Alltagsalternativen

SOZIALABBAU, ARBEITSZWANG ...

Nicht die Arbeitslosigkeit sondern die Erwerbslosen werden bekämpft


1. Rückblick: Agenturschluss am 3.1.2005 ... Aktionen am Arbeitsamt
2. Presseinfo vorab: Auch in Gießen Montagsaktionen gegen Hartz IV
3. Jeden Montag bei den Drei Schwätzern: Aktionen und Diskussionen
4. Innenstadtaktionen am 30. August
5. Berichte
6. Aktionsmaterialien
7. Was tun gegen den Sozialklau?!
8. Am praktischen Beispiel: Moderne Sozialpolitik in Gießen
9. Die Kehrseite ... Reichtum wie nie
10. Aktionsideen ...
11. Informationen zu Hartz IV
12. Aktionen gegen Hartz IV
13. Presse zu Gießener Aktionen
14. Internetseiten gegen Arbeit, Modernisierung und Wettbewerbsstaat, Hartz&Co.
15. Blick über den Tellerrand ...
16. Nicht die Arbeitslosigkeit sondern die Erwerbslosen werden bekämpft
17. Kapitalisten sind richtig widerlich ...
18. Krötenwanderung - von arm nach reich? Andersherum? Genug für alle?

Von Oliver C. Pfannenstiel (aus: Alligator - Mitgliederrundbrief der GRÜNEN LIGA)

"Aus heutiger Sicht mögen 30 Millionen Euro als Abfindung für Klaus Esser hoch erscheinen. (?) Mich stört es, wenn es, wenn es auf die Formel reduziert wird: Wer viel Geld verdient, ist unmoralisch. Von dieser simplen Vorstellung sollten wir uns trennen." Deutsche-Bank-Chef und Multimillionär Josef Ackermann im FAZ-Interview vom 12.09.04.

Peter Hartz, VW-Manager und Miturheber von "Hartz IV" dürfte ein siebenstelliges Jahresgehalt haben. Ist er nun unmoralisch oder bringt er den Menschen Glück und Zufriedenheit? Für die SPD jedenfalls nicht. Sie hat diesen Vertreter der Automobilindustrie zu ihrem Sozialmanager ernannt. Er ist angetreten, um die Erwerbslosigkeit zu bekämpfen. Am 9. August 2002 hat er verlauten lassen: "Heute ist ein schöner Tag für die Arbeitslosen in Deutschland. Wir haben in der Kommission einstimmig ... beschlossen und kommen ... zu einem Konzept, wie wir in den nächsten drei Jahren die Arbeitslosigkeit um zwei Millionen reduzieren wollen."

Heute, zwei Jahre später, wird mit diesem rotgrünen Konzept, das sich inzwischen Hartz IV nennt, der Sozialstaat "überarbeitet". Wer bisher Sozialhilfe erhält, erfährt in einigen Punkten finanzielle Besserungen. Wer bisher Arbeitslosenhilfe bezieht, dem soll richtig Druck gemacht werden. Rückendeckung holt sich die SPD hierfür nicht mehr bei den Gewerkschaften sondern bei der CDU.
Begründet werden diese Maßnahmen mit Argumenten, die bisher aus dem konservativen Spektrum zu vernehmen waren. Erwerbslose sollen sich endlich um Arbeit bemühen, niemanden auf der Tasche liegen und nicht den ganzen Tag faul herumhängen, während andere schwer arbeiten und dafür ähnlich viel Geld bekommen. Von "Mitnahmementalität" ist die Rede. "Florida-Rolf" lässt grüßen.

Angeblich befindet sich der derzeitige Exportweltmeister Deutschland in einer Wirtschaftskrise. Die Öffentlichkeit wird auf das Sparen eingeschworen. Es werden Maßnahmen verabschiedet, die den Sozialstaat nach US-amerikanischen Muster abbauen.
Um nur einige Beispiele zu nennen: Laut Berliner Zeitung werden 90 Prozent der Sozialhilfeempfänger in den Altenheimen ab 01.01.05 ein Drittel weniger Taschengeld erhalten. Statt 133 Euro bekommen sie nur noch 89,70 Euro. Davon müssen u.a. 10-Euro-Praxisgebühr, Brille, und nicht verschreibungspflichtige Medikamente bezahlt werden.
Laut Kinderschutzbund wird die Anzahl der Kinder in Armut ansteigen.

