Laienverteidigung

DAS URTEIL: POLITISCHE JUSTIZ!

Die Urteilsgründe


1. Die Anklageschrift mit den zunächst 12 Anklagepunkten
2. Anzeige wegen des Faustschlags der Grünen OB-Kandidatin
3. Aktionen im Vorfeld
4. Das Urteil des "Mega"-Prozess: 9 Monate ... ohne Bewährung ...
5. Die Urteilsgründe
6. Reaktionen, Hintergründe, weitere Entwicklungen
7. Links zu verschiedenen Seiten zum Thema

Der ledige Angeklagte Bergstedt bezeichnet sich selbst als Berufsrevolutionär. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er nach eigenen Angaben aus Containern und durch Tauschhandel; er verwertet Sachen, die andere weggeworfen haben, und tauscht Produkte aus schriftstellerischer Tätigkeit gegen Naturalien.

Am 21.5.2002 wurde er durch das Amtsgericht Stuttgart wegen Hausfriedensbruchs zu, einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15,-- Euro verurteilt,

Der ledige, nicht vorbestrafte Angeklagte Neuhaus machte zu seinem Beruf in der Hauptverhandlung keine Angaben. Zur Zeit arbeitet er nicht, er lebe davon, daß er "seinen Kopf anstrenge". Seine Kleidung beziehe er aus dem Umsonstladen. Wovon er tatsächlich lebt, blieb in der Hauptverhandlung unklar.

Beide Angeklagte gehören der sogenannten "Projektwerkstatt" an, die in Reiskirchen-Saasen eine Büro- und Tagungsstätte betreibt. Die Räumlichkeiten dienen gleichzeitig als Wohnung. Der der Projektwerkstatt zugehörige bzw. mit ihr sympathisierende Personenkreis steht dem linken politischen Spektrum nahe. Die Arbeit dieser Gruppe richtet sich gegen den Staat und seine Organe, gegen die "Herrschenden" und ihre Institutionen. Von der Projektwerkstatt aus wird, teilweise über Internet, zu entsprechenden Diskussionsabenden und anderen Veranstaltungen eingeladen, gelegentlich werden als "kreativ" bezeichneten "Aktionen" angekündigt, es wird zur Mitwirkung aufgerufen.

Nach den in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen begingen die Angeklagten folgende Straftaten:

1. bis 8.:

Zur zeit des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2002 entschlossen sich Mitglieder der Projektwerkstatt, unter ihnen die Angeklagten, Wahlplakate verschiedener kandidierender Parteien mit Aufklebern und Aufschriften zu versehen. Zu diesem Zweck begaben sich die Angeklagten nach Reiskirchen, wo sie am 29.8.2002 gegen 1.05 Uhr von der Polizei festgestellt und kontrolliert wurden.

Während der Angeklagte Bergstedt Klebstoff mit sich führte, hatte der Angeklagte Neuhaus in einer Tasche mehrere Aufkleber mit, auf denen Aufschriften verschiedener Art und u.a. Affenköpfe, Totenschädel. oder übergroße Gebisse abgebildet waren.

Tatsächlich wurden von den Angeklagten selbst oder, dem Plan entsprechend, von Gesinnungsgenossen, in der betreffenden Nacht in Reiskirchen acht Wahlplakate verschiedener Parteien mit Aufklebern versehen oder mit Filzstift beschrieben, so daß die auf den Wahlplakaten aufgedruckten Bilder, Logos und Aufschriften nicht mehr oder nur noch teilweise zu erkennen waren.

In der Hauptverhandlung bestritten die Angeklagten die Taten. Dem vermag das Gericht jedoch nicht zu folgen.

Die Polizeibeamten Gontrum und Haberkorn gaben in der Hauptverhandlung als Zeugen an, sie seien nach Reiskirchen gerufen worden, weil die Alarmanlage eines Autos angeschlagen habe. An der Ecke Jahnstraße/Heinrich-Heine-Straße seien ihnen die beiden Angeklagten entgegen gekommen. Einer der beiden, der Angeklagte Bergstedt, sei sofort weggerannt. In der Annahme, die beiden Personen könnten etwas mit dem Alarm zu tun haben, habe man angehalten. Der Zeuge Haberkorn habe den Angeklagten Bergstedt verfolgt und schließlich angehalten. Während der Verfolgung habe der Angeklagte einen Glasbehälter und einen länglichen Gegenstand in einen Müllcontainer geworfen.

Bei dem Angeklagten Bergstedt sei ein Flasche mit Sprühkleber gefunden worden, bei dem Angeklagten Neuhaus eine Anzahl Aufkleber mit Bilder und Aufschriften. Da zu jenem Zeitpunkt noch nicht bekannt gewesen sei, daß in Reiskirchen Wahlplakate überklebt worden waren, habe man lediglich einige der Aufkleber sichergestellt, auf eine Beschlagnahme des Sprühklebers jedoch verzichtet.

Erst nach Beendigung der Personenkontrolle habe man die veränderten Wahlplakate bemerkt. Eine Suche nach den Angeklagten sei jedoch erfolglos gewesen. Auch den Glasbehälter, der bei dem Wurf in den Müllcontainer zerbrochen war, habe man nicht mehr sicherstellen können. Der Zeuge Haberkorn gab an, in dem Müllcontainer sei es feucht gewesen, die feuchten Stellen hätten sich angefühlt wie Tapetenkleister.

Das Gericht hat in der Hauptverhandlung die sichergestellten Aufkleber und Lichtbilder der acht veränderten Wahlplakate in Augenschein genommen. Danach. kann, kein Zweifel daran sein, daß die sichergestellten Aufkleber denjenigen auf den Plakaten entsprechen. Drei der acht Plakate weisen Über den Mund der abgebildeten Politiker geklebte übergroße Gebisse aus, zwei, weitere einen Totenschädel bzw. einen Affenkopf. Genau solche Aufkleber befinden sich bei dem sichergestellten Material. Dies gilt auch für eine Aufkleber mit der Aufschrift "www.wahlquark.siehe.website", der auf zweien der acht Plakate zu finden ist.

Nicht zuletzt weist die auf drei Plakaten angebrachte Aufschrift "14.9. Aktionstag Gießen projektwerkstatt.de/giessen" auf die Angeklagten als Täter hin. Sie waren zudem im Besitz des erforderlichen Materials (Aufkleber, Klebstoff). Der Angeklagte Neuhaus sprach in der Hauptverhandlung bezügliche des Überklebens von Plakaten selbst davon, es handle sich um eine "spannende Form", Proteste auszudrücken.

