Laienverteidigung

TEXTE ZU ORGANISIERUNG VON UNTEN

Strategiepapier der Gruppe Landfriedensbruch


1. Einleitung und Links zu Strategietexten
2. Strategiepapier der Gruppe Landfriedensbruch
3. Teil 2: Wie weiter ...
4. Medien und Kommunikationswege
5. Utopien weiterentwickeln und Praxisansätze finden
6. G8-Mobilisierung
7. Organisierung an Hochschulen
8. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Teil 1: Analyse des Bestehenden - who ist who?
  • Intro: Die Chance ergreifen
  • Kritische Analyse der aktuellen Ziele und Organisationsansätze
  • Die entstandene Lage

Teil 2: Wie weiter ...
  • Intro
  • Nachtrag: Analyse der Reaktion auf die Anschläge in den USA
  • Die Ebenen politischer Arbeit
  • 1. Positionen und Visionen
  • 2. Direkte Aktion: Das Konzept „Erregungskorridor“
  • 3. FreiRäume erobern, Experimente emanzipatorischer Praxis
  • 4. Vernetzung: Die Organisierung von unten

Anhang 1: Vorschläge für einen Beginn der "Organisierung von unten"

Anhang 2: Umsetzungsvorschlag am Beispiel des "Erregungskorridors USA-Anschläge, Krieg & Co.)

Teil 1: Analyse des Bestehenden: "Antiglobalisierung" - wer will was? (1)
Who is who? Welche Streitlinien bestehen? Wer will warum die Tobin Tax und wo kommt ATTAC hier?

A. Intro: Die Chance ergreifen?
Bietet der internationale Protest (je nach Gruppe gerichtet gegen Globalisierung, (Turbo)Kapitalismus oder „das System“) die Chance zu einer Organisierung emanzipatorischer Politik?

Dieser und der folgende (ca. Ende September erscheinende) Text sollen sich mit den Möglichkeiten und Hindernissen auseinandersetzen, die sich aus den quantitativ und qualitativ zumindest für die letzten 2-3 Jahrzehnte neuen Aktionsformen rund um die Kritik an Kapitalismus, Herrschaft oder eingeschränkt gegen Neoliberalismus bzw. Globalisierung ergeben. Dabei setzen wir als Prämisse:

  1. Die internationalen Protestformen bieten wegen ihrer Größe, der über das Normalmaß der Latschdemo deutlich hinausgehenden Aktionsformen und wegen ihrer Internationalität zumindest die Chance für einen dynamischen, druckvollen Ansatz politischer Intervention oder gar Widerstand.
  2. Die Frage, welche Inhalte und Strategien sich durchsetzen, ist zur Zeit nicht entschieden. Die Bündnisse sind weitgehend offen hinsichtlich ihrer Ziele, Positionen und Aktionsformen.
  3. Zur weiteren Entwicklung gibt es sowohl Möglichkeiten einer Ausdehnung in Größe und Qualität politischer Inhalte und Aktionsformen. Ebenso gibt es erhebliche Bemühungen, die entstandenen Ansätze zu zerstören, zu isolieren oder zu integrieren – und damit so oder so unschädlich zu machen.

Dieser Text ist ein Beitrag zur Diskussion und Weiterentwicklung. Wir verweisen ausdrücklich auf eine Reihe interessanter Beiträge, die ganz oder teilweise auf unsere Zustimmung treffen oder wegen der dort aufgeworfenen Fragen und Vorschläge in die Debatte einfließen sollten (Sammlung von Texten auf www.de.indymedia.org und hier).

In jedem Fall rufen wir (wie andere auch) zur Diskussion um Strategien und Aktionsformen, um Positionen und Visionen auf. Daß gerade in Deutschland, als der Nation, dessen Regierung zu den aggressivsten und interventionsorientiertesten Regierungen hinsichtlich der Durchsetzung von Herrschafts- und Verwertungslogik weltweit gehört, eine der schwächsten politischen Bewegungsreste existiert, darf nicht länger als bedauerlicher Zustand hingenommen, sondern muß aktiv überwunden werden. Das bedarf der Ansprache vieler bisher außenstehender Menschen und Gruppen ebenso wie der intensiven, aber konstruktiven Einmischung politischer Gruppen, die bisher von außen mit destruktiven Kommentaren bis Interventionen gegen den Aufbau von Interventions- und Handlungsfähigkeit das Geschehen beeinflussen.

Insofern ist eine zusammenfassende Prämisse dieser Texte: Die Bewegungszusammenhänge und –ansätze, die sich zuletzt quantitativ ausdrucksstark beim G8-Gipfel in Genua zeigten, bieten eine Chance, aus der Lethargie und Ohnmacht herauszukommen. Die Frage nach Herrschaft und Verwertung kann neu und grundlegend gestellt werden. Ob das gelingt oder ob die Chance verpaßt wird bzw. die bisherigen Ansätze instrumentalisiert werden für rechte Ideologien, die Inszenierung des „guten Staates“ mit Minireförmchen oder nationales Rollback, das hängt auch an denen, die als AkteurInnen in dieser Entwicklung mitmischen. Dazu rufen wir auf!

