln“ werden im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gesehen. Dies in Verbindung „mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG“ oder (nur) in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG.
Das Recht auf ein faires Verfahren enthält nach dem BVerfG „keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungennicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist“.
Am allgemeinen Prozessgrundrecht des fairen Verfahrens sind „alle diejenigen Beschränkungen zu messen, die von den spezielleren grundrechtlichen Verfahrensgarantien nicht erfasst werden“.

Strafprozess
Insbesondere im Strafverfahren hat der Grundsatz große Bedeutung. Das Recht auf ein faires Verfahren gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Dazu zählen insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör, die Unabhängigkeit des Gerichts sowie die effektive Verteidigung durch einen Rechtsanwalt. Einzelne Ausprägungen im Strafprozess sind die Unschuldsvermutung und der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten.
Des Weiteren: Die Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener oder erlangter Informationen ist am Recht auf ein faires Verfahren zu messen.
Der Angeklagte darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muss vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Die Zulassung der Nebenklage in der StPO verstößt nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren.[
Der Einsatz von V-Männern und Lockspitzeln zur Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität oder Terrorismus verstößt nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren.


Aus dem BGH-Urteil vom 29. April 2009 (Az. 1 StR 701/08)
a) Das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren wurzelt im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens herabzuwürdigen, und es verpflichtet den Staat zu korrektem und fairem Verfahren (BVerfG, Beschl. vom 18. März 2009 - 2 BvR 2025/07 - m.w.N.).
aa) Die Ausgestaltung des Strafverfahrensrechts in einer Weise, dass der Grundsatz des fairen Verfahrens gewahrt wird, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsanwendung und -auslegung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Forderungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (BVerfG aaO; vgl. auch BVerfGE 57, 250, 276; 64, 135, 145). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239, 250; 80, 367, 375). Das Rechtsstaatsprinzip, das die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält, fordert nicht nur eine faire Ausgestaltung und Anwendung des Strafverfahrensrechts. Es gestattet und verlangt auch die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367, 383; 46, 214, 222). Der Rechtsstaat kann sich aber nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 33, 367, 383; 46, 214, 222; BVerfG, Beschl. vom 18. März 2009 - 2 BvR 2025/07).


Für ein Grundrecht auf ein faires Verfahren in der strafprozessualen Praxis (Quelle)
Von Wiss. Mitarbeiterin Dr. Beatrice Brunhöber, Berlin
Das Recht auf ein faires Verfahren ist nicht nur Deklaration und nicht nur Prozessmaxime, sondern ein einklagbares Grundrecht. Es hat seine Grundlage in Art. 2 Abs. 1 GG bzw. spezielleren Freiheitsgrundrechten i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG.11 Der Staat darf in Freiheitsgrundrechte nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingreifen, das seinerseits verfassungsgemäß ist. Nicht verfassungsgemäß sind Eingriffe, die gegen Verfassungsrecht verstoßen, also auch Eingriffe, die das Rechtsstaatsprinzip verletzen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet ein justizförmiges Verfahren, zu dem gehört, dass es fair ist. Darüber hinaus darf der Betroffene eines staatlichen Verfahrens als Ausfluss seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) in einem Rechtsstaat nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens herabgewürdigt werden. Dies wäre der Fall, wenn er einem unfairen Verfahren unterworfen wird (s. III. 1. a). Zudem ist der Staat verpflichtet, Grundrechte und ihre Ausübung zu schützen. Dies beinhaltet die Pflicht, Verfahren, die zu Grundrechtseingriffen führen können, so einzurichten, dass den Grundrechten zu optimaler Wirksamkeit verholfen wird. Daraus folgt auch, dass das Verfahren fair für den betroffenen Grundrechtsträger gestaltet sein muss. Welches Grundrecht zum Tragen kommt, hängt von dem konkreten Verfahren ab. Im Strafverfahren kann bezüglich des Beschuldigten sein Recht auf persönliche Freiheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG einschlägig sein, wenn eine Freiheitsstrafe droht. Im Übrigen, also etwa für Opferzeugen, gilt das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG. Als Grundrecht kann das Recht auf ein faires Verfahren im Wege der Verfassungsbeschwerde eingeklagt werden (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG). ...
Funktional erfasst der verfassungsrechtliche Anspruch auf ein faires Verfahren jedes Verfahren. Verfahren ist ein vom Staat oder Bürger initiierter staatlicher Vorgang, der in einen Grundrechtseingriff münden kann. Dabei kann es nicht auf einen staatlichen Willensakt zur Eröffnung ankommen. Vielmehr genügt es, wenn ein Verfahren tatsächlich geführt wird. Bezogen auf das Strafverfahren bedeutet dies, dass der Anwendungsbereich jedenfalls ab Beginn des Ermittlungsverfahrens, aber auch schon bei Vorermittlungen eröffnet ist.