Jeder Erwerbslose muss mit (je zzgl. Wohngeld für Miete) 331 Euro im Osten und 345 Euro im Westen auskommen.
Das betrifft auch diejenigen 58-jährigen, die 2003 zugestimmt haben, bis zur Rente die Arbeitslosenhilfe ausbezahlt zu bekommen anstatt ins Erwerbsleben ingegriert zu werden ("58er-Regelung"). Sie wurden ausgetrickst. Damals wussten sie nichts von den Hartz IV-Kürzungen. Wer sich für das Alter abgesichert hat, muss es sich zweimal überlegen, vielleicht nicht jetzt schon seine spätere Rente anzubrechen, bevor er sie im Falle von Erwerbslosigkeit gegenrechnen lassen muss. Das und viele andere Verschlimmbesserungen (siehe Alligator-Artikel "Mit Schröder und Co zurück in den Frühkapitalismus", 02.03) werden viele Erwerbslose ab 01.01.2005 zu spüren bekommen.
Gleichzeitig werden Bildung und Krankheit immer teurer. Elite-Unis, erhöhte Studiengebühren und mehr Zuzahlungen im Krankheitsfall sind von Rot-Grün geplant. Eine lange Liste unsinniger Großprojekte wie der Verkehrswegeplan, Beteiligungen an Raumfahrtsprogrammen etc. steht auf der anderen Seite des Bundeshaushalts. Geld ist genug da, nur nicht für den Sozialstaat.

Big Brother im Hartz-Gewand
Die STASI wäre vor Neid erblasst, was Rot-Grün so nebenbei von den Erwerbslosen an Informationen abfordert. Derzeit werden an alle Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen Fragebögen zugestellt, die datenschutzrechtlich sehr fragwürdig sind. Die Junge Welt (28.07.04) stellt fest: "Mit "Hartz IV" laufen künftig alle Daten einer Person bei einer Stelle zusammen: über Partnerschaften oder sexuelle Vorlieben, über berufliche Qualifizierung oder berufliche Probleme, Daten sensibelster Art aus allen Lebensbereichen. Der "Fallmanager" weiß alles und wertet die Daten unter dem Gesichtspunkt möglicher Kosteneinsparungen zu Lasten des Betroffenen aus. "Hartz IV" ist somit eine Bedrohung für die demokratischen Freiheitsrechte.
Ein konkretes Beispiel: Wenn ein Bezieher von ALG II eine Wohnung mietet, erhält künftig der Vermieter grundsätzlich davon Kenntnis, dass der Mieter arbeitslos ist. Eine solche Information eröffnet dem Vermieter in dem häufig ohnehin konfliktträchtigen Mietverhältnis naturgemäß Diskriminierungs- und Benachteiligungsmöglichkeiten.
Zweites Beispiel: "Hartz IV" greift massiv in den Intimbereich ein. Es werden penibel Daten erhoben und über Jahre gespeichert, wer mit wem zusammenlebt. Ziel ist, mit den sogenannten Bedarfsgemeinschaften die Haftung der Mitbewohner zu verschärfen."
So richtig unangenehm wird es für Existenzgründer (z.B. einer Ich-AG). Sie werden dazu verpflichtet, potentielle Auftraggeber über ihren Status zu informieren. Im Sozialgesetzbuch II Kapitel acht, §58 heißt es: "Wer eine laufende Geldleistung nach diesem Buch beantragt hat oder bezieht und Dienst- oder Werkleistungen gegen Vergütung erbringt, ist verpflichtet, dem Dienstberechtigten oder Besteller den für die Bescheinigung des Arbeitsentgelts oder der Vergütung vorgeschriebenen Vordruck unverzüglich vorzulegen." Ver.di spricht von einem "Informationsstriptease bedürftiger Selbstständiger". Solche Maßnahmen sind eine Stigmatisierung zu Zweite-Klasse-Selbstständigen mit Arbeits- oder Sozialamtshintergund.