B. Kritische Analyse der aktuellen Ziele und Organisationsansätze
Zur Zeit: Kein gemeinsames Ziel ...
Viele der Kritiken an den Protesten von Seattle bis Genua griffen die fehlenden oder falschen Ziele an. Dabei pauschalisierten fast alle die Aussagen einzelner Gruppen (z.B) oder stellten gezielt bestimmte Positionen als die aller da. Zum Beispiel wurde in vielen linken Medien bei der (notwendigen!) Kritik an nationalen oder antisemitischen Positionen behauptet, daß diese von allen oder vielen vertreten würden. Gleichzeitig behaupteten die Regierungsmedien Spiegel, taz und FR sowie Teile von SPD, Grünen und PDS, daß Attac als Organisation oder die Forderung nach einer Tobin Tax das Zentrum der neuen Bewegung darstellen würden.
Tatsächlich ist das prägende Merkmal der Ziele und Positionen, daß es keine gemeinsamen gibt. Kennzeichnend ist allein ein allgemeines Unbehagen über die sich verstärkende Ausbeutung von Mensch und Natur sowie die riesige Toleranz bzw. Gleichgültigkeit aller Gruppen gegenüber den teilweise gegenläufigen Positionen anderer. Das schafft zum einen die Grundlage der großen Menge an Aktionen und TeilnehmerInnen an Protesten, zum anderen aber auch eine inhaltliche Leere bzw. eine leichte Vereinnahmbarkeit von Aktionen - sichtbar zum Beispiel in der Behauptung, die Tobin Tax sei das Ziel der Bewegung seitens des Bündnisses aus Attac, Einzel-NGOs wie Weed, den Regierungsmedien FR, taz und Spiegel sowie Teilen von SPD/Grünen/PDS.
Die unterschiedliche Gewichtung von Positionen, zur Zeit vor allem die Dominanz von ultrareformistischen Forderungen entsteht durch die Übernahme und Instrumentalisierung durch staatstragende Medien und Parteien sowie durch die technische Überlegenheit professioneller, staats- und konzerngeldgefütterter Zentralen der entsprechenden NGOs (WEED, Attac usw.).

Das Rezept zur Neutralisierung der Bewegung: ATTAC und der integrierende Staat
Man nehme: Eine große Portion Neokeynesianismus (Theorie, nach der der Staat dem Markt gegenüber steht und ihn durch Eingriffe steuert) und Staatsgläubigkeit, eine Prise Nationalismus, ein völliger Verzicht auf Herrschaftsanalyse gekoppelt mit einer Allergie gegen Anarchismus und Sozialismus, gewürzt mit Vitamin B (zu den Zeitungen der Regierenden) sowie modernstes Küchengerät (Technik, Menschen mit Managementfähigkeiten). Dem Ganzen gebe man einen tollen Namen: ATTAC. Zusammen mit der Unfähigkeit aller anderen KöchInnen, eigene Ideen umzusetzen, entsteht daraus das Monopol aufs Hauptgericht ...