Bei zusammenfassender Würdigung dieser Indizien hat das Gericht deshalb keine Zweifel daran, daß die Angeklagten sich verabredet hatten, Wahlplakate zu überkleben und zu beschriften. Daß nicht festgestellt werden kann, welcher der Angeklagten welches Plakat bearbeitete, ändert an der Strafbarkeit nichts, da wegen der gemeinsamen Tatplanung jedem der Angeklagten das Verhalten des jeweils anderen zugerechnet werden kann und muß.

Gleiches würde für den Fall gelten, daß sich, was nicht auszuschließen ist, im Gemeindegebiet von Reiskirchen noch andere Mitglieder der Projektwerkstatt aufhielten. Die Angeklagten wollten insofern zwei Zeugen gehört wissen. Ihrem dahingehenden Beweisantrag mußte jedoch nicht nachgegangen werden. Selbst wenn andere Mitglieder der Projektwerkstatt sich in Reiskirchen aufhielten und somit als Verursacher der Plakatveränderungen in Betracht kämen, so müßte das Gericht gleichwohl von einem gemeinsamen Tatplan ausgehen, der zwischen den Angeklagten und jenen weiteren Personen beschlossen worden war. Den Angeklagten wäre somit auch das Verhalten der weiteren an der Planung und Ausführung beteiligten Personen zuzurechnen.

Die Angeklagten sind daher schuldig der gemeinschaftlichen Sachbeschädigung in acht Fällen. Die Aufkleber bewirkten, daß in. allen Fällen die Gesichter der abgebildeten Politiker unkenntlich oder zumindest entstellt wurden oder daß die Werbeslogans der Parteien verdeckt oder sinnentstellt waren. Auf zwei Plakaten wurden außerdem mittels eines Filzschreibers die Gesichter entstellt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die eingesehenen Lichtbilder (Bl. 10 und 11 Band I, Fallheft 1) Bezug genommen.

Dahinstehen kann die Frage, ob der verwendete Kleber wasserlöslich war, die Aufkleber also wieder hätten entfernt werden können. Dies würde am Tatbestand der Sachbeschädigung nichts ändern. Insoweit gilt das gleiche wie bei der Beschädigung eines Autos, dessen Schäden durch eine Reparatur beseitigt werden können.

9.:

In der Nacht vom 8. zum 9.1.2003 bestieg der Angeklagte Neuhaus zusammen mit einer weiteren, nicht ermittelten Person über eine Außenleiter das Flachdach der Gallushalle in. Grünberg. Dort sollte am Abend des 9.1.2003 eine Veranstaltung der CDU stattfinden, zu der mehrere führende Politiker der hessischen CDU, unter ihnen Ministerpräsident Koch, erwartet wurden. Der Angeklagte und sein Mittäter brachten mittels Sprühfarbe ein Symbol. (Buchstabe A in einem Kreis) und großflächig fünf Schriftzüge an der Außenfassade an, die folgenden Wortlaut hatten:

"STAATEN ABSCHAFFEN!" "SMASH CAPITALISM" "STOPPT HESSENS SCHILL!" "STOP LAW AND ORDER!" "WÄHLEN HEIßT ZWISCHEN 2 HAUFEN SCHEIßE ZU ENTSCHEIDEN!"

Die Schriftzüge mußten später unter erheblichem Kostenaufwand mit weißer Wandfarbe übermalt werden.

Die Feststellungen hierzu beruhen im wesentlichen auf den Angaben des Zeugen Puff und den in der Hauptverhandlung eingesehenen Lichtbildern. Letztere zeigen deutlich die oben aufgeführten Schriftzüge. Sie sind teilweise von oben, vom Dach aus, also aus Sicht des Schreibers in Spiegelschrift, angebracht worden, was schon daran ersichtlich ist, daß der Buchstabe S als Fragezeichen ohne Punkt erscheint. Außerdem war das Dach mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt, die, wie der Zeuge Puff aussagte und was auch auf den Fotos zu sehen ist, mit Schuhabdrücken versehen war; die Fußspuren führen zu den Stellen hin, von denen aus die Sprühfarbe angebracht worden sein muß.

Wie der Zeuge Puff weiter angab, wurden bei der Festnahme des Angeklagten Neuhaus am späten Nachmittag des 9.1.2003 dessen Turnschuhe sicher-gestellt. Fotos dieser Schuhe lagen dem Gericht vor, sie wurden in der Hauptverhandlung eingesehen. Der Angeklagte Neuhaus räumte auch ein, diese Schuhe bei seiner Festnahme getragen zu haben.

Ein Vergleich des Profils der Turnschuhe ergibt zweifelsfrei, daß mit ihnen die Spuren auf dem Dach der Gallushalle verursacht worden sind. Davon konnte sich das Gericht anhand der Licthbilder überzeugen. Diese waren von hervorragender Qualität, sie lassen sowohl die Spuren im Schnee als auch das Profil der Turnschuhe in Einzelheiten erkennen. Das Profil besteht aus rautenartigen. Stollen, die von Linien, Kreisen und Halbkreisen unterbrochen werden. Insbesondere weist der linke Schuh deutliche Gebrauchsspuren auf. Das Profil ist im hinteren Bereich der Außenseite des Absatzes und im vorderen Teil der Lauffläche mittig deutlich abgerieben. Dem entsprechen die fotografierten Spuren im Schnee. Wegen der Einzelheiten wird auf die eingesehenen Lichtbilder aus Band II, Fallheft 1 Bl. 12ff. und Fallheft 10, Bl. 5ff., Bezug genommen.

Das Gericht hat deshalb keine Zweifel, daß einer der Täter der Angeklagte Neuhaus war. Zwar mag es sein, daß es unter den Bewohnern der Projektwerkstatt so etwas wie Privateigentum nicht gibt, sozusagen allen alles gehört. Einem dahingehenden Beweisantrag mußte das Gericht jedoch nicht, nachgehen; die entsprechende Behauptung des Angeklagten kann als wahr behandelt werden. Den von ihm gewünschten Schluß, zur Tatzeit könne eine andere Person die Schuhe getragen. haben, vermag das Gericht jedoch nicht zu ziehen. Nur einige Stunden nach der Tat, nämlich bei seiner Festnahme um 16.25 Uhr, trug der Angeklagte die Schuhe. Der Gedanke, der Angeklagte habe seine Schuhe in der Nacht jemand anderem geliehen, um sie sich dann wieder zurückzuholen, erscheint zwar denktheoretisch möglich, jedoch, auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der Projektwerkstatt, als fernliegend, da Schuhe, unabhängig von Eigentumsfragen, individuelle Gebrauchsgüter sind; sie passen schließlich nicht jedem.