Für eine Handvoll Euro
Aktuell läuft eine Aufklärungskampagne, die den besorgten Erwerbslosen nahe bringen will, dass sie sich vor den neuen Gesetzen nicht fürchten sollen. Nach einer Pro-Hartz-Zeitungsanzeige geht es den Leuten mit den Neuerungen sogar besser als vorher.
Zur Anrechnung der Altersabsicherungen heißt es dort lapidar: "Die Riester-Rente wird nicht angerechnet." Andere Renten- bzw. Lebensversicherungen werden gar nicht thematisiert. Zu den Ein-Euro-Jobs heißt es, dass niemand dazu gezwungen werden soll. Verschiegen wird hingegen, dass der Zwang mit den Zuwendungskürzungen beginnt, die stattfinden, wenn jemand diese Arbeit verweigert.
Auf der Webseite der Bundesregierung zu Hartz IV werden als "positive Stimmen" ausgerechnet Arbeitgeberpräsident Hundt, die Wirtschaftsorganisation OECD, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und die großen Wohlfahrtsverbände angeführt. Das sind ausgerechnet die Profiteure der Ein-Euro-Jobs bzw. der Lohndumping-Diskussion.
Bis vor Kurzem gab es die Argumentation, dass Zivildienstleistende vor allem von den großen Wohlfahrtsverbänden im sozialen Bereich als Jobkiller eingesetzt werden, weil sie billiger als qualifiziertes Fachpersonal sind. 500 Euro erhalten Wohlfahrtsverbände bzw. gemeinnützige Vereine zukünftig für die Beschäftigung eines Erwerbslosen. Bei 40 Stunden wöchentlicher Lohnarbeit bekommt dieser davon nur 160 bis 200 Euro im Monat. Der Rest geht an den Verband. Wer beispielsweise zehn Erwerbslose beschäftigt, kann einen Verdienst von maximal 3.400 Euro einheimsen. Bleibt abzuwarten, wie sozial sich in dieser Hinsicht die sozialen Wohlfahrtsverbände bzw. die gemeinnützigen Vereine (darunter auch die GRÜNE LIGA) verhält. Eine Diskussion innerhalb der GRÜNEN LIGA über den Umgang mit solchen Jobs wäre sehr wichtig und wünschenswert.
Mit Hartz IV sind die Ein-Euro-Löhner die Jobkiller für den anderen, konkurrienden Zwangsdienst: die Zivis. Vom qualifizierten Fachpersonal, das aufgestockt werden könnte, ist keine Rede mehr. Ähnliches wird auch bei den FÖJ- und FSJ-Stellen eintreten.
Der Zivildienst wird in Zukunft weniger Bedeutung bekommen. im Zuge von Hatz IV ist seine Dauer (wie der Kriegsdienst) auf 9 Monate und seine Altersbeschränkung bis 23 Jahre herabgesetzt worden.

Reichsarbeitsdienst
Was Rot-Grün mit Hartz IV als "Ein-Euro-Job" präsentiert, ist eine Mischung aus "Freiwillger-Arbeitsdienst" (FAD) -Gesetz von 1931 und Reichsarbeitsdienst von 1935. Wörtlich lautete das FAD-Gesetz:

"(2) Den Arbeitslosen dürfen nur solche Arbeiten zugewiesen werden, die
1. sonst überhaupt nicht oder nicht zu dieser Zeit oder nicht in diesem Umfang ausgeführt werden würden, 2. gemeinnützig sind, insbesondere hilfsbedürftigen Personen zugute kommen, 3. ihnen nach ihrem Lebensalter, ihrem Gesundheitszustand und ihren häuslichen Verhältnissen zugemutet werden können, 4. ihre Vermittlung in Arbeit nicht verzögern, 5. ihnen keine Nachteile für ihr späteres Fortkommen bringen. (3) Regelmäßige Arbeiten, die fortlaufend die Arbeitstätigkeit eines Arbeitnehmers beanspruchen, dürfen nicht im Wege der Pflichtarbeit ausgeführt werden. (4) Für Mehraufwendungen, die den Arbeitslosen bei ordnungsmäßiger Ausführung der zugewiesenen Arbeiten entstehen, ist ihnen durch den Träger der Arbeit angemessene Entschädigung zu gewähren." (§ 91)
Im Vergleich zum späteren Reichsarbeitsdienst der Nazis wurden überwiegend junge Leute dazu herangezogen und es gab auch keine Sperrzeiten bei Nicht-Inanspruchnahme des FAD. Doch an der Erwerbslosigkeit änderte der FAD nichts.
Im Februar 1932 erreichte die Erwerbslosigkeit in Deutschland mit 6.128.429 registrierten Personen ihren höchsten Stand. Da von den etablierten Parteien keine brauchbaren Konzepte gegen die soziale Misere zu erwarten schien, wählte die Mehrheit die NSDAP.
Diese änderte den FAD um, der sich später RAD nannte. Mit diesem Reichsarbeitsdienst-Gesetz von 1935 sollten mehr Erwerbslose als bisher zu gemeinnützigen Arbeiten gezwungen werden. Die dem Arbeitslosengeld entsprechende Bezahlung des Diensts verdeutlichte, dass es sich bei diesen Einsätzen im wesentlichen um einen "Ehrendienst am deutschen Volke" handelte. Neben Autobahnbau und Rüstung wurden die Leute auch in die Forstwirtschaft und zu Dammbauarbeiten abberufen.

Nicht viel anders als beim FAD und RAD ist die Bestimmung der sog. Ein-Euro-Jobs. Insofern ist der Vergleich des Thüringer DGB-Chefs Frank Spieth vom RAD mit bestimmten Regelungen von Hartz IV prinzipiell zutreffend. Spieth sagte, "mit Ein-Euro-Jobs wird der Reichsarbeitsdienst im neuen Gewand eingeführt". Hätte er nur vom FAD gesprochen, würde der Vergleich des Arbeitszwangs nicht stimmen. Der FAD war lediglich "freiwillig". Der Vergleich mit dem RAD ist aufgrund des Zwangs, der Absicht, damit Erwerbslose zu funktionalisieren und verschiedener Tätigkeiten zutreffend. Nicht zutreffend ist der militärische Charakter bzw. der gesellschaftliche Hintergrund unter dem er stattfand. Aber deutsche Politiker / Funktionäre benutzen scheinbar gerne Bezeichnungen aus dem Nationalsozialismus.

Nur werden mit den Ein-Euro-Jobs (zumindest noch) keine Autobahnen oder Panzer gebaut, sondern absurderweise die Jobs besetzt, die kurz vorher per Reform wegrationalisiert wurden: Erzieher und Stellen in gemeinnützigen Vereinen bzw. Verbänden.
Wer gestern als Erzieher einer öffentlichen Einrichtung volles Gehalt bekommen hat, darf zukünftig "freiwillig" (hier taucht dieses missbrauchte Worte wieder auf) mit Hartz IV dort für einen Euro / Stunde zum Arbeitsdienst antreten.

Man sollte den Nationalsozialismus nicht inflationär mit der heutigen Zeit gleichsetzen. Aber bestimmte Mechanismen, wie Macht ausgeübt wird, tauchen heute hier und da wieder auf.
Das betrifft sowohl die Weimarer Zeit als auch den Nationalsozialismus. Wenn sich jemand wie ein Nazi verhält, heißt es nicht automatisch, dass er einer ist. Wichtig ist es aber, Kontinuitäten und Strukturen zu untersuchen, die ihre Wurzeln im autoritären Denken haben. Davor sind die Regierungsparteien auch nicht gewahrt.

SPD - das Janusgesicht einer neoliberalen Partei
Ministerpräsident Matthias Platzeck, ehemaliges GRÜNE LIGA-Mitglied aus Anfangszeiten, hat seinen Wahlkampf fast ohne die SPD geführt. Scheinbar hat er gute PR-Berater.
Seine Wahlwerbung in Brandenburg war bis auf dezent angebrachte kleine SPD-Logos lediglich auf seine Person und das Brandenburger Nationalgefühl abgestimmt und nicht auf seine Partei zurecht geschnitten. Sein Wahlslogan klang nach einem Kompromiss: "Wer Platzeck will, muss SPD wählen". Klare Sätze über Hartz IV hat er vermieden.