Die Theorie der Staatsintegration
Seit Mitte 2000 wird von der „Staats-Antifa“ gesprochen. Gemeint ist damit ein Verhalten des Staates, das systematisch einen gesellschaftlichen Streitpunkt zum eigenen Handlungsfeld und sich selbst zur besten Lösungsebene erklärt. Unterstützt von den regierungstreuen Medien (je nach Regierungsparteien sind das andere) wird vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung diese Linie durchgesetzt. Die bisherigen politischen AktivistInnen erscheinen plötzlich überflüssig. Sie werden in das Projekt staatlicher Hegemonie eingebaut oder, wenn sie sich der staatlichen Logik nicht unterwerfen, umso stärker mit Repression überzogen. Staatliches Handeln dieser Kategorie ist die Mischung aus „Zuckerbrot und Peitsche“, auch umschreibbar mit „Teile und herrsche“ bis hin zu „Spalte und herrsche“. Denn die Sogkraft staatlicher Hegemonie ist erheblich - sie reicht von der öffentlichen Präsenz bis zu enormen Geldflüssen.
Beispiel 1968: Dieses Phänomen ist keineswegs neu, hat sich im Laufe der Jahre jedoch immer weiter verfeinert. So wurden die „68er“ erst sehr schwerfällig integriert - ihr Protest war auch aus diesem Grund vergleichsweise lange und intensiv. Die Schaffung vieler Posten, die Aufnahme in die sozialliberalen Regierungen bis hin zur in den meisten Bundesländern riesigen Finanzausstattung von SchülerInnenvertretungen und ASTAs wurden die AktivistInnen in die vorgegebenen Strukturen gebracht - ihre Unabhängigkeit schmolz dahin (und ist heute fast komplett verschwunden - fast alle „linken“ Gruppen schielen nicht auf ihre eigene Organisierung, sondern auf öffentliche Gelder, Räume, ASTA-Posten usw., vertun viel Zeit und Kraft mit dem Erreichen dieser und bilden kaum mehr selbstorganisierte, d.h. autonome Handlungsformen aus!).
Weiteres Beispiel: Die Umweltbewegung, die ihren Höhepunkt in den Siebziger und Anfang Achtziger Jahre hatte, ist ab Mitte der 70er immer mehr komplett zu einer „Staats-Ökologie“ geworden. Die Verbände und FunktionärInnen wurden mit Millionenbeträgen zugeschüttet. Der Staat selbst gründete den Dachverband der deutschen Naturschutzverbände und verpaßte ihm schließlich einen eigenen Haushaltstitel, d.h. die Finanzkontrolle liegt seitdem bei der Bundesregierung. In allen Bereichen, ob Pädagogik, Öffentlichkeitsarbeit bis hin zur Durchsetzung der Verbände mit Staatsangestellten oder Parteimitgliedern wurde kein Bereich übriggelassen. Die Folge ist, daß die Umweltgruppen seit den Achtziger Jahren als staatstragend bezeichnet werden können. Sie stützen nicht nur die Regierenden, sondern sind aktiv beteiligt an der Repression gegen die wenigen „Ökos“, die diesen Weg nicht mitgemacht haben.
Immer mehr Beispiele: Dieser Ablauf ist so oder ähnlich überall zu finden. Die Aktivistinnen der Frauenbewegung landete irgendwann (fast) alle in staatlich geförderten Frauenzentren oder gleich bei den Regierenden, wo sie sich um Frauenbelange kümmern sollten - und darum, daß der Apparat besser und widerspruchsfreier flutscht. AusländerInnenbeauftragte und -beiräte modernisieren die Herrschaftsgefüge und teilen die Betroffenen und AktivistInnen in „Gute“ und „Böse“. Jedesmal ging es schneller. Wo immer ein neues Thema auftauchte, organisierte der Staat immer effizienter die Integration und Teilung von Bewegung. Zur Zeit können die Antifa-Gruppen ein Lied davon singen - aber eine Strategie, überhaupt ein breiterer, ernstzunehmender Versuch der selbstorganisierten, unabhängigen Widerständigkeit fehlt ihnen. Teilweise betreiben sie selbst die Spaltung in „Gute“ und „Böse“, in dem sie sich mit Pathos der einzig „Richtigen“ aus politischen Debatten verabschieden, andere diffamieren (statt mit ihnen um Strategien zu ringen) und sich auf ihren Inseln öffentlich nicht mehr wahrnehmbarer Nörgelei wohlfühlen. Dem Staats kanns recht sein ...
Und nun heißt es seit einigen Monaten „Neues Spiel, neues Glück“: Die internationalen Proteste, in den Medien als „Antiglobalisierung“ stigmatisiert, sind stark geworden und daher ein neues Einsatzfeld für die Herrschaftslogik der Integration. Die Maschinerie dafür in zumindest in Deutschland präzise ausgeprägt. Sie trifft auf eine Bewegung, die in Deutschland stark zersetzt, unfähig zu strategischer Debatte, von Gruppenegoismen durchzogen und fern jeglicher Selbstorganisation ist, d.h. abhängig von staatlichen Geldern, zahlungskräftiger Klientel oder beschränkt auf kleine Nischen. Von Deutschland konnte der Protest daher auch nie ausgehen, nicht einmal mitentwickelt werden. Die Dynamik in anderen Ländern aber bringt die Möglichkeit, daß die Ideen überschwappen und mitreißen. Einzelne AkteurInnen in Deutschland, oft stark isoliert, versuchen dieses seit Jahren, z.B. im Expo-Widerstand, über die Teilnahme und Weiterführung von internationalem Widerstand oder mit der Gründung von Netzwerken im Bereich direkter Aktion/kreativer Widerstand. Bislang sind allesamt gescheitert.
Seit 1999 (18. Juni in London, später dann Seattle als erstes sehr bekanntes Ereignis) wird in vielen anderen Ländern die neue Handlungsfähigkeit sichtbar. Fehlende inhaltliche Klarheit und fehlende dezentrale Breite an Aktionen sind zwar als Kritikpunkte erkennbar, jedoch ändert das nichts an der Tatsache, daß ein interventionsfähiges Potential entsteht - so groß, daß die Regierenden als jeweils personell die Herrschaftsverhältnisse Ausfüllende sich nicht mehr ungestört treffen und schließlich sogar mit Todesschüssen auf die WiderständlerInnen vor den protestierenden Menschen schützen müssen. Die Verhältnisse zwischen Regierenden und den Menschen sind in kurzer Zeit spektakulär aggressiv geworden und gleichen den Bildern aus Diktaturen. Todesschüsse, Folter, massive Repressionen, Verschwindenlassen von Personen usw. sprechen eine eindeutige Sprache und schaffen den Erregungskorridor für politische Debatten, aus denen Veränderungen folgen können..
In dieser für Staat und Markt gefährlichen Situation gibt es für die Herrschenden nicht nur die blanke Gewalt und Repression als Mittel (italienischer Weg zur Zeit), sondern das viel intelligentere Mittel des „Teile und herrsche“. Und genau das geschieht zur Zeit - fast widerstandslos lassen sich in Deutschland politische Gruppen in „Gut“ und „Böse“ teilen, werden die „Guten“ mit Staatshilfe aufgepeppelt, gestärkt, um die Hegenomie des Staates zu sichern. Währenddessen können die wenigen, die sich dem verwehren, als lernunfähige Außenseiter abgestempelt werden.