Nicht zuletzt deutet der Inhalt der angebrachten Schriftzüge auf den Angeklagten als Täter. Hätte es sich um Schriftzüge mit nationalistischem oder ausländerfeindlichem Inhalt gehandelt, wäre der Täter sicher in anderen Kreisen zu suchen gewesen. Aus seiner Einstellung zur Person des hessischen Ministerpräsidenten, der abends zur Gallushalle kommen sollte, machte der Angeklagte in der Hauptverhandlung keinen Hehl, indem er ihn mit einem der Fäkalsprache zuzuordnenden Ausdruck in Verbindung brachte.

Daß die an seiner Jacke festgestellten Farbspuren laut Gutachten nicht mit der aufgesprühten Farbe identisch sind, vermag den Angeklagten nicht zu entlasten. Nicht denknotwendig muß versprühte Farbe zu Flecken auf der Kleidung führen, die tatsächlich vorhandenen Flecken können bei anderer Gelegenheit entstanden sein.

Ebenso vermag ihn der Einwand nicht zu entlasten, er habe aufgrund seiner Körpergröße die Schriften vom, Dach aus gar nicht anbringen können. Richtig daran ist, daß der Zeuge Puff angab, die Schriftzüge müßten von einer vergleichsweise großen Person angebracht worden sein. Allerdings sagte der Zeuge auch, und die Fotos bestätigen dies, daß im Schnee Spuren einer zweiten, nicht mehr zu ermittelnden Person zu sehen waren. Die vom Dach aus angebrachten Schriftzüge können demnach von der zweiten Person aufgesprüht worden sein. Da insoweit ein offensichtlich gemeinschaftliches Handeln vorlag, ist dem Angeklagte Neuhaus jedoch auch dies zuzurechnen.

Der Angeklagte ist daher schuldig der gemeinschaftlichen Sachbeschädigung.

10.:

Wegen der unter 1. bis 9. beschriebenen Straftaten hatte die Polizei den Angeklagten Bergstedt in Verdacht, der der Polizei seit Jahren als Mitglied und maßgeblicher Aktivist der Projektwerkstatt bekannt war. Zudem war von der Projektwerkstatt aus schon kurz nach dem Überkleben der Wahlplakate in aufreißerischer Form auf diese Aktion hingewiesen worden. Der Zeuge Puff beabsichtigte deshalb, den Angeklagte Bergstedt festzunehmen und dem Haftrichter vorzuführen. Er hatte bereits Grünberger Kollegen ersucht, die Festnahme in Saasen vorzunehmen. Dort wurde der Angeklagte jedoch nicht angetroffen.

Am 9.1.2003 gegen 16.25 Uhr stellte der Zeuge fest, daß sich die Angeklagten der Gallushalle in Grünberg näherten, in der die unter Ziffer 9. beschriebene Veranstaltung stattfinden sollte. Er trat dem Angeklagten Bergstedt entgegen, sagte ihm, daß er ihn im Verdacht habe, für die jüngst begangenen Straftaten verantwortlich zu sein, und erklärte ihm die Festnahme.

Der Angeklagte versuchte jedoch, sich rechts an dem Zeugen vorbei weiter auf die Halle zuzubewegen. Dies verhinderte der Zeuge Puff, indem er den. Angeklagten am Arm ergriff. Aus diesem Griff befreite sich der Angeklagte, indem er um sich schlug. Der Zeuge mußte den Angeklagten loslassen, griff jedoch wieder zu und versuchte, ihn zu einem Polizeifahrzeug zu verbringen, was letztlich mit Hilfe Grünberger Polizeibeamter auch gelang. Da der Angeklagte während des Transports zum Fahrzeug immer wieder Befreiungsversuche unternahm, fiel zum einen die Brille des Angeklagten zu Boden, die allerdings nicht zerbrach. Zum anderen verletzte sich der Zeuge Puff, was der Angeklagte in Kauf nahm, beim ständigen Nachgreifen am rechten Daumen. Die Gelenkkapsel wurde überdehnt. Noch heute hat der Zeuge Beschwerden mit der Beweglichkeit des Daumens.

Zu diesem Vorwurf ließ sich der Angeklagte dahingehend ein, der Zeuge Puff sei ein "bekannter Polizeischläger", der sich nachweislich mehrere Straftaten, die er, der Angeklagte, begangen haben sollte, ausgedacht habe. Er solle einmal nachweisen, daß seine Verletzung von ihm, dem.Angeklagten, herrühre. Er würde es sogar für möglich halten, daß sich der Zeuge die Verletzung mit einem Hammer selbst beigebracht habe.

Dieser Einlassung vermag das Gericht nicht zu folgen.. Die Daumenverletzung des Zeugen Puff ist belegt. Nach dem in der Hauptverhandlung verlesenen Attest der Ärztin Dr. Pinkowski vom 13.1. 2003 erlitt der Zeuge eine schwere Prellung und Distorsion des rechten Daumens, die Ärztin stellte ein Hämatom des gesamten rechten Daumens fest.

Das Gericht hat auch keine Zweifel, daß diese Verletzung von der Auseinandersetzung mit dem Angeklagten herrührt. Die Vorstellung, der Zeuge könne sich die Verletzung, noch dazu mit einem Hammer, selbst beigebracht haben, nur um dem Angeklagten, etwas anlasten zu, können, ist absurd. Zu diesem Zweck hätte schon die Schilderung massiver Widerstandshandlungen ausgereicht. Für die Glaubwürdigkeit des Zeugen spricht, daß er keineswegs von heftigen oder gar gezielten Schlägen des Angeklagten berichtete, sondern eher von Abwehrbewegungen. Auf die Frage, ob der Zeuge den Angeklagten bei anderer Gelegenheit falsch verdächtigt hat, kommt es nicht an.

Das Gericht hat daher keine Zweifel, den Angaben des Zeugen folgen zu können. Dies gilt auch hinsichtlich seiner Schilderung der Vorgeschichte, seines Verdachts und des fehlgeschlagenen Festnahmeversuchs in Saasen.
Der Angeklagte ist daher schuldig des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. Die Diensthandlung des Zeugen Puff war rechtmäßig. Die Schläge des Angeklagte mögen Abwehrbewegungen gewesen sein, sie stellten jedoch zum einen Widerstand gegen die Festnahme dar, zum anderen waren sie ursächlich für die Körperverletzung. Wer sich so wie der Angeklagte wehrt, nimmt Verletzungen seines Kontrahenten in Kauf.