Die Bundes-SPD hingegen kippt hingegen viel Öl in das Feuer: Gerhard Schröder spricht von einer "Mitnahmementalität" bei Sozialleistungen in Ost und West. Selbst aus Reihen der CSU wird das als "unsensible Provokation" (Horst Seehofer) kritisiert. Eigentlich hätte man bei solch einer Aussage vertauschte Rollen erwartet. Erst sehr viel später ist vorsichtig und nebulös von einer höheren Besteuerung von Besserverdienern die Rede. Doch wer richtig gut verdient, bringt mit Schweizer Bankkonten, Auslandswohnsitz oder anderen Tricks "seine Schäfchen ins Trockene". Dagegen wird staatlicherseits ohnehin nichts unternommen. Man will sich ja nicht ins eigene Fleisch schneiden oder "gute Freunde" kompromittieren. Wer Schröder, Stoiber, Merkel, Fischer oder Westerwelle heißt, feiert seine Feste mit Flick, Ackermann und Kirch, residiert in den selben Hotels und geht zum selben Herrenausstatter.
Noch nie haben die Sozialdemokraten so klar gegen den Sozialstaat gehandelt.
Dass sie hohe Verluste in den Landtagswahlen in Saarland, Sachsen und Brandenburg einstecken mussten, scheint sie nicht zu stören. Dass rechtsextreme Parteien wie die NPD und die DVU einen rapiden Aufwärtstrend in den vergangenen Wahlen verzeichneten, schiebt die SPD der "Stimmungsmache gegen Hartz IV, die nur den Rechtsextremen etwas nützt" der PDS und Oskar Lafontaine zu. Die SPD versucht, den WählerInnen Hartz VI als "gerechten sozialen Umbau des Sozialsystems zugunsten des Sozialstaates" zu verkaufen. Sie bekommt es nur nicht mit, dass die Menschen diese Kröte nicht schlucken wollen.

Wenn man sich heute die Grundsätze der SPD durchliest, bekommt man den Eindruck, man hat es mit einer ganz anderen Partei zu tun.
Im SPD-Godesberger Programm von 1959 heißt es u.a.: "Gesellschaftliche Zustände, die zu individuellen und sozialen Notständen führen, dürfen nicht als unvermeidlich und unabänderlich hingenommen werden Das System sozialer Sicherung muss der Würde selbstverantwortlicher Menschen entsprechen. (..) Die Vorrechte der herrschenden Klassen zu beseitigen und allen Menschen Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand zu bringen das war und das ist der Sinn des Sozialismus." In der Neuauflage der SPD-Grundsätze, dem Berliner Programm von 1989 heißt es: "Wir erstreben eine solidarische Gesellschaft der Freien und Gleichen ohne Klassenvorrechte, in der alle Menschen gleichberechtigt über ihr Leben und ihre Arbeit entscheiden. Die neue und bessere Ordnung, die der Demokratische Sozialismus erstrebt, ist eine von Klassenschranken befreite Gesellschaft. Wir wollen sie durch Abbau von Privilegien und Vollendung der Demokratie erreichen." Bezüglich dem Niedriglohnsektor schreibt die SPD dort: "Alle Formen gesellschaftlich notwendiger Arbeit müssen gleich bewertet und zwischen Männern und Frauen gleich verteilt werden. Wer Familien- und
Gemeinschaftsarbeit leistet, darf im Erwerbsleben nicht benachteiligt werden." Interessant liest sich hier auch Folgendes: "Die Arbeiterbewegung hat über Generationen hinweg den Sozialstaat erkämpft. Wir werden ihn erhalten und ausbauen. In der Solidargemeinschaft stehen die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken, die Nichtbehinderten für die Behinderten, die Arbeitenden für die Arbeitslosen ein. Wir sind gegen eine Privatisierung der elementaren Lebensrisiken."
Diese Grundsätze sind heute so weit weg von der Umsetzung der SPD-Politik, dass man darüber spekulieren kann, was regierende SPD-Politiker wohl für ein Selbstbild haben.

Zwischen 1998 und 2004 hat die SPD vermutlich aufgrund ihrer neoliberalen Politik über 100.000 Mitglieder verloren. Scheinbar ist ihr das nicht genug Wink mit dem Zaunpfahl. Laut dem freien Infoportal Wikipedia.de besaß sie im Jahre 2003 651.000 Mitglieder. Die Tendenz wird fallend sein; vor allem in Ostdeutschland.