Folgende Prozesse der Integration und Repression sind bereits gut sichtbar:
  • Die „Guten“ und „Bösen“ werden öffentlich konstruiert: Bis zum EU-Gipfel in Göteborg war alles weit weg. Danach aber reagierten Regierende und Medien. Sie bauten die Gefahr von Gewaltorgien, Unregierbarkeit bis zum Terrorismus (FR) auf. Gerade die regierungstragenden Medien (nach der Logik von Herrschaft nicht überraschend - aber dennoch für viele „Linke“ doch irritierend, weil eben eine gute Herrschaftsanalyse in politischen Gruppen fehlt) wie Spiegel, taz und FR begannen mit einer positiven Überzeichnung der „Guten“ und einer Hetzjagd auf die „Bösen“. Dabei ging diese Teilung nicht von der realen Lage aus, sondern die „Guten“ und „Bösen“ mußten frei konstruiert werden (schließlich sind in Deutschland kaum klar erkennbare Zusammenhänge im internationalen Widerstand entstanden).
  • Die „Bösen“: Im Vorfeld von Genua gelang es gar nicht, „böse“ Gruppen tatsächlich ausfindig zu machen. Zwar wurden Einzelne genannt (mal Linksruck, mal die Rote Flora in Hamburg oder die Projektwerkstatt in Saasen), doch alles war sichtbar reine Spekulation. Größere Zusammenhänge kreativer Widerständigkeit sind in Deutschland (bisher) nicht entstanden - zu nennen wären die immer gescheiterten Versuche, eventorientierte Kampagnen (Seattle/Global Action Day, Expo, Prag, Genua) weiterzuführen, oder die versuchte Gründung eines Direct-Action-Netzwerks. Nichtsdestotrotz wurden die „Bösen“ gebraucht und daher frei konstruiert - als Bedrohung, als Druckpotential, um das Verhalten der „Guten“ zu kontrollieren, und um repressives Regieren akzeptabel zu machen. Massiv forderten z.B. die FR und die taz ein, daß militante AktivistInnen künftig aus Demonstationen entfernt werden müßten, sonst wären auch die Gewaltfreien (hier synonym für „Guten“) schuld an einem neuen Terroismus. Undsoweiter ...
  • Die „Guten“: Schnell und professionell entstanden die Guten - als virtuelle Organisation und vom ersten Tag an mit der Hauptzielrichtung, die „Bösen“ (als Sammelbezeichnung für radikale, d.h. grundlegend markt- und herrschaftskritische Gruppen) aus den öffentlichen Debatten zu drängen. Übernommen die künstliche Entstehung der „Guten“ wurde ein Name, der schon bestand und in anderen Ländern bereits seine Funktion gut erfüllt hatte - nämlich eine gut handhabbare, staatsnahe Organisation ohne demokratische Strukturen, d.h. kontrolliert von einer kleinen Zahl von FunktionärInnen. Zudem hatte sie einen aggressiv klingenden Namen, hinter dem aber ein langweiliges, extrem-reformistisches Programm steckt: ATTAC. In Deutschland war diese Organisation noch weitgehend unbekannt, spielte keinerlei Rolle - bis Göteborg kam und die „Guten“ gebraucht wurden. Als ExekutorInnen stand eine kleine Gruppe von JungmanagerInnen aus einer Kleinstadt in Norddeutschland bereit. Sie hatten sich Mitte der 90er Jahre aus radikalen Jugendzusammenhängen herausgelöst, dann ihre Wandlung zu KapitalistInnen und Staatstreuen in einem der vielen profitorientierten Ökoprojekte der Ende 90er Jahre vollzogen und schließlich nach einer Ebene gesucht, als abgehobene Lobbygruppe wieder große Politik zu machen. Zunächst scheiterten sie mit ihrer eigenen Gruppe, dann versuchten sie, die Anti-Atom-Bewegungsgruppe „X1000malquer“ als Geschäftsstelle zu übernehmen (das scheiterte knapp (!) an einzelnen Vetos aus Basisstrukturen). Im dritten Anlauf dann klappte es. Im Jahr 2000 wurde ATTAC gegründet, dümpelte zunächst vor sich hin. Die bundesweiten Treffen waren von Langeweile und Hoffnungen auf alte SozialdemokratInnen geprägt. In der kleinen Führungsgruppe herrschafte Desinteresse, das Projekt stand kurz vor dem Aus. Anfang 2001 übernahm dann die JungmanagerInnengruppe das Projekt als Geschäftsstelle. Die wenigen Basisgruppen hatten fortan gar keinen Einfluß mehr auf das Geschehen. Als nach dem EU-Gipfel in Göteborg das „Gute“ gesucht wurde, war es in dieser Organisation gefunden - fortan war ATTAC die Spitze der Bewegung. Die JungmanagerInnengruppe machte das zwar mit, aber sie hätte das weder strategisch noch inhaltlich füllen können. Die StrategInnen des virtuellen ATTAC sitzen bei FR, taz und Spiegel. Die Programmatik von ATTAC reduziert sich auf einzelne minireformistische Punkte, die selbst von der Weltbank/IWF schon vorher als sinnvoll angesehen wurden und von den neoliberalen Regierungen (Jospin, Schröder usw.) bereits wenige Tage nach den Ereignissen von Genua locker übernommen wurden - vor allem die Schließung von Steuer-Oasen und die Einführung einer Devisenspekulationssteuer (Tobin Tax). Diese inhaltlichen Forderungen sind sicher das dünnste reformistische Programm, was jemals breiter vertreten wurde - während die Industriestaaten Kriege führen, die Weltmärkte freikämpfen, die Verwertungslogik immer mehr ausdehnen (z.T. auf Wasser, Luft, Gene), Umwelt und damit die Lebensgrundlagen zerstören, Menschen in Verwertungszwänge treiben sowie massive repressive Gewalt entwickeln, fordert ATTAC internationalen Druck auf kleine Länder mit besonderer Steuerfreiheit sowie die Einführung einer Steuer auf Währungskauf und -verkauf. „Zur Stabilisierung der Finanzmärkte“ und „für einen krisensicheren Kapitalismus“ bis hin zum „Erhalt des Wohlstandes in den Industrieländern“ begründet ATTAC selbst diese Forderungen.
  • Wie aus den „Guten“ die Spitze der Bewegung wird: Damit die Sache mit ATTAC klappte, mußte ATTAC wichtig werden. Die Programmatik von ATTAC ist dafür völlig ungeeignet - jeder Mensch mit nur einem Hauch politischer Analyse bemerkt, daß die Forderungen nichts verändern würden, die geringen positiven und negativen Effekte halten sich höchstens die Waage. ATTAC ist weit hinter den schlechten Reformprogrammen der als „Linke“ in SozialdemokratInnen oder Grüne bezeichneten Minderheiten zurückgefallen, auf jeden Fall deutlich hinter PDS, vielen NGOs oder bestehenden Aufrufen zu einer sozialen Wende – und die waren meist schon schlecht, wollten den guten Staat und die gute Marktwirtschaft ohne jegliche Analyse von Herrschaft und Verwertung. Dass ATTAC binnen weniger Wochen zur virtuellen Spitze der Bewegung wurde, ist schlicht ein Werk der Herrschenden selbst. Die regierenden Parteien und ihre Medien haben zwischen Göteborg und Genua eine massive Diskussion und Spaltung organisiert. Sie boten den in dieser ersten Phase von den Medien selbst ausgerufenen Führungspersonen aus ATTAC (z.B. die französische ATTAC-Vizepräsidentin Susan George oder den deutschen NGO-Kader und ATTAC-Funktionär Peter Wahl) seitenweise die Möglichkeit zur Darstellung ihrer Ideen und versuchten, sie gleichzeitig gegen radikale politische Gruppen zu instrumentalisieren. Das gelang - ATTAC wurde innerhalb kurzer Zeit zur Spitzengruppe in Deutschland. JournalistInnen fuhren mit den ATTAC-Bussen nach Genua, ATTAC-FunktionärInnen konnen beliebig spalten, hetzen und ihre minireformistischen Forderungen einbringen (z.B. für die anstehenden Proteste in Genua die Forderung nach kleinen sozialen und ökologischen Verbesserungen bei Hermesbürgschaften). Da radikale Gruppen nicht zu Wort kamen, standen die Positionen von ATTAC völlig allein im Raum - stellvertretend so scheinbar für alle Protestgruppen. Diese Ausschließlichkeit war nur teilweise das Werk von ATTAC selbst (in der Tat betrieben ATTAC-FunktionärInnen auch von sich aus die Ausgrenzung antikapitalistischer Positionen in der Vorbereitungsarbeit zu Genua), sondern vor allem der regierungstragenden Medien. Sie organisierten die Dominanz von ATTAC, sie machten ATTAC zur scheinbaren Führungsebene aller. Sie formulierten, daß sich alle Protestgruppen unter dem Dach von ATTAC versammeln. Die ATTAC-Führungsgruppe wehrte sich nicht. Sie ließ sich treiben im neuen Ruhm und den neuen Möglichkeiten. Sie antwortete brav auf die gestellten Fragen. Die eigentlichen MacherInnen der Hegenomie des staats- und kapitalismusbefürwortetenden ATTAC saßen vor allem bei FR und taz sowie in zweiter Linie in weiteren Medien - ähnlich also, wie ATTAC auch international entstand als Projekt der Zeitung „le monde diplomatique“ und als Werk von PR-Profis. Nach Genua dann machten noch breitere Kreise ATTAC zur neuen Führung - z.B. sog. Linke bei SPD und Grünen, die PDS und weitere Medien. Bislang mit radikalem bis revolutionären Pathos auftretende Gruppen wechselten mit wehenden Fahnen in die Arme der zur Bewegungsspitze aufgebauten Organisation ATTAC, in der sie wegen der antidemokratischen Strukturen und der Steuerung politischer Aussagen durch regierungsnahe Medien und Kreise keinerlei Darstellungsmöglichkeit haben. Selbst sich bis dato antikapitalistisch nennende Gruppen wie SAV oder Linksruck und Funktionäre z.B. aus der DKP wurden an ATTAC „assimiliert und tobiniert“ - bemerkenswert die ATTAC-"Karriere" von DKPler Hugo Braun. Noch bei einem der ersten Ratschläge äußerte er sich völlig ablehnend zur Programmatik von ATTAC, hetzte gegen den "Verräter" Peter Wahl (Ex-DKPler, jetzt ATTAC-Koordinationskreis). Nun ist er selbst assimiliert und im ATTAC-KoKreis. Zitate aus den internen Anweisungen der Linksruck-Zentrale an seine Stadtleitung: „In den nächsten Wochen müssen wir daraus Zählbares machen: ... viele neue Mitglieder bei Attac ... Attac ist hochgradig erfolgreich, dieses Potential auf ihre Mühlen zu leiten. Wir müssen das auch – als Teil von Attac und als eigenständige Organisation. ... Eine Genossin verkauft in Hamburg allein sechs Zeitungen, indem sie die PassantInnen mit der Attac-Unterschriftenliste für die Tobinsteuer ansprach ... Der Attac-Kongress wird das wichtigste antikapitalistische Ereignis in Deutschland in den nächsten Monanten werden. Und Attac drückt mit der der Forderung nach der Tobin-Steuer die Empörung über die Ungerechtigkeit der Globalisierung von oben hervorragend aus. ... Diese Dinge sind keine Luftnummer, sondern entsprechen einem realen Durchbruch auf Basisebene“.
  • Beispiel für eine andere Methode - die „Guten“ und „Bösen“ bei der Klimakonferenz in Bonn: Die Benutzung des Namens ATTAC und seiner jung-dynamisch-inhaltsleeren Führungsgruppe als Inszenierung der „Guten“ ist nur eine Methode der Konstruktion von „Guten“ und „Bösen“. Ein weiterer wurde bei der Klimakonferenz sichtbar. Wieder waren es vor allem die regierungstragenden Medien – wieder bis hin zur Jungen Welt und Neuen Deutschland. Alle Parteien zogen mit und die NGOs waren willfährige Objekte. Während der entscheidenden ersten Woche der Klimakonferenz führten vor allem Gruppen Aktionen durch, die deutliche Kritik an der Konferenz hatten oder sie ganz ablehnten. Doch in der Öffentlichkeit kam etwas ganz anders rüber: Die „Guten“ wurden komplett erfunden, in dem die Aktionen unter ein anderes Motto gestellt wurden. Ohne irgendeinen Wahrheitsgehalt wurde Tag für Tag berichtet, daß die Aktionen der Unterstützung von EU-Positionen, des Kyoto-Protokolls und der Kritik am US-Präsidenten Bush dienten. Gleichzeitig gab es, vermehrt nach dem EU-Gipfel in Göteborg, eine ständige Warnung und Hetze gegen die „Bösen“ - einmal wurden 350 Autonome für Bonn angekündigt, zum anderen der geplante Gratiszug nach Genua zum Projekt der „Bösen“. Im Unterschied zum „Guten“ ATTAC wurden in Bonn einfach die aktiven Personen und Gruppen zeitgleich als „Gute“ und „Böse“ konstruiert. Es gab keine Chance, mit den eigenen Positionen durchzukommen. Was auch immer die AktivistInnen taten, die Medien sowie die NGOs interpretierten die Aktivitäten, wie es ihnen paßte. Die Klimakonferenz-Methode ist auch nicht neu – so gab es sie schon rund um die IWF/Weltbank-Proteste in Prag im September 2000. Zitat aus der FAZ (29.10.2000): „Vor wenigen Wochen noch waren die Aktivisten der globalen Anti-Globalisierungsfront (...) von der tschechischen Polizei windelweich geprügelt und wie Kriminelle behandelt worden, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie ihren Protest friedlich zum Ausdruck gebracht hatten oder nicht. Und nun saßen sie unter dem hellerleuchteten Lüstern und der tschechische Präsident und andere Mächtige dieser Welt nickten beifällig, wenn die gleichen Ansichten vorgetragen wurden, für die sie sich auf der Straße dicke Beulen und blaue Flecken geholt hatten.“