11.:

Am 11.1.2003 fand in der Gießener Fußgängerzone eine angemeldete Wahlveranstaltung der CDU statt, an der u.a. der hessische Innenminister Bouffier teilnahm. Der Angeklagte Bergstedt begab sich mit mehreren Personen, die der Projektwerkstatt angehörten oder nahe standen, zu dem dort aufgebauten Stand der CDU und beschwerte sich. in dessen unmittelbarer Nähe mittels eines von ihm mitgebrachten Megaphons über polizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine kürzlich vorgenommene Durchsuchungsaktion in Saasen. Ein Transparent mit der Aufschrift "Freiheit stirbt mit Sicherheit" wurde entrollt.

Als der Angeklagte seine kurz unterbrochene Rede mittels Megaphon fortsetzte, wollten mehrere Polizeibeamte auf Geheiß des Herrn Bouffier, der sich durch das Verhalten des Angeklagten gestört fühlte, und des ebenfalls anwesenden Polizeipräsidenten die Versammlung auflösen und insbesondere das Megaphon sicherstellen. Zu diesem Zweck forderte der Polizeibeamte Walter den Angeklagten zur Hergabe des Megaphons auf. Dies verweigerte der Angeklagte. Der Zeuge und ein weiterer Beamter versuchten daraufhin, dem Angeklagten das Megaphon, das er über die Schulter gehängt hatte, abzunehmen, wogegen sich der Angeklagte durch Wegdrehen wehrte.

Der Zeuge Walter erklärte dem Angeklagten daraufhin die vorläufige Festnahme und forderte ihn auf, ihn zum Funkwagen. zu begleiten. Da der Angeklagte dem nicht Folge leistete, wollte ihn der Zeuge Walter dorthin bringen. Dabei wurden er und ein Kollege, der Beamte Ernst, von Sympathisanten des Angeklagten gestört, es kam zu tumultärtigen Szenen, in deren Verlauf der Zeuge mehrfach strauchelte oder stürzte, ohne sich allerdings zu verletzen.

Auf diese Weise näherte man sich langsam dem Funkwagen. Unmittelbar vor dem Fahrzeug kam der Angeklagte auf dem Boden zu sitzen. Während der Beamte Ernst den Angeklagten an den Schultern in den Wagen ziehen wollte, griff der Zeuge Walter nach den Beinen des Angeklagten. In diesem Moment trat der Angeklagte, der sich bis dahin ruhig verhalten hatte, in Richtung des Zeugen Walter. Er rechnete dabei damit, den Zeugen treffen und verletzen zu können; hierauf ließ er es ankommen. Der Zeuge hatte sich gerade nach vorne gebeugt, so daß ihn der Tritt des Angeklagten tatsächlich mitten auf der Stirn traf. Hierdurch wurden dem Zeugen eine Prellung und eine Schürfwunde an der Stirn zugefügt, der Zeuge litt noch geraume Zeit an Kopfschmerzen.

Der Angeklagte trug zum Zeitpunkt der Tat schwere Halbstiefel, mit dicker Sohle, die an der Spitze mit Metall beschlagen waren.

In der Hauptverhandlung räumte der Angeklagte ein, damals solche Schuhe getragen zu haben. Er trug diese oder ähnliche Schuhe auch in der Hauptverhandlung, so daß sie in Augenschein genommen werden konnten. Es handelt sich tatsächlich um schwere Halbstiefel, ähnlich sogenannten Springerstiefeln, die mit Eisen beschlagen sind.

Dagegen bestritt der Angeklagte Bergstedt, den Zeugen Walter getreten zu haben. Er berief sich darauf, die Demonstration sei als Spontandemonstration auch ohne vorherige Anmeldung rechtmäßig gewesen. Er sei dort auf eine "völlig durchgeknallte Polizeitruppe" getroffen. mehrere Polizeibeamte hätten sich auf ihn geworfen. man sei mehrfach zu Boden gefallen, Teile des CDU-Standes seien umgerissen worden. Wahrscheinlich habe sich der Zeuge dabei verletzt. Es sei so gewesen, daß einer bzw. mehrere der Beamten ihn mit den Füßen voran in das Fahrzeug gezogen hätten, der Zeuge Walter habe ihm dabei in die Genitalien gegriffen.

Diese Angaben des Angeklagten sind nicht glaubhaft. Es fällt auf, daß er erst in seinem Schlußwort den angeblichen Griff in die Genitalien erwähnte, also zu einem Zeitpunkt, als die Beweisaufnahme bereits geschlossen war. So konnten die Zeugen nicht mehr gezielt zum Vorbringendes Angeklagten befragt werden.

Allerdings wäre das von dem Angeklagten beschriebene Verhalten des Polizeibeamten derart auffällig, daß zu erwarten gewesen wäre, daß es die zu diesem Tatkomplex vernommenen Zeugen von sich aus schildern, wenn sie es denn beobachtet hätten. Jedoch hat keiner der Zeugen entsprechende Angaben gemacht, auch nicht die von dem Angeklagten benannten Zeugen Krömke, Janitzki, Braun, Sauer und Schmidt. Insbesondere bei dem Zeugen Krömke ist verwunderlich, daß er die Einlassung des Angeklagten nicht bestätigt hat. Er gab nämlich in der Hauptverhandlung an gesehen zu haben, wie zwei Beamte versuchten, zunächst den Oberkörper des Angeklagten in den Wagen zu schieben, während die anderen versuchten, "die Beine reinzuzwängen". Wenn schon der Zeuge den Vorfall so genau beobachtet konnte, darin. ist nicht recht erklärlich, wie er einen Griff in die Genitalien übersehen haben sollte. Ähnliches gilt für die Aussage des Zeugen Sauer, der angab gesehen zu. haben, wie der Angeklagte in den Bus gezogen bzw. gedrückt wurde.

Der Wahrheitsgehalt der Einlassung des Angeklagten ist daher zweifelhaft, weil nicht einmal die von ihm selbst benannten Zeugen sie bestätigt haben.

Überführt ist der Angeklagte zur Überzeugung des Gerichts durch die Angaben des Zeugen Walter. Diese sind glaubhaft, mag der Zeuge auch als Verletzter ein - verständliches - Interesse am Ausgang des Verfahrens haben. Es ist nicht ersichtlich, warum er - unter Schonung des wirklichen Täters - wahrheitswidrig den Angeklagten belasten sollte. Der Zeuge schilderte die Vorfälle so, wie sie oben festgestellt wurden. Für seine Glaubwürdigkeit spricht zum einen, daß die Aussage in allen wesentlichen Details mit den Angaben übereinstimmt, die er in seiner Anzeige niedergelegt hatte. Dies gilt, auch wenn der Angeklagte dies in der Hauptverhandlung nicht wahrhaben wollte, auch für deii Umstand, daß der Zeuge dem Angeklagten die Festnahme erklärt hatte, bevor er ihn zum Funkwagen bringen wollte.