Karrierepartei Bündnis 90/Grüne
Ihnen geht es gut, sie verdienen ganz gut und auch der Großteil ihrer WählerInnen ist gut betucht. Nach einer neuen Studie der Uni Mainz besitzen Grünen-Wähler ein monatliches Durchschnittseinkommen von 2.000 Euro. Eine Studie der Uni Leipzig sieht diese Wählerinnen mit "nur" 1.700 Euro Nettoverdienst hinter der FDP auf Platz zwei der Spitzenverdiener.

Die Grünen haben es bis vor kurzem gut verstanden, sich geschickt aus der Mitverantwortung für Hartz IV davon zu stehlen. Hinter den Kulissen entscheiden sie maßgeblich am Sozialabbau mit. Öffentlich halten sie sich bedeckt und sind darum bemüht, nicht in der Schusslinie neben der SPD aufzutauchen.
Wenn die Grünen unter Druck gesetzt werden, dann kommen enthüllende Meinungen zum Ausdruck. Erst ein öffentlicher Ruf vom Schweriner Ministerpräsidenten Ringstorff veranlasste Joschka Fischer zu der Äußerung, dass Hartz IV keine Verarmung hervorrufen würde. Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke spricht lediglich von Ängsten und Befürchtungen, die bei den Montagsdemonstranten ausgeräumt werden müssen. Laut Bütikofer sind die Grünen "das soziale und ökologische Gewissen der Nation" (taz, 25.08.04). Renate Künast zufolge hätte Hartz IV schon viel früher eingeführt werden müssen. Solche Sätze hätte vor 20 Jahren innerhalb der Partei blankes Entsetzen hervorgerufen.

Heute hat sie ihre "linke Kindheit" längst hinter sich gebracht. Auch wenn das viele aus der Basis nicht wahrhaben möchten: Während die Grünen früher langhaarige Ökos mit ernsthaften sozialen und ökologischen Vorsätzen waren, sind sie heute zu einer neoliberalen Mittelschichtspartei geworden. Aus Pazifismus wurde Kriegszustimmung (Kosovo-Krieg), aus Dritte Welt-Engagement wurde Fischers WHO-Politik und aus den Versprechungen an die Anti-Atom-Bewegung ein lauwarmer Kompromiss über eine langjährige Abschaltung von ohnehin veralteten AKWs (falls sie in den nächsten Legislaturperioden von der CDU nicht zurück genommen werden). Spätestens mit Hartz IV hat sich ihr Handeln von sozialen Leitbildern ihrer Gründungsgeschichte verabschiedet.

Die Rolle des DGB
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer ist für ein leicht korrigiertes Hartz IV, gegen Ratten und für alle, die seiner Meinung nach im öffentlichen Licht gut dastehen. Dazu gehören Edmund Stoiber, Joschka Fischer und Gerhard Schröder. Sommer will einer für alle sein. Er will es sich nicht mit der SPD, den Grünen, der CDU/CSU, den Arbeitgebern, den Gewerkschaften und den Konzernen verscherzen. Genau hier liegt sein Problem, das auch das Problem der Gewerkschaften ist. Im Mund trägt er zwar ein Gebiss. Das benutzt er scheinbar aber nur für eine ausgewählte Küche, nicht für bissige Kritik. Vielleicht hat er schon seine Dritten Zähne.
Gegen Ratten hat er etwas, weil er sich um die Rattenfänger Sorgen macht, die auf den Demos gegen Hartz IV auftreten. Scheinbar sind für ihn alle, die gegen Sozialabbau demonstrieren, "Ratten" und alle Organisatoren deren "Fänger". Der brave Erwerbslose bleibt besser zu Hause und betet für die kleinen Korrekturen, um die Herr Sommer Herrn Schröder bittet.
Dass der DGB nicht als Mitaufrufer zu den Montagsdemos gehört, bezeugt seine politischen Motive eines zahnlosen SPD-Anhängsels. Heute kann er (Ausnahmen bestätigen die Regel) als der "kleine Berater" an der Seite des Angestellten / Arbeiters gesehen werden, der versucht, eine Partnerschaft mit den Unternehmen aufrecht zu erhalten. Anders ausgedrückt: eine Art Heiratsvermittler zwischen Unternehmer und Gewerkschaftsmitglied.