Die GegnerInnen: Von Antideutschen bis „Neuer Mitte“
Der Versuch, im Kontext der Diskussionen um Neoliberalismus, starkem Staat, neuer Kriegslüsternheit, Abschiebung und Umweltzerstörung, sozialer Ausgrenzung usw. die Interventionsfähigkeit und -breite politischer Bewegung zu stärken, trifft in Deutschland auf eine massive und sehr unterschiedliche Gegenwehr: Rechtsextreme, Neoliberale, gutsituierte Bürgerliche und radikallinke Organisationen polemisieren gleichermaßen gegen die Aktionen und AkteurInnen. Das gemeinsame Interesse dieser sonst sehr unterschiedlichen Gruppen (was haben CSU, NPD, Gerhard Schröder, NGOs und die Zeitung „konkret“ sonst schon gemeinsam?) trifft sich an einem Punkt: Sie sichern ihre Pfründe und Machtstellungen gegenüber den „unbekannten Neuen“. Was die einen bezogen auf den Staat zu verteidigen haben, sehen die anderen in ihrer Hegenomie in politischen Debatten oder beim Zugang zu „Pfründen“ wie ASTA-Posten und -Gelder, Räume oder Medien. Teilweise krasse Beispiele sind etliche Rauswürfe ungeliebter Personen aus Genua-Vorbereitungstreffen in Deutschland oder die Kritik von Jürgen Elsässer in „konkret“, daß gefälligst alle anerkennen sollen, daß es nur einen Hauptwiderspruch, den Kapitalismus gebe - und alle anderen, vor allem alle vorbereitenden Gruppen zu Genua, blöde seien). Die große Zahl der internen Anfeindungen fördert die Spaltung in „Gut“ und „Böse“ und verhindert gemeinsame Debatten und Aktionsstrategien, da meist ein großer Teil politischer Gruppen fehlt – meist gerade aus Zusammenhängen, die grundlegende Herrschafts- und Verwertungskritik äußern könnten bzw. diese Positionen in den Vorbereitungsdebatten und –bündnissen stärken könnten. Die staatsnahen NGOs sind meist in der Minderheit, aber strategischer und weniger zerstritten bei der Ausübung ihrer Dominanz in der öffentlichen Darstellung.