Zum anderen spricht für den Zeugen das in der Hauptverhandlung verlesene Attest des Prof. Dr. Oehmke vom 11.1.2003. Der Arzt stellte bei dem Zeugen eine 3 x 2 cm große frische Hautverletzung etwa in der Stirnmitte fest, die mit Blut bedeckt war, außerdem eine Schwellung mit leichter Unterblutung sowie deutliche Kopfschmerzen. Er meinte weiter, die Verletzung könne von einem Tritt stammen, der von der Nase Richtung Scheitel geführt worden sei.

Prof. Dr. Oehmke ist ein Arzt mit jahrzehntelanger forensischer Erfahrung, der viele Jahre als Sachverständiger für das Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen gearbeitet hat. Seine Beurteilung hat deshalb Gewicht. Wenn er eine Verletzung beschreibt, die Folge einer von der Nase zur Stirn, also von unten nach oben verlaufenden Bewegung war, so stützt er damit den von dem Zeugen Walter geschilderten Geschehensablauf.

Die weitern zu diesem Punkt in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen vermochten zur Entlastung des Angeklagten nichts beizutragen.
Die Zeugen Janitzki, Braun und Schmidt gaben an, das Verbringen des Angeklagten in den Polizeibus nicht gesehen zu haben.

Der Zeuge Krömke gab zwar an gesehen zu haben; wie der Angeklagte in den Bus gezogen bzw. geschoben wurde. Einen Tritt schilderte er nicht. Allerdings waren seine Beobachtungsmöglichkeiten nicht günstig. Er stand nach eigenen Angaben 12 bis 15 Meter entfernt. Es spielten sich, wie auch der Angeklagte selbst sagte, tumultartige Szenen ab, so daß davon ausgegangen werden muß, daß sich zwischen dem Zeugen und dem Angeklagrten immer wieder auch andere Personen befanden. Deshalb hatte der Zeuge nicht ständig freie Sicht auf den Polizeibus. Auch sollte der Angeklagte gerade vom Boden aus in des Fahrzeug gezogen werden, - so dass der Blickwinkel des Zeugen ungünstig war. Der von dem Zeugen Walter beschriebene Tritt, eine Aktion von ein oder zwei Sekunden, kann ihm daher entgangen sein.

Auch der Zeuge Sauer konnte lediglich angeben, "keine Gewalt" festgestellt zu haben. Was "unten" passiert sei, habe er nicht gesehen. Auch bei ihm müssen die Wahrnehmungsmöglichkeiten angezweifelt werden. Er sagte nämlich in der Hauptverhandlung, er habe mit Polizeibeamten diskutiert, die er gefragt hätte, warum man so massiv vorgehe, und denen er vorgeworfen habe, daß es so nicht gehe.

Das Gericht ist daher insgesamt davon überzeugt, daß der Angeklagte den Zeugen Walter gegen die Stirn getreten hat. Zwar kann nicht festgestellt werden, daß der Tritt gezielt auf den Kopf des Zeugen gerichtet war. Allerdings war für den Angeklagten erkennbar und voraussehbar, daß er ihn treffen könnte. Das Gericht hat keine Zweifel, daß der Angeklagte eine Verletzung zumindest in Kauf nahm.

Der Angeklagte Bergstedt ist daher schuldig des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Die Diensthandlung des Zeugen Walter Verbringung zum Polizeibus) war rechtmäßig. Dabei kann dahinstehen, ob die Versammlung des Angeklagten und seiner Anhänger als Spontandemonstration erlaubt war oder nicht. Denn jedenfalls störte der Angeklagte eine angemeldete Wahlveranstaltung durch lautstarke Ansagen mittels Megaphon. Dies durfte durch die Polizei mit den von ihr gewählten Mitteln unterbunden werden, unabhängig davon, wer letztlich die Anordnung zum Polizeieinsatz gegeben hatte.

Tateinheitlich liegt gefährliche Körperverletzung vor, weil der Angeklagte den Zeugen Walter mittels eines gefährlichen Werkzeugs verletzt hat. Schwere Halbstiefel, wie sie der Angeklagte trug, können bei der konkreLen Anwendung, nämlich bei einem Tritt in den Kopfbereich, zu erheblichen Verletzungen führen, etwa einem Nasenbeinbruch oder schweren Augenprellungen. Der Angeklagte nahm dies in Kauf.

12.:
Am 27.3.2003 fand im Stadthaus, dem Sitz der Gießener Stadtver-waltung, eine Stadtverordnetenversammlung statt, an der die Angeklagten sowie der gesondert verfolgte Marc Abresch und einige weitere Mitglieder oder Sympathisanten der Projektwerkstatt als Zuhörer teilnahmen. Im Verlauf der Sitzung wurde von Mitgliedern der Gruppe ein mitgeführtes Transparent entrollt, das in teils farbigen Lettern folgende Aufschrift zeigte:

"Gut & Günstig Jetzt neu im Sortiment ANGEBOT Bombendrohungen, Gründe für unverhältnismäßige Polizeieinsätze, und vieles mehr... unverbindlich reinschnuppern im Bürgermeisterzimmer es berät Sie: HAUMANN"

Während sich nach Entrollen des Plakats die übrigen Mitglieder der Gruppe entfernten, blieben die Angeklagten sowie Marc Abresch vor Ort. Sie postierten sich unmittelbar über dem von der .Balustrade hängenden Transparent auf der Zuschauerempore.

Nunmehr, gegen 20.15 Uhr, wurde der Stadtverordnetenvorsteher, der Zeuge Gail, auf den Vorfall aufmerksam. Er forderte, das Transparent einzurollen und sprach dabei gezielt den Angeklagten Bergstedt an, da er ihn kannte. Weil niemand der Aufforderung nachkam, wiederholte sie Herr Gail und drohte an, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen. Als auch daraufhin nichts geschah, sprach Herr Gail ein Hausverbot aus. Gleichwohl entfernten sich die Angeklagten und Herr Abresch nicht. Schließlich wurden Polizeikräfte hinzugerufen, die drei bis vier Minuten später eintrafen und die Angeklagten sowie Herrn Abresch aus dem Sitzungssaal führten.

