Laienverteidigung

HERRSCHAFT AUSMACHEN

Die Spezialfilter oder Tragende Säulen der Dickichtkonstruktion


1. Definitionen und Formen
2. Blick ins Herz der Finsternis
3. One ring to rule them all? - Kapitalismus vs. Sexismus vs. Rassismus vs. ...
4. Herrschaft im Brennpunkt
5. Der Blickwinkel oder Die drei Seiten der  Medaille
6. Die Spezialfilter oder Tragende Säulen der Dickichtkonstruktion
7. Debatten zum Text

Wie funktioniert Herrschaft?
Herrschaftsverhältnisse können aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Ansatzpunkte für politische Strategien und konkrete Aktionen lassen sich jedoch besser formulieren, wenn zusätzlich berücksichtigt wird, wie sich Herrschaft konkret umsetzt und vermittelt, d.h. also, welche widerspenstigen Mechanismen dazu beitragen, dass Selbstbestimmung fast nirgendwo zu finden ist. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie Herrschaft funktioniert und wie sie sich scheinbar selbst stabilisiert, lohnt es sich, die analytische Brille mit verschiedenen Spezialfiltern auszustatten. Mit ihrer Hilfe sollen einige zentrale, in der Welt sonst kaum entwirr- und unterscheidbare Mechanismen von Herrschaft einmal einzeln betrachtet werden können.
Herrschaft äußert sich zum einen als direkte Gewalt mit dem Ziel der Aufrechterhaltung geltender, d.h. "herrschender" Spielregeln. Während direkte Gewalt in Form von physischem Zwang auf zwischenmenschlicher Ebene durchaus alltäglich ist, wird sie auf staatlicher Ebene zunehmend ergänzt durch polizeiliche, korrigierende, sogenannte "saubere" Gewalt. Bestes Beispiel sind die als "humanitäre Interventionen" bezeichneten weltweiten kriegerischen Operationen der Nato.
Auf den ersten Blick weniger sicht- und erfahrbar als direkte Gewalt, aber dadurch nicht weniger fremdbestimmend, ist strukturelle Gewalt. Zu ihr zählt beispielsweise jede Form sozialer Ungleichheit und - als spezifische Form struktureller in Verbindung mit direkter Gewalt - existenzielle Abhängigkeit. Letztere besteht darin, dass Individuen oder Gruppen soziale Kooperationen jeglicher Art nicht verlassen können, wenn sie es wollen. Anders als bei der direkten Gewalt, wird nicht direkt eingegriffen: Es werden lediglich alle Alternativen zum bestehenden Leben, Arbeitsverhältnis etc. nahezu unmöglich gemacht.
Für die Ausübung struktureller Gewalt spielt der Staat durch Einschränkung von Verfügungsmöglichkeiten, aber auch durch den Schutz von Privateigentum und die Garantie von Rechtssicherheit eine zentrale Rolle. Als institutionalisierter Garant der herrschenden Ordnung ist er deshalb für uns ein wichtiges Angriffsziel.
Indem sich Gruppen als "geschlossen" definieren und bestimmen, wer über welche Eigenschaften dazugehören darf und wer nicht, funktioniert Herrschaft im Sinne von Diskriminierung, von Ausschluss. Diskriminiert wird an der Arbeitsstelle, in der Familie, im Bildungssystem, durch Gesetze, also auf verschiedenste Art und Weise auf der Basis von tatsächlichen oder konstruierten Merkmalen. Beispiele für solche Merkmale in gesellschaftlicher Größenordnung sind Geschlecht, Ethnizität und Klasse. Diskriminiert wird aber auch durch bestimmte outfits und Verhaltensweisen oder durch Normen, wie das herrschende bürgerliche Kleinfamilienideal.
Tagtägliche Zeitungs- und Fernsehmeldungen machen eines klar: Die Kontrolle der Öffentlichkeit ist eines der zentralen und wirksamsten Herrschaftsinstrumente; Geld und Macht (durch Geld) sind die zentralen Kriterien, die über ihre Verfügung entscheiden. Debatten und Analysen,
die die herrschende Weltsicht als alleinige Wahrheit setzen und die daher von allen verinnerlicht, nachgebetet und schließlich aktiv vorangetrieben werden, erschweren emanzipatorischen Widerstand. Unbequeme oder abweichende Meinungen werden zunehmend durch die herrschende Öffentlichkeit vereinnahmt, die sich damit selbst als vielfältig und kritisch darstellen kann und nebenbei widerständige Positionen erstickt und unhörbar macht. Aktuell zeigt sich dies am Beispiel des World Economic Forum (WEF): Man habe die sogenannten GlobalisierungskritikerInnen erhört und "die Probleme Afrikas" erkannt, so dass die leidigen Proteste also hinfällig seien. Die angepriesene Lösung des WEF besteht nun aber gerade darin, die aggressive Ausweitung des Freihandels voranzutreiben. Die davon abweichenden Konzepte Hunderttausender kritischer Menschen sind somit durch die medienwirksame Zwangsumarmung nicht mehr sichtbar.
Herrschaftsverhältnisse als komplexe gesellschaftliche Prozesse, ihre Umsetzungsweisen und Mechanismen werden fortlaufend dadurch gesichert, dass sie von allen Individuen verinnerlicht und im alltäglichen Handeln ständig stabilisiert werden - dies ist jedoch im Fall direkter Gewalt auf Seiten der Opfer sicherlich weniger relevant. Herrschaft ist im Gegensatz zu den alten Geschichten in ihren unterschiedlichen Ausprägungen also nicht in einfachen Entgegensetzungen von Herrschenden und Beherrschten zu erfassen - obwohl es diese Rollen mit durchaus wechselnder Besetzung in konkreten gesellschaftlichen Situationen gibt.
Die zwanghafte Einbindung aller Individuen in jegliche herrschende Ordnung muss abgewickelt werden!
[schöner leben göttingen]

bei Facebook teilen bei Twitter teilen