Sich selbst im Weg: Widerständige Gruppen
Radikale, antikapitalistische bis militante Gruppen und Personen spielen bei den Aktionen eine große, meist die prägende Rolle, aber es gelingt ihnen nicht, politische Wirkung in Richtung ihrer Ziele zu lenken. Ihre Wirkung ist groß, aber oft kontraproduktiv - und das zu guten Teilen aus eigener Schuld. So haben die heftigen Auseinandersetzung zum EU-Gipfel in Göteborg und zum G8-Gipfel in Genua vor allem die gestärkt, die Staat und Marktwirtschaft mögen, an ihrem Überleben mitbasteln und aggressiv gegen die Gruppen zufeldeziehen, die die Proteste erst medienwirksam gemacht haben. Es ist vor allem das Werk militanter Gruppen, daß eine JungmanagerInnen-Gruppe wie Attac groß und dominant werden konnte. Das wird auch intern in Attac-Kreisen selbst so gesehen. Doch daraus resultiert keine Solidarität, sondern Attac agiert strategisch, nicht politisch. Ihr aggressiver antimilitanter sowie oft auch antiemanzipatorischer, antianarchistischer und antikommunistischer Stil ist Bestandteil des Versuch, aus dem Stand heraus zum wichtigsten NGO in Deutschland zu werden.
Diese Entwicklung, von rotgrünen Regierungskreisen (Parteien, Stiftungen, Bildungswerken usw.), PDS und regierungstragenden Medien unterstützt, trifft auf eine kampflose Aufgabe bei radikalen Gruppen. Diese „Kampflosigkeit“ äußert sich u.a. in völligem Desinteresse der Vermittlung eigener Positionen: Nach Lage der Dinge waren die sog. schwarzen Blöcke nur teilweise unterwandert und beeinflußt von Bullen, Nazis usw. Die Vermittlung der Aktionen lag durch die AkteurInnen selbst wäre möglich gewesen. Es war ihre Entscheidung, Banken anzuzünden, aber nicht zu vermitteln, warum das geschah. So war es ein leichtes Spiel der antimilitanten und antianarchistischen NGOs sowie der Regierungen und der Medien, allein den politischen Sinn aller Aktionen zu vermitteln. Sie taten es auf ihre Weise.