Wegen dieses Vorfalls hat der hierfür zuständige Leitende Magistratsdirektor Metz am 4.4.2003 Strafantrag gestellt.

Die Angeklagten bestritten nicht, sich trotz Aufforderung nicht aus dem Saal entfernt zu haben und schließlich von der Polizei. abgeführt worden zu sein, meinten jedoch, sich hierdurch nicht strafbar gemacht zu haben. Schließlich sei nicht festgestellt worden, wer das Transparent entrollt habe. Außerdem habe Herr Gail die Sitzung unterbrochen. Vor der Unterbrechung hätten sie nicht durch Zwischenrufe oder ähnliches gestört.

Die Einwände der Angeklagten sind unerheblich. Das Hausrecht des Stadtverordnetenvorstehers gilt unabhängig davon, ob die Sitzung unterbrochen wurde oder nicht. Er kann daher, wie hier geschehen, auch in einer Sitzungspause die notwendigen Maßnahmen anordnen, die zu einer störungsfreien Fortsetzung der Sitzung erforderlich sind. Das Zeigen des Transparents war eine solche Störung, auf deren Beseitigung der Stadtverordnetenvorsteher drängen durfte.

Zwar konnte in der Hauptverhandlung nicht festgestellt werden, daß die Angeklagten das Plakat eigenhändig entrollt haben. Dessen bedurfte es jedoch auch nicht. Der Inhalt des entrollten Transparents entspricht eindeutig jener politischen Gesinnung und Zielrichtung, die von der Projektwerkstatt aus vertreten wird; noch in der Hauptverhandlung kritisierten die Angeklagten mit deutlichen Worten das Verhalten des damaligen Bürgermeisterkandidaten Haumann, der auf dem Transparent namentlich genannt wird. Das Gericht hat deshalb keine Zweifel, daß die Urheber im Umfeld der Projektwerkstatt zu suchen sind. Wenn daher andere Personen als die Angeklagten das Transparent entrollt haben, so geschah dies nach Überzeugung des Gerichts aufgrund eines zuvor gefaßten gemeinsamen Plans, wobei die Angeklagten an der Planung beteiligt waren.

Letzteres veranschaulicht ein Foto, das während der Stadtverordnetenversammlung aufgenommen und das in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurde. Es zeigt die Angeklagten und Herrn Abresch als, soweit das Bild die Zuschauerempore zeigt, einzige Personen auf der Empore direkt über dem entrollten Transparent. Der Angeklagte Bergstedt lehnt sich mit beiden Armen auf den, von ihm aus gesehen, rechten Rand des Transparents, gerade so, als wollte er es vor dem Herabfallen schützen. Mitten. über dem Transparent sitzt der Angeklagte Neuhaus. Seine Arme sind teilweise hinter der Balustrade verborgen, so daß nicht klar zu sagen ist, ob er das Transparent festhält, auch wenn sich dieser Eindruck aufdrängt.

Unter diesen Umständen erscheint die Vorstellung abwegig, irgendwelche unbekannten Personen, die mit den Angeklagten Überhaupt nichts zu tun hatten, hätten das Transparent entrollt und sich dann entfernt, und anschließend hätten sich die Angeklagten rein. zufällig genau an der Stelle der Empore postiert, wo das Transparent entrollt war. Deshalb traf auch die Aufforderung des Zeugen Gail zur Entfernung des Transparents keineswegs die Falschen.

Die Angeklagten sind daher schuldig des Hausfriedensbruchs. Sie haben sich trotz Aufforderung des hierzu Berechtigten nicht alsbald entfernt und mußten von Polizeikräften abgeführt werden.

Die Ausübung des Hausrechts durch den Stadtverordnetenvorsteher war auch unter Berücksichtigung der besonderen Situation einer prinzipiell öffentlichen Versammlung rechtmäßig. Die Angeklagten störten die Versammlung und durften daher des Saales verwiesen werden. Ob die Sitzung der Stadtverordneten zum Zeitpunkt der Anordnung unterbrochen war, spielt keine Rolle.

13.

Im August 2003 wurde seitens der Projektwerkstatt per Internet als "kreative Aktion" eine "Sprengaktion" angekündigt. Zu diesem Zweck versamrnelten sich am 23.8.2003 mehrere Personen, unter ihnen der Angeklagte Bergstedt, in der Gießener Fußgängerzone. Einige dieser Personen führten grüne Plastikgießkannen mit sich.

An diesem Tag waren anläßlich der bevorstehenden Wahl des Gießener Oberbürgermeisters in der Fußgängerzone Wahlkampfstände verschiedener Parteien aufgebaut. gegen Mittag näherte sich der Angeklagte dem Wahlstand der "Grünen", an dem sich zu diesem Zeitpunkt deren Oberbürgermeisterkandidatin, die Zeugin Gülle, aufhielt. Mit den Worten "Hiermit Pisse ich Dich an!" spritzte, der Angeklagte aus seiner Gießkanne Wasser an ein Wahlplakat der Grünen, das die Kandidatin zeigte.

Dies bekam Frau Gülle mit. Sie forderte den Angeklagten auf, das Besprengen von Plakaten sein zu lassen. Daraufhin wandte sich der Angeklagte Frau Gülle zu und besprengte ihre Füße und ihre Bekleidung mit Wasser. In der Annahme, es handle sich bei der Flüssigkeit um Urin des Angeklagten, versetzte Frau Gülle dem Angeklagten eine kräftige Ohrfeige, so daß dessen Brille mehrere Meter weit weg flog und zerbrach.

Die Zeugin Gülle hat noch am gleichen Tag Strafantrag gegen den Angeklagten gestellt.

In der Hauptverhandlung machte der Angeklagte keine Angaben dazu, ob er das Plakat mit Wasser bespritzt habe. Keinesfalls aber habe er Frau Gülle bzw. deren Kleidung besprengt. Sein einziger Fehler sei der gewesen, seinen Kopf in die Bahn der Faust von Frau Gülle zu halten.

Dieser Einlassung vermag das Gericht so nicht zu folgen. Sie ist widerlegt insbesondere durch die Angaben der Zeugin Gülle, die den Sachverhalt so schilderte, wie er oben festgestellt wurde.

Diese Schilderung ist auch glaubhaft.

Die Zeugin räumte selbst ein, den Angeklagten geohrfeigt zu haben. Für eine solch extreme Reaktion muß es Gründe gegeben haben; für Oberbürgermeisterkandidaten macht es sich schließlich schlecht, wenn sie bei Wahlkampfveranstaltungen grundlos Passanten prügeln. Schließlich wollen sie gewählt werden.