Scheinbar setzt sich der DGB über seine Mitglieder hinweg. Einzelne Gewerkschaften wie ver.di oder IG Metall mobilisieren zu den Montagsdemos, protestieren und stellen aufschlussreiche Informationen ins Internet.

Schwarz-Gelb-Rot-Grüne Selbstgefälligkeit
Scheinbar hat man sich in der PR-Abteilung der Bundesregierung darauf verständigt, Hartz IV-Befürchtungen rein psychologisch zu begegnen: "Aufklärung" gegen "Angst".
SPD, Bündnis 90/Grüne, FDP und auch CDU sprechen von Ängsten, von rechtsextremen Demagogen und vom Abbau der Erwerbslosigkeit durch Hartz IV. Joschka Fischer sagte laut Tagesspiegel (25.08.04), die Ängste der Menschen hingen auch damit zusammen, dass sie "gezielt desinformiert und verunsichert wurden über diese Reform des Arbeitsmarktes - von Leuten, die nur billigen politischen oder anderen Profit im Auge hatten".
Ist der kritische Erwerbslose nun doch ein Opfer rechtsextremer Propaganda oder ist er einfach zu doof, die Vorteile von Hartz IV zu würdigen?
Wenn man die Aufklärungskampagne der Bundesregierung ansieht (www.bundesregierung.de/hartz-IV), könnte man meinen, es ginge nur um die Angst, die eigene Laube oder das Auto zu verlieren.
Unterm Strich befürchten Finanzexperten, dass die Haushaltsausgaben durch den hohen Verwaltungsaufwand und andere Kosten für Hartz IV auf lange Sicht genauso hoch liegen werden, wie vorher ohne Hartz IV. Demzufolge kann Hartz IV als Kampagne gesehen werden, die Rot-Grün angekurbelt hat, um nach außen hin "etwas zu tun". Die Erwerbslosen sind dabei das Bauernopfer. Sie kann man leichter "schlachten" als die großen Unternehmen und die Besserverdiener.
Dass es sich mit Hartz IV um sozialen Kahlschlag und um eine Entwürdigung insbesondere der Wendeverlierer im Osten der Republik handelt, werden wir nie aus dem Mund eines SPD- oder Grünen-Politikers hören.

Fazit
In Europa geht es den Menschen im Vergleich zu anderen Ländern in der sog. Dritten Welt von der materiellen Grundabsicherung vergleichsweise sehr gut. Wäre es tatsächlich so, dass alle Menschen hierzulande sich finanziell stark einschränken müssten, so wäre auch das zu bewerkstelligen. Die Betonung liegt auf dem Wort "alle". Das schließt die Millionäre, Gutverdienenden, Besserverdienenden sowie Erwerbslosen und Bedürftigen mit ein. Haben alle die gleichen Chancen, die gleichen Voraussetzungen und die gleiche Mitsprache?
Die einen haben großen Besitz geerbt, die anderen sitzen im irgendwo Vorstand mit einem Jahresgehalt von 7 Mio Euro. Wieder andere fällen Entscheidungen über Leute die im Vergleich zu ihren Politiker-"Diäten" von der Hand in den Mund leben müssen.
Ausgerechnet von ihnen kommen Argumente wie "in anderen Ländern geht es den Menschen noch viel schlechter." Die Meinung, dass es allen gut gehen soll, ist kaum zu vernehmen. Die Meinung, "dass alle gleich sind, aber einige gleicher als andere" (George Orwell in Farm der Tiere), wird als gesellschaftliche Grundannahme vorausgesetzt.

Das hat der Bundespräsident Köhler am 12. September in einem Zeitungsinterview bekräftigt. Demnach sollten sich die Menschen davon verabschieden, Gleichheit anzustreben. Die wird es aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation in Ost und West sowieso nicht geben. Der Mann meint es im Vergleich zu Bütikofer, Schröder und Co ehrlich ("ich bin der Großverdiener und ihr Ossis seid das einfache Volk - so ist das eben!") und wird dafür angefeindet. Er spricht die Wahrheit und bezieht sich als ehemaliger IWF-Vorsitzender dabei auf die WHO-Politik. Kapitalismus heißt eben "fressen oder gefressen werden".