Der Versuch einer selbstorganisierten Vermittlung radikaler politischer Position unterblieb fast vollständig durch die folgenden, z.T. gleichzeitig auftretenden Strategiemängel:
  • Reduzierung auf das militante Agieren und Aussehen. Die handelnden Gruppen sind undurchsichtig, unansprechbar und kümmern sich kaum oder gar nicht um andere Formen politischer Intervention und Aktion wie eigene Medien und Nutzung/Beeinflussung der kapitalistischen Medien (offensive Pressearbeit bis zu Attacken auf Medien, Treffpunkte, direkte Vermittlung („teach-in“ an brennender Bank oder in besetzten Symbolen von Markt und Macht, Flugblätter, Slogans, Transparente ...).
  • Abtrennung aus politischen Zusammenhängen, was die Möglichkeit des (notwendigen!) Hineintragens radikal-emanzipatorischer Positionen und autonomer Praxis in die Bündnisse (zumindest als Contrapunkt und Widerspruch) erschwert, andererseits die Ausgrenzung durch die NGOs leicht macht.
  • Fehlende Nennung, möglicherweise auch Nicht-Existenz von emanzipatorischen Positionen und Visionen.
  • Trennung von Theorie und Praxis, sei es in den Personen (rein praxis- und rein theorieorientierte Gruppen nebeneinander) oder zeitlich, d.h. eine Person oder Gruppe kann zwar beides machen, aber es hat wenig miteinander zu tun.
  • Fehlender Wille zur gesellschaftlichen Wirkung, zum Teil wird eine öffentliche Sichtbarmachung z.B. in Medien oder in Form ablehnender Äußerungen herrschender Politik und Wirtschaft sogar bewußt abgelehnt.
  • Verächtliche Abgrenzung von der Normalbevölkerung bis hin zur aggressiven Anmache
  • Abgeschlossenheit von Gruppen und Zentren aus radikalen Gruppen, abgrenzender Kleidungs- und Sprach-Code usw.
  • Erstarrte Formen politischer Aktion – vom Slogan über Fahnen und (fehlende) Transparente bis zur Aktionsform. Überraschende Momente fehlen fast völlig, Kreativität und Subversion sind teilweise sogar verpönt, die inhaltliche Vermittlung reduziert sich auf Standardparolen.
  • Aktionen, die emanzipatorischen Zielen widersprechen wie Zerstörung von privaten Kleinwagen oder Gefährdung von Wohnungen.
  • Krasse Dominanzen, Intransparenzen, Grabenkämpfe um die „einzig wahren“ politischen Positionen verbunden mit hinter politischen Ausgrenzungsdebatten versteckten Hegemonialkämpfen von Wichtig-Leuten aus verschiedenen Strömungen bis hin zu Pfründesicherung und Streit um Geldtöpfe, Zugänge zu materiellen Ressourcen z.B. bei ASTAs und (absurd!) NGOs bzw. Staat (was natürlich nie zugegeben würde, aber weit verbreitet ist ...).

Neben dieser Wirkungslosigkeit durch die Aktions- und Organisierungsformen gibt es eine organisierte Destruktivität, d.h. es ist Ziel etlicher politischer Gruppen, die Handlungsfähigkeit anderer zu verringern – selbst dann, wenn die Gruppe selbst in einem Thema oder in einer Kampagne gar nicht aktiv werden will. In jeder Kampagne der letzten Jahre gab es ...
  • nicht nur Mobilisierungsveranstaltungen, -flugblätter und –zeitungen, sondern auch Aufrufe zu Boykotts und Demobilisierung.
  • Beschimpfungen der AkteurInnen in alle Richtungen: Antisemitismus (gerade „in“ und geht inzwischen soweit, daß Antikapitalismus als antisemitisch bewertet wird, um eine maximale Anzahl von Gruppen diskreditieren zu können – tatsächlich aber muß diese Kritik selbst als antisemitisch angegriffen werden, denn sie setzt im Umkehrschluß Judentum und Kapitalismus gleich), Sexismus (z.Zt. etwas durch die massive Hetze mit anderen Begründungen verdrängt), Rassismus, Entpolitisierung (z.B. Angriffe gegen bunte Aneignungsaktionen wie „Reclaim-the-Street“, Gratiszug usw., z.T. gegen PC-Code-durchbrechendes Auftreten), Spitzelvorwürfe (z.B. beim Gratiszugprojekt nach Genua gleich gegen drei AkteurInnen) und auf viele andere Arten (z.B. Vorwurf, für die Agenda 21 zu sein, gegen den Expo-Widerstand durch die Bahamas, Kritik an Tute bianche, ungeschützt vor prügelnde Bullen zu treten usw. - ein Eindruck organisierter Destruktivität zeigt z.B. die Seite www.antideutsch.de).
  • Theoretisierende Debatten, die den aktiven Bewegungen falsche Orientierugnen vorwerfen, z.B. Kritik an den aktuellen (und notwendigen!!!) Erweiterungen des Herrschaftsbegriffes (Beharren auf Hauptwiderspruch Kapitalismuskritik, z.B. in der „konkret“, oder Festklammern an der Triple-oppression-Theorie).
  • nichtöffentliche massive Behinderungen, Versperren von Verteilern, Weglassen von Links, Terminen und Informationen auf Internetseiten, in linken Zeitungen usw., Einschränkung des Zugangs zu materiellen Ressourcen, Räumen usw. durch intransparente Machtzirkel in „linken“ Gruppen.

All dieses Verhalten hat nichts mit emanzipatorischen Positionen zu tun, sondern hat als Grund den Erhalt oder Ausbau der eigenen Einflußmöglichkeiten und Machtposition in politischen Zusammenhängen.