Hätte sich der Angeklagte tatsächlich so verhalten wie von ihm beschrieben, so wäre die Reaktion der Zeugin nicht recht verständlich: Schließlich hätte der Angeklagte weiter nichts getan als etwas Wasser auf ein Plakat zu spritzen, das im Zweifelsfall wieder trocknet.

Verständlich wird die Reaktion der Zeugin allein vor dem Hintergrund ihrer eigenen Schilderung. Sie gab an, aufgrund der Äußerung des Angeklagten, hiermit pisse er sie an, sei sie davon, ausgegangen, die Gießkanne enthalte Urin des Angeklagten. Diese Vorstellung sei für sie so ekelerregend gewesen, daß sie dem Angeklagten sponLan eine ohrfeige gegeben habe, nachdem er auch sie selbst bespritzt hatte. Erst später, nachdem ihre Kleidung getrocknet war, ohne Flecken zu hinterlassen, habe sie erkannt, daß es sich bei der Flüssigkeit wohl doch nur um Wasser gehandelt habe.

Diese Schilderung stützt die Glaubwürdigkeit der Zeugin in zweifacher weise: Zum einen ist es immer ein Anzeichen für den Wahrheitsgehalt einer Aussage, wenn Zeugen von Empfindungen oder Gefühlen wie hier Ekel berichten. Zum anderen erklärt die Schilderung der Zeugin ihre heftige Reaktion. Es ist nachvollziehbar, daß die Zeugin sozusagen im Affekt nach dem Angeklagten schlug, weil sie davon ausging, mit Urin besprengt worden zu sein.

Schon allein aufgrund der Aussage der Zeugin Gülle ist das Gericht überzeugt, daß sich der Angeklagte so verhalten hat wie von ihr beschrieben. Ihre Angaben werden zudem gestützt von den Polizeibeamten Weber und Holger Schmidt, die in der Hauptverhandlung beide aussagten gesehen zu haben, wie der Angeklagte zunächst das Plakat und dann Frau Gülle selbst bespritzte. Beide Zeugen bestätigten auch, daß es sich bei der Flüssigkeit in der Gießkanne um Wasser gehandelt habe.

Die Vernehmung der von dem Angeklagten zu diesem Vorfall benannten Zeugen vermag an der Bewertung nichts zu ändern.

Der Zeuge Sascha Schmidt gab an gesehen zu haben, wie der Angeklagte "den Rand des Plakatständers" mit Wasser begoß. Frau Gülle sei dann von ihrem Stand "vorgeschossen" und habe dem Angeklagte "sofort ansatzlos eine runtergehauen". Er habe nicht gesehen, daß Frau Gülle selbst bespritzt worden sei, aus seiner Perspektive könne er das ausschließen. Mit dem Zusatz "aus seiner Perspektive" hat der Zeuge seine Aussage selbst eingeschränkt. Sie läßt daher offen, ob der Zeuge nicht aus anderer Perspektive doch ein Bespritzen der Person der Zeugin Gülle hätte wahrnehmen können oder gar müssen,

Der Zeuge Kirtorf gab an, er habe sich umgedreht und gesehen, wie Frau Gülle den Angeklagten geohrfeigt habe; er halte es für möglich, daß der Angeklagte in einer Umdrehbewegung Wasser verspritzt habe. Was der Ohrfeige vorausging, hat der Zeuge mithin nicht gesehen.

Ebenso berichtete der Zeuge Abresch zwar von der Ohrfeige; weiteres hat er jedoch nach seinen Angaben in der Hauptverhandlung nicht gesehen.

Auch die Zeugin Weber sagte aus, sie habe die Ohrfeige gesehen. Daß jemand mit Wasser gespritzt habe, habe sie hingegen nicht gesehen, es sei lediglich später erzählt worden, der Angeklagte habe Frau Gülle mit Wasser bespritzt. Daß aber tatsächlich mit Wasser gespritzt wurde, hat nicht nur der Zeuge Sascha Schmidt so gesagt, es ergibt sich auch aus einem in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Foto, auf dem unter einem Wahlplakatständer deutlich eine Wasserpfütze zu sehen ist. Deshalb ist zweifelhaft, was die Zeugin Weber außer der Ohrfeige tatsächlich gesehen bzw. nicht gesehen hat.

Der Angeklagte ist daher schuldig der Beleidigung. Eine solche stellt schon das Besprengen des Plakats, das die Zeugin Gülle zeigte, in Verbindung mit den Worten, "Hiermit pisse ich Dich an!" dar. Unter Beleidigung versteht man jede Kundgabe der Nichtachtung oder Mißachtung. Deutlicher als von dem Angeklagten demonstriert kann aber eine Mißachtung kaum kundgetan werden, mag sie auch - symbolisch - lediglich mit Wasser und lediglich gegenüber einem Foto der beleidigten Person zum Ausdruck gebracht worden sein. Sein beleidigendes Verhalten hat der Angeklagte fortgesetzt, indem er Frau Gülle selbst mit Wasser besprengte.

Dagegen kann das Gericht in dem Verhalten des Angeklagten weder eine Sachbeschädigung noch eine Körperverletzung sehen. Da der Angeklagte lediglich Wasser verwendete, war das Plakat nach dem Trocknen in seiner Verwendungsfähigkeit nicht eingeschränkt. Gleiches gilt für die Kleidung der Zeugin Gülle. Diese gab zudem an, durch die Aktion nicht verletzt worden zu sein. Zwar kann auch das Erregen von Ekelgefühlen den Tatbestand der Körperverletzunq erfüllen. Voraussetzung wäre jedoch, daß sich dieses Ekelgefühl in körperlichen Reaktionen, etwa Übelkeit oder Erbrechen, niederschlägt. Derartiges ist hier jedoch nicht feststellbar.

Zusammenfassend ist der Angeklagte Bergstedt daher schuldig der Sachbeschädigung in 8 Fällen, der Beleidigung, des Hausfriedensbruchs und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in 2 Fällen, wobei in einem Fall tateinheitlich vorsätzliche Körperverletzung und im zweiten Fall tateinheitlich gefährliche Körperverletzung begangen wurde.

Der letztgenannte Fall wiegt im Rahmen der Strafzumessung am schwersten, auch wenn das Gericht von einem minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung ausgeht, für den das Gesetz eine Mindeststrafe von 3 Monaten vorsieht. Maßgeblich für diese Bewertung war, daß der Angeklagte hinsichtlich der Körperverletzung nicht mit direktem, sondern lediglich mit bedingtem Vorsatz handelte, und daß die tatsächlich eingetretene Verletzung nicht schwerwiegend war. Auch ist dem Angeklagten zuzubilligen, daß er sich aufgrund der Festnahmesituation in erregtem Gemütszustand befand.