Aus BVerfG, Beschluss Spruchkoerper_2__Senat_4__Kammer vom 14. Juni 2000 (2 BvR 993/94)
Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip garantiert das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 57, 250 (274 f.); 75, 183 (190f.); Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 1995 - 2 BvR 2033/95 -, NJW 1996, S. 1811 f.). Der in der Rechtsprechung anerkannte Anspruch auf ein faires gerichtliches Verfahren gilt als generelles Prinzip in allen Prozessordnungen (vgl. für das Strafverfahren: BVerfGE 26, 66 (71); 57, 250 (274); für das Disziplinarverfahren: BVerfGE 38, 105 (111) und Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1992 - 2 BvR 1802/91 -, EuGRZ 1993, S. 28 (36); für das Zivilverfahren: BVerfGE 75, 183 (191); für das Verwaltungsstreitverfahren: Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1999 - 2 BvR 206/98 -, NVwZ 1999, Beilage, S. 51f.).
Das Bundesverfassungsgericht hat für das Strafverfahren entschieden, dass der allgemeine Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren verfahrensrechtliche Vorkehrungen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts voraussetzt, ohne die das materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werden kann. Das Recht auf ein faires Verfahren als eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, das in der Verfassung nur zum Teil näher konkretisiert ist, enthält keine im Einzelnen bestimmten Gebote und Verbote; es bedarf vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, zwischen möglichen Alternativen bei der normativen Konkretisierung eines Verfassungsgrundsatzes zu wählen. Erst wenn sich unter Berücksichtigung aller Umstände und nicht zuletzt der im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, können aus diesem allgemeinen Prozessgrundrecht konkrete Forderungen für die Ausgestaltung des Strafverfahrens im Rahmen der vom Gesetzgeber gewählten Grundstruktur des Verfahrens gezogen werden (vgl. BVerfGE 57, 250 (275 f.); 77, 65 (76); Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. August 1996 - 2 BvR 1304/96 -, NStZ 1997, S. 94 f.). Der Grundsatz fairer Verfahrensführung verwehrt es den Gerichten deshalb generell, aus eigenen oder ihnen zurechenbaren Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für die Beteiligten abzuleiten ( BVerfGE 75, 183 (190); 78, 123 (126); Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 1995 - 2 BvR 2033/95 -, NJW 1996, S. 1811f.).


BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Dezember 2006 (2 BvR 1872/03)
Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG das Recht des Beschuldigten auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren (vgl. BVerfGE 26, 66 (71); 38, 105 (111); 40, 95 (99); 65, 171 (174); 66, 313 (318); 77, 65 (76); 86, 288 (317 f.) ). Das Verfassungsgebot rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung ist nicht nur Regelungsauftrag an den Gesetzgeber, sondern auch Leitlinie für den das Strafverfahren im Rahmen der von der Strafprozessordnung vorgegebenen Regeln gestaltenden Richter, der dabei auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen muss (vgl. BVerfGE 64, 135 (146); 92, 277 (326 f.)). Gerade der Strafprozess mit seinen möglichen weit reichenden Folgen für den Beschuldigten darf nicht auf eine Weise geführt werden, dass dieser zum bloßen Objekt des Verfahrens wird. Der Beschuldigte muss im Rahmen der von der Strafprozessordnung aufgestellten Regeln auch praktisch die Möglichkeit erhalten, zur Wahrung seiner Rechte aktiv auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 26, 66 (71); 57, 250 (274 f.); 63, 332 (337); 64, 135 (145); 65, 171 (174)). Eine besondere Ausprägung des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf ein faires Verfahren ist dabei das der "Waffengleichheit" dienende Recht eines Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen (vgl. BVerfGE 34, 293 (302); 38, 105 (111); 66, 313 (319); 68, 237 (255 f.); 110, 226 (253)).

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