Auch wer fehlt, zeigt, was ist: „Bewegung“ ohne Jugendprotest, Queer-, feministische und MigrantInneninitiativen, Kultur und Kreativität
Politische Aktionen in Deutschland sind – und hier zeigt sich einer der auffälligsten Unterschieden zu Ländern wie Italien, England oder viele Länder im Trikont – kaum mitgetragen von Gruppen und Menschen mit kulturellem Zugang. Kreative Performance, Puppen oder Transparente, Musik und Hacktivism, verstecktes Theater und Kunst als integraler oder sogar alleinstehender Teil politischer Intervention und direkter Aktion sind selten und meist kaum erkenntlich. Dominant ist geordnete, teilweise verordnete Einheitlichkeit und Langeweile. Bunte, vielfältige und druckvolle Bewegungen sind stark getragen von Jugend- sowie anti-konformen Zusammenhängen. In Deutschland fehlen diese fast völlig bei Aktionen und in politischen Treffpunkten – ein deutliches Zeichen für eine Organisierungsform, die antiemanzipatorisch wirkt. Die vereinheitlicht, einengt statt befreit.

C. Die entstandene Lage
Als Ergebnis der Lage entwickelt sich erneut eine Interventionsfähigkeit und Erstarrung politischer Bewegung in Deutschland. Einige Beispiele sollen das abschließend verdeutlichen:
  • DieTobin Tax als politischer Vorschlag zur Stabilisierung des Kapitalismus und zur Befriedung des Protestes sind innerhalb von wenigen Wochen von fast allen NGOs unterstützt worden, aber auch von ehemals antikapitalistischen Gruppen (Linksruck, SAV, DKP). Selbst auf der Mailingliste von Hoppetosse, der in Deutschland größten Vernetzung kreativer, emanzipatorischer Widerstandsideen, plädierten einzelne Personen dafür, zunächst die Tobin Tax mitzuentwickeln, um darüber einen breiteren Widerstand zu erreichen – welch eine fatale Analyse des Geschehens. Alle regierungstragenden Medien machen die Tobin Tax zum Mittelpunkt ihrer Forderungen, dichten der Bewegung diese Forderung als zentrales Instrument an, während immer schneller auch die Herrschenden die Idee übernehmen. Jospin, Schröder ... wer als nächstes?
  • Völlig anders verläuft die Debatte in Italien. Dort, wo der Widerstand eine ganz andere Breite und Qualität hat, ist Genua eher Anlaß zu mehr. Die bekannteste Protestgruppe, die tute bianchi, wollen sich zugunsten ausgeweiteter Widerstandsformen und sozialer Prozesse umgestalten oder gar auflösen: „Es war eine positive Erfahrung, aber jetzt scheint sie mir nicht mehr angemessen, um der imperialen Logik, mit der wir konfrontiert sind, entgegenzutreten – wo die Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist und nicht umgekehrt, wie Clausewitz einmal geschrieben hat. ... Wir sollten einen Krisenzustand des GSF ausrufen. Das muss nicht Lähmung bedeuten, vielmehr die Feststellung, dass unsere Analysen, Perspektiven, politische Agenda beschränkt war. ... die Antwort der Straße in Genua: Das sah aus wie ein Aufstand, nicht wie eine Demonstration. Das muß analysiert und begriffen werden ...“ (Luca Casarini, Sprecher der Tute bianche, in SoZ Nr. 17 vom 17.8.2001, S. 10)
  • Zwischen Nord- und Süd-NGOs weltweit gibt es gravierende Unterschiede in den politischen Konzepten. Sichtbar wurde das z.B. im Streit um die Entschuldung. Die deutsche Entschuldungskampagne wollte wollte die politischen Vorschläge der G8-Staaten (Beschlüsse von Köln 1999) übernehmen, international sowie in vielen Basisgruppen in Deutschland war dagegen ein kompletter Schuldenerlaß weiterhin das Ziel. Ein bemerkenswerter Unterschied. Zu Minireförmchen (zu denen auch die Tobin Tax gehören würde), berichtete die SoZ Nr. 17 auf Seite 9 vom Gegengipfel in Genua aus einer Rede des thailändisches NGO-Vertreters Walden Bello: „Die Forderung nach „kleinen Reformen“ rechtfertige ausschließlich die Regeln der ohnehin einflussreichen Länder und verfestige die Ausbeutung der Armen im Welthandelssystem“.
  • Wenigstens in einem Punkt besser organisiert sich der Castorwiderstand – und kann von daher Ausgangspunkt für strategische Modelle sein. Nach Jahren des Streits zwischen verschiedenen Richtungen (z.B. militanten und gewaltfreien Gruppen) gelang eine Einigung auf das sogenannte Streckenkonzept, nachdem alle Gruppen ihre Aktionsform frei wählen und in einem Aktionsrahmen umsetzen konnten, wo sich die verschiedenen Formen nicht gegenseitig behinderten. Das hat dem Widerstand nicht nur erheblich mehr Druck gegeben, sondern auch Entwicklungen ermöglicht, die nur vorstellbar sind ohne den Druck der internen Reglementierung und Ausgrenzung – so hat z.B. die Aktion „X1000malquer“ inzwischen den Begriff der Gewaltfreiheit soweit verändert, daß gesundheitsunbedenkliche Durchbrüche durch Polizeiketten geübt und durchgeführt werden (technisch besser organisiert als viele militante Gruppen!). Völlig unbefriedigend bleibt dagegen die Selbstorganisierung in der Vermittlung nach außen – beim letzten Wendlandcastor saßen die FunktionärInnen des BUND in den Fernsehstudios, während andere (der BUND eher gar nicht) draußen die Aktionen machten. Und der BUND erzählte einen Scheiß ... (z.B. Distanzierung von Essigsäure, die von der Polizei bekanntlich frei erfunden war, und der Straßenunterhöhlungen im jahr 1997).

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