Gleichwohl hält das Gericht in diesem Fall (Fall Ziff. 11.) die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten für erforderlich. zum einen hat der Angeklagte neben der Körperverletzung den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verwirklicht. Zum anderen konnte seine Handlungsweise zu ganz erheblichen Verletzungen des Zeugen Walter führen, sie war objektiv sehr gefährlich. Ein Tritt in das Gesicht kann, gerade wenn er wie hier unkontrolliert geführt wird, schwere Augenprellungen mit der weiteren Folge bleibender Sehminderungen nach sich ziehen, einen Nasenbeinbruch oder den Verlust von Zähnen, Deshalb konnte es bei der, vom Gesetz vorgesehenen Mindeststrafe nicht verbleiben.

Weniger schwer wiegen die übrigen Taten. Zu Lasten des Angeklagten mußte hier gesehen werden, daß er in vergleichsweise kurzer zeitlicher Abfolge mehrfach straffällig geworden ist. Zudem war er erst im Mai 2002 wegen Hausfriedensbruchs verurteilt worden, also im Hinblick auf die Tat Ziffer 12. einschlägig. Die damals gegen ihn verhängte Geldstrafe war zwar nicht erheblich; sie darf deshalb nicht Überbewertet werden. Andererseits kann aber auch nicht so getan werden, als stünde der Angeklagte erstmals vor Gericht. Mildernd wirkt sich im Fall 13. aus, daß der Angeklagte geohrfeigt und daß seine Brille beschädigt wurde. Im einzelnen hielt das Gericht folgende Geldstrafen für tat- und schuldangemessen:

jeweils 20 Tagessätze wegen der Taten Ziffern 1. bis 8.; 40 Tagessätze im Fall Ziffer 13.; 50 Tagessätze im Fall Ziffer 12. und 60 Tagessätze im Fall Ziffer 10.

Die Tagessatzhöhe war mit 10,-- Euro zu bemessen. Ein "Einkommen" im herkömmlichen Sinne bezieht der Angeklagte nicht. Das Gericht geht davon aus, daß ihm, wenn er einen entsprechenden Antrag stellen würde, Sozialhilfe in Höhe von mindesten 300,-Euro monatlich gewährt werden würde. Daraus errechnet sich der Tagessatz mit 10,-- Euro.

Aus den genannten Einzelstrafen war unter nochmaliger, zusammenfassender Würdigung der einzelnen Taten und der Persönlichkeit des Angeklagten eine Gesamtstrafe zu bilden. Dabei. war zu berücksichtigen, daß es sich teilweise um gleichartige Straftaten handelte, so daß die mit der Gesamtstrafenbildung einhergehende Besserstellung des Angeklagten deutlicher ausfallen konnte als in anderen denkbaren Fällen. Insgesamt erschien eine Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten tat- und schuldangemessen.

Die Vollstreckung dieser Strafe kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.

Zwar wird der Angeklagte erstmals zu Freiheitsstrafe verurteilt. Im allgemeinen wird man an die bloße Verhängung einer (ersten) Freiheitsstrafe die Erwartung knüpfen können, daß die Aussicht, längere Zeit im Gefängnis verbringen zu müssen, ihre läuternde Wirkung nicht verfehlt. Bei dem Angeklagten Bergstedt vermag das Gericht diesen Schluß jedoch nicht zu ziehen.

Anhaltspunkte für Einsicht, Reue oder Bedauern des Angeklagten, die für eine günstige Prognose sprechen könnten, hat das Gericht nicht erkennen können. Zwar ist es das Recht jedes Angeklagten, die Tat zu bestreiten, ohne daß dies zu einer höheren Bestrafung führen dürfte. Konsequenz eines solchen Einlassungsverhaltens ist dann aber bei Prüfung der Bewährungsentscheidung, daß Argumente für eine positive Prognose aus dem Nachtatverhalten des Täters nicht gewonnen werden können.

Hinzu kommt bei dem Angeklagten Bergstedt, daß hinter seinen Straftaten eine politische Überzeugung steht, an der er, wie sein Agieren in der Hauptverhandlung beweist, weiter festhält und festhalten wird. Teil. dieser Überzeugung ist es, daß bestimmte, gern als "Aktionen" bezeichnete Vorgehensweisen zwar gesetzeswidrig und strafbar sein mögen, für den Angeklagten aber als zur Erreichung bestimmter Ziele zulässig und gerechtfertigt erscheinen. Es ist in der Hauptverhandlung nicht erkennbar geworden, daß der Angeklagte durch die Verhängung einer Bewährungsstrafe nachhaltig von dieser seit Jahren verfestigten Überzeugung abgebracht werden könnte. Dann aber sind von ihm auch in Zukunft Straftaten zu erwarten.

Damit liegen die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 StGB nicht vor. Diese Vorschrift verlangt nämlich gerade die Erwartung, daß der Verurteilte in Zukunft keine Straftaten mehr begehen wird.

Der Angeklagte Neuhaus ist schuldig des Hausfriedensbruchs und der Sachbeschädigung in 9 Fällen. Er ist nicht vorbestraft, so daß bei ihm in allen Fällen die Verhängung von Geldstrafen ausreichend erschien, wobei Fall Ziffer 9. wegen der Schadenshöhe am schwersten wiegt. Als tat- und schuldangemessen sah das Gericht folgende Einzelstrafen an:

jeweils 10 Tagessätze wegen der Taten Ziffern 1. bis 8.; 30 Tagessätze im Fall Ziffer 12. und 80 Tagessätze im Fall Ziffer 9.

Auch aus diesen Einzelstrafen war unter nochmaliger, zusammenfassender Würdigung der einzelnen Taten und der Persönlichkeit des Angeklagten eine Gesamtstrafe zu bilden. Wie bei dem Angeklaqten Bergstedt war dabei zu berücksichtigen, daß es sich um im wesentlichen gleichartige Straftaten handelte, so daß die mit der Gesamtstrafenbildung einhergehende Besserstellung des Angeklagten deutlicher ausfallen konnte. Als tat- und schuldangemessen erschien eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen.

Die Tagessatzhöhe waren nach den gleichen Grundsätzen wie bei dem Angeklagten Bergstedt mit 10,-- Euro zu bemessen.

Die Angeklagten haben, da sie verurteilt wurden, die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 465 StPO.

W e n d e l
Richter am Amtsgericht

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