Während die Zahl der Dollar-Millionäre hierzulande auf stolze 755.000 (Die Zeit, 11/2003) steigt, sollen einfache Leute auf Niedriglohnbedingungen vorbereitet werden. Das ist die eigentliche Botschaft von Hartz IV. Der Diskurs um die scheinbare große Krise der deutschen Wirtschaft hat sein Ziel erreicht.
Arbeitszeitverkürzung auf eine 20- oder 30-Stunden-Woche und andere sozial-taugliche Ansätze werden erst gar nicht in die Debatte eingebracht. Konzerne müssen sich nicht dafür rechtfertigen, wenn sie ihre Produktion ins Ausland verlagern und die Unternehmerseite hat (seitens der Regierung und CDU/CSU/FDP) genügend politische Rückendeckung, um Lohnkürzungen bzw. Arbeitszeitverlängerungen durchzusetzen. Rot-Grün scheint alles mitzumachen. Siemens, BMW und Deutsche Bank schreiben nach wie vor schwarze Zahlen. Wie aus dem Wirtschaftslehrbuch gelernt, geht es um Gewinnmaximierung und nicht um Werte wie Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.

Eine andere Botschaft von Hartz IV ist, dass Ostdeutschland nie den westlichen Reichtum und damit eine Angleichung erreichen wird. Rein wirtschaftlich gesehen hat sich die Wende überwiegend für die Westdeutschen Großverdiener gelohnt. Sie haben im Osten (Grund-) Besitz angehäuft und die Regionen in weiten Teilen deindustrialisiert. Außer den Spreewaldgurken und ein paar anderen Produkten hat kaum eine Marke aus der DDR überlebt.
Die einen sagen, "selbst schuld, ihr wolltet ja den Kapitalismus", die anderen sehen die Markteroberung und den Ausverkauf der DDR an den Westen auf Kosten der Bevölkerung im Osten. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte.

Hartz IV ist eine logische Fortführung eines Diskurses um kapitalistische Werte. Gesellschaftlich hat der Westen dem Osten seine Ideale aufgedrängt. Das geht soweit, dass alles, was mit der DDR zu tun hatte, diffamiert wird. Stellvertretend ist die ständige Thematisierung der Maueropfer. Auch wenn das tragische Schicksale waren, wird gleichzeitig verschwiegen, dass seit der Wende weit mehr als doppelt soviele Flüchtlinge an der EU-Grenze in der Oder ertrunken sind oder in Containern erstickt. Für Menschen, die aus schlechten Lebensbedingungen fliehen wollen, hat sich die Mauer nur weiter nach Osten verschoben.

Hartz IV vereint die großen, aber westdeutschen Parteien und spaltet die Bevölkerung. Nur die PDS lehnt als einzige Partei sowohl die Agenda 2010 als auch Hartz IV ab. Verstärktes Lohndumping und zunehmend ungeschützte Erwerbsverhältnisse werden zur "Normalität". Wer gegen Lohndumping und Ein-Euro-Jobs ist, wird als "arbeitsscheu" stigmatisiert. Verhungern wird niemand. Aber die soziale Gerechtigkeit geht immer mehr den Bach runter. Wenn sie mehr Jobs schaffen wollen, warum setzen sie dann ausgerechnet die Erwerbslosen so unter Druck? Entstehen dadurch mehr Jobs? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um reale Arbeitsplätze zu schaffen? Was ist mit den Erwerbslosen über 50? Gibt es Pläne, wie sie wieder zu richtigen Jobs kommen können? Werden große Unternehmen am Outsourcing gehindert? Wird Korruption bekämpft? Wird verstärkt Jobsharing und Teilzeitarbeit gefördert? Werden zu hohe Mietpreise verboten?

Nicht die Erwerbslosigkeit, sondern die Erwerbslosen werden bekämpft.
Das Obszöne an Hartz IV ist nicht die einzelne Maßnahme sondern die Ungerechtigkeit, wie hierzulande die Besitzverhältnisse geregelt werden und wie die Menschenwürde von Erwerbslosen behandelt wird. //Oliver C. Pfannenstiel

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